Traum-A-Land

kontroverse Geschichten 24. Mai 2024

Billardzimmer

Es ist heiß und warm, eine Mischung aus beidem. Ich weiß nicht mehr, was ich an diesem Tag trage und ich schätze, es hat auch keine Relevanz. Wie so viele Dinge aus der Vergangenheit keine Relevanz mehr haben, wenn sie passiert und nun mehr unabänderlich sind. Sie hängen einem ab und zu noch nach, ja, und die Frage “was wäre wenn” keimt hin und wieder auf. Das ist total normal und auch okay. Die Antwort wird uns jedoch schuldig bleiben. Und auch wenn wir es nicht wollen, wird sie uns gar für immer verborgen bleiben.

Es ist nicht wie ein Buch, das man lesen und wenn es einem missfällt, noch einmal von vorne beginnen oder umschreiben kann. Aber was man kann, ist, die unschönen Dinge einfach umzublättern und zum schönen Teil vorzugehen. Doch heute will ich diese Seite nicht übergehen oder zu kleben, wie ich es schon oft getan habe. Heute will ich mich ihr stellen, selbst wenn sie dunkel ist, so dunkel, dass man sie gar nicht mehr richtig lesen kann.

Wir sind in diesem Billardzimmer, nicht, weil es wie ein typisches Billardzimmer aussieht, nein, sondern weil ein Billardtisch drin steht. Die Wände sind karg, die Fenster kaputt, in den Ecken wohnen die Spinnen und haben ihre Netzen aufgeschlagen, der Boden ist zugemüllt, die Schuhe sind schmutzig.

Ich habe etwas in meiner Hand. Wahrscheinlich eine Tüte Chips, denn auf meiner Zunge vernehme ich einen intensiven Geschmack und ich kaue. Ich kaue auf irgendetwas herum und ich weiß, dass ich etwas getrunken habe, was mir nicht geschmeckt hat.

Es riecht muffig und obwohl die Temperatur nicht dafür verantwortlich ist, verspüre ich eine Gänsehaut. Da ist auch ein flaues Gefühl in meinem Magen und ich verspüre einen zarten Hauch von Angst.

Irgendwie bin ich wie benebelt, dennoch bekomme ich am Rande mit, wie Geld den Besitzer wechselt, höre dieses irre Lachen und sehe dieses perverse Lächeln in diesem unschönen Gesicht.

“Sie ist unberechenbar”, schießt es mir in den Kopf und von so einer wie ihr, sollte man sich hüten, kein Geld annehmen. Dennoch tut sie mir leid. Ihre Eltern lieben sie nicht. Ihre Eltern passen nicht auf sie auf und ihr Bruder ist gruselig. Komisch. Ein Sonderling. Einer, den man nicht einzuschätzen vermag und der so viel Wut in sich trägt, dass die Luft um ihn herum zu vibrieren scheint.

Ich halte oft den Atem an, wenn ich nicht will, dass gewisse Menschen auf mich abfärben oder in mich fahren. So absurd der Gedanke auch ist, so unmöglich dieses Szenario auch scheint. Ein Teil von mir glaubt felsenfest daran, dass böse Menschen die guten infizieren und davor will ich mich bewahren, selbst wenn ich dabei ersticken sollte. Lieber tot, als so wie die.

Kennst du das, wenn du in der Wanne untertauchst und zählst, wie lange du unter Wasser aushalten kannst? So ungefähr fühlt es sich an. An der Wasserfläche lauert das Grauen und woanders der Tod.

Zurück zum Billardzimmer, wo die beiden Mädchen miteinander sprechen und obwohl ich der Sprache mächtig bin, verstehe ich kein Wort.

Jede Faser von mir ist zum Zerbersten angespannt und mir ist immer noch schummrig. Irgendwann beginnen wir zu spielen und ich habe diesen Stock in der Hand, mit dem man die Bälle in die Löcher befördert. So richtig spielen wir das Spiel nicht. Es wird hauptsächlich nur gelacht und die Kugeln mit den Händen angefasst.

Ich glaube, die Hände sind noch an anderen Stellen gewesen, doch vermag ein kranker Geist solche unschönen Dinge gerne auszublenden. Der Bruder taucht irgendwann auf und ich starre wie hypnotisiert in diese verpickelte Visage, die eines Teenagers, obwohl ich nicht genau weiß, wie alt der Bruder ist. Er muss eigentlich schon älter sein. Vielleicht zwanzig, vielleicht auch kurz davor.

Ich nehme wahr, wie sich Lippen bewegen und wieder gesprochen wird. Verstehen tue ich nichts, ich spüre nur, wie mein Gesicht arbeitet. Wie es versucht, irgendeine Mimik aufrechtzuerhalten, die zu entgleisen droht.

"Bloß nichts anmerken lassen”, würde mir die Stimme in meinem Kopf nun raten, wäre sie nicht betäubt oder im Nebel verloren gegangen. Wahrscheinlich ist das Kichern meins und schon ist da abermals dieser Geschmack in meinem Mund von dem, was ich in meinen Händen halte und nicht erahnen kann, was es ist. Entweder Chips oder doch eine Tüte Gummibärchen? Mein Unterbewusstsein sagt mir, es muss was Salziges gewesen sein, doch mein Verstand boykottiert vehement die Erinnerung.

Immer wenn der Bruder erscheint, ist da auch das Messer in seiner Hand und die Rede von Pornos. Er ist aggressiv und wie getrieben und nicht nur ich fühle mich in seiner Gegenwart unwohl.

Auch die Schwester wirkt wie ausgetauscht. Dieses perverse Lächeln ist verschwunden, die Haltung eine andere. Irgendwie wirkt das Mädchen, das wie ein Junge aussieht, in seiner Gegenwart wie ein in sich zusammengekauertes Häufchen Elend, so als ob sie sich klein oder gar aus dem Staub machen möchte.

Staub ist auch das richtige Stichwort, denn als der Bruder wie wir den Stock in die Hand nimmt und ein paar Kugeln in Löcher stößt, wird plötzlich von kleinen Kätzchen gesprochen und ob wir uns die nicht ansehen wollen. Er drängt regelrecht darauf, dass die Schwester uns die Kätzchen zeigen soll. Sie nickt und meint, die wären woanders wo. Sie sind süß, flauschig und klein. Ungefähr so wie wir.

Ich mag Kätzchen.

Wir gehen durch dieses verfallene Haus, in dem sie wohnen. Wo die Wände Löcher haben, die Fenster kaputt und Möbel kaum vorhanden sind. Es ist schmutzig. Es riecht komisch und hier sein - möchte ich nicht.

Ich sehe meine Füße, die in Schuhen stecken und über morsches Holz balancieren. Mir ist schwindelig, alles dreht und schüttelt sich. Ich nehme ein weißes Stück Stoff wahr, das im Wind tanzt und ich weiß, dass wir uns nun nicht mehr im Erdgeschoss befinden.

Wir sind einen Stock oberhalb, wo das Haus noch mehr in sich zusammengefallen ist. Alles knarzt und ist instabil. Instabil wie meine Erinnerung, denn ab da wird alles schwarz. Dunkel, als hätte jemand in meinem Kopf das Licht ausgeknipst. Ich habe keine Ahnung, ob ich an diesem Tag die Kätzchen gesehen habe. Manchmal denke ich, dass es so gewesen sein muss. Warum sollte es denn nicht?

Doch dann sind da wieder diese Träume, die mich mitten in der Nacht hochschrecken lassen. In denen ich nur meine Füße sehe, wie ich langsam und auf wackeligen Beinen über diese morsche Holzplanke wate wie ein Pirat kurz vor seinem Sprung ins eiskalte Wasser. Der weiße Stoff weht im Wind  und ich habe diesen komischen Geschmack in meinem Mund. Dann dieses Gefühl von nicht in Worte zu fassender Angst und der Traum, den ich nicht mehr weiter träumen will. Oder kann.

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