Morbides Verlangen 12

Morbides Verlangen 5. Dez. 2022

Warnung:

Wir erinnern uns daran, dass dies nur eine fiktive Geschichte ist. Der Inhalt soll schockieren, abschrecken und Angst auslösen.  Das Leben ist kostbar. Das Leben ist ein Geschenk und man sollte andere so behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Mit Respekt, Liebe und Verständnis. Solltest du dunkle Gedanken haben, die dich drohen einzunehmen, dann suche dir bitte Hilfe. Es gibt immer eine helfende Hand, man muss danach nur greifen wollen.

Achtung Triggerwarnung, enthält sensible Themen wie Depressionen/Selbstmord und erotische Inhalte, FSK +18

Das Treffen findet bereits in einer Woche statt. Am Samstag wollen sich Kanonenfutter40, Hippiefunfun, Rosemarie, Rollstuhlfahrer, Sonnenkind, Staubkuss und Traumakeks in einem Café in Düsseldorf mit dem bezaubernden Namen Hüftgold zum Frühstücken treffen. Ich bin auch eingeladen. Nachtwolf hat sich selbstverständlich nicht zu dem Thema geäußert und allgemein hat er bis auf seine üblichen Hallo’s und Tschüss‘s nichts mehr von sich im Chat verlauten lassen. Rosemarie hingegen ist noch einmal an die Decke gegangen, weil sie der absoluten Überzeugung ist, dass OpaGandalf ihr bestimmt an diesem Samstag auflauern und ihr das Leben schwer machen wird. Sie hat sich erst einigermaßen beruhigen lassen, nachdem ihr Kanonenfutter40 mehrmals klargemacht und versichert hat, dass OpaGandalf weder wisse, wo wir uns treffen, noch wie wir aussehen, und sie sich keine Sorgen machen müsse, weil wir sie alle vor ihm beschützen werden, sollte er irgendetwas versuchen wollen oder ihr irgendwie zu Nahe treten.

Es wurden Bilder und Handynummern ausgetauscht und bis auf Rosemarie, Staubkuss und ich, hat jeder, der nächsten Samstag an diesem Treffen teilnehmen wird, seine Identität, mittels einem Foto und ein paar Angaben über sich, offen dargelegt. Und wer hätte es gedacht - ich bin tatsächlich die Jüngste aus der Truppe. Hippiefunfun ist der Einzige, der nur drei Jahre mehr als ich auf dem Buckel hat, alle anderen sind bereits in ihren Dreißigern, Vierzigern und drüber. Hippiefunfun sieht aus, wie man sich so einen typischen Hippie vorstellt. Blondes, schulterlanges Haar, Mütze auf dem Kopf, ein ausgefranstes T-Shirt mit Peace-Zeichen am Körper und dazu leicht gerötete Augen, die treudoof in die Kamera blicken, sowie ein leicht dümmliches Grinsen im Gesicht. Zumindest hat er das auf dem Foto, das er mit uns geteilt hat.

Kanonenfutter ist ein Mann in den Vierzigern, mit kurzen, weißen Haaren, Dreitagebart, Brille und Hemd, das sich unvorteilhaft über seinen ausgeprägten Bauch spannt. Er hat ein paar Wohlfühl-Kilos zu viel auf den Rippen, was irgendwie ins Bild passt - er ist schließlich nach eigenen Angaben Koch und isst sehr gerne deftig. Außerdem wirkt er auf dem Foto, das er von sich in den Chat geschickt hat, durch sein freundliches und breites Lächeln auf den ersten Blick sehr sympathisch. Aber der Schein kann trügen. Vielleicht schlachtet er zum Zeitvertreib in seinem Keller unschuldige Mädchen ab und bietet diese dann stückchenweise in seinem Restaurant zum Verzehr an. Wer weiss. Möglich ist alles.

Rollstuhlfahrer ist der Älteste aus der Gruppe. Er sieht mit seinen wilden Haaren und dem markanten und gezwirbelten Oberlippenbart aus wie eine Mischung aus Einstein und Salvador Dali. Wie sein Name schon andeutet, sitzt der Mann im Rollstuhl. Sonnenkind und Traumakeks sind wie Tag und Nacht. Während Sonnenkind auf ihrem Foto bunte und schrille Klamotten trägt und mit ihrem lilafarbenem Haar und ihrem breiten, beinahe auf mich schon ein bisschen wahnsinnig wirkendem Lachen garantiert überall auffällt, fällt Traumakeks wohl kaum auf. Traumakeks sieht haargenau so aus, wie man sich ein Mitglied des Forum Grau‘s so vorstellt. Glanzloses, herunterhängendes Haar, ein leicht eingefallenes und müde wirkendes Gesicht. Braune Augen, die traurig aus ihren Höhlen hervorlugen und ganz Form Grau getreut graue Klamotten, in denen die schlanke Frau komplett versinkt.

Tja, wer hätte es gedacht? Das Forum Grau besteht aus vielen unterschiedlichen Leuten, die aber alle aus ähnlichen Gründen sich in diesem Forum zusammengefunden haben, rumhängen und ihre Zeit totschlagen. Ich gebe zu: Meine Voreingenommenheit respektive mein Schubladendenken hat mich bis zu diesem Zeitpunkt glauben lassen, dass alle hier so ähnlich aussehen müssen wie Traumakeks und ich. Kaputt, verloren, verlassen. Falsch gedacht, Emily. Umso mehr sterbe ich vor Neugier, wie Nachtwolf wohl aussehen mag. Und habe ich ihn jemals gefragt, wie alt er ist? Wow. Wir haben so schnell mit unserem Spielchen angefangen, dass wir alle essentiellen Fragen einfach ausgelassen haben und direkt zu den nackten Tatsachen übergegangen sind.

Wobei das Spielchen ja nun sowieso vorbei ist und ich mir dringend abgewöhnen sollte, ständig an diesen blöden Wolf zu denken. Irgendwann mutiere ich noch zu einer verrückten Stalkerin und tapeziere meine Wand mit Informationen und Nachrichten über und von ihm oder erbaue einen Schrein in seinen Namen. Nein, noch schlimmer. Ich besorge ich mir eine Kamera und lege mich vor der angegebenen Adresse auf die Lauer. Verflucht, okay, ich brauche eine gottverdammte Therapie, wenn das so mit mir weitergeht. „Oder einen Pillencocktail“, flüstert die leise Stimme in meinem Kopf beschwichtigend. Ich nicke ihr gedanklich zu und glotze dann auf den Bildschirm meines Handys, das angefangen hat in meiner Hand zu vibrieren. Bei dem Anrufer handelt es sich um meinen Arbeitskollegen Georg. Gekonnt drücke ich den Anruf weg und seufze resigniert. Manchmal führt sich Georg wirklich so auf, als hätte er sich um den bereits besetzten Job meines Vaters beworben und die Stelle einfach angetreten, trotz Absage.

Als ich das Handy wieder aus der Hand legen will, piepst es erneut. Diesmal aber nicht, weil Georg einen weiteren Versuch wagt, mich zu erreichen. Nein. Ich habe eine SMS erhalten. Von ihm. Von Nachtwolf.

Nachtwolf: Um 18 Uhr bin ich mit Daniela verabredet. Du verlangst viel von mir, Schatten.

Ich halte die Luft an. Warte was? Moment mal! Träume ich etwa oder tut der Mann es wirklich? Verdammt, im Ernst jetzt? Meine Augen huschen von der Nachricht, die ich mindestens schon fünf Mal gelesen habe, zu der Uhr auf meinem Handy. Es ist bereits 17:45 Uhr. Wow, habe ich tatsächlich den ganzen Nachmittag damit verbracht, im Forum Grau abzuhängen? Und das auch noch halb angezogen? Ein Wunder, dass ich dabei nicht erfroren bin, denn erst jetzt stelle ich fest, wie ich zittere und wie kalt mir ist, und das obwohl in meinem Innern dank Pyromane Nachtwolf ein Feuerchen brennt, der es mit seiner Nachricht entfacht hat.

Noch 15 Minuten bis der Herr sein Date mit Daniela hat und ich platze bereits jetzt schon vor Aufregung. Ruckartig stehe ich von meinem Bürostuhl auf und bereue es sogleich. Meine Beine fühlen sich an wie Pappe, weil ich, klug wie ich bin, die letzten Stunden ausschließlich im Schneidersitz verbracht und mich nicht mehr bewegt habe. Ich höre förmlich meine Knie vor Protest aufschreien, ignoriere es aber und hieve meinen reklamierenden Körper in Richtung der rettenden Kuscheldecke, die über einem Stuhl in der Küche hängt. Wie auch immer die dort hingekommen ist.. Eingekuschelt in den weichen Stoff, flitze ich wie ein König im Hermelinmäntelchen zurück zu meinem Bürostuhlthron und drücke nervös auf den Bildschirm meines Handys. Eine weitere Nachricht von Nachtwolf leuchtet auf. Oh Gott!

Nachtwolf: Gib mir deine Skypedaten, ich rufe dich an, wenn es soweit ist.

Skype? Wie retro! Kurzerhand schicke ich dem Mann meine Daten zu und hätte ihm bestimmt auch ein Organ gespendet, wenn er mich darum gebeten hätte, dann lehne ich mich hyperventilierend in meinem Bürostuhl zurück und drehe Däumchen. Noch drei Minuten bis 18 Uhr. Drei Minuten, bis der Junkie in mir an seinen heiß ersehnten Stoff kommt. Was Nachtwolf wohl dazu bewogen hat, doch bei meinem Vorschlag mitzumachen? Ich will mich nicht beschweren. Im Gegenteil. Ich bin begeistert. Und aufgeregt. Und gespannt, ob wirklich diese Daniela bei ihm auftauchen wird? Sie scheint zumindest laut ihrem Callgirl-Profil sehr flexibel und spontan zu sein. Offenbar spontan genug für ein so kurzfristiges Stell-dich-ein.
Ich frage mich, wer von uns beiden schlussendlich Daniela für ihre Dienste bezahlen wird. Nachtwolf oder ich? Ich schwimme nicht im Geld, aber ich würde mich bereit erklären, dafür aufzukommen, da es meine Idee gewesen ist. Irgendwie merkwürdig für das Schäferstündchen von einem Mann zu bezahlen, den man noch nicht einmal wirklich kennt. Okay. Gut. Selbst wenn ich ihn besser kennen würde, wäre es immer noch seltsam.

Die Kontaktanfrage von Nachtwolf auf Skype löst in mir etwas Undefinierbares aus. Eine Mischung aus Panik, Vorfreude und Angst sowie Aufregung. Zaghaft nehme ich die Anfrage an und lehne mich auf meinem Bürostuhl etwas vor. Als wäre ich nicht ohnehin schon nervlich total am Ende, ruft Nachtwolf mich einfach an, ohne vorher noch was zu schreiben. Sowas wie “Bist du bereit?” oder ein “Hallo, ich bin’s, der Typ, der gleich eine flachlegt”. Oh mann, Emily. Warum bist du nur so schräg?  
Mit zittrigen Fingern klicke ich auf das grüne Telefon, um den Anruf entgegenzunehmen. Prompt ist die Videoübertragung ist aktiv und im ersten Augenblick bin ich froh, dass ich meine Webcam zugeklebt habe und Nachtwolf mich in diesem Zustand, eingekuschelt in meine Kuscheldecke und eingeschüchtert wie ein verschrecktes Reh, nicht sieht. Ich allerdings habe einen guten Blick in Nachtwolfs Schlafzimmer. Die weißen Vorhänge sind zugezogen und vor ihnen entdecke ich ein riesiges Bett mit Holzgestell und cremefarbenen Laken. Rechts vom Bett erkenne ich einen Teil von einem Kleiderschrank und auf dem Boden liegt ein flauschiger, dunkelbrauner Teppich auf weissem Parkett. Nichts in diesem Zimmer gibt irgendetwas über Nachtwolfs Persönlichkeit Preis. Keine Bilder, keine persönlichen Gegenstände, keine Dekoration. Es wirkt alles erstaunlich clean und wie aus einem Möbelhaus-Katalog. Aber einmal von der spartanischen Einrichtung abgesehen, wo ist Nachtwolf?

Ich sehe, dass im Chatfenster gerade eine Nachricht eingetippt wird, aber ich sehe denjenigen nicht, der sie eintippt, was irgendwie merkwürdig ist. Ich runzle die Stirn, will aber erstmal abwarten, bevor ich durchdrehe.

Nachtwolf: Daniela duscht gerade. Sag mir, wie du dir dieses Date vorgestellt hast, Schatten.

Schatten: Wo bist du?

Nachtwolf: Hinterm Schreibtisch, die Kamera ist so positioniert, dass du das Bett siehst und nicht den Schreibtisch. Ich möchte die Sache nicht unbedingt auf meinem Schreibtisch durchziehen, da bin ich heikel. Die Laken kann ich wechseln.

Schatten: Ist da jemand schlecht drauf?

Nachtwolf: Nein, ich platze regelrecht vor Freude mit dieser Escort-Dame gleich den Akt der Liebe zu vollführen. ;)

Schatten: So schlimm, ja?

Nachtwolf: Die Fotos auf der Homepage sind sehr vorteilhaft und vor allem geruchsneutral.

Schatten: Bist du echt so heikel, Nachtwolf?

Nachtwolf: Deine letzte Chance, Wünsche zu äußern, Schatten, die Dame ist bestimmt gleich fertig.

Schatten: Wie du willst, Wolf. Zwei Sachen. Kein Vorspiel und ich will dich in Aktion sehen. Nur dich. Halt dich nicht zurück.

Nachtwolf: Ich lasse dich zehn Minuten zusehen, danach fährt mein Computer automatisch  herunter. Viel Spass, Schatten.

Gerade als ich reklamieren will, ruckelt das Bild kurz und dann… sehe ich ihn.

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