Oujia - ist da jemand?

Creepypasta 15. Juni 2022

Warnung:

Wir erinnern uns daran, dass dies nur eine fiktive Geschichte ist. Der Inhalt soll schockieren, abschrecken und Angst auslösen.  Das Leben ist kostbar. Das Leben ist ein Geschenk und man sollte andere so behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Mit Respekt, Liebe und Verständnis. Solltest du dunkle Gedanken haben, die dich drohen einzunehmen, dann suche dir bitte Hilfe. Es gibt immer eine helfende Hand, man muss danach nur greifen wollen.

Quentin's Sicht:
Es fühlt sich merkwürdig an wieder zuhause zu sein. Ich schmeisse meinen Koffer auf mein Bett und lasse mich auf den blauen Bürostuhl direkt daneben fallen. Mein Zimmer… Irgendwie so fremd und doch so vertraut. Es ist klein. Nicht gross. Lediglich ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Bett und ein Schrank steht in diesem kleinen Quadrat,  mit vier mit Postern zugpflasterten Wänden. Die Bands, die diese Wände zieren, höre ich nicht mehr. Erstaunlich, wie viel in einem Jahr passieren kann. Ich bin vor für ein Praktikum nach Amerika geflogen und vor drei Stunden als ein völliger anderer Mensch nach Hause gekommen. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt, eine andere Lebenseinstellung erworben, mir selbst einen neuen Fokus gesetzt und sehe die gleichen Dinge jetzt in einem anderen Licht. Kurzum, ich bin erwachsen geworden. Meine Finger ziehen am Reissverschluss des Koffers. Warum bin ich überhaupt zurückgekehrt?
Mit einem Donnern wird meine Zimmertür aufgerissen und gegen die Wand geschleudert. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, wer die Tür gerade auf grausame Weise aus der Angel gerissen hat. „Quentin? Na altes Haus, alles klar?“
Meine Mundwinkel zucken. Alles klar. Eine so einfache Frage auf die ich keine Antwort weiss, obwohl die Antwort immer dieselbe ist. Mit zusammengepressten Lippen drehe ich mich zu meinem Bruder um und schaue ihm ins Gesicht. Die Augen sind mit schwarzem Kajal umrandet, die Lippen gepierct, die schwarzen langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden und in der Augenbraue steckt ein metallener Ring. Er sieht aus, wie ich ausgesehen habe, als ich das Land vor einem Jahr verlassen habe. Mein kleiner Bruder. „Blendend“, quetsche ich hervor und zaubere ein Lächeln auf meinen Mund. Seine Augenbraue schiesst in die Höhe. Als keine Reaktion von mir kommt, widmet er sich der Tür, die immer noch an der Wand angelehnt ist, kurz davor den ramponierten grünen Teppichboden zu küssen. Grinsend bestaunt er sein Werk, fischt eine Zigarette aus seiner schwarzen Weste und zündet sie sich an. Grauer Rauch breitet sich in dem kleinen Zimmer aus und ich fange automatisch an zu husten. Verdammtes Asthma. Schlechte Gewohnheiten wird man los, aber dieses Asthma wird mich bis an mein Lebensende verfolgen. Nach Luft fächernd, rolle ich mit dem Bürostuhl zum einzigen Fenster im Zimmer und reisse es auf.
„Du weisst, dass du in meiner Gegenwart nicht rauchen sollst!“, mahne ich meinen Bruder und ernte prompt ein schelmisches Lachen von ihm. „Sorry, Bro, du warst ein Jahr nicht da, Kurzzeitgedächtnis lässt grüssen.“ Die Zigarette fliegt auf den Fussboden und findet ihr Ende unter den Boots von Dario. Mit trägen Schritten nähert er sich meinem Schreibtisch und begutachtet die eingerahmten Fotos darauf. Ein Schatten legt sich auf sein Gesicht und ich weiss, was gleich folgen wird und darauf habe ich absolut keine Lust. Ich starre aus dem Fenster. Die alte Eiche vor unserem Haus ist immer noch an Ort und Stelle und die Schaukel, die um einen dicken Ast angebracht worden ist, schaukelt im Herbstwind vor und zurück. Meine Augen wandern den Stamm hinab und erblicken das eingeritzte Herz in der Rinde des alten Baumes. Die Initialen Q und A, die im Herz mit einem kleinen Taschenmesser verewigt worden sind, schnüren mir die Luft ab und ich fange schon wieder an zu husten. Der Brechreiz, der darauf folgt lässt mich schlucken und  für einen kurzen Moment, überlege ich, aus dem Fenster zu springen. Es tut so verdammt weh.
Die warme Hand meines Bruders auf meinem Rücken lässt mich innehalten. „Ich weiss, wie es dir geht.“
„Du weisst gar nichts.“, erwidere ich und schubse ihn von mir weg. Er legt lediglich seinen Kopf schief und fingert wieder an seiner Hemdtasche rum.
„Ich versuche doch nur dich zu trösten und für dich da zu sein Bro.“
„Das weiss ich zu schätzen, aber ich möchte gerne… einfach nur allein sein.“
„Du bist nicht der einzige, der sie verloren hat. Wir alle vermissen sie.“
Wir alle vermissen sie. Die Worte prallen auf mich ein und ein Schwall aus Tränen kündigt sich an. Doch ehe ich vor meinem Bruder anfange loszuheulen wie ein Baby, zwinge ich mich zu einem Lächeln und schliesse das Fenster.
„Ich weiss. Würdest du mich bitte für einen Augenblick alleine lassen?“ Ich bemühe mich gefasst zu klingen und schaffe es gerade so. Dario mustert mich. Sein Zeigefinger wandert zu seinem Augenbrauenpiercing hoch und spielt an der Kugel um den Metallring.
„Sicher, dass du allein sein willst?“
Ich nicke und lasse mich neben meinem Koffer auf das Bett plumpsen. „Mir geht es gut. Ich brauche nur einen Moment.“, versichere ich ihm und bin froh, dass meine Stimme mich nicht im Stich lässt.
„Aber das Fenster bleibt zu?“ Ich nicke erneut und er kichert. „Keinen Bock meinen grossen Bruder vom Boden zu kratzen. Verstehst du doch oder?“ Wieder ein Nicken meinerseits. Seine Hand wandert von seinem Piercing in seine Hosentasche, dann kneift er die Augenbraue zusammen und dreht sich um. „Du bist sicher, das alles in Ordnung ist?“
„Ja, Mama.“ Ich rolle mit den Augen und lehne mich gegen das Bettgestell. Dario lacht und zeigt mir den Mittelfinger, greift nach der Tür und zieht sie hinter sich zu. Es knallt einmal und mit einem Ächzen ergibt sich die Holzplatte ihrem Schicksal und prallt auf den Boden. Von weitem höre ich Dario noch brüllen: „Reparier das mal!“ ehe er die Treppen hinunter poltert.
Ein leises «Vollidiot» seufzend, wandern meine Finger wieder zum Reissverschluss meines Koffers. Ich kann es immer noch nicht fassen. Wie konnten sie mir über einen Monat verschweigen, dass Amy…  meine Faust hinterlässt ein Loch in der spröden Wand und ein bisschen Verputz rieselt auf mich und das Bett herunter. Drecksbude. Verdammte baufällige Hütte. Mach ein Praktikum im Ausland, haben sie gesagt, dass würde deine Jobchancen verbessern, haben sie gesagt, dir den Weg ebnen für ein besseres Leben, haben sie gesagt. Für ein erfülltes Leben. Ein anderes Leben, als das hier. Aber keiner hat gesagt, dass ich die Liebe meines Lebens verlieren würde in dem Jahr. Keiner. Nein. Man hat es nicht einmal für nötig empfunden, mir mitzuteilen, dass Amy.. nicht mehr da ist. Natürlich habe ich mir Sorgen gemacht, als ich über einen Monat lang nichts mehr von ihr gehört habe. Klar, habe ich ihr unzählige Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen. Meinen verdammten Bruder ausgequetscht was los ist, selbst Amys Mutter habe ich mit Anrufen terrorisiert und immer die gleiche Antwort erhalten. Es sei alles in Ordnung, ich müsse mir keine Sorgen machen, Amy ist mit ein paar Mädels in den Urlaub geflogen, irgendwohin, was ist es gewesen? Tokyo? Irland? Sie habe ihr Handy zuhause liegen lassen. Erinnere sich bestimmt nicht mehr an meine neue ausländische Telefonnummer. Nein. Sie brauche Zeit für sich. Ich solle mir keine Sorgen machen. Was für ein unglaublicher Idiot bin ich eigentlich? Habe die Lügen geglaubt, sie geschluckt als wären sie Medizin, die meine Angst um meine Freundin lindert. Amy ist schon immer schwierig gewesen, aber trotz all ihren Fehlern und Problemen habe ich sie aber über alles geliebt. Es ist eine dumme und eigennützige Idee gewesen sie allein zu lassen. Zurückzulassen. Tränen fliessen über meine Wange und prasseln auf den Boden des Koffers.
«Sicher, dass alles okay ist?»
Ich reisse meinen Kopf hoch und starre Dario an, der wieder in der Türschwelle aufgetaucht ist und auf einem Nutellabrot rum kaut.
«Es ist alles total in Ordnung!», schreie ich ihn an und werfe die Nachtischlampe neben dem Bett in seine Richtung. Elegant weicht er aus und die Lampe fliegt über das Treppengeländer in den ersten Stock hinunter. Seine Augen folgen der Lampe, eher sie wieder auf mich richtet und einen weiteren Biss von seinem Brot nimmt. «Sieht aber nicht so aus.»
Ich spüre, wie die Wut in mir kocht und einen kritischen Zustand annimmt. Er provoziert mich. So wie er es immer tut und getan hat. Meine Nägel bohren sich in meinen Handballen und mit zusammengekniffenen Augen wiederhole ich: «es ist alles… total… in Ordnung.»
«Ist es nicht.»
Ich springe vom Bett hoch und komme mit grossen Schritten auf ihn zu. Obwohl er zwei Jahre jünger ist, ist er einen Kopf grösser als ich, aber das stört mich nicht. «Macht dir das eigentlich Spass?» Jedes Wort einzeln ausspuckend, krallen sich meine Finger in sein schwarzes Hemd und ziehen ihn näher zu mir ran.
«Du kennst mich.» Ein verschmitztes Lächeln huscht über seine Lippen und keine Sekunde später drücke ich ihm meine Faust in den Bauch. Er verschluckt sich an seinem Brot und fängt an zu husten. Ich halte inne und starre ihn mit ausdruckslosen Augen an.
«Also doch noch derselbe. Und ich dachte schon, die Amerikaner haben dir eine Gehirnwäsche verpasst.» Er lacht, stopft sich den Rest seines Brots in den Mund und holt zu einer Umarmung aus, der ich gekonnt ausweiche und er anstelle von mir, die Luft knuddelt.
«Das ist nicht lustig.»
Grinsend macht er einen Schritt auf mich zu und startet einen erneuten Versuch einer brüderlichen Umarmung. Ich trete ihm lediglich gegen das Schienbein, drehe mich um und schiebe den Bürostuhl zurück zum Schreibtisch. Dann hole ich eine Kiste aus dem Schrank und verstaue die Bilderrahmen mit Fotos von mir und Amy in den Karton.
«Weisst du was nicht lustig ist? Wenn man seinen eigenen Bruder nicht mehr wiedererkennt, als er aus dem Flugzeug steigt. Was haben die mir dir gemacht?»
«Das ist also nicht lustig.»
«Mir war jedenfalls nicht nach Lachen zu Mute. Die kurzen Haare, der ehh…. wie nennt man den Fummel, den du da trägst?»
«Das ist ein Anzug.»
«Genau. Anzug. Sieht scheisse aus.»
«Was ist eigentlich dein verdammtes Problem?»
«Ich hätte gerne meinen Bruder zurück?» Er lehnt sich an den Türrahmen und verschränkt seine Beine übereinander, während er mich beobachtet. Ich reisse die andere Schranktüre auf und wühle in den Unmengen an schwarzen Klamotten nach den wenigen, die Amy bei mir verstaut hat und schleudere sie ebenfalls in die Kiste.
«Was wir das, wenn es fertig ist?», fragt Dario mich und ich werfe ihm einen angepissten Blick zu. «Ich bringe Elisabeth die Sachen ihrer Tochter zurück. Wurde Amy bereits bestattet? Was frage ich überhaupt! Natürlich wurde sie schon beerdigt! Sie ist ja bereits seit einem Monat tot! Ich kann es nicht fassen wie ihr mir das verschweigen konntet. Nicht mal an die Beerdigung meiner Freundin um Abschied zu nehmen lasst ihr mich… »
«Ehh… jein.», unterbricht er mich. Ich halte inne und mustere ihn skeptisch.
«Wie jein?»
«Jein halt.»
«Haha,.. sehr lustig. Weisst du wie es sich anfühlt aus dem Flugzeug zu steigen und dich anstatt Amy zu sehen? Warte, nein weisst du nicht. Ach und als Tüpfelchen vom «i» gestehst du mir, dass meine Freundin seit über einem Monat tot ist? Tot in ihrem Zimmer aufgefunden? Einfach so? Keiner hat es für nötig gehalten, mir das mitzuteilen. Nein lieber Lügen auftischen. Ich wusste nicht einmal, dass es Amy so schlecht ging. Sie hat nie etwas gesagt. Hätte ich gewusst, dass sie wieder rückfällig geworden ist, hätte ich alles stehen und liegen lassen und wäre zurückgekommen! Aber nein, keiner macht die Fresse auf! Nein, lieber alles schönreden. So tun als wäre alles gut. Super, wirklich super!»
«Unsere Alten und Elisabeth hielten es halt für eine gute Idee, dir nichts zu sagen. Die wollten nicht, dass du dein Praktikum über den Haufen wirfst…»
«Mein Praktikum über den Haufen werfen… ich glaube es nicht. Meine Freundin ist tot und ihr macht euch Sorgen um mein verdammtes Praktikum? Ist das dein ernst???»
Er zuckt lediglich mit den Schultern. «Wo sind überhaupt unsere ach so tollen Eltern?»
«Mom ist bei ihrer Schwester für ein paar Tage und Dad,… keine Ahnung, säuft irgendwo. Ist abgehauen nachdem sie sich wieder einmal gezofft haben.»
«Aha. Was für eine glückliche tolle Familie wird doch sind.» Ich packe die Kiste unter meinen Arm und steuere an meinem Bruder vorbei die Treppe hinunter. «Wo willst du hin?», brüllt er mir nach und folgt mir als hätte ich eine Lakritzstange am Hinterteil kleben. «Das habe ich bereits gesagt, ich bringe Amys Sachen zu Elisabeth und dann bin ich weg. Auf nimmer Wiedersehen.»
«Warte! Dad hat dein Auto verhökert, lass mich fahren.» Er packt mich an der Schulter und ich drehe mich auf dem Absatz um.
«Das ist nicht dein Ernst?»
«Du warst nicht da und er hatte Schulden. Aber hey, ich habe seit neuem einen Führerschein!» Seine Hand verschwindet in seiner Hosentasche und zaubert einen Autoschlüssel hervor. Mit grinsendem Gesicht lässt er den Schlüssel vor meinen Augen hin und her tanzen und ich hätte ihn am liebsten aus seinen Fingern gerissen.
«Schnell bevor ich es mir anders überlege.», fauche ich und folge ihm wortlos zu seinem Wagen. Ein alter ausgebeulter schwarzer Seat mit hellgrünen herausstechenden Felgen und einem roten umgekehrten Kreuz auf dem Heck, steht in der Garage und ich frage mich, warum er mich mit dem Taxi vom Flughafen abgeholt hat und nicht mit seinem ‘neuen’ Untersatz. Ohne die Frage zu stellen, packe ich die Kiste mit Amys Sachen in den Kofferraum und gerade als ich auf der Beifahrerseite einsteigen will, räuspert sich Dario. «Da gibt es nur ein Problem…»
Meine Augenbraue schiesst in die Höhe und ich werfe meinem Bruder einen abfälligen Blick zu. «Schön, dass es in deinen Augen NUR ein Problem gibt.»
«Die Reifen sind im Arsch, könntest du mir zur Hand gehen ohne mir gleich an die Gurgel zu gehen?»

Nachdem die Reifen gewechselt sind, setzt sich mein Bruder hinters Steuer und schiebt eine CD in das Radio. Schreie untermalt mit den sanften Klängen eines Klaviers schiessen aus den Lautsprechern und als der Motor startet und die zwei ausgefransten schwarzen Würfel über dem Rückspiegel anfangen zu vibrieren, sieht es aus, als würden sie sich vor der Musik sträuben oder abstrakt tanzen. Der komplette Innenraum des Autos ist übersäht mit unzähligen Stickern von Totenköpfen und Bandlogos. Auf dem Lenkrad hat sich mein Bruder allem Anschein nach kreativ ausgetobt und mit einem Messer einen Ziegenkopf inklusive Pentagramm eingeritzt. Zusätzlich riecht der komplette Wagen nach abgestandenem Tabak.
«Und wie gefällt dir meine neue Karre? Geil oder?»
«Ganz okay. Passt zu dir.»
«Ganz okay?!» Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Seine Hand wandert zu dem Handschuhfach über meinen Beinen. Mit einem flinken Handgriff öffnet er es und ein Totenschädel kommt herausgepurzelt und landet auf meinem Schoss. Etwas überrascht zucke ich zusammen und mustere das Ding auf mir.
«Ist der echt?», frage ich und werde im gleichen Moment in meinen Sitz gedrückt, als Dario mit Vollgas aus der Garage rast. «Bist du wahnsinnig??? Willst du uns umbringen?!»
Er lacht lediglich und biegt ab. «Der ist sowas von echt. Habe ich bei Ebay ersteigert. War gar nicht so billig. Aber weisst du, was das geilste an dem Ding ist?»
«Du wirst es mir gleich verraten oder?»
Seine Mundwinkel zucken. «Greif mal mit deinem Finger in die Augenhöhle.»
«Das ist ekelhaft.»
«Mach schon! Komm, sei nicht so spiessig wie deine neue geschleckte Frisur!»
Genervt stecke ich meinen Finger in die Augenhöhle und… igitt. Meine Fingerkuppe stösst auf etwas Weiches. Was zum… «Was ist da drin?»
«Hol’s raus!»
«Ich schwöre, wenn das irgendetwas Ekelhaftes ist, werfe ich das Ding aus dem Fenster.»
Mühsam manövriere ich mit zwei Fingern das weiche Irgendwas aus dem Schädel und… kann mir das Lachen nicht verkneifen, als ein Gummibärchen mit der Form eines Gehirns auf meiner Handfläche landet. «Du bist ein Vollidiot.»
«Aber ein äusserst gutaussehender, charmanter und überaus intelligenter Vollidiot!»
«Jaja,… bestimmt.» Schmunzelnd  und etwas angewidert schiebe ich das Gummibärchen wieder zurück in den Schädel und mustere die Oberfläche. Ein paar kleine Kratzer bilden Furchen in dem harten leicht gelblichen Knochen. Gar nicht so leicht das Ding. Könnte wirklich echt sein. Auf jeden Fall ist das Teil so präpariert worden, dass man etwas darin verstecken kann, die Schädelwand hinter den Augenhöhlen wurde durchbohrt, um einen direkten Eingang ins Innenleben des Schädels freizugeben. Warum auch immer. Garantiert nicht für Gummibärchen. Dadurch, dass die Zähne komplett fehlen, wirkt das ganze Ding… irgendwie noch gruseliger, als ohnehin schon. Definitiv kein schönes Exemplar.
«Du bist sicher, dass der Schädel echt ist?»
«Klar. Der Kopf ist von irgend so einem schwarzen Messenheini, der hat den ANGEBLICH für satanische Rituale verwendet,… oder so. Er meinte, er habe eine ganze Sammlung davon und diesen hier wolle er nicht mehr, weil er ihn, ich zitiere, ästhetisch nicht mehr ansprechend findet. Anscheinend ist Satan wählerisch und kommt nur zum Vorschein, wenn äusserst schöne Schädel bei Ritualen oder Beschwörungszaubern verwendet werden.» Dario zwinkert mir zu und fängt an zu lachen. «Wie gut, dass ich nicht so oberflächlich bin, wie unser dunkler Lord and Savior.» Er formt mit seinen Fingern den Teufelsgruss und tritt auf das Gaspedal. «Ich finde den Schädel jedenfalls ziemlich edel und ich glaube, der kommt auch bei den Frauen ziemlich gut an, wenn du verstehst, was ich meine. Hahaha»
Ich schlucke und muss automatisch an Amy denken, an die Kiste voll mit ihren Sachen im Kofferraum und an das Versprechen, dass ich ihr gegeben habe, als sie völlig aufgelöst und zugedröhnt mit Drogen in unsere Bandprobe geplatzt ist. Das ist vor zwei Jahren gewesen. Erik, Dennis, Jill und ich haben gerade an einem neuen Song gearbeitet, ein paar Riffs eingespielt und plötzlich steht sie mitten im Raum, mit zerfetzten Klamotten, tränenüberströmt und pinkelt vor uns auf den Boden. Als ich ihre Arme mit den diversen Einstichstellen gesehen habe, habe ich alles stehen und liegen gelassen und sie sofort ins Krankenhaus gefahren. Überdosis. Zum vierten Mal. Ich habe eine gefühlte Ewigkeit an ihrem Krankenbett gesessen und darauf gewartet, dass sie wieder zu sich kommt. Gesund wird. Sie ist so gerührt gewesen. Und das nur, weil ich auf sie aufgepasst und sie keine Sekunde allein gelassen habe. Das ist der Moment gewesen, wo sie mir schwören musste, dass sie keine Drogen mehr nehmen würde und ich ihr, alles von ihr zu vernichten und sie zu vergessen, wenn sie es nicht schaffe von den Drogen wegzukommen. Sie könnte es nicht verkraften, wenn ich wegen ihr mein Leben aufgeben würde, nur weil sie von ihrer Sucht nicht loskommt. Was für ein unnötiges Versprechen. Als könnte ich sie jemals vergessen. Zwei Jahre clean… und jetzt ist sie weg.
«Warum hat sie bloss wieder angefangen? Ich verstehe es einfach nicht. Ich hätte sie niemals ein Jahr allein lassen dürfen.», seufze ich und lasse den Schädel zwischen meinen Händen hin und her balancieren.
«Was meinst du?»
«Amy,…ich verstehe nicht, wieso sie wieder mit den Drogen angefangen hat.»
«Wie kommst du darauf, dass sie wieder angefangen hat?»
«Willst du mich verarschen? Du hast doch gesagt, man hat sie tot in ihrem Zimmer gefunden."
«Ehmm…», murmelt Dario und biegt in Elisabeths Einfahrt ab. «Wir sind da.»
«Das ist jetzt nicht dein Ernst?» Ich packe ihn an der Schulter und reisse ihn zu mir herum. Dario verliert kurz die Kontrolle über das Lenkrad und wir fahren direkt vorbei an Elisabeths Briefkasten in das Blumenbeet. Aber das ist mir egal. «Man hat sie doch tot in ihrem Zimmer gefunden oder?», frage ich energisch und höre meine Knöchel knacken, als ich meine Finger fester um Darios Hemd schlinge.
«Sag mal, spinnst du? Wir hätten gegen die Hauswand da brettern können!»
«Das ist mir egal. Beantworte die Frage. Sofort!»
«Naja…» Dario seufzt laut auf. «Ja, man hat sie tot in ihrem Zimmer vor gefunden,… aber sie hat sich keine Dosis verpasst oder so,  also keine Drogen.. nein ehm… wie sage ich das am besten.. sie hat sich selbst vergiftet. Schlangengift. Also… ehm… man hat auch keine Schlange in ihrem Zimmer gefunden. Sie haben alles durchsucht. Es wird davon ausgegangen, dass sie sich das Gift irgendwo besorgt und selbst geschluckt hat. Die Zimmertür war abgeschlossen, sie war allein und du weisst ja selbst, dass durch das Fenster niemand reinkommen kann, seit dort Gitterstäbe davor sind.»
Ich starre Dario fassungslos an. «Wa…aa….as..?» Der Schock muss mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn auch die Miene meines Bruders verfinstert sich. «Es tut mir leid, Quentin…»
«Es tut dir leid?! Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?!»
«Du hast nicht gefragt.»
«Ich bin davon ausgegangen, dass sie… warum hätte sie sich umbringen sollen? Es war doch alles in Ordnung. Es gab keine Anzeichen,… das kann doch nicht wahr sein.»
Dario zuckt mit den Schultern und ich lasse ihn los. «Ich kann es dir nicht sagen. Hab sie schon länger nicht mehr gesehen.»
Bevor ich etwas erwidern kann, taucht schon Elisabeth im Türrahmen auf und winkt uns zu. «Wir sind noch nicht fertig.», knurre ich, steige aus und gehe mit einem aufgesetzten Lächeln auf Amys Mutter zu. Ihre dicklichen Arme schlingen sich um mich und drücken mich eine Spur zu fest an ihr viel zu ausgeprägtes Dekolté aber ich lasse es zu. Zögerlich lege ich ebenfalls einen Arm um die ältere Frau, die gerne selbstgestrickte Pullis und Leggins trägt und spüre, wie sie anfängt zu zittern. Als wir uns aus der erzwungen innigen Umarmung lösen, erkenne ich den Grund für das Zittern. Tränen laufen ihr in Strömen über die gepuderten Wangen und hinterlassen ein Bächlein aus nicht wasserfestem Makeup in ihrem faltigen Gesicht. Ich spüre, wie meine Augen ebenfalls feucht werden. Zusammenreissen Quentin.
Dario kommt mit der Kiste aus dem Auto auf uns zu gestampft und landet wie zuvor ich in Elisabeths Armen. Sein gequälter Gesichtsausdruck würde sich perfekt auf seiner Facebookpinnwand machen. «Quentin, Dario, schön euch zu sehen! Sind das Amys Sachen?», schluchzt Elisabeth und wirft einen zögerlichen Blick in den Karton. Ich nicke.
«Oh… vielen Dank, Quentin. Gut siehst du aus. Die neue Frisur steht dir ausgezeichnet.» Dario neben mir fängt an zu grinsen, aber ich lasse mir nichts anmerken. «Danke Elisabeth, es tut mir wirklich leid was….»
«Jungs,», unterbricht sie mich und legt ihre Hand auf meinen Oberarm. «Ich würde euch beide wirklich unglaublich gerne uf eine Tasse Tee einladen und…mit euch über.. aber.. ich habe einen Anruf gekriegt, ich muss dringend ins Büro. Bitte bringt die Sachen in Amys Zimmer. Hier die Schlüssel und könnt ihr bitte Felix füttern? Es wird länger dauern bei mir. Wir können das nachholen. Wie wäre es mit Dienstag? Dienstag passt mir gut. Vielen Dank. Ihr seid wirklich…», sie drückt mir den Schlüssel in die Hand und schnieft einmal kräftig. «Goldschätzchen.»
«Elisabeth?»
«Keine Zeit, danke und es tut mir so leid.» Mit diesen Worten quetscht sie sich an mir und Dario vorbei und steuert auf ihren kleinen gelben Käfer zu, der am Strassenrand parkt.
«Dienstag passt mir super.» Dario angelt sich den Schlüssel aus meiner Hand und steckt ihn ins Schloss. «Ist das dein Ernst?»
«Dein Vokabular war auch schon mal ausgeprägter, Bro. Du siehst doch, dass sie keine Zeit hat. Na komm schon.»
«Ich glaube nicht, dass sie mit Leggins und Strickpullover ins Büro geht.»
«Juckt mich nicht.» Die Kiste auf seinen Unterarmen stemmend, drückt Dario die Türklinke mit seinem Ellbogen herunter und stösst die Tür mit seinen Stiefeln auf.
«Ich mache mir Sorgen, sie hat ziemlich fertig ausgesehen.», seufze ich und folge ihm ins Innere des Hauses. Als wir im Wohnzimmer stehen, stürmt schon Felix miauend mit aufgestelltem Schwanz auf uns zu und schmiegt sich an meinen Unterschenkel. «Na kleiner Mann.» Ich bücke mich zu ihm herunter streichle das alte Kerlchen. Erinnerungen an Amy kommen hoch. Wie sie immer mit dem Kater schmusend auf dem Bett gelegen und mit mir geskyped hat. Oder wie wir drei zusammen eingekuschelt  uns Serien angeschaut haben. Der dicke Kater ist ihr ein und alles gewesen und auch für mich ist er ein inniger Freund geworden. Meine Fingerkuppen gleiten über das Nietenband um seinen Hals, dass Amy für ihn gebastelt hat. «Damit die anderen Katzen Angst vor ihm haben und ihn nicht ständig attackieren. Sieht er nicht teuflisch aus?», hat sie gesagt. Tränen schiessen mir abermals in die Augen.
«Ganz schön,… Omihaft hier.» Dario lässt den Karton auf den Boden fallen und begutachtet grinsend das Regal neben der Wendeltreppe, das vollgestopft mit Katzenfiguren ist. «Wie kann man es nur aushalten hier drin zu wohnen? Diese ganzen Pastellfarben. Furchtbar! Wenn wir wieder zuhause sind, muss ich mir erst die Augen mit Kochsalzlösung oder schlimmeres ausspülen lassen. Mindestens.“
„Was machst du überhaupt noch hier?“, keife ich meinen Bruder an und werfe ihm einen giftigen Blick zu.
„Na auf dich aufpassen. Damit du keinen Scheiss anstellst.“
Wenn er so weitermacht, kann ich für nichts garantieren. Ohne etwas darauf zu erwidern, schnappe ich mir die Kiste vom Boden und stampfe die Treppe hoch in den ersten Stock. Die Tür von Amys Zimmer ist nur angelehnt und beim Anblick des bordeaux-farbenen Zimmerteppichs fängt es an mich zu frösteln. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie nicht mehr… hier sein soll. Zögerlich stupse ich die Tür auf und trete ein. Ihr Zimmer sieht immer noch so aus, wie ich es in Erinnerung habe. Dunkelbraune Tapete, verziert mit Mondblumen an den Wänden verschlingen das Licht in dem kleinen Raum und verleihen dem Zimmer einen düsteren Charme. Ein grosses schwarzes Bücherregal nimmt eine Wand komplett ein. Ich setze mich auf das Bett gegenüber und stelle die Kiste vor meinen Füssen ab. Meine Augen folgen den Schatten, die die Gitterstäbe durch das Fenster auf den Fussboden werfen und bleiben auf dem flauschigen Teppich in der Mitte des Raumes kleben. Ob sie da…
Dario taucht in meinem Blickfeld auf.

Dario's Sicht:
„Du hast doch gesagt, du glaubst nicht, dass Amy sich umgebracht hat,… was ist,… was ist… wenn wir sie,… einfach fragen, was passiert ist?
Quentins Augen weiten sich. Sein Körper unter mir verharrt regungslos, während sein Kopf sich langsam zu dem Hexenbrett in meiner Hand dreht. Verdammt, der dämliche Gesichtsausdruck auf seiner Visage verlangt alles ab, was an schauspielerischem Talent in mir schlummert, und ich schaffe es nur um Haaresbreite nicht auf der Stelle lautloszulachen und ernst zu bleiben. Zugegeben, ein kleines Grinsen kann ich mir nicht verkneifen.
„Für dich ist das alles nur Spass, was?“
Oh Brüderchen, wenn du wüsstest. Ich schüttle ernst den Kopf. „Schwachsinn! Für wen hältst du mich eigentlich? Komm schon, so ein herzloser Bastard bin ich nicht. Hey, ich meine das wirklich ernst, was haben wir schon zu verlieren? Vielleicht funktioniert es ja wirklich? Amy scheint an das Oujiaboard geglaubt zu haben, warum sollte sie sonst so eins zwischen ihren heissgeliebten Büchern aufbewahren?“
Quentin mustert mich skeptisch, ehe er seinen Blick wieder auf das schwarze Brett richtet. „Ich weiss nicht, eigentlich hatte sie es nicht so mit dem okkulten Kram. Ich frage mich, wieso sie so ein Ding überhaupt hat… alles sehr merkwürdig.“
Ganz schön hartnäckig, hm? Die haben dir wohl in Amerika das letzte Bisschen Pepp aus der Seele geprügelt, während sie dein Hirn gewaschen, deine Klamotten verbrannt und dich in den hässlichen Anzug mit strenger Krawatte gesteckt haben.
„Ach komm schon, hinterfrage doch nicht alles. Entweder wir füttern jetzt den Fettklops im Wohnzimmer unten und gehen mit tausend Fragen nach Hause oder wir benutzen das Brett und… stellen Kontakt zur Geisterwelt her. Zum verfluchten Dill im Kräuterbeetchen, man, stell dir vor das Oujia funktioniert wirklich und Amy ist tatsächlich was zugestossen? Ich könnte das ja nicht auf mir sitzen lassen nicht alles Menschenmögliche getan zu haben, um die Wahrheit herauszufinden. Sie ist doch die Liebe deines Lebens gewesen oder nicht? Vielleicht hat sie ja wirklich jemand vergiftet und der Wichser kommt einfach damit davon.“ Ich werfe kurz einen prüfenden Blick zur versteckten Kamera auf dem Nachtisch und streife mir mit der linken Hand ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Mann, wenn er wüsste,..
Als Quentins Augen feucht werden und er versucht sich unter mir frei zu buddeln, halte ich ihm das Board unter die Nase. „Lass es uns versuchen!“
Er hält kurz inne. „Würdest du bitte von mir runtergehen, oder muss ich dir erst dieses dämliche Brett über den Schädel hauen?“
Automatisch schleicht sich wieder ein Grinsen auf meine Lippen. Oh man! Das würde Klicks generieren! Aber ich darf nicht aus meiner Rolle fallen. Ausserdem haben wir jetzt genug auf dem Boden gekuschelt. Mit Schwung befördere ich mich auf meine Boots und hüpfe mitsamt Brett einen Schritt zur Seite, damit er aufstehen kann. Hah, ich Athlet.  Quentin kommt ins Stolpern, als er sich aufrichtet; und wäre fast wieder auf sein Hinterteil gedonnert, hätte ich ihm nicht die Flosse gereicht. Nur widerwillig lässt er sich helfen und kaum steht er einigermassen sicher auf Füssen, offenbart er mir eine neue Seite an sich. Der Putzfimmel hat wohl Besitz von ihm ergriffen. Hätte nicht gedacht, dass ich jemals meinem Bruder dabei zusehe, wie er sich imaginären Staub von einem lächerlich teuren Anzug klopft.
Nachdem er nicht mehr mit seinen Handflächen den edlen Stoff abtätschelt, starte ich einen weiteren Versuch: „Früher haben wir in T-Shirt und kurzen Hosen den Friedhof unsicher gemacht und haben umgekehrte Kreuze auf die Gräber und in den Schnee gepisst. Oder weisst du noch, als wir damals in den Schlachthof eingebrochen sind und uns mit einer halben Sau aus dem Staub gemacht haben? Mann, beim Wiener im Wurstglas, was haben wir gelacht, als wir wie die Bekloppten um die aufgespiesste, brennende Sau getanzt sind. Ausserdem ist es deine Idee gewesen, nicht meine, der Sau den Namen von dem alten Thorben in die Brust zu ritzen, als symbolische Opferung seiner Seele an den Teufel. Möge er bis zum heutigen Tage in der Hölle schmoren! Hach, das waren noch Zeiten, …“
„Worauf willst du hinaus?“ Quentin legt seine Stirn in Falten.  „Na, jetzt muckst du rum, weil ich dir helfen will. Gut, halt nicht. Ist okay, ich verstehe, ist dir wohl zu kindisch so ein Brett zu benutzen. Passt nicht so zu deiner neuen Geschäftsmann-Maskerade. Ganz im Ernst, wäre Amy meine Freundin gewesen, ich hätte einen verdammten Dämon beschworen, um sie zurückzukriegen.“
„Du redest so einen Unsinn.“
„Mach doch was du willst, heul noch ein bisschen in den Karton rein, das bringt sie auch nicht zurück. Ich verpiss mich. Kannst dir ja ein Taxi rufen, anscheinend bin ich ja eh für dich gestorben, jetzt wo du wichtig bist und dich für was Besseres hältst, nur weil du einen Anzug trägst.“
«Das hat doch gar nichts mit dem Anzug zu tun! Seit ich aus diesem Flugzeug gestiegen bin, verhältst du dich noch ungewöhnlicher als sonst und irgendwie habe ich das Gefühl, dir geht das alles am Arsch vorbei und du machst dich über mich lustig. Meine Freundin ist gestorben, Dario…»
Okay,… okay,… ich bin kurz davor mich auf den Boden zu packen und laut loszuprusten Ja. Ich mache mich darüber lustig, aber Bruderherz, wenn wir uns nachher alle zusammen das Video ansehen, wirst du dir das Zwerchfell aus der Brust katapultieren vor Lachen.
Ich starre ihn lediglich an, werfe das teure Hexenbrett, das ich zusammen mit dem Schädel vom Messenheini erworben habe, auf den Boden zu seinen Füssen und steuere auf die Tür zu. Gerade als ich die Tür hinter mir zu knallen will, greift mich Quentin am Arm und zieht mich zu sich herum. «Warte…»
Jackpot.
Ich bleibe auf der Stelle stehen und ringe um Beherrschung. Oh mein Gott. Es hat funktioniert. «Okay. Wir benutzen das Oujia. Aber wehe, du verarschst mich und manipulierst das Ding irgendwie.»
«Würde ich niemals tun.» Ich zeige ihm meine Handflächen und kreuze die Finger. «Indianerehrenwort.»
«Indianerehrenwort,… ich weiss jetzt schon, dass ich es bereuen werde.»
«Sei mal zuversichtlicher. Früher bist du Feuer und Flamme gewesen, wenn es um Übersinnliches gegangen ist. Erinnerst du dich noch, wie wir jeden Sonntag, wie die Bekloppten X-Faktor gesuchtet haben?»
«Da war ich 12 und du gerade mal… 8. Das ist Ewigkeiten her.»
«Genau 10 Jahre.»
„Ich fühle mich total unwohl dabei,…“
„Was kann schon passieren? Moment, ich hol mal eben ein paar Kerzen aus dem Auto. Bisschen für die passende Atmosphäre sorgen. Schliesslich wollen wir einen Geist heraufbeschwören!“ Ich grinse zufrieden.
„Kerzen? Das wirkt fast so, als hättest du das von Anfang an geplant…“ Gut erkannt Bruderherz. „Ach was, ein Gentleman hat immer ein paar Kerzen und eine Kuscheldecke im Auto, wenn du verstehst was ich meine.“ Ich zwinkere ihm zu und zeige mit einem Finger auf das protzige Bücherregal. „Such mal nach der Planchette, die wird wahrscheinlich auch irgendwo im Bücherregal versteckt sein.“
„Planchette?“ Quentins Gesichtsausdruck gleicht dem eines Chiwauwaus, den man gerade in eine Waschmaschine gestopft hat. Leicht gequält mit einem aggressiven Touch in der nervös zuckenden nicht mehr gepiercten Augenbraue. Schade eigentlich, das Piercing hat ihm gut gestanden.
„Schau mich doch nicht so an. Irgendwie muss Amy ja mit uns kommunizieren können. Na los, hmm… am besten wir bauen es auf dem Teppich auf. Bin gleich zurück.“
Mit diesen Worten lasse ich Quentin, wie bestellt und nicht abgeholt in Amys Zimmer stehen und hüpfe die Treppen herunter. Super. Es läuft alles nach Plan! Das wird der beste Youtube-Prank, den das Netz je gesehen hat. Anfangs habe ich die Idee ja nicht gutgeheissen, aber wenn Amy etwas kann, dann ist es andere für ihre abgedrehten Ideen und Pläne zu begeistern. Das wird wohl auch der Grund sein, wieso ihr Youtube-Kanal aktuell so boomt. Sie hat angefangen kreative Videos zu produzieren und diese auf Youtube hochzuladen, um sich von der Tatsache abzulenken, dass sie ein Jahr ohne Quentin an ihrer Seite klarkommen muss und verdammt das hat sich ziemlich ausgezahlt. Anfangs hat sie es uns verheimlicht, aber als die Abonnentenzahl stetig gestiegen ist, hat sie mich eingeweiht und mir ihren Kanal gezeigt. Ich bin ja skeptisch gewesen, dieses ganze Internetzeug ist ja eigentlich nicht mein Ding, aber als sie mir verklickert hat, dass man ziemlich Kohle absahnen kann, desto mehr Klicks man auf die Videos, die man produziert, kriegt, bin ich Feuer und Flamme gewesen. Ohne viel Aufwand Geld scheffeln, man müsse einfach den Trends folgen und produzieren, was oft geklickt wird. Und Pranks werden verdammt oft geklickt, umso abgefuckter und aussergewöhnlicher, desto mehr Erfolg und was bitte ist abgedrehter, als seinem eigenen Freund und in meinem Fall Bruder einen Tod vorzuschwindeln und ihn dazu zu bringen, mit Geistern aus der Unterwelt Kontakt aufzunehmen. Gut, die Idee mit dem Schlangengift und das Gerücht um Elisabeth ist aus meiner Feder entsprungen. Aber Schlangen sind ziemlich geil und düster und hey, der Einfall mit Elisabeth ist mehr als genial. Dabei ist die alte Dame nur so ausser sich gewesen, weil sie zusammen mit Amy bei uns zuhause eine Welcome-Back-Party organisieren muss und die Dekoration noch nicht steht. Ausserdem hat sie darauf bestanden, alle Sandwiches eigenhändig zu beschmieren und Kuchen zu backen, weil sie den Partyservices hierzulande nicht traut. Diese Frau hat ein Talent, wenn es um Vorträge über sich entleerende Gedärme geht. Echt gruselig. Man hat das gedauert, bis sie sich zu der Idee mit dem Prank überreden lassen hat. Das wäre makaber, sowas macht man nicht mimimimi, recht hat sie ja schon, aber hey, es geht hier schliesslich um Quentin und bevor er diese Schnöselwandlung gemacht hat, ist es für jeden Spass zu haben gewesen. Morbid? Er ist dabei. Blutig? Immer her damit. Verboten? Aber Hallo! Ich muss schon zugeben, heimlich ist er ja immer ein Vorbild für mich gewesen, ein cooler grosser Bruder eben. Wäre doch gelacht, wenn Amy und ich ihn nicht wieder umkrempeln können. Spätestens wenn wir gemeinsam über dieses Prank-Video lachen und uns von den Einnahmen ordentlich ein paar Bierchen gönnen und das ein oder andere Konzert, wird wieder alles beim Alten sein. Verdammt freu ich mich schon auf sein Gesicht, wenn Amy aus dem von mir eigenhändig aus Sperrholz gezimmerten Sarg springt. Das Glück ist auf unserer Seite, Quentin ist so abgelenkt und in sich gekehrt, dass er die ganzen Kameras, die wir in diesem Haus und bei uns zu Hause aufgestellt haben, noch nicht bemerkt hat. Maaaaann, das wird ein Spass!
Euphorisch schliesse ich mein Auto auf, öffne den Kofferraum und hole die Schachtel voller schwarzer und roter Kerzen heraus. Hmmm… eigentlich könnte ich den Schädel mitnehmen, der würde hervorragend in das düstere Ambiente passen. Warum eigentlich nicht. Beifahrertür auf, Handschuhfach ebenfalls und ab mit dem Schädel in die Kiste. Fehlt noch was? Vielleicht Bier. Ich werfe einen Blick auf die Rückbank. Dort müssten eigentlich noch ein paar Flaschen sein. Tatsächlich. Sehr gut, ab damit in die Kiste. Wie gut, dass hier weit und breit keiner rumstreunt, der dazwischenfunken kann. Schliesslich wohnt im Umkreis von zwei Kilometern keine Menschenseele. Komisch, wer würde nicht gerne, in der Nähe eines stillgelegten Friedhofs wohnen. Verstehe ich nicht. Egal. Los geht’s!

„Was gibt es besseres, als Bier, Kerzen und einen Schädel?“, schmunzle ich und trete ausgerüstet mit den ‚Geister-Beschwörungs-Utensilien‘ zur Tür ein. Quentin sitzt auf dem plüschigen Teppich vor dem Oujiabrett. Sein Gesichtsausdruck erinnert mich irgendwie an eine Mischung aus Dagobert Duck, der gerade erfahren hat, dass sein Tresor geplündert worden ist und der böse aus den Schlümpfen. Wie heisst der? Gargamel?
„Nun,… ich glaube, du hast das Bier nötiger als ich.“ Mit einem Rumms kommt die Kiste auf dem Boden auf. Zeit meinem geliebten Bruder mein neues Schmuckstück zu zeigen. Mit einem Grinsen im Gesicht zaubere ich den schicken Metallanhänger in Form einer abstrakten Schlange aus meinem Hemd hervor und öffne damit im Handumdrehen das Bier. „Ziemlich scharf was? Habe ich ebenfalls vom Messenheini ergattert.“ Quentins Lippen formen sich zu einem Strich, dann greift er - ohne ein Wort der Bewunderung - nach dem Bier in meiner Hand und nimmt einen kräftigen Schluck. „Bringen wir es einfach hinter uns, bevor ich dir deinen ‚scharfen Dosenöffner‘ in den Rache stopfe. Vielleicht sollte ich das tun, dann kannst du Amy in der Geisterwelt liebe Grüsse von mir ausrichten.“
„Da ist er! Oho! Den Quentin habe ich vermisst! Schön, dich wieder zu haben, Bro!“ Ich zeige mit dem Finger auf Quentin, zwinkere ihm zu und öffne mir ebenfalls ein Bier. Gerade als ich einen Schluck nehmen will, kippt Quentins seins herunter, lehnt sich über das Brett zu mir herüber und schnappt sich meins aus meiner Hand. Egal. So wird die Sache nur noch lustiger. Vielleicht versteckt Elisabeth unten im Wohnzimmer noch was Härteres als Bier. Wobei, wir können uns später auf der Party ordentlich die Kante geben, erstmal so seriös wie möglich die Geisterbeschwörung abwickeln und dann wird gefeiert.
„So. Zeit für die Kerzen.“
„Tu, was du nicht lassen kannst, aber tu es schneller.“
„Kein Stress, du tust so, als kommst du zu spät zu einer Beerdigung.“ Ich lache laut auf. Schöner schwarzer Humor. Automatisch werden Quentins Augen wieder feucht und seine Fingernägel bohren sich in seine Handfläche, während er die Hände zu Fäusten ballt.
„Sorry.“, murmle ich, zucke mit den Achseln und bücke mich zur Kiste herunter. Als in jeder Ecke im Zimmer mindestens eine Kerze steht und um uns herum ebenfalls ein Kreis aus Kerzen aufgebaut ist, lasse ich mich zufrieden gegenüber von Quentin auf den Teppich fallen und werfe den Schädel mit den Gehirn-Gummibärchen aufs Bett. Das Ganze wirkt wie eine Szene aus der Serie Supernatural. Richtig…. Finster.
„Fangen wir an?“
„Ich bitte darum.“ Sein leicht säuerlicher Tonfall lässt schon wieder einen Lachanfall in meinen Rachen hinauf schiessen, den ich nur mit Mühe unterdrücken und herunterschlucken kann. Heilige Makrele in der Dose ich sollte mir wirklich überlegen eine Schauspielkarriere anzustreben.
Meine Augen inspizieren das Hexenbrett zwischen uns. Ein wunderschönes Exemplar. Schwarz, mit goldener Schrift und Muster. In der Mitte des Bretts ist das Alphabet in verschnörkelter Schrift eingraviert, direkt darunter die Zahlen 1 bis 9 plus die 0 und unterhalb der Zahlen steht in dicken grossen Buchstaben das Wort Goodbye. Sehr dramatisch. Die Ecken oben rechts und links zieren je ein Pentagramm. In dem Pentagramm links ist ein Ja und im rechten ein Nein in Grossbuchstaben eingearbeitet. Ein Mond rahmt das Alphabet sowie die Zahlen ein. Aber das, was dieses Hexenbrett aussergewöhnlich macht, sind die Schädel, die links und rechts an der Seite mit dem Gesicht zur Mitte des Brettes ausgerichtet sind.
Zögerlich deponiert Quentin die weisse Planchette, die versehen ist mit einem schwarzen massiven Pfeil, auf das Brett. Er wirft mir einen kurzen Blick zu und ich nicke. Jetzt geht’s los. Oh man! Ich bin so aufgeregt!
„Moment, weisst du überhaupt wie das Ding funktioniert?“, frage ich und Quentin schüttelt  nur den Kopf.
„Anfänger.“, scherze ich und hole mein Smartphone aus meiner Hosentasche. „Das haben wir gleich.“ Ich ignoriere Quentins schweren genervten Seufzer und tippe eifrig „Oujia Benutzung“ ins Suchfeld. Keine Sekunde später spuckt Google die Antwort aus. Meine Augen überfliegen die Zeilen. „Also, die Séance veranstaltet man am besten ab 20 Uhr. Hmm… wir haben gerade mal...“ meine Augen wandern zu der Zeitanzeige auf meinem Handy, dann zu dem vergitterten Fenster. „Es ist kurz vor 19 Uhr, aber draussen ist es ja bereits dunkel, ich denke, Geister mögen einfach kein Tageslicht. Mach mal kurz das Licht aus und bring mir die Kerze direkt neben der Tür. Wir müssen nämlich, ich schwöre das steht hier, eine ‚Räucherung‘ durchführen.“ Ich kneife meine Augenbrauen zusammen und mustere Quentin mit einem ernsten Blick. Leise fluchend erhebt er sich und steuert auf die Tür zu. Ich kann mir ein leises Kichern nicht verkneifen. Wie gut, haben wir eine Nachtsichtkamera direkt unter dem Bett aufgestellt, die perfekt auf den Teppich ausgerichtet ist. Ich muss schon sagen, das ist ein echt schlauer Einfall von Amy gewesen. Sie ist definitiv ein Fuchs, kein Wunder vergöttert Quentin sie. Bildhübsch, klug, nett, steht auf Quentin Tarantino. Na gut, die Sache mit den Drogen wirft irgendwie einen dunklen Schleier auf das Ganze, aber hey, wer ist schon perfekt?
Quentins Fuss in meinem Rücken reisst mich aus meinen Gedanken. Ich drehe mich zu ihm um und prompt hält er mir die Kerze vors Gesicht. Wie zum einäugigen Klabautermann entfacht man eine Räucherung? Kerze auspusten und Rauch in der Luft rumwirbeln? Warum nicht? Als ich die Kerze auspuste und anfange mit meinen Händen den Rauch wie ein Hippie zu verteilen, lässt Quentin den Kopf in den Nacken fallen und stöhnt laut auf. „Warum tue ich mir das an?“
„Weil du Amy liebst?“, sage ich schroff und wedle weiter mit meinen Fingern in der Luft rum. Ohne etwas darauf zu erwidern nimmt Quentin wieder gegenüber von mir Platz und starrt auf das Qujia, das durch das Kerzenlicht irgendwie noch düsterer wirkt als zuvor. Das warme Licht verschmilzt mit den sanften Einkerbungen auf dem Holz und färbt die goldenen Eingravierungen leicht rötlich. Sehr seltsam, aber sieht echt cool aus! Scheint wohl irgendeine besondere Art Farbe zu sein. Beste Investition, die ich jemals gemacht habe.
„Weiter?“
„Häh?“
„Was müssen wir machen?“
„Ahhh…“, ich kratze mir über die Stirn und werfe einen Blick in mein Handy. „Wir legen die Planchette auf das Brett. Oh, haben wir bereits. Also, wir müssen unsere Finger auf die Planchette legen und der Sitzungsführer, ich nehme mal an, das bin ich, fragt, ob jemand da ist. Innerhalb 15 Minuten sollte sich die Planchette dann bewegen und natürlich auf Ja zeigen.“
„15 Minuten, ist das dein Ernst?“
„Steht da so, wahrscheinlich brauchen die Geister ein paar Minuten bis sie durch das Portal in unsere Welt ….gleiten?“
Quentins Nasenflügel blähen sich auf und seine Augen werden zu schmalen Schlitzen. Wow, wie angepisst er ist. Göttlich! Zielstrebig lege ich meine Finger auf die Planchette und lecke mir über die Lippen. „Na los!“
„Ich komme mir so lächerlich dabei vor.“, seufzt er und befördert seine Finger direkt neben meine.
„IST JEMAND DA?“, frage ich herrisch in die Runde und hole mit der anderen Hand theatralisch aus.  Für einen kurzen Moment verharren wir wortlos Finger an Finger auf der Planchette. Natürlich passiert Nichts. Ist ja schliesslich totaler Mumpitz, obwohl es verdammt geil wäre, wenn das das Ding wirklich anfangen würde sich zu bewegen. Aber selbstverständlich lasse ich meinen lieben Bruder jetzt nicht 15 Minuten auf eine Reaktion warten. Wäre doch langweilig, will keiner sehen. Meine Augen schnellen zu Quentin hinauf, der die Stirn in Falten legt und das Brett mit bösen Blicken aufspiesst. Gut. Er ist ganz auf das Oujia fixiert. Scheint wohl doch ein bisschen darauf zu hoffen, dass gleich was passiert. Jaja, behaupten man würde es für Schwachsinn halten und dann neugierig wie eine Katze seine Augen nicht von dem Brett lösen können.
Gleich geht’s los, Bruderherz, mach dich auf was gefasst. Vorsichtig übe ich mit meinem Finger Druck auf die Planchette aus und beobachte Quentins Reaktion. Unverändert. Also noch ein bisschen mehr Druck. Das Stück Holz bewegt sich einen Millimeter auf das Wort Ja zu. Sehr gut. Noch ein bisschen mehr Druck. Mit zusammengebissenen Zähnen lasse ich die Planchette stückchenweise immer ein bisschen näher zu dem Wort Ja wandern, darauf bedacht meine Finger so locker wie möglich aussehen zu lassen.
„Es… bewegt sich.“, flüstert Quentin und ich hätte beinahe die Kontrolle über meine Finger verloren, als sich ein Lachanfall in meiner Brust ankündigt. Was für ein Trottel! Oh man, beruhigen,… nicht loslachen, beruhigen….In Gedanken atme ich langsam ein und aus und komme mir dabei vor, wie ein Patient auf der Liegecouch eines Psychiaters, der sich nichts anmerken lassen will.
„Verdammt, ja. Es funktioniert!“, verkünde ich euphorisch. „Es ist jemand da, denkst du es ist Amy?“
„Du bewegst das Ding aber nicht oder?“
„Nein! Warum sollte ich?“
„Ich würde es dir zutrauen.“
„Spinnst du?“
„Und jetzt?“
Ich werfe einen kurzen Blick auf mein Handy. „Dort steht nur, wir sollen den Geist zuerst Ja und Nein Fragen beantworten lassen, das wäre einfacher.“
„Wir können ja schlecht fragen, ob der Geist Amy ist, wenn die Planchette schon auf ja steht.“, knurrt Quentin genervt und nimmt seine Finger von dem weissen Holz.
„Du bist immer noch skeptisch oder?“
„Das ist totaler Blödsinn.“
„Du beleidigst den Geist oder vielleicht sogar Amy. Nimm das mal ernster. Wir haben gerade Kontakt zur Geisterwelt aufgebaut! Ist das nicht krass?“
„Krass,… genau.“ Seine Stimme ist vor Sarkasmus regelrecht triefend und ich schürze die Lippen.
„Wir fragen einfach weiter. Komm schon, gib dem Brett eine Chance.“
Ich befördere die Planchette wieder in die Mitte des Brettes und lege meine Finger darauf. Quentin verschränkt die Arme vor der Brust und starrt mich gleichgültig an. „Na komm schon, eine weitere Frage.“
Seine Augen wandern auf das Brett und begutachten es missbilligend. „Bitte. Vielleicht ist es wirklich Amy und … keine Ahnung, irgendwie kommt es mir so vor, als würden wir sie im Stich lassen, wenn wir es nicht wenigstens versuchen.“, lege ich nach und Quentin zieht scharf die Luft ein, ehe er laut aufseufzt und die Finger neben meine auf die Planchette legt.  „Na gut.“
„Wir machen das gerade zum ersten Mal, sorry! Bist du Amy? Reden wir mit Amy?“
Gleiches Spiel wie zuvor. Druck ausüben und das weisse Holz langsam und vorsichtig auf das Wörtchen Ja zu bewegen. Anders als zuvor wandern Quentins Augen immer wieder zur mir hoch und mustern mich abschätzend, was die Aktion verzögert.
Nach gefühlt 2 Minuten zeigt die Planchette direkt auf das Wort Ja und ich grinse innerlich zufrieden. „Aha…“, sagt Quentin trocken und steht auf.
„Was aha?!“
„Verarschen kann ich mich selbst. Denkst du wirklich ich kaufe dir diesen Blödsinn ab? Als ob ein Geist sich so viel Zeit lassen würde. Dario. Selbst wenn Oujias, oder wie die Dinger heissen, funktionieren, würde das niemals ablaufen, wie hier. Du hast dieses Ding bewegt und gedacht, ich würde es nicht merken. Wow, Dario, wirklich, herzlichen Glückwunsch. Du hast gerade deinen Bruder verloren.“
Er klatscht theatralisch in die Hände und steuert auf direktem Weg auf die Tür zu. Scheisse. Nein! Warum zum Teufel in der Hölle muss der sich auch so anstellen? Es ist doch alles wie am Schnürchen gelaufen!
„Ey warte! Ich habe das Ding nicht manipuliert, ich schwöre!“ Ich stehe ebenfalls auf, hechte hinter ihm her und packe ihm am Arm.
„Komm schon, gib dem Ding nochmal eine Chance! Ich schwöre, die Planchette hat sich von allein bewegt! Ey, das ist voll krass. Wir kommunizieren gerade mit dem Geist deiner toten Freundin! Findest du das nicht auch irgendwie gruselig? Siehst du wie ich zittere?“ Jetzt muss ich alle Geschütze ausfahren. Ich strecke ihm meine Hand vors Gesicht und lasse sie vor seinen Augen auf und ab beben. Quentin saugt scharf die Luft ein, holt aus und gerade er meine Hand wegschlagen will, greife ich nach seinem Handgelenk und halte sie fest.
„Lass mich sofort…“
Ein Kratzen lässt Quentin innehalten. Was zum… mechanisch drehen wir unsere Köpfe in Richtung des Geräuschs. Oh mein….Gott. Ein eiskalter Schauder läuft mir über den Rücken und ich lasse Quentins Arm los.
„Hat sich gerade die Planchette von allein bewegt?“, frage ich und starre in Quentins entsetztes Gesicht. Sein Mund steht offen und meiner tut es ihm wahrscheinlich gleich. „Du hast das doch auch gehört?!“, hake ich nach und merke, wie meine Stimme nur noch ein Piepsen ist. Das habe ich mir doch gerade eingebildet oder?
Ohne Quentins Antwort abzuwarten, nähere ich mich mit langsamen Schritten dem Hexenbrett und werfe zögerlich einen Blick darauf. Tatsächlich…. Oh verdammt… Anstelle auf das Ja zeigt die Planchette nun auf den Buchstaben A. Das kann doch nicht sein. Vielleicht ist sie verrutscht, als wir beide aufgestanden…
Quentin taucht neben mir auf und starrt ebenfalls auf das Brett. „Hast du das Ding verschoben, als ich zur Tür gelaufen bin?“, flüstert er.
„Nei..“ Die weisse Planchette fängt an, auf dem schwarzen Brett zu vibrieren, zu Zucken als würde sie unter elektrischer Spannung stehen und dann bewegt sie sich…direkt auf das Wort Nein zu. Das Kratzen kribbelt in meinen Ohren und ich spüre, wie es anfängt mich zu frösteln. Heilige Scheisse das… Ding hat sich gerade vor meinen Augen von selbst bewegt… Es funktioniert. Quentin neben mir umschlingt seinen Körper mit seinen Armen und atmet schwer die Luft aus seiner Lunge aus. Kleine Wölkchen bilden sich vor seinem Mund, als hätte die Temperatur im Zimmer gerade Minusgrade angenommen. Es ist… wirklich kälter geworden.
Wir stehen beide wie festgefroren vor dem Brett und starren auf die Planchette. Plötzlich wirft sich Quentin neben mir auf die Knie und rutscht auf das Oujia zu.
Was hat er vor?!
„Amy bist du das?!“ Quentins Stimme bricht und Wasser sammelt sich in seinen Augen. Ist er… wahnsinnig? Die Kerzen im Raum fangen an nervös zu flackern und werfen Schatten an die Wände, die aussehen wie verzerrte Fratzen. Okay. Okay…. Ich bilde mir das nur ein. Das sind nur Schatten, ganz normale Schatten. Kein Grund zur Panik. Ruhig bleiben, Dario. Ruhig bleiben, das ist alles nicht…
Die Planchette fängt wieder an zu vibrieren und als ich das kratzen von Holz auf Holz höre, spüre ich wie alles in mir zusammenzieht und mein Herz schneller anfängt zu schlagen. Ich muss hier raus.
Wie ein Blitz schiesst der Pfeil auf das Wort Ja. Momentmal. Amy? Das kann nicht sein. Amy lebt. Sie ist putzmunter. Das kann nicht Amy sein. Okay. Okay…. Das ist unmöglich.
„Oh Gott Amy! Ich bin so froh, dass du hier bist! Ich vermisse dich so sehr….“
„Das ist nicht Amy.“, stammele ich und…
„Doch natürlich ist das Amy! Hast du das nicht gesehen?! Sie hat mit Ja geantwortet! Amy, ich weiss nicht, wie lange wir miteinander reden können, aber, ich will dass du weisst, dass ich dich liebe.“
Wieder vibriert die Planchette. Wie paralysiert starre ich auf den Pfeil, der sich anfängt einmal im Kreis zu drehen und schliesslich auf dem Wort Ja zum Stehen kommt. Dieses Kratzen. Es hört sich an wie Fingernägel, die über… Das kann nicht sein. Wen haben wir heraufbeschworen? Das kann nicht Amy sein. Unmöglich. Ein kalter Luftzug trifft mich am Nacken und die Kerze neben meinen Schuhen geht aus. Oh mein Gott.. Meine Augen suchen nervös den Raum ab. Schatten, überall Schatten, die an den Wänden tanzen. Mein Verstand muss mir einen Streich spielen. Ist das real? Aber Amy lebt gottverdammt!
„Hast du dich umgebracht Amy?!“
„Quentin,… ich,… wir sollten …“ Die Türklinke wird heruntergedrückt und ich drehe mich im Absatz um. „Elisabeth?“ Langsam öffnet sich die Tür einen Spalt. „Hallo?“ Gerade als ich nachsehen gehen will, fängt es wieder an zu kratzen. Angespannt starre ich zwischen Tür und Brett hin und her und verharre auf der Planchette, die im ruckartig von links nach rechts schiesst. Es hört sich an, als würde das schwarze Holz anfangen zu schreien und das Kratzen verwandelt sich in ein Quietschen und Scharren. Quentins Tränen tropfen auf seine Knie. Er zittert am ganzen Leib und ich kann es ihm nachempfinden. Was soll ich nur machen?
„Antworte doch, Amy… Bitte…“, fleht Quentin und ich kann nicht anders. Ich muss ihm die verdammte Wahrheit sagen und dann müssen wir sofort hier abhauen!
„Quentin, das ist nicht Amy!“ Ich packe ihn an der Schulter und versuche ihn zurückzuziehen, weg vom Hexenbrett, aber er wimmelt mich ab, schlägt meine Hand von seinem Körper und beugt sich wieder über das Brett. „Gottverdammt! Hör mir zu! Das war alles nur ein…“ Die Zimmertür knallt gegen die Wand und ein paar Bücher fliegen durch den Aufprall aus dem Regal und kippen eine der Kerzen um. Scheisse… „Quentin!“, brülle ich meinen Bruder an. „Hörst du, das ist ein Scherz gewesen. Ein Prank? Okay? Amy ist gar nicht tot! Das war alles nur ein blöder Witz!“
„Das ist nicht lustig Dario,…“
„NEIN, VERDAMMT, natürlich ist das nicht lustig! Ich meine das ernst! Mann! Wir müssen hier raus!“
In dem Moment kommt die Planchette zum Stehen. Mein Mund öffnet sich in Zeitlupe, als ich die Antwort erblicke. NEIN.
„Sie hat sich nicht umgebracht, oh mein Gott. Dario, du hattest Recht! Ihr ist etwas zugestossen!“ Quentin dreht sich zu mir um und seine Mundwinkel ziehen sich zuckend in die Höhe, während ein weiterer Schwall aus Tränen über seine Wangen rinnt. Seine Unterlippe zittert nervös und ich …ist er jetzt total irre? Ich atme langsam ein und aus. Okay. Das ist zu viel. Das ist zu viel für uns beide. „Dario, wir müssen herausfinden, was passiert ist! Wer sie umgebracht hat! Meine Amy…“ Wir müssen einfach hier raus. Sofort. Ich steuere auf eine der Kameras im Raum zu und zeige sie ihm. „Siehst du? Kameras! Amy und ich, wir wollten dich verarschen, so ein dämliches Prankvideo auf Youtube. Das ist eine blöde Idee gewesen. Amy lebt. Okay? Das ist alles nur ein Scherz gewesen. Sie wartet auf dich in unserem Haus zusammen mit Elisabeth, das hätte eine Überraschungsparty werden sollen.“, versuche ich zu erklären, aber Quentin glotzt mich immer noch mit weitaufgerissenen geröteten Augen an.
„Hast du mich verstanden? Das war ein Scherz! Wir müssen hier raus! Ich habe keine Ahnung mit wem du da sprichst, aber es ist garantiert nicht Amy! Amy le..“
Das Kratzen lässt mich innehalten. Quentins Kopf schnellt herum. Die Planchette wandert langsam über das Brett und bleibt vor einem Buchstaben stehen. „S.“, liest Quentin laut vor. S? Auf was will das Brett antworten? Was will…
Der Pfeil bleibt auf dem nächsten Buchstaben stehen. „K“.
„Quentin bitte…. Warte.. wir rufen Amy an. Okay? Wir rufen sie an, sie kann dir bestätigen was ich sage.“
„U.“
Nervös suche ich den Boden nach meinem Handy ab. Wo ist es??? Hat der Geist es etwa? Nein das kann doch nicht sein. Es hat doch vor ein paar Minuten noch auf dem Boden neben dem verfluchten Brett gelegen.
„L“
„Hör doch mal auf mit dem Mist. Hast du dein Handy dabei?“
„L“
„Hallo Quentin?“
„Skull. Totenkopf,…. Was hat das zu bedeuten?“ , fragt Quentin ohne seinen Blick vom Brett zu lösen. Skull? Was soll der Blödsinn bedeuten? Okay. Langsam werde ich nervös. Ich will hier raus.
„Dein Handy, Quentin.“
Keine Reaktion. Ich ziehe Quentin am Arm aber er schlägt abermals meine Hand weg und starrt wie besessen auf die Planchette, die noch immer auf den Buchstaben L zeigt. Der tickt doch nicht mehr richtig. Wenn du nicht willst, dann eben mit Gewalt! Mit aller Kraft stürze ich mich von hinten auf Quentin, schlinge meine Arme um seine Hüften und versuche ihn vom Brett wegzuziehen. Ohne sich zu wehren lässt er mich ihn über den Fussboden ziehen und gerade als ich vor der Tür ankomme, die noch immer offen ist und versuche mitsamt Bruder das Zimmer zu verlassen, fliegt mir die Tür entgegen und trifft mich an der Seite. AHHHH….. Ich schreie auf und als ich bemerke, dass die Tür im Begriff ist erneut zu zuschlagen, hechte ich in letzter Sekunde aus dem Weg. Die Tür knallt zu und der komplette Raum beginnt unter der Wucht zu beben. Weitere Bücher fliegen aus dem Regal und eins davon trifft Quentin am Kopf. Aber dieser verharrt regungslos an Ort und Stelle und starrt wie hypnotisiert auf den Teppich. „Skull….Skull…. Skull….“, flüstert er als würde er manisch ein Mantra aufsagen und klopft dabei mit seiner Handfläche auf den Boden. Ist er komplett übergeschnappt? Ich muss irgendwas tun… Irgendwas… das Handy.
Hektisch fange ich an, Quentins hässlichen Anzug abzutasten. Irgendwo muss doch sein verdammtes Handy sein. Vergebens. Nur so ein lächerliches Taschentuch mit seinen Initialen, mehr nicht. Nicht mal sein Inhalator für Notfälle. Das Ding hat er doch sonst immer da…
Das Kratzen reisst mich aus meinen Gedanken. Die Planchette fängt wieder an sich zu bewegen. Quentin beendet sein Mantra, blinzelt ein paar Mal und krabbelt auf allen Vieren hysterisch auf das Oujia zu. Ich schlucke schwer. Okay. Dario… Dario du musst jetzt eine Entscheidung fällen. Entweder ich haue ab, hole Hilfe und lasse Quentin allein mit dem Brett und was auch immer wir heraufbeschworen haben zurück oder ich… Mein Blick fällt auf die Tür. Nein, ich kann ihn doch nicht…zaghaft wandern meine Augen zu Quentin, der sich über den Brett abstützt und mit offenem Mund die Planchette fixiert. Ach du… Scheisse… Okay. Ich drücke die Türklinke herunter. Was… ich drücke sie nochmals herunter und spüre wie ich panischer werde. Diese verdammte Dreckstür geht nicht auf! Verdammt, verdammt verdammt… Wir sind eingesperrt. Warte... ich nehme Anlauf und rase wie ein Rammbock mit meinem kompletten Körpergewicht auf die Tür zu. „Ahhhhh fuck fuck fuck…“ Steinhart, als wäre die verdammte Tür aus Beton…. Mein Arm…verdammt tut das weh… Schmerz pulsiert von meiner Schulter bis in meinen kleinen Finger und ich hätte mir am liebsten auf der Stelle meinen Arm abgerissen. Schwer atmend presse ich mit meinen gesunden Arm, den zu gefühlt zu Brei verarbeiteten, gegen meinen Bauch und krümme mich.  Allein schaffe ich es nicht hier raus. Niemals. Ich muss Quentin wachrütteln! Vielleicht schaffen wir es zusammen…
„Quentin?“, krächze ich und komme mit langsamen Schritten auf ihn zu. Was soll ich nur machen…. „Amy lebt wirklich, komm lass uns gehen, sie wartet bereits auf uns…“
Die Planchette rast über die schwarze Oberfläche des Bretts und ich muss mir die Ohren zuhalten. Dieses Kratzen… ich werde irre… irre…
„MORD.“, sagt Quentin trocken. „Mord… sie wurde ermordet.“
„Das ist doch Blödsinn… ihr geht es gut Quentin, sie lebt.“
„Wer hat dich ermordet, Amy? Sag es mir!“
„Sie ist nicht tot…“
„Halt die Klappe! Amy, antworte mir!“, total aufgebracht schlägt Quentin mit seiner Faust auf den Teppich und die Planchette fängt wieder auf dem Brett wie wild zu zappeln. Eine Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus und meine Zähne fangen unkontrolliert an zu aufeinander zu klappern. Scheisse ist das kalt hier drin geworden. Ich schlinge meine Arme fester um mich und lasse mich neben Quentin auf den Teppich fallen und starre auf das Brett. Ich kann nichts tun..
Fieberhaft folgen Quentins Augen der Planchette. „S-N-A-K-E…. Schlange.“
„Das mit dem Schlangengift habe ich erfunden…. Das Brett lügt Quentin… glaub mir doch…“ Ich lege meine Hand auf seine Schulter aber er ignoriert mich. „Ich weiss nicht, was du mir sagen willst Amy…“ Völlig verzweifelt kippt Quentin auf seine Unterarme und legt den Kopf auf den Teppich. Sein klägliches Wimmern lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich muss irgendwas machen… In dem Moment poltert es. „Was war das?“
Der Schädel auf dem Bett kommt auf uns zugerollt und stösst gegen das Brett. Die leeren Augenhöhlen starren uns an und der zahnlose Kiefer scheint uns regelrecht zu verhöhnen. Zögerlich greift Quentin nach dem Schädel, hält ihn vor sich und kräuselt die Lippen.
„Momentmal… Skull,… Totenkopf, Snake… Schlange. Hattest du keinen Anhänger mit einer Schlange? Der Dosenöffner?“
Quentins Stimme klingt trocken. Emotionslos. Ruckartig dreht er sich zu mir herum, krallt seine Finger in mein Hemd und reisst mich zu sich heran. Seine linke Hand verschwindet unter meinem Oberteil und holt den Anhänger heraus. Dann lässt er mich wieder los und starrt mit zusammengebissenen Zähnen auf die kleine Schlange. „Quentin…“, stammele ich und versuche ihn nochmals am Arm zu berühren und irgendwie zu beruhigen.
„Nein,… das kann nicht sein… Du würdest Amy doch niemals etwas antun.“
Was???? Denkt er jetzt wirklich ich hätte seine Freundin auf dem Gewissen??? Das ist doch total hirnrissig! „Ey… spinnst du???? Ich hätte Amy nie was angetan. Ausserdem lebt sie, das behinderte Brett spielt mit dir! Komm schon…lass dich nicht verarschen,… ausserdem wirklich? Totenknopf, Schlange? Nur weil ich diese Dinge besitze heisst das doch nicht gleich…“
„Amy, hat Dario dir etwas angetan?“, unterbricht mich Quentin und schlagartig huscht die Planchette auf das Wort Ja. Ich schlucke. Ich muss das beenden. Sofort. Das hätte ich von Anfang an schon tun sollen.
Hastig schnappe ich nach dem Brett, steh auf und schleudere es gegen das Bücheregal. „Das behinderte Brett lügt dir was vor!!! Gottverdammt!!! Quentin! Komm zu dir.“ Ich knie mich wieder zu Quentin herunter, packe ihn an der Schulter und schüttle ihn kräftig. „Komm zu dir okay???“ In Zeitlupe richtet er seinen Kopf auf und funkelt mich mit weit aufgerissenen leeren Augen an. Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem abstrakten Grinsen. Was zum… Geschockt lasse ich ihn los und gehe ein paar Schritte von ihm weg. „Was ist…“
Ein Donnern hallt durch das Zimmer und reisse meinen Kopf rum. Die Tür ist aufgegangen. Oh Gott… Oh Gott… nichts wie raus hier… Ich will lossprinten, aber etwas Warmes auf meinen Oberschenkeln lässt mich innehalten. Nervös schaue ich an mir herunter. Quentins Hände. Seine Fingernägel bohren sich in mein Fleisch, als er sich an mir hochzieht. Wie paralysiert glotze ich ihn an. „Hast du Amy getötet? Meine Amy?“
Seine Augen sind blutunterlaufen, seine Unterlippe zittert und Tränen fressen sich über seine Wange zu seinem Kinn herab und tropfen auf den Boden. So… habe ich… meinen Bruder noch nie gesehen… „Quentin.. Nein,.. sie lebt man, glaub mir bitte…“, meine Stimme bricht. „Du bist ein Lügner, Dario.“ Er lacht krankhaft auf. „Ein Lügner!“, wiederholt er jede Silbe ausspuckend. „Nein… Quentin bitte…“ Die Tür wird wieder zugeschleudert. Nein!!! „Quentin, hör mir zu, wir müssen hier raus. Du kannst nicht mehr klardenken. Irgendetwas stimmt nicht mit dir. Das bist nicht du!“ Plötzlich fängt es wieder an zu kratzen. Was? Ich habe das Brett doch… Das kann doch nicht sein. Ich will mich nach dem Höllenspielzeug umschauen, aber in dem Moment schlingt Quentin seine Hände um meinen Hals und drückt zu. „Quentin… Nicht…“ Ich ringe nach Luft und versuche ihn von mir wegzudrücken. Vergebens. Seine Finger drücken mir den Atem ab. Panisch fange ich an rumzufuchteln und spüre, wie Tränen in meine Augen schiessen. Ich muss irgendwas tun… er will mich umbringen…  Ich starre in Quentins Augen, die wie gebannt auf meine Halsschlagader gerichtet sind. Quentin… Mein Körper fängt an unkontrolliert zu zittern und  zu zucken, meine Sicht wird trüb,… verschwommen… nein ich will nicht sterben… Bitte… Das Schaben und Kratzen wird lauter und der Raum um mich herum entfernt sich immer mehr… Was… ist das? Ein Schatten taucht hinter Quentin an der Wand auf und vermischt sich mit unseren, jemand muss die Kerzen auspusten… was denke ich da… das ist doch Blödsinn… Quentin hör auf… bitte…

Amy’s Sicht:
„Oh man…  Ich wusste Dario würde es verbocken… Wo zum Teufel sind die Jungs?!“ Genervt stampfe ich die Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Es ist ungewöhnlich ruhig im Haus.  Seltsam. Irgendwo müssen sie ja stecken, das Auto steht schliesslich immer noch in der Einfahrt. ‚Einfahrt‘. Mitten in Mamas Blumenbeet. Maaaaan… Sie hat mir vorhin schon die ganze Zeit die Ohren wundgesabbelt. Ihre schönen Blumen, sie habe sich so beherrschen müssen Dario nicht gleich den Kopf abzureissen. Blablabla, das habe sie nur für mich getan. Das wäre eine blöde Idee von uns gewesen. Sowas tut man nicht. Blablabla… Sie versteht einfach keinen Spass, wahrscheinlich hält sie mir das noch bis ich ausgezogen bin unter die Nase, dass unser dämliche Plan nicht aufgegangen ist und sie mir das von Anfang an schon ausreden hatte wollen. Mütter haben halt immer recht. Hör auf deine Mutter. Blablabla. Als ich vor meinem Zimmer ankomme, atme ich einmal kurz durch. Hoffentlich haben die beiden hier nichts vorbereitet um mir einen Streich zu spielen. Dario würde ich das zutrauen. Wobei, irgendwie wäre das auch lustig. Ein Prank im Prank. Würden die Zuschauer bestimmt mögen. Ein Kichern huscht über meine Lippen. Oh man, ich liebe die Jungs. Ich drücke die Türklinke herunter und… „DARIO?!!! OH MEIN GOTT!!“
„Hallo Amy.“

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