Hi Stalker - 4
Ich gebe zu, mir ist schon etwas mulmig zumute, als ich meinen Blog online stelle und mein Innenleben nicht nur mit dir, sondern von nun an mit der ganzen Welt teile. Ich, diejenige, die sonst so verschlossen ist, offenbare mich.
Ich erzähle von mir und dir, wobei ich dich nur am Rande erwähne, wie jemand, der zwar da ist, aber dessen Existenz keine essentielle Rolle für mich spielt.
Du fragst dich vielleicht, was das soll und warum ich das tue. Die Antwort ist so einfach wie schlicht. Warum denn nicht?
Die zwei Worte begleiten mich auch, als ich vor dem Spiegel stehe und einen engen Rock über meine Beine streife. Zum Rock gesellt sich ein warmer, schwarzer Pullover, der genauso gut in deinem Kleiderschrank hätte hängen können - unauffällig und bequem, eigentlich perfekt für so einen Stalker wie dich. Mir ist er zu groß und ich verschwinde darin. Aber manchmal ist verschwinden ganz schön gemütlich, findest du nicht? Abhängig davon, wohin man verschwunden ist.
Vor meinem inneren Auge sehe ich mich bereits eine dunkle Gasse entlang gehen, spüre deinen warmen Atem in meinem Nacken, höre den drängenden Herzschlag unter deinen Rippen, vernehme die schnellen Schritte in meinem Ohr, bemerke deine starken Hände um meinen Hals und schmecke den harten Boden, auf dem ich aufpralle. Blutig und asphaltiert liegt der Geschmack auf meiner Zunge. Ich wehre mich mit Händen und Füssen, doch gegen dich komme ich nicht an, und dann…, was tust du mir an? Was ist dein Ziel?
Ich kenne nur meins und das besteht daraus, jetzt meine Wohnung zu verlassen und mich auf den Weg zum Tattoo Studio zu machen. Über das Motiv mache ich mir nicht so viele Gedanken - das entscheide ich spontan. Aber groß muss es sein. Und wenn ich schon dabei bin, wie wäre es mit Piercings? Missfällt es dir, wenn mir jemand anderes als du so nahe kommt und auch noch Spuren hinterlässt?
Es ist alles eine Frage der Überwindung, doch den Preis bezahle ich gerne. Ich drücke dem Mann ein paar Scheine in die Hand und lasse ihn an mich ran. Nicht so, wie du denkst und du es bei mir tun willst. Der erste Stich schmerzt, genauso wie der zweite und der dritte und dann gewöhne ich mich so langsam an das Gefühl, wenn die Nadel unaufhörlich ihre Farbe in mich schießt. Es vergehen Stunden und um Zeit zu sparen, hantiert ein nettes Mädchen an meinen Ohrmuscheln herum. Stahl wird durch die empfindliche Stelle gebohrt und das nicht nur einmal. Und weil mir das nicht genügt, lasse ich die talentierte Frau auch noch an meine Lippen ran und wenn ich schon dabei bin, muss die Nase dran glauben. Die tut ganz besonders weh, aber ich halte es aus.
Als die Künstler damit fertig sind, sich auf mir zu verewigen, verlasse ich das Studio wieder. Mein Gang ist federleicht, nur der Schmerz wiegt schwer. Ich schätze, wir beide werden uns an den neuen Look gewöhnen müssen - wie gut, dass ich gleich jemandem begegnen werde, der mein Aussehen noch gar nicht kennt. Dafür schlendere ich durch düstere Gassen und Gässlein, durch die eine Frau wie ich nicht alleine schreiten sollte. Sag mir, folgen mir deine Augen auch hier? An so einem finsteren Ort?
Ich summe eine leise Melodie und ergreife die Klinke des zwielichtigen Lokals. Drinnen ist es schummrig und laut. Die Technobeats erwischen mich, bevor es der Inhaber des Etablissements tut. Der hält sich im Hintergrund verborgen und ich muss erst vom Barkeeper zu ihm geführt werden. Wieder führt mein Weg durch einen dunklen, schmalen Gang, bis ich vor einer goldenen Tür zum Stehen komme.
Graue Rauchschwaden empfangen mich, der Geruch von Whisky liegt in der Luft. Vor mir sitzt ein Mann, der nach unfair verdientem Geld stinkt. Er trägt sein Gold nicht nur um den Hals, auch ein getunter Zahn blitzt mich an, als mein neuer Boss seinen Mund öffnet und mir ein falsches Lächeln schenkt.