Jack the Ripper - Reisender (Remake)

Creepypasta 21. Jan. 2022

Warnung:

Wir erinnern uns daran, dass dies nur eine fiktive Geschichte ist. Der Inhalt soll schockieren, abschrecken und Angst auslösen.  Das Leben ist kostbar. Das Leben ist ein Geschenk und man sollte andere so behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Mit Respekt, Liebe und Verständnis. Solltest du dunkle Gedanken haben, die dich drohen einzunehmen, dann suche dir bitte Hilfe. Es gibt immer eine helfende Hand, man muss danach nur greifen wollen.

Frauen in einer Bar ansprechen sieht in Filmen viel leichter aus als es in Wirklichkeit ist. Kein Wunder habe ich mich bisher immer davor gedrückt überhaupt einen Fuss in eine Bar zu setzen oder eine Frau außerhalb des Internets anzusprechen. Ich nehme noch einen Schluck von meinem dritten Sex on the Beach und schaue deprimiert auf den Zettel vor mir. Noch so viel abzuhaken und nur noch so wenig Zeit. Das schaffe ich nie. Trostlos starre ich in das halbleere Glas vor mir und versuche die Tränen zurückzuhalten. Vergebens. Na super. Ich hätte auch gleich einen Salzsteuer in meinen Drink kippen können. Reiß dich am Riemen, schimpfe ich mich selbst und spüre förmlich wie die kleine Heulsuse in meinem Kopf den Arschlochfinger ausfährt und sich wieder in die dunkelste Ecke meines Geistes verkriecht und die Knie anwinkelt. Genug geheult, so darf es nicht enden. Ich darf so nicht enden. Ein Typ setzt sich neben mir auf den Hocker, klappt die Zeitung von gestern auf, die auf dem Tresen liegt und fängt an, darin herumzublättern. Neugierig mustere ich ihn aus dem Augenwinkel. Es ist bereits kurz vor Mitternacht und der Mann trägt eine blaue Baseballmütze, dazu einen Plüschmantel in der Farbe Orange und Stiefel mit glitzernden Steinchen an der Seite, deren Anordnung einen kitschigen Stern auf dem Leder bilden. Wow, dieser Kerl passt noch weniger hier rein wie ich. Seufzend nehme ich einen großzügigen Schluck von meinem versalzenen Getränk, während der Plüschmantelliebhaber sich lautstark eine Cola bestellt. Dabei fuchtelt er wild mit der Zeitung vor unseren Nasen herum und hätte mir beinahe mit dem Papier das Glas aus der Hand geschlagen. Etwas genervt bringe ich den Rest meines Drinks in Sicherheit und rutsche mit meinem Barhocker ein wenig weiter weg. Aber das scheint meinem Sitznachbar ziemlich egal zu sein. Mit Schwung katapultiert er die Zeitung vor mir auf den Tresen und zeigt mit seinem Finger auf die Überschrift des ersten Artikels.  In derselben Lautstärke wie er seinen Drink beordert hat, verkündet er brüllend die Botschaft: „Pädophiler flüchtet nach Auftauchen von Vergewaltigungsvideo im Netz nach Mexico“ Angestrengt massiert er dabei seinen ausgeprägten Oberlippenschnauzer und zupft jeweils an beiden Enden die Form wieder zu einem Kringel zu recht.
„Schlimm sowas!“, posaunt er eine Spur lauter und die ganze Aufmerksamkeit des Lokals liegt auf ihm. Offensichtlich scheint ihm sein Benehmen ganz und gar nicht peinlich zu sein. Im Gegenteil, motiviert schleudert er die Zeitung in die Luft und zeigt stolz der Masse den eben vorgetragenen Artikel. Unter der imposanten roten Überschrift ist ein Foto vom Täter abgebildet. Seine Augen sind mit einem schwarzen Balken spärlich zensiert und wie es scheint, handelt es sich bei der Aufnahme um ein Foto, dass auf einem Konzert aufgenommen worden ist. Nehme ich zumindest an, da der abgebildete Mann in der einen Hand ein Bier in die Höhe hält und die andere Pranke eine Pommesgabel formt. Für einen kurzen Augenblick wird es im Lokal ganz still, nur die Musik im Hintergrund wummert aus den Boxen. Dann, als hätte man einen Schalter umgelegt, nimmt alles wieder seinen gewohnten Lauf. Die angefangen Gespräche werden fortgesetzt, auf der Tanzfläche wird weitergetanzt und selbst die Zeitung landet wieder auf dem Tresen. Ok. Alles klar. Ich habe zu wenig getrunken. Das Problem lässt sich beheben. Nervös angle ich nach meinem Glas und setze es wieder an meine Lippen. Doch bevor ich den Inhalt hinunter kippen kann, legt sich eine warme Handfläche auf meine Schulter und fängt an, diese sanft zu streicheln. „Na, wie läuft’s mit den Frauen?“, flüstert die Baseballkappe leise in meine Richtung. Prompt fühle ich mich ganz seltsam, so als hätte ich gerade mit einem Viehzaun gekuschelt. Aus Reflex versuche ich die fremde Hand von meiner Schulter zu schütteln, aber sie weicht keinen Zentimeter.  Meine Haut kribbelt unter der leichten Berührung und mir wird ganz schummrig. Vielleicht habe ich mich getäuscht und ich habe doch mehr Alkohol intus, als gedacht. „Ganz gut, denke ich“, lüge ich zaghaft, versuche aus Höflichkeit einen Blickkontakt herzustellen, stelle aber dabei fest, dass sich der Raum plötzlich anfängt zu drehen. Diagnose Besoffen?
„Quatsch, ich beobachte Sie schon eine Weile aus der Ferne!“ Der Mann gestikuliert mit seiner freien Hand in eine Richtung und ich versuche angestrengt seinen Bewegungen zu folgen, ohne von meinem Hocker zu kippen.  „Keiner hier drinnen, hat wohl so viele Frauen angesprochen wie Sie, ohne eine abzukriegen. Neu im Business‘?“  Sein Schnauzer zuckt fröhlich, als sich seine Lippen zu einem schelmischen Grinsen verziehen. Automatisch fangen meine Wangen Feuer. Mist! Ertappt. Er hat mich wohl auf meiner erfolglosen Jagd nach Frauen die ganze Zeit beobachtet. Peinlich berührt versuche ich mich so klein wie möglich zu machen und wäre dabei fast vom Stuhl gefallen. Offensichtlich hat sich mein Gleichgewichtsinn schon verabschiedet. „Ist das so offensichtlich?“, flüstere ich leise. Er zieht eine Augenbraue hoch. „Aber hallo!“, lachend trommelt er mit der flachen Handfläche auf meiner Schulter herum und als ich versuche dagegen vorzugehen und mich zu wehren, schnappt er flink wie ein Wiesel nach dem Zettel vor mir auf dem Tresen und begutachtet ihn interessiert. Träge manövriere ich meine Hand in Richtung des Zettels, der sich vor meinen Augen plötzlich zu vervielfältigen scheint.  Verdammt, ich kippe gleich um. „Hey, das ist meiner! Geben Sie den sofort wieder her!“, knurre ich aber der Kerl fuchtelt weiterhin strahlend mit dem Zettel in meinem Gesicht rum und beobachtet mich dabei amüsiert, wie ich mühsam versuche nach dem Fetzen Papier zu greifen. Der Barkeeper schüttelt bereits sichtlich genervt über unser Benehmen den Kopf. Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle bei ihm dafür entschuldigt, dass wir seine Bar ohne sein Einverständnis in einen Kindergarten verwandelt haben. Irgendeiner muss aufgeben, bevor wir hochkant aus dem Lokal rausgeschmissen werden. Leicht angepisst setze ich mich wieder gerade auf meinen Hocker hin, verschränke die Arme vor meiner Brust und ringe um Stabilität. Das ganze Etablissement fühlt sich an wie ein Schiff bei Wellengang. Entweder schwanke ich oder die gottverdammte Bar schmettert gerade mit Vollspeed auf Rollerblades über gefühlt 100 Schlaglöcher. „Gewonnen!“, verkündet die Baseballkappe und schenkt mir sein schönstes Siegerlächeln, während er mit Adlersaugen nochmals meine Liste inspiziert.

„Was ist das für ein Wisch?“ Seine Nasenflügel blähen sich auf und ein grollendes Lachen versetzt seinen Schnauzer in Wallungen. Mit Schwung knallt er den Zettel auf den Tresen und klopft mit seiner Faust ein paar Mal laut gegen die Oberfläche. Ein paar Augenpaare huschen in unsere Richtung. Vor Scham beinahe ertrinkend, ergattere ich zurück, was mir gehört und stecke den Zettel in die Hosentasche, wo er hingehört. „Das ist kein Wisch, das ist eine To-Do-Liste.“, rechtfertige ich mich grundlos und klammere mich an der Theke fest. Seine dunklen Augen leuchten auf. „Eine To-Do-Liste? Interessant! Darf ich mich vorstellen, ich bin Jack.“ Er reicht mir die Hand. Leicht irritiert strecke ich ihm meine ebenfalls entgegen. „Ich heiße Theo und die Liste führe ich weil ehh,…ich habe Lungenkrebs im Endstadium und nicht mehr viel Zeit. Zwei Monate vielleicht?“
Ich trage meine Krankheit jetzt schon länger mit mir rum aber auszusprechen, wie es um mich und meine Gesundheit steht, löst in mir immer wieder ein Gefühl aus, als ob man mir den Boden unter den Füssen wegzieht. Daran gewöhnt man sich wohl bis zum Tod nicht. Mein Sitznachbar hingegen reagiert nicht so, wie erwartet. Seine Augen beginnen zu leuchten und seine Mundwinkel hüpfen schlagartig nach oben. Seine Reaktion überrascht mich, normalerweise reagieren Menschen ganz anders auf Todkranke wie mich. Sie weichen überrascht zurück oder sind betrübt, peinlich berührt, mitleidig oder gar traurig. „Freut mich Theo. Es ist wohl Schicksal, dass wir uns gerade hier treffen.“ „Schicksal? Wie meinen Sie das?“ Ich nehme einen weiteren Schluck von meinem Salt on the Beach und schaue ihm dabei zu, wie er ein Handy aus seiner Hosentasche herausholt. „Ich kann Sie heilen, Theo, schauen Sie mal.“ Er tippt ein paar Mal auf dem Bildschirm herum und streckt mir dann das Telefon entgegen. „Keine Sorge, es ist nur ein harmloses Video. Schauen Sie es sich an. Sie werden begeistert sein. Vertrauen sie mir.“  Ich mustere zuerst skeptisch Besitzer und Handy, bevor ich zögerlich das Video auf dem Smartphone starte. Leise Musik flötet aus dem Gerät. Auf der Aufnahme erkenne ich Jack ohne Baseballkappe aber mit Hut, neben ihm steht ein kleiner Mann im Smoking und im Hintergrund sitzt eine leicht bekleidete Frau auf einem Stuhl, sie schläft. Der Mann wirkt leicht wacklig auf seinen kurzen Beinen, die Augen sind trüb und auf seinem Kopf wuchert wild Haar in alle Richtungen. Der Smoking passt definitiv nicht zu seinem verwahrlosten Auftreten.
Für einen Moment frage ich mich, wer das Video aufgenommen hat und was für einen Sinn dahinter steckt, einen alten Mann derart vorzuführen. Der kleine Mann beginnt holprig und offensichtlich stark alkoholisiert zu einem imaginären Publikum zu sprechen. Er erklärt stark gestikulierend und in einem gebrochenen Deutsch, dass er seit Geburt an blind ist und kein Arzt ihm bisher helfen konnte. Mitten im angefangen Satz beginnt er, in einer anderen Sprache weiterzureden, die ich nicht verstehe. Sobald der Mann verstummt, reicht Jack ihm ein schwarzes Messer mit seltsamen silbernen Verzierungen auf der Klinge. Jack flüstert dem Mann etwas zu, dieser nickt, streckt seine Hand aus und schneidet sich ohne zu zögern über die Handflächeninnenseite. Blut quillt aus der Wunde und der Mann verzieht schmerzhaft das Gesicht. Kurz darauf nimmt Jack das Messer wieder an sich und fügt sich selbst den gleichen Schnitt zu. Dann geben sich die beiden Männer die blutenden Hände. Ein paar Sekunden später, reißt der blinde Mann die milchigen Augen weit auf. „Ich kann sehen!“, schreit er, packt Jack an der Schulter und fängt an zu lachen. Und obwohl die Augen immer noch trüb sind, wiederholt der kleine Mann nochmals, dass er sehen kann und kippt auf die Knie, weinend vor Freude. In dem Moment angelt Jack das Handy aus meiner Hand und stoppt das Video. „ Wissen Sie, ich habe eine Gabe und ich kann Sie von dem Krebs heilen.“
Ich lege die Stirn in Falten. „Sie verarschen mich doch, oder? Das Video ist nichtaussagend, offensichtlich gestellt. Ich habe keine Veränderung in den Augen des Mannes feststellen können. Und überhaupt, wie kann ein Blinder wissen, dass er sehen kann, wenn er noch nie sehen konnte? Ich meine… sie können mir hier auch einen Bären aufbinden“, argumentiere ich skeptisch. Jack schmunzelt und legt seine warme Hand auf meine angespannte Schulter. Schlagartig zucke ich zusammen. Die Handfläche dieses Mannes fühlt sich an, wie eine Kreuzung aus einer heißen Herdplatte und einem explodierendem Haarföhn. „Sie sind ein richtiger Witzbold. Warum sollte ich Sie verarschen, Theo? Ich verlange natürlich kein Geld, ich biete Ihnen lediglich eine Chance an. Sie können Joseph gerne anrufen und ihn fragen, ob ich ihn von seiner Blindheit geheilt habe. Das, was Sie dort im Video gesehen haben, ist uralte Voodookunst aus Jamaica. Andererseits, was haben Sie zu verlieren? Ihr Leben haben Sie doch bereits so gut wie verloren. Zwei Monate haben Sie gesagt, richtig?“ Er funkelt mich an und streckt mir sein Handy erneut entgegen, aber ich lehne ab. Er hat recht. Was habe ich schon zu verlieren? Die zwei Monate, die ich noch zu leben habe? Vielleicht hat Jack recht und er kann mich heilen. Vielleicht ist es Schicksal. Vielleicht hat Gott, wenn es überhaupt so etwas wie einen Gott gibt, ihn zu mir geschickt und meine Zeit ist wirklich noch nicht abgelaufen. Vielleicht auch nicht und er ist lediglich ein Scharlatan. Ich weiß nicht, ob es am Alkohol liegt, aber ich muss herausfinden, ob etwas an dieser Sache dran ist.
„Es tut mir leid, es kommt nur sehr überraschend. Ich möchte es ausprobieren, heilen Sie mich. Was muss ich tun?“, sage ich entschuldigend immer noch mit einer leichten Skepsis im Nackend sitzend. Jacks Mundwinkel ziehen sich nach oben. „Theo! Es ist mir eine Ehre, Sie von Ihrer Krankheit zu befreien. Ist Ihnen im Video die Frau im Hintergrund aufgefallen?“ Ich nicke. „Diese Frau ist essentiell wichtig für das Ritual. Um Ihren kranken Körper von dem bösartigen Krebs zu reinigen Theo, benötigt es  bei der Zeremonie drei Herzen, die im Gleichtakt schlagen. Ihres, meines und das einer Frau.“ Ich schlucke. Eine Frau soll am Ritual teilnehmen? „Muss es eine Frau sein? Ich habe nicht so viel Erfolg bei Frauen, wie Sie bereits mitgekriegt haben und meine Mutter ist leider schon vor drei Jahren gestorben, ebenfalls Lungenkrebs, scheint wohl irgendwie in der Familie zu liegen“, murmle ich. Seine Finger umfassen mein Kinn und ein Elektrostoss schießt durch meinen Körper. Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Mann, aber die Tatsache, dass er ganz und gar nicht normal ist und elektrische Impulse bei Berührung abfeuert, lässt mich Hoffnung schöpfen, dass er wirklich über heilende Kräfte verfügt. Außerdem wirkt sein Gefasel so sehr an den Haaren herbeigezogen, dass ich zweifle, dass man sich sowas einfach so ausdenken kann. Er will schließlich kein Geld von mir. Vielleicht will er die ‚Zeremonie‘ auf Video festhalten und auf YouTube stellen und sich mit tausend anderen Menschen über mich lustig machen, aber selbst das wäre mir nach zwei Monaten egal, weil ich dann mit den Würmer Monopoly spiele und unter der Erde verrotte. „Lassen Sie den Kopf doch nicht hängen. Ja, es muss  zwingend eine Frau sein, aber das ist kein Problem. Hier, nehmen Sie das Geld, besorgen Sie uns  für das Ritual eine Prostituierte von der Straße, ach und betäuben Sie sie hiermit.“ Er reicht mir das Geld, dazu ein weißes Fläschchen mit einer Flüssigkeit, wahrscheinlich Chloroform, und ein cremefarbenes Tuch, auf dem ein schwarzes „J“ in der unteren linken Ecke eingestickt ist. „Ich soll Sie betäuben?“, flüstere ich und meine Stimme bebt aufgeregt. „Keine Angst, es ist sicherer, wenn sie die Dame betäuben. Das erspart der Frau viel Stress und es gibt keine unangenehmen Fragen. Niemand wird verletzt. Hier, das ist meine Telefonnummer, rufen sie mich an, falls sie Hilfe brauchen. Kommen Sie in einer Stunde zu der alten Lagerhalle im Wisewood-Park. Ich erwarte Sie dort. Und Theo, bringen Sie weiße Weintrauben mit.“ Er lächelt mich an, steckt mir seine Visitenkarte zu, nimmt seine Zeitung und verlässt  mit großen Schritten die Bar. „Weiße Weintrauben?“, rufe ich ihm noch hinterher, aber zu spät.
Die Tür ist bereits ins Schloss gefallen und Jack verschwunden. Ich starre auf die Utensilien in meiner Hand. Warum genau muss es ausgerechnet eine Frau sein? Bei dem Gedanken eine Frau zu betäuben und sie zu etwas zu zwingen, wovon sie gar keine Ahnung und nicht eingewilligt hat, wird mir mulmig. Es wäre mir deutlich lieber der Frau zu erklären, dass es sich bei diesem Ritual um einen seltsamen Fetisch handle und wir deshalb ihre Dienste gerne in Anspruch nehmen und sie auch ordentlich dafür bezahlen würden. Wobei,… wenn ich genauer darüber nachdenke, hört sich das selbst für einen Fetisch, wäre ich in der Position der Frau, viel zu merkwürdig an. Die Chance könnte hoch sein, dass sie uns einfach den Vogel zeigt und zum Nächsten ins Auto steigt, der einfach nur einen geblasen haben möchte. Vielleicht sollte ich Jack einfach vertrauen, er führt das Ritual schließlich nicht zum ersten Mal durch, wie das Video zeigt und er wird wohl Erfahrung haben und wissen, dass die Frauen auf freiwilliger Basis eher keine Lust haben, an so etwas…Ungewöhnlichem teilzunehmen. Plötzlich drängt sich eine ganz andere Frage in den Vordergrund. Woher, zum Teufel, soll ich um diese Uhrzeit weiße Weintrauben herkriegen?

Um Mitternacht treffe ich mit meinem Auto bei der Lagerhalle im Wisewood-Park ein. Neben mir auf dem Beifahrersitz schlummert friedlich eine Prostituierte. Tanja, sei ihr Name, hat sie gesagt. Ich habe sie mit Jacks Geld in mein Auto gelockt und als sie sich an meiner Hose zu schaffen machen wollte, weil ich sie gebeten habe mir einen zu blasen, habe ich ihr unsanft das in Chloroform getränkte Tuch gegen die Nase gedrückt. Erst hat sie sich gewehrt, aber dann wurde ihr Körper ganz schlaff.  Es war einfacher als ich es mir vorgestellt habe. Ich fühle mich miserabel. Niemals wieder würde ich einer Frau so Etwas antun. Meine Klamotten sind getränkt mit Angstschweiß und jede Faser meines Körpers zittert wie Espenlaub. Ich schalte den Motor ab und fange an nervös auf meinen Nägeln rum zu kauen. Wo ist Jack und wie lange wirkt Chloroform?

Nach 10 Minuten taucht der Mann mit der Baseballkappe und dem pompösen Schnauzer auf und trommelt mit seiner Faust an die Scheibe meines Autos. Ich lege einen Finger auf meine Lippen, um ihn zu ermahnen, das Klopfen zu unterlassen und zeige auf Tanja neben mir, die gottseidank noch schläft. Er nickt, geht um das Auto herum und öffnet die Beifahrerseite. Ohne ein Wort zu sagen, packt er Tanja von hinten an der Taille und zerrt sie unsanft aus dem Auto raus. Sie gibt ein leises Geräusch von sich und prompt steigt Panik in mir auf. Bitte nicht aufwachen. Bitte nicht aufwachen. Aufgescheucht steige aus dem Auto aus, sprinte zu Jack und helfe ihm dabei die schlafende Tanja etwas sanfter in die Lagerhalle zu befördern.
Dort setzen wir sie auf einen Stuhl. Sicherheitshalber halte ich ihr nochmals das Chloroform getränkte Tuch unter die Nase. Ich will schließlich nichts riskieren. Die Lagerhalle ist groß und leer. Ein paar Holzbretter liegen zusammen mit Kupferstangen verstreut auf dem Boden. Weiter hinten sehe ich ein ausgeschlachtetes Auto und direkt daneben einen Container mit undefinierbarem Krempel drin. Meine Augen huschen zu Jack, der offensichtlich die Weintrauben aus meinem Auto geholt hat und nun grinsend auf einer davon rumkaut. Zu meinem Glück hatte der Tankstellenshop um die Ecke noch offen und sogar welche im Sortiment. Was ich natürlich gleich, verzweifelt wie ich bin, als ein Zeichen Gottes gedeutet habe. „Benötigen wir die Trauben nicht für das Ritual?“, frage ich irritiert. Jack spuckt die Kerne auf den Boden und klopft mir auf die Schulter. „Nein, die Weintrauben sind für mich. Sehen Sie es als eine kleine Gegenleistung. Ich habe eine Schwäche für Weintrauben.“  Schmunzelnd kramt er in seiner Hosentasche, holt einen Zettel heraus und reicht ihn mir. „Fangen wir am besten gleich an. Lesen Sie das laut vor.“ Ich nicke, schaue kurz zu Tanja, die immer noch schläft und beginne dann das Geschriebene auf dem Papier laut vorzulesen.

„Ghallar diem, me bodi pour la damon, imento esto ma sangre, ghallar diem, me esto ta sangre, ghallar diem. Forte duo por la vie muerto!”

Als ich fertig bin, werfe ich Jack einen fragenden Blick zu. Dieser lächelt nur, bückt sich zu seinem Stiefel runter und holt ein Messer heraus. Dasselbe schwarze Messer mit den silbernen Verzierungen, das ich bereits aus dem Video kenne. Er lässt die scharfe Klinge über seine Handfläche gleiten. Wie gebannt starre ich auf seine Hand und sehe, wie dunkelrotes Blut aus der Wunde quillt. „Sie sind dran.“
Erwartungsvoll funkelt mich Jack an und streckt mir das blutige Messer entgegen. Ich schlucke, aber nehme es ohne Widerspruch an mich. Im Video war die Reihenfolge anders, aber ich traue mich in dem Moment nicht nachzufragen. Wahrscheinlich spielt es keine Rolle und ich mache mir zu viele Gedanken. Jack wird schon wissen, was er tut. Hoffe ich zumindest. Als ich zum Schnitt ansetze, schaue ich dem Mann mit der gewöhnungsbedürftigen Kopfbedeckung nochmals in die Augen. Er nickt zuversichtlich und ich lasse die Klinge  zaghaft über die Innenfläche meiner Hand gleiten. Der Schnitt hinterlässt einen überwältigenden brennenden Schmerz auf meiner Haut und ich kneife die Augen zusammen. Dann spüre ich Jacks warme Hand. Ich reiße meine Augen auf und beobachte, wie seine Finger sich um meine schlingen. Sein Handballen drückt auf die frisch zugefügte Wunde und reibt über die offene Stelle. Unser Blut vermischt sich und es tut verdammt weh. Höllisch weh. Eine seltsame Mischung aus Hitze und Kälte. Als würde ein eisiger Gletscher mit einem brodelnden Vulkan kollidieren. Meine Knie werden weich, Zitterschübe pulsieren durch meine Glieder und mein Kopf fühlt sich an, als würden hunderte von Nadeln durch meine Schädeldecke schießen und mein Hirn aufspießen. Ich will schreien, aber meine Lippen sind taub. Alles ist taub, ich kann mich nicht bewegen, kann nicht denken, kann nicht atmen. Überall ist Schmerz. Dieser allesüberwältigende Schmerz.

Irgendwann muss ich wohl ihn Ohnmacht gefallen sein. Denn als ich wieder zu mir komme, habe ich einen merkwürdigen Geschmack im Mund und der Schmerz ist komplett verschwunden. Ich fühle mich gut. Richtig gut und ruhig, gelassen.  Wie neugeboren. Nichts tut weh und ich kann atmen. Richtig durchatmen, ohne zu husten. Da ist überhaupt kein Druck mehr in meiner Lunge. Kein Gefühl mehr zu ersticken oder zu wenig Sauerstoff zu bekommen. Jeder Atemzug ist Freiheit. Unbeschreiblich. Vielleicht habe ich mich so sehr daran gewöhnt krank zu sein, dass ich nicht mehr weiß, wie gut es ist, gesund zu sein. Bin ich gesund? Oder habe ich mir das alles nur eingebildet? Ein weiterer Atemzug. Es ist so schön. Atmen ist schön. Ist es etwa doch real und das Ritual hat gewirkt und ich bin geheilt? Ich traue mich gar nicht die Augen zu öffnen. Vielleicht ist es nur ein Traum, eine Illusion? Nein, es war viel zu real. Und ich kann atmen. Freude durchströmt meinen Körper. Und dann ist da wieder dieser seltsame Geschmack in meinem Mund. Süß. Fruchtig. Verwirrt öffne ich nun doch die Augen und sehe Tanja vor mir, die immer noch auf dem Stuhl sitzt. Es ist doch kein Traum. Oh mein Gott, es ist kein Traum. Alles ist real! Wo ist Jack? Ich muss ihm danken. Ich will mich umdrehen und ihn suchen, aber mein Körper reagiert nicht. Was? Warum kann ich mich nicht umdrehen? Was ist los? Panisch versuche ich meine Beine zu bewegen. Nichts. Keine Reaktion. Bin ich gelähmt? Nein, das kann nicht sein. Ich stehe. Ich kann nicht gelähmt sein. Plötzlich taucht meine Hand vor meinem Gesicht auf und winkt mir zu. Was? Was soll das? Warum winke ich? Ich will meine Beine bewegen, nicht meine Hand! Dann bückt sich mein Körper ohne mein Einverständnis zu Tanja herunter.
Ich sehe zu, wie meine Hand über ihre langen, gewellten Haare fährt und über ihre leicht rötliche Wange streichelt.  Was soll das? Ich will mich selbst davon abhalten. Aber mein Körper gehorcht mir nicht mehr. Er funktioniert nicht mehr! Es fühlt sich an, als ob ich ein Lokführer bin, der die Kontrolle über seinen Zug verloren hat. Machtlos muss ich meine Finger dabei beobachten, wie sie nach dem blutigen Messer auf dem Boden greifen. Die silberne Klinge des schwarzen Messers wandert über das Dekolleté der Frau bis hinauf zu ihrem Hals und verharrt an dieser Stelle. Nein. Ich will das nicht! Aufhören! Tanja öffnet langsam ihre Augen. Ich brülle innerlich, will mich wehren, gegen das, was gleich passieren wird. Versuche zu schreien, will sie warnen, aber ich bleibe stumm. Ich bin nur noch ein Passagier. Ein Gefangener im Gefängnis Körper. Und dieser Körper widerstrebt sich meinen Befehlen, Meuterei auf ganzer Linie. Der Druck des Messers gegen den schlanken Hals der Frau wird fester. Nein. Bitte nicht. Wo ist Jack? Er soll mich aufhalten. Oh Gott, bitte. Jack! Wo bist du?! Leise höre ich meine Stimme durch meinen Mund antworten: „Pssscht Theo, Schlafen Sie jetzt ein, lassen Sie es Geschehen. Ihr Körper ist nun mein.“

Verdammte Scheisse, ich wurde aufs Kreuz gelegt...

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