Es fing alles so harmlos an (2016)

Creepypasta 15. Juni 2022

Es fing alles so harmlos an. Ich sass damals bei meiner Nachbarin vor dem Computer und wir haben uns zusammen einen Habbo erstellt. Gerade zu der Zeit, wo das HabboHotel noch geboomt hat. Das HabboHotel war ein brandneues Chatportal, wo man sich eine virtuelle Spielfigur, einen Habbo, erstellen konnte und mit diesem die verschiedenen Chaträume im Hotel besuchen und gestalten konnte.
Fasziniert erkundeten wir die verschiedenen Räume und fingen auch bald an, mit anderen Habbos zu chatten. Die Mischung aus Spiel und Chatroom hatte es uns angetan. Wir hatten damals beide ein eigenes Handy mit einem spärlichen Guthaben für Notfälle. Diese Tatsache hatte uns allerdings nicht davon abgehalten, die paar Euros, die drauf waren, zu investieren um uns Möbel, Haustiere und coole Deko für unseren eigenen Chatroom im HabboHotel zu kaufen.
Wir verplemperten den ganzen Tag vor dem Computer und ich ging nur widerwillig wieder nach Hause als es zu spät geworden war, um noch länger bei ihr zu bleiben und weiter Freundschaften im HabboHotel zu knüpfen.
Mein Computer war nicht annähernd so gut und schnell wie der meiner Nachbarin und es dauerte immer ewig, bis er hochgefahren war und noch eine Ewigkeit länger, bis das Internet funktionierte. Ich weiss noch, wie ich hibbelig auf meinem Bürostuhl rumturnte und genervt meinen Computer anflehte, endlich vorwärts zu machen. Ich musste unbedingt wieder in dieses HabboHotel. Als es endlich soweit war, überlegte ich kurz ehe ich mich dazu entschied, ich könnte mir einen eigenen Habbo erstellen. Stolz bewunderte ich meine Figur und benannte sie nach meinem aktuellen Lieblingsanime. Jeanne D’Arc.
Aufgeregt stürmte ich gleich in die ersten paar Räume, die ich schon mit meiner Nachbarin ausgecheckt hatte. Leider musste ich feststellen, dass es zu zweit mehr Spass machte als alleine und als es noch später geworden ist, sass ich fast komplett alleine in der Habbo Lobby.
Ich war enttäuscht. Sehr sogar. Das Chatten fiel mir nicht leicht, ich wurde oft ignoriert oder aus dem Raum gemobbt. Im Gegensatz zu meiner Nachbarin war ich weniger geschickt darin, mich interessant zu machen und mich einzubringen. Chatten sah bei ihr immer so leicht aus. Sie knüpfte Freundschaften in wenigen Sekunden und ich schaffte es in der gleichen Zeit mir Feinde zu machen.
Ich klickte auf meinem Handy rum und wollte mein letztes Guthaben für ein weiteres Haustier ausgeben, hielt aber inne als ein anderer Habbo die Lobby betrat. Er setzte sich zu mir aufs Sofa. Eigentlich wollte ich ihn gleich begrüssen, entschied mich aber, nach all den Niederlagen, die ich bereits kassiert hatte, es sein zu lassen. Mein Selbstbewusstsein hatte sich, wie das Geld auf meinem Handy, aus dem Staub gemacht. Ich starrte auf den Bildschirm und als plötzlich ein Balken mit einem „Hallo“ auftauchte, war ich ganz aus dem Häuschen. Prompt antwortete ich ebenfalls mit einem „Hallo“.


KillNathan: „Na Süsse, ganz alleine so spät hier noch unterwegs?“
Jeanne D’Arc:  „Ja“
KillNathan: „Ich mag es, wenn es ruhiger hier wird.“
Jeanne D’Arc: „Hihi“
KillNathan: „Hast du einen eigenen Raum?“
Jeanne D’Arc: „Ja“
KillNathan: „Wollen wir zu dir gehen? Etwas privater ;)“
Jeanne D’Arc: „Hehe, ich hab aber nicht viel Möbel “
KillNathan: „Das macht nichts, Süsse.“
Jeanne D’Arc: „OK, bis dann!“

Ich strahlte meinen Computer an. Endlich chattete jemand mit mir! Ich klickte auf meinen Raum und betrat ihn. Wenige Sekunden später tauchte der Habbo aus der Lobby neben mir auf.

KillNathan: „Du hast sogar ein Haustier, der ist ja süss.“
Jeanne D’Arc: „Hihi“
KillNathan: „Wie wäre es, wenn du den Raum mit einem Passwort sicherst? Dann sind wir  ungestört. Nur du und ich. Ich mag es nicht, wenn es zu voll wird.
Jeanne D’Arc: „OK.“


Ich dachte mir nichts dabei und sicherte der Raum mit einem Passwort. Das Haustier, ein Kater, den ich Mauzi genannt hatte, tappste um uns rum und ich drücke auf meinen Habbo und lies ihn tanzen. Sein Habbo winkt und tanzt mit. Ich weiss noch, wie ich an der Stelle kichern musste. Wir tanzten synchron in einem leeren Raum mit einem Kater, der die ganze Zeit um uns rumwuselte. Als Kind war ich einfach zufriedenzustellen.

Jeanne D’Arc:  „Ok, hat jetzt ein Passwort.“
KillNathan: „Gut, dann ist das nun unser eigener kleiner Raum. ;)
Jeanne D‘Arc: „Hihi“
KillNathan: „Jeanne D’Arc, ein sehr interessanter Name…“
Jeanne D’Arc: „Kennst du den Anime???“
KillNathan: „Nein. Wie alt bist du denn meine Süsse?“
Jeanne D’Arc: „16 (…, log ich)und du?“
KillNathan: „Etwas älter ;)“
Jeanne D’Arc: „Wie alt?“
KillNathan: „Du bist aber ein neugieriges Kätzchen, ich bin 36. Bin ich dir zu alt?
Jeanne D’Arc: „Nein, ich glaube nicht.“

Natürlich war ich enttäuscht, dass mein Gegenüber bereits schon so alt war. Aber andererseits, wir chatteten ja nur und ich freute mich, dass sich endlich mal jemand mit mir unterhielt. Ausserdem schien es ihn auch nicht zu stören, dass ich angegeben hatte erst 16 zu sein. Er musste ja nicht erfahren, dass ich um einiges jünger bin, als ich vorgegeben hatte zu sein.

KillNathan: „Phuh, da bin ich aber erleichtert. ;)
Jeanne D’Arc: „Und wie siehst du aus?“
KillNathan: „Du bist aber neugierig. Das ist nicht relevant. Aber du darfst mir gerne erzählen, wie du aussiehst.
Jeanne D’Arc: „rote lange Haare, grüne Augen, schlank, sportlich, ca. 1.70m gross
KillNathan: „Das ist aber hübsch.“
Jeanne D’Arc: „Danke.“

Wieder log ich. Anstelle ihm zu erzählen, wie ich wirklich aussah, schilderte ich ihm, wie ich gerne aussehen würde, um mich interessanter zu machen. Das ist das Schöne am Internet, man kann sein, wer man will, keiner würde es herausfinden. Dort, wo die Realität einem Grenzen setzt, reisst das Internet die Mauern ein.

KillNathan: „Und was macht eine hübsche 16-Jährige um diese Uhrzeit?“

Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits 11 Uhr abends. Meine Eltern schliefen schon und sie würden mir wahrscheinlich die Hölle heiss machen, wenn sie wüssten, dass ihre Tochter um diese Uhrzeit noch am Computer klebte und mit einem Mann chattete. Wow, ich chatte mit einem Mann. Irgendwie schon ziemlich aufregend.

Jeanne D’Arc: „Chillen und du?“
KillNathan: „Soso, chillen. Ich wollte mich gerade hinlegen und dann traf ich auf dich. Wie wäre es wenn wir uns morgen wieder hier in diesem Raum treffen?

Ich stimmte zu und gab ihm das Passwort für meinen Raum. Als er sich ausloggte, klickte ich ebenfalls den Ausschaltknopf meines Computers und legte mich ins Bett. War das ein Date? Ich erinnere mich noch, wie ich die Decke angestarrte und mit einem Grinsen im Gesicht einschlief. Schon praktisch, dass der Computer damals noch in meinem Zimmer stand.

Am nächsten Tag war die Euphorie so schnell verschwunden, wie sie gestern Nacht gekommen war. Ich öffnete die Augen, als Mama mich mit einem Lächeln im Gesicht weckte. Wie jeden Morgen brachte sie mir mein Frühstück ins Bett. Selbstgeschmierte Brote und dazu ein Saft.
Mein Bauch schrie förmlich vor Hunger und als ich mich vom Essen wegdrehte, rebellierte er noch lauter unter dem Motto, wie kannst du es nur wagen, mich nicht zu füttern! Es gab einen Grund und es war jeden Morgen derselbe Grund. Ich wollte nicht in die Schule und um zu erreichen zu Hause bleiben zu dürfen, täuschte ich Bauchschmerzen vor.
Da mich meine Mutter aber schon mein ganzes Leben lang kannte, wen wundert’s, hatte sie meinen Versuch direkt durchschaut.
Eine Stunde später stand ich dann ausgerüstet mit meinem Schulranzen vor der Türe meiner Schule. Ich fühlte mich unwohl und mied die Blicke der anderen Schüler und sprintete so schnell wie es ging, auf die Schultoilette und verschanzte mich auf dem Klo.
Als ich mich vergewissert hatte, dass die Luft rein war, kramte ich meinen Pinguin aus dem Schulranzen, drückte mein Gesicht in sein plüschiges Fell und fing an zu weinen. Ich wollte nicht hier sein. Nicht hier, wo mich keiner zu mögen schien.
Ich hatte das Pech, dass ich im Kindergarten von einem Mädchen als Opfer auserkoren worden war und seit dem hänselten sie und ihre Armee des Grauens mich jeden Tag. Beim Klingeln der Schulglocke schreckte ich auf und spürte, wie mir die Nervosität und Angst den Hals zuschnürte und mich zu ersticken drohten. Hitze strömte durch meine Glieder und ich rieb mir die Tränen aus den Augen. Du schaffst das schon. Du hast es immer geschafft. Die innere Stimme in meinem Kopf war stets positiv und versuchte die Hoffnungslosigkeit zu verbannen. Meistens erfolglos aber an manchen Tagen lies ich mich auch gerne von ihr täuschen.
Die Schulglocke erklang und ich spürte jedes Intervall durch meine Knochen strömen. Zitternd öffnete ich die Toilettentür, wartete ein paar Minuten, ehe ich keine Fussschritte mehr draussen auf dem Gang ausmachen konnte, und schlich mich die Treppe hoch zum Klassenzimmer. Kurz vor dem Ziel fing mich Don ab. Er grinste breit und obwohl er mindestens einen Kopf kleiner war als ich, hatte ich Angst vor ihm. Ich versuchte an ihm vorbeizukommen aber er packte mich am Arm, ballte seine Hand zur Faust und schlug sie mir in den Bauch. Ein einzelner Schlag, mit so einer Härte, dass ich nach Luft schnappen musste und mich krümmte.
„Du bist fett!“
Ich ging in die Knie und versuchte, die Tränen, die im Anmarsch waren zu unterdrücken. Don ging lachend ins Klassenzimmer. Dieser Schlag in den Bauch gehörte zu seiner morgendlichen Routine, wie andere ihr Croissant assen, nährte sich Don an meinem Schmerz.
Auch wenn dieser Schlag gezwungenermassen zu meiner Routine gehörte, gewöhnte ich mich trotzdem nicht daran. Die einzigen Orte, an denen ich mich an dieser Schule sicher fühlen konnte, waren die Schultoilette und das Klassenzimmer.
Ich war eine gute Schülerin, ich lernte gern und es machte mir Spass. Jedes Mal sobald der Unterricht losging, fühlte ich mich pudelwohl.
Nach ein paar Stunden Unterricht erklang erneut die Schulglocke und läutete die große Pause ein. Für mich war das der Horror und löste in mir Angstzustände aus, die ich sonst nur aus schrecklichen Filmen kannte.
Ich wartete ab, bis alle Schüler das Klassenzimmer verlassen hatten und begab mich dann widerwillig von dem einen Rückzugsort zum Nächsten. Die Schultoilette. Gleiches Spiel, warten bis die Luft rein war, Pinguin knuddeln, weinen und versuchen unbeschadet das Klassenzimmer zu erreichen, sobald die Glocke klingelte.
Die letzte Hälfte des Unterrichts ging schnell vorüber. Mathematik, mein absolutes Lieblingsfach. Ich liebte es mit Zahlen zu arbeiten, darin war ich zu der Zeit noch Profi und teilte mir den Platz als Klassenbeste ausgerechnet mit dem Mädchen, dass keine Gelegenheit ausliess, mich bis aufs Blut zu schikanieren.
Dieses Mädchen war ein Profi, in allem was sie tat und obwohl ich sie durchschaut hatte, wehrte ich mich nicht und liess geschehen, was auch immer sie mir antun wollte. So erpresste sie mich damals im Kindergarten ihre Freundin aka Sklavin zu werden. Sie erzählte mir schlimme Dinge über meine Eltern, behauptete bei der Geburt wäre meine Zwillingsschwester, die nie existiert hatte, gestorben und meine Mutter würde mich dafür hassen. Ich war jung, klein und unerfahren, ich glaubte ihr und als begriff, dass sie mich angelogen hatte, war es bereits zu spät und sie hatte sich andere Druckmittel zugelegt. Ich war ihr Hund mit einem viel zu engen Halsband und einer Leine, die sich auf ein Fingerschnippen in ein Strick verwandeln konnte.
Tragischerweise war ich nicht die Einzige, die sie in Ketten gelegt hatte. Der gesamte Schulhof war ihr untergeben. Gegen jeden hatte sie was in der Hand und jeder tanzte nach ihrer Pfeife. Keiner wehrte sich und keiner hinterfragte, was sie tat. Sie war und ist die Meister der Manipulation.

Ich war froh, als die Klingel ein letztes Mal ihren Dienst tat und den Schulschluss ankündete. Alle stürmten aus dem Klassenzimmer bis auf zwei andere Mädchen und ich. Nervös packte ich mein Etui in den Rucksack mit Ponymotiv und begab mich ebenfalls aus dem Klassenzimmer. Der Pausenhof war leer und ich war erleichtert, dass Don und sein Trupp bereits weg waren. Ich wägte mich in Sicherheit als sich plötzlich ein Mädchen von hinten an mich ranschlich und mir zwischen die Beine griff. Perplex drehte ich mich um und starrte sie an und sie grinste ihr dümmliches Grinsen, dass sie immer grinste. Sie war erst seit kurzem in unserer Klasse und im Gegensatz zu mir bereits 16 Jahre alt. Sie war so oft sitzengeblieben und wechselte dann von der Sonderschule zu uns in die Klasse.
Sie griff mir erneut zwischen die Beine und es tat weh, also versuchte ich sie von mir wegzuschubsen. Der Versuch spornte sie zu einem noch breiteren Grinsen an und sie nutzte ihre Körperfülle um mich gegen eine Wand zu stossen. Ich fuchtelte wild um mich und begriff nicht, was dieses Mädchen mit mir vorhatte. Gerade in dem Moment, wo ich mit meinen Bein gegen sie treten wollte, tauchte ein Lehrer auf und sie liess von mir ab. Mit hochrotem Kopf nutzte ich die Gelegenheit, schoss an ihr vorbei und rannte nach Hause.

Mama war noch nicht zuhause, aber Papa. Ich war meinen Schulranzen in eine Ecke und setzte mich an den Computer. Dieser brauchte wieder eine gefühlte Ewigkeit um hochzufahren also holte ich mir einen Pudding aus dem Kühlschrank.
Ob wohl der Habbo von letzter Nacht sein Wort hielt und wieder in meinem Raum auf mich wartete? Wir hatten gar keine Uhrzeit abgemacht. Ich warf einen Blick in meine Freundesliste. Er war nicht online. Enttäuschung stieg in mir auf. Vielleicht war er nur abends da. Ich beschloss, nochmal die Räume abzuklappern und auf ihn zu warten.
Nach dem Abendessen war es dann soweit. KillNathan war online und wartete in meinem Raum auf mich.


KillNathan: „Hallo Kätzchen, hattest du schönen Tag?“
Jeanne D’Arc: „Geht so und du?“
KillNathan: „Erzähl“

Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Sollte ich ihm wirklich erzählen, was heute passiert war? Einem wildfremden Mann beichten, was für eine unsagbare Null ich war?


Jeanne D’Arc: „Lieber nicht.“
KillNathan: „Es geht dir danach bestimmt besser. Wenn du willst, darfst du mir danach auch eine Frage stellen und ich werde sie beantworten. Ganz egal, was für eine Frage du wählst. ;)“

Eine Frage stellen? Ganz egal welche? Prompt wurde mein Kopf mit potenziellen Fragen durchflutet. Der Reiz, jemanden eine x-beliebige Frage zu stellen, war verlockend. Er hatte den Köder ausgeworfen und ich biss willig hinein. Was hatte ich schon zu verlieren. Ich war anonym. Also erzählte ich ihm von meinem Tag. Erzählte ihm mehr als ich eigentlich wollte und es fühlte sich wirklich gut an. Ähnlich wie wenn man Tagebuch schreibt nur dass hinter diesem Tagebuch ein Mensch steckt. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, der mir gerade nur zuhörte. Natürlich liess ich aus, dass ich in der Schultoilette geweint hatte und immer noch mein Stofftier mitnahm. Das passte nicht zu dem Bild, dass ich ihm am Vortag vermittelt hatte, es passte nicht zu einer hübschen 16-Jährigen. Es passte zu einem hässlichen Entchen, das niemand leiden kann.

KillNathan: „Süsse, du tust mir unendlich leid. Du brauchst einen Beschützer.“
Jeanne D’Arc: „Einen Beschützer?“
KillNathan: „Eine Fynn“
Jeanne D’Arc: „Du kennst den Anime doch!“
KillNathan: „Ein hübsches Mädchen meinte gestern zu mir, dieser Anime wäre sehenswert.
Jeanne D’Arc: „Ich?“
KillNathan: „Ja, natürlich du. Hast du dir bereits eine Frage ausgesucht?“

Ich überlegte scharf. Es war schwierig aus hunderten von Fragen eine herauszufiltern, die ebenbürtig mit dem war, was ich gerade von mir preisgegeben hatte. Also beschloss ich, eine auszuwählen, die mir ein Bild davon geben würde, mit wem ich da chattete.


Jeanne D’Arc: „Ich habe eine Frage.“
KillNathan: „Gut, hast du MSN? Das ist etwas persönlicher ;)
Jeanne D’Arc: „Ja habe ich.“

Wir tauschten unsere MSN-Adressen aus und sobald ich ihn zu meinen Kontakten hinzugefügt hatte, verschwand sein Habbo aus meinem Raum.
Ich öffnete das Chatfenster und warf einen Blick auf sein Anzeigebild. Er hatte ein Bild von einem knallroten Apfel drin. Ich war froh darüber, dass ich bei mir nur ein Foto von einer Katze drin hatte, da ich ihn ja bereits angelogen hatte bezüglich meines Aussehens.

Nathan: „Süsse? Stell deine Frage.“
Ich: „Wie siehst du aus?“
Nathan: „Ist das wirklich deine Frage? ;) Du lässt nicht locker Kätzchen.“
Ich: „Du hast mir versprochen, dass du die Frage beantwortest!“
Nathan: „braunhaarig, grüne Augen, gross, schlank“
Ich: „Hast du ein Foto?“
Nathan: „Ja.“
Ich: „Zeig mal.“
Nathan: „Das willst du nicht sehen, glaube mir Kätzchen.“
Ich: „Warum nicht?“
Nathan: „Wie ich bereits sagte, ich bin ein alter Mann im Gegensatz zu dir. ;)“
Ich: „Das stört mich aber nicht.“
Nathan: „Ich verspreche dir, wenn du in der Schule genauso viel Hartnäckigkeit zeigst wie hier, werde ich dir ein Foto schicken.“
Ich: „Das geht nicht.“
Nathan: „Es gibt immer einen Weg.“

Er liess sich nicht überreden mir ein Foto von sich zu schicken und ich gab auf. Stattdessen redeten wir über meinen Lieblingsanime. Zu meinem Erstaunen hatte er sich bereits einige Folgen angesehen und sich sogar schon eine eigene Meinung zu dem Anime gebildet. Er war, wie ich begeistert von Jeanne.

Nathan: „Irgendwann bist du genauso stark, bereit, unbesiegbar, entschlossen und mutig wie sie Süsse. Schön bist du ja bereits ;)
Ich: „Du bist doof.“
Nathan: „Doof? Immer so frech. Wenn du nicht an dich glaubst, tue ich es eben für dich.“
Ich: „Das heisst du bist meine Fynn?“
Nathan: „Ich kann deine Fynn sein, wenn du willst.“

Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Er hatte angeboten meine Fynn zu sein. Es mag lächerlich klingen, aber dieser Satz bedeutete die Welt für mich in diesem Moment. Die Zeit verging wie im Flug und ich spürte, wie meine Wange anfing zu schmerzen, so sehr lächelte ich. Trotz des Altersunterschiedes fühlte es sich an, als wären wir auf eine seltsame Art und Weise verbunden. Kurzum, ich war total im Nathan-Fieber, bis meine Mutter um zwei Uhr morgens wie ein Zäpfchen aus der Tür geschossen kam und den Stecker des Computers zog.
Wir brüllten uns an. Sie, weil ich um diese Uhrzeit noch am Computer war und ich, weil sie mir nicht mal die Chance gegeben hatte, mich von Nathan zu verabschieden.
Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich diese Nacht heulend und strampelnd im Bett lag und mich fühlte wie ein Junkie auf Entzug.

Am nächsten Morgen war Mama so sauer auf mich, dass sie mir kein Frühstück ans Bett brachte und ich mir selbst ein Brot schmierte. Als ich in ihr wütendes Gesicht blickte, wagte ich es erst gar nicht die Bauchschmerz-Nummer abzuziehen und machte mich ohne Widerstand auf den Weg zu meiner ganz persönlichen kleinen Hölle, die Schule.
Ich war froh, dass das Mädchen von gestern beschlossen hatte, einen Bogen um mich zu machen und stattdessen an einer anderen klebte. Im Augenwinkel konnte ich erkennen, wie sie dieser einen 50 Euro Schein zusteckte. Ich wusste, warum sie das tat. Es war ihre Art an Freunde zu kommen. Sie bezahlte. Woher sie das Geld hatte war schleierhaft. Entweder hat sie es geklaut oder es von ihrem zwielichtigen Bruder bekommen.
Letztes Jahr wurde er von der Schule verwiesen, weil er sturzbetrunken ein Mädchen mit einem Messer angegriffen und dieses schwer verletzt hatte. Einige waren geschockt, andere hatten es vorhergesehen. In dieser Familie waren Gewalt und Drogen an der Tagesordnung. Jeder wusste es und keiner sah es als ein Problem an, bis zu besagtem Vorfall.
Als sie bemerkte, dass ich sie anstarrte, grinste sie mich verschlagen an, bis ich den Blick abwandte und mich auf direktem Weg zur Schultoilette begab.
Die Glocke posaunte durch die Flure und nach Dons und meiner morgendlicher Routine waren alle Schüler im Klassenzimmer versammelt. Der Unterricht begann. Wir hatten Deutsch und der Lehrer kritzelte uns die Zeiten an die Wandtafel, aber ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, was er versuchte uns beizubringen. Zu sehr war ich mit meinen Gedanken ganz woanders. Ich war bei Nathan und machte mir Sorgen, ob er beleidigt war, weil ich gestern einfach so verschwunden war. Ob er heute wieder online sein würde? Ich hoffte es.
Das Klingeln riss mich aus meinen Gedanken und ich spürte, wie mein Körper automatisch anfing zu zittern. Mein Körper reagierte schneller als mein Verstand auf das Geräusch, dass die Pause einläutete.
Die Schüler stürmten aus dem Klassenzimmer. Ich stand ebenfalls auf und wollte mich auf die Schultoilette verziehen. Kurz vor meinem Ziel fing mich mein Klassenlehrer ab und meinte, ich solle doch mit den anderen auf den Schulhof gehen. Er schubste mich vor sich her und schloss die Eingangstür ab, sobald ich draussen auf dem Hof stand.
Entsetzt blickte ich ihm nach und schluckte. Warum tat er mir das an? Da stand ich nun, mitten auf dem Pausenhof, den Löwen zum Frass vorgeworfen. Ich versuchte mich ganz klein zu machen, was schwer war, da ich ziemlich gross für mein Alter war.
Meine Augen suchten den Pausenplatz ab. Überall waren Schüler. Beim Karussell erblickte ich Don also beschloss ich, mich in die andere Ecke des Pausenhofs zu verziehen und setzte mich auf ein Mäuerchen neben den Picknicktischen. Dort spielten ein paar Mädchen Rollenspiele. Nervös krümelte ich mein Sandwich aus seiner Verpackung und biss hinein.
Es dauerte nicht lange, bis jemand auf mich aufmerksam wurde. Maria spähte zu mir herüber zog die anderen Mädchen zu sich ran, beobachte mich über ihre Köpfe hinweg und flüstere ihnen etwas zu. Die anderen Mädchen drehten sich nun ebenfalls zu mir um und warfen mir einen abschätzigen Blick zu. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und nahm einen weiteren Bissen. Das Sandwich hatte einen bitteren Beigeschmack.
Eines der Mädchen kam auf mich zu und schubste mich. Ein anderes riss mir mein Sandwich aus der Hand und schmiss es auf den Boden. Ich weigerte mich ihnen ins Gesicht zu schauen, aber den Schuh, der nun auf meinem Sandwich rumtrampelte, erkannte ich. Es war der Schuh der selbsternannten Königin über den Schulhof. Maria.
Die Tränen rannen über mein Gesicht ehe ich sie stoppen konnte und ich hörte wie Maria lachte und zu den anderen sagte, ich sei eine blöde fette Kuh. Diese kicherten. Maria wollte zum nächsten Schlag ansetzen und berührte mich an der Schulter. Die Pausenglocke ertönte und erlöste mich. Marias Clique drehte sich um und ging Richtung Schulgebäude. Maria stand immer noch vor mir, ging in die Hocke und flüsterte mir zu: „Nochmal Glück gehabt.“, ehe sie den anderen nachrannte und sich bei ihnen einhakte.
Zum Glück war es Mittwoch und wir hatten am Nachmittag frei. Das war der erste Tag, an dem ich vor allen anderen aus dem Klassenzimmer stürmte und nach Hause rannte. Ich schmiss meinen Schulranzen in eine Ecke und setzte mich an den Esszimmertisch. Mama war bereits zuhause und kochte. Ihre Stimmung war deutlich besser als am Morgen und ich war froh darüber.
Als das Essen fertig war, setzte sie sich zu mir an den Tisch und wir assen gemeinsam. Das war eine Seltenheit. Normalerweise ass ich vor dem Fernseher und schaute Animes.
„Wie war die Schule?“, fragte sie mich.
„Ganz gut.“
„Hast du Hausaufgaben?“
„Nur ein bisschen Mathe.“

Für den Nachmittag hatte ich mich mit meiner Nachbarin verabredet und wir spielten auf ihrer Nitendo64 Mario Kart und assen Chips. Ihre Mutter hatte mir eine Tafel Schokolade bereit gelegt. Bella war ein Jahr älter als ich und auch eine Klasse über mir. Obwohl wir an die gleiche Schule gingen, hingen wir nie zusammen auf dem Pausenhof ab.
Als ich damals im Kindergarten mit Maria noch zwangsbefreundet war, hatte diese versucht, einen Keil zwischen meine Nachbarin und mich zu treiben und es mit ein wenig Erpressung beinahe geschafft. Maria wollte mich für sich alleine haben, da waren keine anderen erlaubt. Jeder der es wagte, mich näher kennenlernen zu wollen, wurde bestraft. Sie zwang mich zu Dingen, die ich nicht wollte und es fühlte sich an, als wäre ich ihre Marionette. Sie zog die Fäden und ich tat willenlos, was sie von mir forderte.
Erst als sie es geschafft hatte, sich bei den beliebten Mädchen einzuschleimen und diese zu sabotieren, liess sie mich fallen und ich war froh darüber. Lieber war ich ihr Opfer als ihre Marionette. Lieber einsam als an sie gebunden.

Abends setzte ich mich wieder an den Computer und startete MSN. Nathan war online. Aufgeregt rutschte ich auf meinem Stuhl rum und wartete darauf, dass er mich anschrieb, aber er tat es nicht. Sollte ich ihn anschreiben?
Ich loggte mich im Habbo Hotel ein. Auch dort war er online aber nicht in meinem Raum. Eventuell war er in der Lobby? Bingo. Er sass auf einem der Sofas und unterhielt sich mit einem anderen Habbo der neben ihm sass. Sie redeten über Musik. Sollte ich mich einfach danebenstellen und mitchatten?

In dem Moment tauchte ein Chatfenster von MSN auf.

Nathan: „Beobachtest du mich?“
Ich: „Nein.“

Mitten im Gespräch mit dem anderen Habbo, verschwand Nathans Habbo plötzlich vom Bildschirm. Ich schaute in meine Freundesliste und sah, dass er offline gegangen war.

Ich: „Warum bist du offline?“
Nathan: „Lügnerin ;)“
Ich: „Gar nicht wahr.“
Nathan: „Ich bin offline, weil du jetzt da bist. Ich habe auf dich gewartet.“
Ich: „Wirklich?“
Nathan: „Wie war dein Tag, Kätzchen.“

Mein Herz klopfte in der Brust wie wild und ich freute mich, dass er mir nicht böse war aber war gleichzeitig auch verwirrt, warum er nicht nachfragte, weshalb ich gestern so plötzlich weg war.


Ich: „Darf ich wieder eine Frage stellen, wenn ich es dir erzähle?“
Nathan: „Hahaha, ich mag es, dass du so neugierig bist.“
Ich: „Ist das ein ja?“
Nathan: „Du darfst mich fragen, was immer du willst.“

Ich kicherte amüsiert und erzählte ihm, was mir heute passiert war. Im Gegenteil zu gestern, erzählte ich ihm die ganze Wahrheit und liess kein Detail weg. Ich vertraute ihm, er war meine Fynn und es war befreiend, es loszuwerden, es mit jemandem zu teilen.

Nathan: „Du musst dich wehren, Kätzchen.“
Ich: „So bin ich nicht.“
Nathan: „Stell deine Frage.“
Ich: „Bist du verheiratet?“
Nathan: „Du stellst komische Fragen. Nein bin ich nicht.“
Ich: „Warum nicht?“
Nathan: „Das ist nicht mein Ziel.“
Ich: „Was ist denn dein Ziel?“
Nathan: „Immer so neugierig.“
Ich: „Du weisst so viel über mich und ich gar nichts über dich.“
Nathan: „Vielleicht ist es besser so.“
Ich: „Das finde ich unfair.“
Nathan: „Die Welt ist nicht immer fair, Süsse.“
Ich: „Dann erzähle ich auch nichts mehr.“
Nathan: „Soll ich dir jetzt drohen, dass du dann auch keine Fragen mehr stellen darfst?“
Ich: „Mach doch.“
Nathan: „Werde ich nicht, dafür mag ich dich viel zu sehr.“

Eine Woche später hatte ich Geburtstag und meine Eltern hatten eine Party für mich organisiert und luden alle Schüler aus meiner Klasse ein. Das tut man eben, hatten sie gesagt und gedacht ich würde mich darüber freuen.
Wir feierten die Party auf unserem Hausplatz. Mama legte Spiele bereit und Papa grillte. Ich war überrascht, als wirklich meine komplette Klasse auftauchte und gleichzeitig eingeschüchtert. Es fühlte sich falsch an, Leute, die mich sonst so ausschlossen und schikanierten mit meinen Spielsachen spielen zu sehen.
Als wir alle zusammen an einem Tisch sassen und Kuchen assen, packte ich ein paar Geschenke aus. Über einige konnte ich mich sogar freuen. Ich blühte etwas auf und das anfängliche Unbehagen wich. Maria meinte, nachdem sie ihr Stück Kuchen verspeist hatte, dass wir Flaschendrehen spielen sollten. Die anderen waren begeistert von der Idee, nur ich sass da mit einem gewaltigen Kloss im Hals und spürte, wie eiskalter Angstschweiss meinen Rücken hinunterrann.
Mama war mit dem Abwasch beschäftigt und Papa zog sich zurück in sein Zimmer. Wir waren also unbeaufsichtigt. Wir setzten uns alle im Kreis auf den Hausplatz und Maria schnappte sich eine Petflasche vom Tisch.
„Alle kennen die Regeln oder?“
Die meisten nickten und Don brüllte: „Wer kennt die nicht!“ Maria kicherte und warf mir einen angriffslustigen Blick zu. Ich schluckte.
„Wir spielen es aber ein bisschen anders. Wie Wahrheit oder Pflicht.“
Maria schaute in die Runde und drehte die Flasche. Ängstlich sah ich der Flasche zu, wie die Öffnung von Kind zu Kind hüpfte und betete, dass sie nicht bei mir stehen blieb. Tamara war an der Reihe. Sie wählte Pflicht und Maria befahl ihr Don zu küssen. Als sie es tat, schrien alle miteinander „iiiiiiihhh“ und brachen in Gelächter aus. Ich war heilfroh, dass ich nicht Don küssen musste und bedauerte Tamara zutiefst. Don schien sichtlich erfreut zu sein.
Tamara drehte die Flasche und beim dritten Mal Drehen, blieb die Öffnung schliesslich bei mir stehen. Alle Augen waren auf mich gerichtet und ich fühlte mich wie ein Zootier, dass gleich mit Steinchen beworfen wird. Maria krabbelte auf die Flasche zu und nahm sie an sich. Gerade als Wanda mich Wahrheit oder Tat fragen wollte, ergriff sie das Wort.
„Ich will, Wahrheit oder Pflicht?“ Sie funkelte mich an.
„Wah-…hrheit“, stottere ich.
„Laaaaaaangweilerin, na gut, in wen bist du verliebt?“
Das Chatfenster mit dem roten Apfel als Anzeigebild tauchte vor meinem inneren Auge auf und meine Wangen glühten. Ich würde ihnen garantiert nicht von Nathan erzählen, also schaute ich einmal in die Runde. Wir hatten in der Klasse nur zwei Jungs, Don und Justus. Meine Entscheidung fiel auf Justus und ich zeigte mit dem zitternden Finger auf ihn. Er lief genauso rot an wie ich und im Augenwinkel sah ich Marias bösartiges Grinsen.
„Oooooooooh…… wie süss! Schaut mal wie rot beide sind!“
Alle lachten und ich merkte wie Justus mit mir litt. Er hat mir nie was angetan und es tat mir unheimlich leid, dass ich ihn zu mir in den Käfig holte und wir beide nun blossgestellt waren. Alle kicherten und Don schubste seinen Kumpel von sich weg.
„Wir haben hier ein Liebespaar!“, säuselte Maria, stand auf, nahm mich am Arm und zog mich zu Justus herüber.
„Ich glaube die beiden brauchen eine Abkühlung!“ Alle stimmten mit ein. Marias Handlanger nahmen mich und Justus am Arm und zogen uns ins Badezimmer. Maria stürmte an uns vorbei, machte die Dusche an und stieß mich unsanft darunter, so dass ich meinen Arm an den Fliessen aufschlug.
Ich versuchte mich zu wehren, während das kalte Wasser auf meinen Körper prasselte. Vor Wut und Kälte zitterte ich am ganzen Körper. Justus wurde von den anderen immer noch festgehalten und alle Augen waren auf mich gerichtet. Die perfekte Bühne für Maria. Sie ergriff die Gelegenheit und riss mir mein Kleid vom Körper und ich stand halbnackt vor der Hälfte meiner Klasse, die mich alle auslachten. Maria grinste zufrieden und ich kann mich nur noch daran erinnern wie ich schrie und in Tränen ausgebrochen bin.
Der Computer summte und ich war froh, wieder in die Welt des Internets flüchten zu können. Ein neuer Rückzugsort und ein Ort, wo dir die Anonymität Sicherheit und Geborgenheit vorgaukelte. Ich öffnete MSN und erblickte den knallroten Apfel in meiner fast leeren Kontaktliste.


Ich: „Hallo“
Nathan: „Happy Birthday, Süsse.“
Ich: „Woher weisst du, dass ich Geburtstag habe?“
Nathan: „MSN hat mir dein Geburtsdatum verraten.“
Ich: „Wo?“
Nathan: „Keine Angst, ich bin dir nicht böse, dass du mich angelogen hast.“
Ich: „Warum nicht‘“
Nathan: „Das Alter spielt bei uns keine Rolle, oder? ;)“
Ich: „Bin ich dir nicht zu jung?“
Nathan: „Du hast Angst, dass du mir zu jung bist? Und das fragst du einen alten Mann.“
Ich: „Ist das falsch?“
Nathan: „Nur, wenn es sich für dich falsch anfühlt.“
Ich: „Tut es nicht.“
Nathan: „Hattest du einen schönen Geburtstag Kätzchen?“


Prompt füllten sich meine Augen wieder mit Tränen und ich zögerte einen Moment, ihm zu erzählen, was passiert war, so sehr schämte ich mich.


Nathan: „Du tust mir so leid. Kann ich versuchen, deinen Geburtstag zu retten?“
Ich: „Das ist nicht möglich.“
Nathan: „Hmm… lass mich überlegen. Ich hab’s. Wünsch dir was Kätzchen.“

Ich überlegte. Was sollte ich mir wünschen? Mein Blick fiel auf die halbleere Plastikflasche auf meinem Schreibtisch und mir kam eine Idee.

Ich: „Verrate mir dein schlimmstes Geheimnis.“
Nathan: „Mein schlimmstes Geheimnis?“
Ich: „Ja.“
Nathan: „Das ist ein sonderbarer Wunsch. Willst du das wirklich wissen?“
Ich: „Ich will alles über Dich wissen.“
Nathan: „Ich liebe deine Neugier…“
Nathan: „Bist du gerade allein?“
Ich: „Meine Eltern sind bereits im Bett.“
Nathan: „Kannst du die Tür abschliessen?“
Ich: „Nein, ich habe den Schlüssel nicht.“
Nathan: „Stell ein Stuhl unter die Türklinke.“
Ich: „Du machst mir Angst.“
Nathan: „Sollen wir abbrechen?“
Ich: „Nein, warte“
Nathan: „Sag, wenn du soweit bist.“
Ich: „Bin bereit.“
Nathan: „Das fällt mir schwer, Kätzchen.“
Ich: „Trau dich, so schlimm kann es nicht sein.“

Nathan schickte mir eine Datei. Neugierig öffnete ich sie und erstarrte. Meine Brust schmerzte und in mir begann sich alles zusammenzuziehen. Es fühlte sich an, wie ein Kartenhaus, das in sich zusammenfiel.

Ich: „Ist das deine Tochter?“
Nathan: „Nein.“

Ich war verwirrt und starrte mit glasigen Augen auf das blonde Mädchen auf dem Foto. Wer war sie? Sie war ungefähr in meinem Alter. Das Foto wurde am Strand aufgenommen.

Nathan: „Kätzchen, bist du noch da?“
Ich: „Ja, warum schickst du mir dieses Foto?“
Nathan: „Das ist mein schlimmstes Geheimnis.“
Ich: „Ich verstehe es nicht.“

Er schickte mir ein weiteres Bild. Gleiches Mädchen, andere Location. Sie lag auf einem Sofa und ass einen Joghurt und stellte sich dabei, etwas tollpatschiger an, als ich.

Ich: „Was ist mit diesem Mädchen? Wer ist sie?“
Nathan: „Ihr Name ist April.“
Ich: „Aha.“
Nathan: „Wenn ich mir dieses Foto ansehe, wird mir heiss, alles in mir spannt sich an und … es kribbelt… weiter unten…“

Ich schaute an mir herab. Fühlte er dasselbe für dieses Mädchen, was ich empfand, wenn ich mit ihm schrieb?

Ich: „Bist du… in sie verliebt?“
Nathan: „Nein.“
Ich: „Warum kribbelt es denn dann im Bauch?“
Nathan: „Du bist so niedlich. Etwas weiter unten…“
Ich: „Wo?“
Nathan: „Soll ich es dir… zeigen?“
Ich: „Ja.“
Nathan: „Aber es wäre falsch, wenn ich es tue…*
Ich: „Warum?“
Nathan: „Ich bin einer vor denen dich deine Eltern hätten warnen sollen, Kätzchen.“ 
Ich: „Aber ich vertraue dir.“
Nathan: „Du bist zu naiv, kleine Jeanne… ein naives kleines… Mädchen und Gift für mich.“

Mein Magen fühlte sich flau an. Wie meinte er das?

Ich: „Warum sagst du das?“
Nathan: „Weil… ich dich begehre. Jeanne. Du machst mich zu einem Monster. Ich muss mich beherrschen, nicht über dich herzufallen, wie ein… Tier.“

Ich las die Zeilen, immer und immer wieder und obwohl ich sie nicht verstand, fühlten sich die Worte irgendwie gut an.

Ich: „Jetzt spüre ich es auch.“
Nathan: „Was spürst du?“
Ich: „Dieses Kribbeln weiter unten.“
Nathan: „Du.. machst mich fertig.“
Ich: „Ist das schlecht?“
Nathan: „Wir müssen hier aufhören, Kätzchen.“
Ich: „Warum?“
Nathan: „Weil ich mich sonst nicht mehr zurückhalten kann.“


Gerade als ich zurück schreiben wollte, ging er, ohne ein Wort des Abschieds, offline. Prompt kehrte das flaue Gefühl im Magen zurück und das wunderbare Kribbeln verschwand so schnell wie es gekommen war.
Geknickt und wartend sass ich noch über eine Stunde am Computer in der Hoffnung sein Internet wäre kurzweilig weg und er würde wieder kommen. Aber er kam nicht. An Schlaf war nicht zu denken, tausende von Gedanken und Fragen spukten in meinem Kopf rum. Warum musste er sich zurückhalten und vor was? Warum war er offline gegangen? Hatte ich ihn etwa verärgert oder etwas Falsches gesagt? Und dieses Kribbeln.. es fühlte sich… speziell an, auf eine spezielle Art und Weise sogar sehr gut. Wenn Nathan dieses Kribbeln beim Anblick des blonden Mädchen namens April spürte und ich, wenn ich schon nur seine Worte las, musste er dieses Mädchen so sehr mögen, wie ich ihn und das brach mir das Herz.
Nathan tauchte über eine Woche nicht mehr auf. Die Schultage fühlten sich länger und schlimmer an ohne die Aussicht abends mit ihm zu chatten. Selbst die Schläge von Don taten mehr weh als sonst und ich wurde krank. Wirklich krank. Ich wollte nichts mehr essen und wenn ich es doch tat, kam es wieder hoch. Kilo um Kilo purzelte und ich fühlte mich von Tag zu Tag schlechter. Immer wieder quälte ich mich vor den Computer, nur um zu sehen, ob er online war. Aber er war es nicht. Auch nicht im Habbo Hotel.
Die Ärzte wussten nicht was mir fehlte, meine Eltern machten sich immer mehr Sorgen und ich probierte sämtliche Medikamente gegen Grippen jeglicher Art aus in der Hoffnung eines davon würde mir helfen. Das einzig Positive an der Sache war, dass ich nicht in die Schule musste und zuhause bleiben durfte.

Am Freitag war es dann soweit. Nathan war online. Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust als ich sein Chatfenster öffnete und anfing zu schreiben.

Ich: „Hallo“

Es kam keine Antwort. Nervös rutschte ich auf dem Stuhl hin und her und merkte, wie mein Magen rebellierte. Ich rannte ins Badezimmer und übergab mich mehrmals.  Mama entdeckte mich erschöpft neben der Toilette kauernd und schickte mich wieder ins Bett. Als sie wieder aus meinem Zimmer verschwunden war, schlich ich mich zurück zum Computer. Keine Antwort. Status immer noch online.


Ich: „Hallo?“

Mein Blick wechselte zwischen Chatfenster und Computeruhr hin und her und ich kugelte mich auf meinem Schreibtischstuhl zusammen. Was hatte ich falsch gemacht? Warum schrieb er nicht? Ich wischte meine Tränen an meinem Pyjama ab und beschloss, auch ohne eine Antwort von ihm, weiterzuschreiben. Er würde es lesen, da war ich mir sicher.

Ich: „Mir geht es nicht gut.“
Ich: „Ich bin krank und du fehlst mir.“
Ich: „Gehe seit einer Woche nicht mehr in die Schule…“
Ich: „Es tut mir leid, was ich geschrieben habe letztes Mal.“

Ich tippte gerade einen weiteren Satz ein als mich die Anzeige Nathan schreibt… innehalten liess.


Nathan: „Was tut dir leid, Kätzchen?“
Ich: „Das mit dem Kribbeln.“
Nathan: „Das muss dir nicht leid tun.“
Ich: „Warum nicht? Du bist einfach gegangen.“
Nathan: „Nicht deswegen.“
Ich: „Warum dann?“
Nathan: „Weil ich eine Grenze überschritten habe.“
Ich: „Ich versteh es nicht.“
Nathan: „Ich wünschte, ich könnte es dir erklären.“
Ich: „Versuch es.“
Nathan: „Kätzchen…“
Ich: „Bitte…“
Nathan: „Du bist zu jung, um es zu verstehen, zu jung und zu naiv.“
Ich: „Das sagst du oft. Erklär es mir so, dass ich es verstehe.“
Nathan: „Nur, wenn du versprichst, wieder gesund zu werden.“
Ich: „Mir geht es schon besser.“
Nathan: „Verspreche es.“
Ich: „Indianerehrenwort.“
Nathan: „Ok. Du spielst gerne mit Barbies, habe ich recht?“
Ich: „Ja.“
Nathan: „Es ist wie, wenn du eine neue Barbie bekommst und sie aus der
Schachtel nimmst. Es hat noch niemand anderes mit ihr gespielt, sie ist unberührt,
perfekt, makellos. Du willst unbedingt mit ihr spielen. Und dann tust du es. Hast   Spass mit ihr. Aber du musst zusehen, wie sie, je öfter du mit ihr spielst, kaputter und kaputter geht. Den Kopf verliert und auseinander fällt. Dann kaufst du dir eine neue und das Spiel geht von vorne los.“
Ich: „Und was hat das mit uns zu tun?“
Nathan: „Ich bin eine kaputte Barbie… und ich will dich nicht auch zu einer machen. Süsse.“
Ich: „In dem du mit mir spielst?“
Nathan: „Du hast verstanden, Kätzchen.“
Ich: „Also spielst du nur mit mir? Ich bedeute dir nichts?“
Nathan: „Du bedeutest mir zu viel, als das ich dir das antun könnte.“
Ich: „Was antun?“
Nathan: „Dich benutzen“
Ich: „Wofür?“
Nathan: „Du stellst zu viele Fragen.“
Ich: „Ich will dich nicht verlieren…“
Nathan: „Ich bin ein alter Mann, Kätzchen, ein alter und gefährlicher Mann. Diese Gefühle zwischen uns, sind falsch und ich will mehr von dir, als dir lieb ist. Glaube mir.“
Ich: „Also magst du mich.“
Nathan: „Wirst du jetzt wieder frech?“
Ich: „Ist das ein Ja?“
Nathan: „Ja. Und deswegen ist das hier ein Abschied.“
Ich: „Warte!!!!!!!!!!“
Nathan: „Worauf? Wenn wir zulange warten, kann ich für nichts garantieren. Du weisst noch nicht, wie sich Verlangen anfühlt.“
Ich: „Auf mich. Warte auf mich. Bis ich genug alt bin, für dich.“
Nathan: „Das bist du bereits. Aber es ist nicht gesund für dich und mich.“
Ich: „Dann bis es für mich gesund ist.“

Nathan liess sich nur schwer überreden. Er erzählte mir immer wieder, dass er ein Monster sei, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Wir hatten wieder regelmässigen Kontakt und die Grippe machte sich allmählich aus dem Staub. Ich musste zwar wieder in die Schule, aber sobald die Schulglocke klingelte, rannte ich nach Hause, setzte mich vor den Computer und tauchte ein in Nathans Welt. Eine Welt, wo Mädchen wie ich, nichts zu suchen hatten.

Ich: „Du schuldest mir etwas.“
Nathan: „Tue ich das?“
Ich: „Ja.“
Nathan: „Warum denn?“
Ich: „Ich habe nicht einmal geweint heute.“
Nathan: „Ich bin so unglaublich stolz auf dich, Kätzchen.“
Ich: „Also her mit dem Foto. Versprochen ist versprochen.“
Nathan: „Bist du dir sicher, dass du es sehen willst?“
Ich: „Aber logo!!!“

Er hielt Wort und schickte mir ein Foto von sich zu. Meine Augen erblickten einen grossen, schlanken Mann mit braunem lockigen Haar, leichtem Bartansatz und grünen Augen. Genau wie er sich beschrieben hatte damals. Aussergewöhnlich waren nur ein paar einzelne blonde Strähnchen, ähnliche wie ich sie selbst auch trug. Er sah sympathisch aus, nicht so, wie man sich Monster vorstellte.

Ich: „Willst du auch eins von mir?“
Nathan: „Nein.“
Ich: „Warum nicht?“
Nathan: „Weil es zu gefährlich für dich ist.“
Ich: „Nathan, du bist kein Monster!“
Nathan: „Ich bin eins.“
Ich: „Nein, bist du nicht. Du bist der wunderbarste Mensch ausgenommen von meinen Eltern auf diesem Planeten! Und auch auf dem Mars. Und dem Pluto.“
Nathan: „Soll ich es dir zeigen?“
Ich: „Was zeigen?“
Nathan: „Dass ich ein Monster bin.“
Ich: „Ja.“


Heute würde ich mir wünschen, ich hätte nein gesagt, aber die Neugier und die Überzeugung, dass Nathan nicht gefährlich sein konnte, waren zu stark. Nathan hatte Recht, ich war ein naives Mädchen.
Er nahm die Einladung an und führte mich in seine Welt. Er überflutete mich mit Fotos und Videomaterial von Mädchen in meinem Alter. Sein Lieblingsmaterial, wie er es nannte, waren aber die Fotos und Videos von April, dem blonden Mädchen.
Anfangs waren es nur Fotos von ihr im Bikini oder in Unterwäsche, dann habe ich ihr beim Spielen zugesehen und später beim Baden.
Es gab Tage, da reichte es ihm April beim Joghurt essen zuzusehen, aber dann gab es auch Tage, wo er mir Videos zuschickte, wo das Mädchen schrie und weinte. Ich verstand zwar nicht genau, was in diesen Videos passierte aber es faszinierte mich. So sehr, dass ich manche Szenen mit meinen Barbies im Bett unter der Decke heimlich nachspielte. Anstelle einer Stahlkette, nahm ich Schnur und bastelte mir weitere Werkzeuge aus Steinchen, Kleber, Stöckchen und Gummi nach. Nathans Welt war immer mehr zu meiner Welt geworden.

Im Herbst machte unsere Klasse einen zweitägigen Schulausflug mit Übernachtung in einem Hotel in den Bergen. Nathan hatte sich ein Handy zugelegt und ich war froh, dass ich ihm jederzeit simsen oder sogar anrufen konnte, wenn was wäre.
Obwohl wir schon September hatten, waren die Tage immer noch heiss. Trotzdem machten wir eine grosse Wanderung auf eine Alm. Ich fühlte mich sehr wohl und war froh, für die meisten aus meiner Klasse unsichtbar geworden zu sein.
Am Abend nach dem Essen kündigte unser Lehrer an, dass wir doch bitte immer zu zweit Duschen gehen sollten, weil sonst das warme Wasser nicht für alle aus der Klasse reichen würde. Beim Gedanken mit jemandem aus meiner Klasse zusammen zu Duschen stellten sich bei mir alle Nackenhaare auf. Es bildeten sich bereits Zweiergrüppchen, aber ich blieb wie festgeklebt auf meinem Stuhl sitzen und starrte ins Leere. Da griff Maria nach meinem Arm.
„Los, wir beide gehen zusammen!“
Alles in mir schrie NEIN, doch ich nickte nur stumm und ergab mich meinem Schicksal. Als wir an der Reihe waren, zog ich mich aus und stellte mich mit dem Gesicht zur Wand unter die Dusche. Maria tauchte hinter mir auf.
Was genau Maria mir in diesem Moment sagte, verschwamm alles und ich kann mich nur noch an ihre Hände an Stellen an meinem Körper erinnern, wo sie nichts zu suchen hatten.
Als es vorbei war, stürmte ich aufgelöst in mein Zimmer und schrieb Nathan eine SMS. Ich erzählte.

Nathan: „Gib mir sofort ihren Namen und ich werde sie holen.“
Ich: „Nein. Mir geht es gut.“
Nathan: „Keiner darf dich anfassen. Gib mir ihren Namen! Sofort!“
Ich: „Wirklich, es ist nichts.“
Nathan: „Kätzchen. Sofort oder ich verliere die Beherrschung.“

Angst stieg in mir auf. So wütend hatte ich ihn noch nie erlebt. Als ich nicht gleich zurück schrieb, klingelte mein Handy. Er rief an. Ich drückte ihn weg und es klingelte erneut. Ich nahm den Anruf mit  zittrigen Fingern entgegen.

Ich: „Hallo?“
Nathan: „Süsse, gib mir ihren Namen, ich lasse das jetzt enden. Ich hole sie mir.“
Ich: „Nein.“
Nathan: „Sie kann so nicht mit dir umgehen und sie soll dafür büssen!“
Ich: „Ich will das aber nicht.“
Nathan: „Gib mir ihren Namen.“

Er liess nicht locker, wollte ihren Namen und als ich auflegte, klingelte mein Handy abermals. Bis ich wieder ranging und ihm einen Namen nannte.

Nathan: „Nicht deinen Namen.“

Der Ausflug war bereits eine Weile her und ich malte in Paint gerade ein Bild als mich Nathan anschrieb. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, er hätte sich damit abgefunden, dass ich nicht wollte, dass er meinen Peinigern etwas antat.


Nathan: „Ich habe ein Geschenk für dich.“
Ich: „Was ist es?“

Nathan schickte mir ein Bild. Auf dem erblickte ich Maria, die keine Klamotten trug und für die Kamera posierte.

Ich: „Woher hast du das?“
Nathan: „Das spielt keine Rolle.“
Ich: „Woher hast du das!!!!“
Nathan: „Sie hat es mir freiwillig geschickt.“
Ich: „Warum schickst du mir das???“
Nathan: „Das ist eine Waffe. Hiermit kannst du sie zerstören, sie wird dir nie mehr etwas antun.“

Er schwor, dass er Maria nicht gezwungen hatte, dieses Foto zu machen, sondern lediglich mit ihr geschrieben und sie eventuell etwas angeflirtet hatte. Als ich seine Zeilen las, zerbrach in mir etwas. Es fühlte sich an als würde man zwischen zwei Mauern stecken, und diese würden immer näher und näher zusammenrücken und drohten einen zu zerquetschen.

Ich: „Ich fühl mich nicht wohl dabei, wenn du mit ihr schreibst.“
Nathan: „Ich tue das für dich, Kätzchen.“
Ich: „Woher hast du ihre MSN-Adresse?“
Nathan: „Neugieriges kleines Kätzchen.“
Nathan: „Ich möchte dir etwas zeigen. Darf ich?“


Ich willigte ein und Nathan zeigte mir, wie er Maria dazu gebracht hatte, alles zu machen, was er wollte. Er  nannte diese Technik Manipulation. Kennenlernen, Ködern aufwerfen, Lücken füllen, Distanzieren und sobald das Opfer angebissen hat, die Beute einholen, Beute an sich binden und an den Fäden ziehen.
Immer das gleiche Spiel, Manipulation mit einem Hauch Erpressung.
Ich war wie paralysiert. Wandte er diese Technik auch bei mir an? Meine Haut fühlte sich kalt an, obwohl das Blut in meinen Adern brodelte. Erst als mein Handy klingelte, bemerkte ich, dass ich geistesabwesend auf den Bildschirm starrte und vergessen hatte, ihm zu antworten.

Ich: „Hallo.“
Nathan: „Alles in Ordnung, Kätzchen?“
Ich: „Nein.“
Nathan: „Habe ich die Grenze überschritten?“
Ich: „Nein.“
Nathan: „Erzähl mir was los ist.“
Ich: „Du manipulierst mich, oder? Warum willst du von mir keine Fotos? Warum nur von April? Warum holst du mich nicht? Warum stösst du mich so von Dir weg? Ich
verstehe es nicht und es tut weh.“
Nathan: „Ich manipuliere dich nicht.“
Ich:  „Was ist denn dann falsch an mir?“
Nathan: „Nichts, du bist… perfekt.“
Ich: „Das glaube ich dir nicht.“
Nathan: „Wie kann ich es dir zeigen?“
Ich: „Ich weiss es nicht.“
Nathan: „Ich habe eine Idee.“

Er legte auf, machte seine Webcam an und verstiess gegen all seine Regeln und Grenzen.

Es war draussen bereits etwas kühler geworden und der Herbst färbte die Blätter bunt. Nathan hatte bald Geburtstag und ich bastelte gerade an seinem Geschenk als mein Handy piepste. Es war eine Nachricht von ihm.

Nathan: „Kätzchen, ich bin aufgeflogen. Die Bullen werden mich holen. Lösch alles von mir, tu es für dich. Nicht für mich. Es tut mir so leid. Ich habe keine Zeit mehr mich richtig von dir zu verabschieden, ich stehe bereits auf der Brücke. Das Gefängnis ist kein Ort für Menschen wie mich. Wachse zu einer wundervollen Frau heran, verlier den Mut nicht, kämpfe, lasse den Kopf nicht hängen. In Liebe, dein Fynn.“

Das war das Letzte was ich jemals von Nathan gehört habe. Ich verstand damals den Inhalt dieser SMS nicht. Verstand nicht, wobei er aufgeflogen ist und warum und ob er überhaupt gesprungen ist. Heute verstehe ich es.

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