Chickenwings, Sex und Drogen

Creepypasta 19. Jan. 2022

Warnung:

Wir erinnern uns daran, dass dies nur eine fiktive Geschichte ist. Der Inhalt soll schockieren, abschrecken und Angst auslösen.  Das Leben ist kostbar. Das Leben ist ein Geschenk und man sollte andere so behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Mit Respekt, Liebe und Verständnis. Solltest du dunkle Gedanken haben, die dich drohen einzunehmen, dann suche dir bitte Hilfe. Es gibt immer eine helfende Hand, man muss danach nur greifen wollen.

FSK 18

„Ich kann nicht mehr.“

Ophelias Hand sucht die meine. Ein leises Seufzen verlässt die zarten Lippen des Mädchens, das auf mir liegt.

"Scheisse, ich kann einfach nicht mehr", wiederhole ich mit kratziger Stimme und drücke Ophelias Hand. Zu oft hat das Mädchen diese Worte aus meinem Mund gehört, so oft, dass sie ihnen keinen Glauben mehr schenken kann, das ist mir bewusst. Ihre Fingerkuppen streicheln über meinen Handrücken. Ich spüre, wie ich nervös werde und löse meine Hand von ihrer. Ich brauche Abstand, aber irgendwie auch nicht. Ich kann mich nie entscheiden. Ophelia weiss das. Sie weiss, wie ich ticke. Ihre Wangen streichen über meine Haut, als sie von mir herunter rollt und sich in die Kissenburg neben uns fallen lässt. Sie dreht sich von mir weg und dann wenig später auf den Rücken. Ihre Augen sind auf die Decke gerichtet. Das Mädchen kaut auf ihrer Unterlippe herum. Das tut sie immer, wenn sie nachdenkt. Ich kenne Ophelia in und auswendig, so wie sie mich. Wir treffen uns bereits seit sechs Monaten. Sporadisch. Immer dann, wenn einer von uns beiden den anderen gerade braucht. Wir führen eine Art Zweckbeziehung. Sozusagen ein masochistisches Ping-Pong. Wir sind die Schläger und der Ball, der über den Tisch hüpft, ist unser Kummer. Ophelia ist genauso kaputt wie ich. Zwei Spiegel zu Scherben zerbrochen. Irreparabel geschädigt. Für immer.

„Soll ich nach Hause gehen?“, erkundigt sich Ophelia bei mir. Als keine Antwort von mir folgt, dreht sie sich zu mir um. Unsere Blicke treffen sich und je länger ich das Mädchen ansehe, desto mehr verschwimmen ihre Züge und verstecken sich hinter einem Schleier aus Tränen. „Vielleicht wäre das gut.“

Ophelias Daumen zwängt sich in mein Sichtfeld und wischt die eine Träne weg, die droht über meine Wange zu laufen. „Als ob ich dich jetzt so zurücklassen könnte.“

„Angst, dass ich weg bin, sobald du durch die Tür gehst?“, scherze ich und bin mir nicht sicher, ob das wirklich als Scherz meine. Ophelias Augen mustern mich skeptisch, als würde sie bereits ahnen, was ich vorhabe. Sie inspiziert das Bett etwas genauer und findet schließlich den Revolver, der sich zwischen zwei Kissen versteckt hat. Das Mädchen greift nach meinem letzten Ausweg. Ihre Brüste streifen dabei leicht meinen Bauch und ich halte automatisch die Luft an. „Du willst dir nicht wirklich in den Kopf schießen oder? Ich meine… das gibt eine Riesenschweinerei. Dein Hirn wäre hier überall verteilt“, Ophelia streckt ihren Arm aus und zeichnet mit ihrer freien Hand einen imaginären Kreis nach. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Mundwinkel. „Du darfst die Schweinerei später wegwischen, wenn es dich stört.“

„Wow, was für eine Ehre! Ich glaube, mir gefällt, wo dein Hirn jetzt gerade ist“, ein Kichern verlässt die Kehle des Mädchens und wenige Augenblicke später sitzt die hübsche, junge Frau rittlings auf mir und drückt die Mündung der Pistole gegen meine Stirn. Das Metall fühlt sich kühl an und bringt aber gleichzeitig meine Lende zum Kochen. Ophelias Finger gleitet über den verhängnisvollen Abzug. Neckt ihn, spielt mit ihm, verführt ihn regelrecht mit sanften Streicheleinheiten. Völlig fasziniert beobachte ich, wie Ophelia mit Leben und Tod spielt. Das hat mich schon immer an den Mädchen gereizt. Ihr Hang zur Dramatik. „Peng“, haucht sie leise und presst die Mündung der Pistole fester gegen meinen Kopf, als würde sich dadurch ein Schuss lösen. Ein sehnsüchtiges „Bitte, tu es“ entweicht mir und zaubert dem Mädchen ein diabolisches Grinsen ins Gesicht.

„Ich will dich nicht erschießen“, erwidert sie und lacht.

„Warum nicht?“, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne.

„Ich wäre ganz schön einsam ohne dich. Schätze mal, ich bin zu egoistisch, um dich abzuknallen", antwortet sie und bugsiert dazu neckisch eine Augenbraue in die Höhe.

„Sobald du dieses Zimmer verlässt, werde ich es sowieso tun“, murmle ich.

„Dann verlasse ich eben dieses Zimmer nicht mehr", erwidert Ophelia trotzig. Sie funkelt mich finster an und ich weiß, sie kann sich nicht von mir lösen, obwohl sie versprochen hat, loszulassen, sobald ich gehen will. Das ist der Deal gewesen. Damals vor sechs Monaten, als wir uns auf diesem Selbstmordforum kennengelernt haben. Wir spenden uns gegenseitig Trost, bis ich bereit bin, zu gehen. Offenbar hat sich ihre Meinung diesbezüglich in der Zwischenzeit maßgeblich geändert.

„Du wirst irgendwann dieses Zimmer verlassen müssen“, sage ich rau und lege meine Hände auf Ophelias Oberschenkel.

„Erst wenn du versprichst, dich nicht umzubringen, sobald ich durch diese Tür dort gehe.“ Sie zeigt mit der freien Hand zur Tür, als würde ich nicht wissen, wo sie sich diese befindet.

„Ich würde lügen, wenn ich es dir verspreche“, gestehe ich und fange an, die schönen Beine zu streicheln, in der bizarren Hoffnung, mit dieser Geste den Kummer einfach von Phe's Körper wegwischen zu können.

Phe jedoch schürzt ihre Lippen und nimmt den Revolver aus meinem Gesicht heraus. Missbilligend betrachtet sie die Waffe. „Ich hasse dich, du blödes verdammtes Scheissding."

„Die Waffe kann doch nichts dafür.“

„Sie wird uns trennen, wenn ich dich nicht aufhalten kann.“ Nun schleichen sich auch Tränen in Phe‘s Augen. Es wären nicht die ersten, die heute von ihr vergossen werden. Aber das macht nichts, Ophelias Make-up ist sowieso bereits völlig ruiniert. Dunkle Schatten ziehen sich über die geröteten Wangen und der rote Lippenstift ist durch viele Küsse zwischen uns verschmiert.

„Wir sind nicht zusammen, schon vergessen?“, erinnere ich das Mädchen und weiss, dass ich sie damit verletze. Vielleicht muss ich ihr weh tun, um zu bekommen, was ich will. Und im Moment will ich nichts lieber, als einen perfekt platzierten Kopfschuss.

„Nicht zusammen“, wiederholt Phe spöttisch und schmunzelt verwegen. „Trotzdem spüre ich gerade etwas Hartes gegen meinen Po drücken.“

Meine Lippen bilden eine schmale Linie. „Ich kann meinen Körper nicht kontrollieren. Körper und Geist sind sich manchmal uneinig."

„Ausreden“, blafft Phe mich an und umklammert die Waffe fester, bis ihre Fingerknöchel sich weiss unter der Haut abzeichnen. Wut. Blanke Wut spiegelt sich in ihrer Mimik des Mädchens wider.

„Es gibt keinen Grund sauer zu sein. Das zwischen uns war nie für die Ewigkeit und ich habe von Anfang an mit offenen Karten gespielt“, sage ich in einem ruhigen Tonfall und blicke sehnsüchtig in den Lauf der Pistole. Vielleicht kann  ich Ophelia genug provozieren, um endlich abzudrücken? Wäre es unfair, ihr diese Last aufzuerlegen? Meinen Tod? Wahrscheinlich.

„Doch, den gibt es. Es gibt einen Grund“, mault Phe und verengt ihre Augen zu Schlitzen.

„Nein.“

„Doch, du hast gerade behauptet, ich bedeute dir nichts.“

„Das stimmt doch gar nicht, ich habe lediglich gesagt, dass wir nicht zusammen sind.“

„Das ist dasselbe. Verdammt. Es tut genauso sehr weh.“

„Es ist wirklich am besten, wenn du jetzt gehst, Phe. Dort draußen warten so viele auf dich.“

„Ach ja, tun sie das? Hör doch auf zu lügen. Du weißt ganz genau, dass ich genauso kaputt bin wie du. Ich habe niemanden dort draußen. Absolut niemanden. Ich bin allein. Allein ohne dich. Du kannst mich nicht einfach in dieser beschissenen Welt hier zurücklassen und abhauen. Das ist feige. Hast du gehört? Feige, verdammt…“

Die Tränen lassen sich nicht mehr zurückhalten und prasseln dem Mädchen in Strömen über das Gesicht.

Ich schweige. Irgendwie hat Phe recht. Aber irgendwie auch nicht. Schließlich ist es mein Leben und ich bin niemandem Rechenschaft schuldig, wenn ich beschließe, es wegzuwerfen. Ob es feige ist oder nicht, das spielt keine Rolle für mich. Das Ergebnis zählt.

„Hast du nichts dazu zu sagen?! Na gut. Vielleicht sollte ich mich auch erschießen." Langsam führt Phe die Waffe zu ihrem Mund und als ihre Lippen das Metall berühren, erfasst mich die Panik, denn es ist nur ein einziger Schuss im Magazin. Und der ist für mich bestimmt. Für keinen anderen.

„Tu das nicht", flehe ich und will schon nach der Waffe greifen, aber dann passiert etwas, das mich innehalten lässt. Phe‘s Zunge leckt über die Mündung. Stück für Stück verschwindet die Knarre in dem zuckersüßen Mund. Mir ist bewusst, dass das Mädchen nur mit mir spielt und ablenken will, trotzdem spüre ich, wie mein Körper auf den fiesen Trick reagiert und ich verfluche die Hitze, die in mir aufsteigt. Nicht jetzt. Kontrolliere dich. Nicht jetzt. Wie ein dunkler Passagier in mir selbst gefangen, beobachte ich, wie meine von Zitterschüben gepeinigte Hand nach der Waffe greift und sie zurückerobert, obwohl ich das Schauspiel insgeheim gerne länger verfolgt hätte. Gegen den Trieb bin ich machtlos. Vollkommen masochistisch veranlagt. Ohne Protest lässt Ophelia sich die Pistole abnehmen, weil sie weiß, dass sie vorerst gewonnen hat.

„So schmeckt also der Tod“, kichert sie und streicht sich die Tränen aus dem Gesicht, als wären sie nie da gewesen.

„Das ist nicht lustig“, knurre ich, immer noch erregt, obwohl ich es nicht sein möchte.

„Na dann weißt du jetzt, wie ich mich fühle.“

Unsere Augen treffen sich. Ich mochte das Grün in Phe‘s schon von Anfang an. Grün. Grün, wie die Farbe der Natur und die Natur ist eine der wenigen Schönheiten, die diese Welt zu bieten hat. Aber alles, was schön ist, wird von Menschen irgendwann zerstört und selbst etwas so Gewaltiges wie die Erde ist vor unsereins nicht sicher. Ich selbst war auch einmal schön. Damals vor drei Jahren. Ein körperlich fitter und intelligenter Student mit vollem Haar und markanten Gesichtszügen, der hin und wieder sogar gemodelt hat, um sich etwas dazu zu verdienen. Mir standen alle Wege offen. Karriere, Reichtum, ja und auch Frauen. Oh ja, viele Frauen wollten etwas von  mir, wollten die eine an meiner Seite sein. Aber ich, ich hatte nur Augen für Eine. Bis sie mir genommen wurde.

Ein sonniger Frühlingstag, so schön, schöner hätte er nicht sein können. Die ersten Blumen ragten aus der vom Regen noch immer feuchten Erde und die Bäume erwachten langsam aus ihrem Winterschlaf. Paula und ich … wir waren glücklich, wollten endlich nach zwei Jahren Beziehung zusammenziehen und an dem Tag war es endlich soweit. Die Umzugskarton waren gepackt und mussten nur noch in den Wagen befördert werden. Paula ging mit einem riesigen Karton auf den Händen auf den Wagen zu, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt war, weil unsere Einfahrt wegen einer Baustelle blockiert war. Der Karton war viel zu schwer für meine Paula, aber sie wollte unbedingt helfen, nützlich sein, nicht wie ein Püppchen daneben stehen und zusehen, wie ich mich alleine mit unseren Habseligkeiten abrackerte. Sie sei schließlich keine Prinzessin. Ich hatte im Vorfeld bereits mehrmals versucht, Paula zu überreden, die schweren Sachen mir zu überlassen und sich um den Kleinkram zu kümmern, aber je hartnäckiger ich wurde, desto weniger ließ sich Paula von ihrem Vorhaben abbringen, mir zu helfen. Sie betitelte mich als einen „Macho“ und einen, der einer Frau nichts zutrauen würde und ich maulte sie sie solle nicht so zickig sein und ausnahmsweise einmal auf mich hören. Und dann, nachdem wir uns ein paar böse Dinge an den Kopf geworfen hatten, drehte sich Paula mitten auf der Strasse zu mir um und öffnete den Mund, doch bevor sie etwas sagen konnte, war da dieses Auto. Es kam um die Ecke geschossen, raste auf sie zu. Es ging so schnell, ich konnte nicht einmal realisieren, was gerade passierte. Konnte nichts tun. Nicht handeln. Ihr nicht helfen.

„Du denkst an sie, oder?”, Ophelias Worte reißen mich aus der Vergangenheit zurück in die verhasste Gegenwart. Eine Gegenwart ohne Paula. Eine schreckliche Gegenwart, in der ich nicht sein will.

"Woran merkst du das?“, frage ich und schüttle das letzte bisschen Vergangenheit aus meinem Kopf heraus. Zumindest für den Moment.

„An deinem Gesichtsausdruck.“

„Wie sieht der aus?“

„Verloren.“

Phe rutscht von mir runter und steht auf. Ich bleibe liegen und starre die Waffe in meiner Hand an. Illegal erworben. Mein letztes Vermögen dafür ausgegeben.

Ein dumpfer Knall lässt mich aufschrecken. Kein Schuss, der sich gelöst hat. Nein. Es sind Ophelias Fäuste, die unkontrolliert gegen die Wand meines Schlafzimmers hauen.

„Können wir uns nicht einfach Stoff besorgen und ficken, so wie wir es immer tun?“, schlägt sie völlig in Rage vor, während ihre Fäuste abermals gegen die Wand schlagen.

„Ich habe kein Geld mehr und das ist auch keine Lösung“, erwidere ich und liebäugle mit der Lösung in der meiner Hand. Ein Schuss und alle Probleme wären auf einen Knall gelöst.

„Aber sich abknallen ist eine Lösung“, faucht Phe und hört kurz auf, die Wand mit Faustschlägen zu traktieren, um mir ihren Mittelfinger zu präsentieren. Dabei bemerke ich, wie wund die Knöchel bereits sind.

„Es ist ein Ende.“

„Warum muss es unbedingt ein Ende haben? Warum?!“, die Fäuste hämmern wieder gegen die Wand. Eigentlich sollte ich aufstehen, das Mädchen in den Arm nehmen und trösten, aber nicht heute. Heute bleibe ich einfach liegen.

„Du kannst nach Hause gehen. Du musst nicht hier bleiben“, empfehle ich Ophelia und male mir bereits sehnsüchtig aus, wie es sein wird, in die endlose Leere abzutauchen und vom Nichts verschlungen zu werden. Wird es wehtun? Wird es schnell gehen? Werde ich das Licht sehen, von dem alle sprechen?

„Ich will aber nicht. Ich will nicht, dass du dir das antust. Du bist der einzige Mensch auf diesem gottverdammten Planeten, der mich sieht. Der mich versteht und mich so nimmt, wie ich bin. Verstehst du? Keiner hat sich bisher die Mühe gemacht, hinter die Fassade zu blicken… Valentin. Bitte. Ich verlange nicht von dir, dass du mich liebst, nein. Tue ich nicht. Wirklich nicht. Ich verlange nur von dir, dass du mich nicht fallen lässt. Du kannst nicht einfach gehen und mich fallen lassen. So wie es bisher alle getan haben. Sie haben immer nur genommen und als es nichts mehr zu holen gab, sind sie gegangen. Abgehauen. Sei keiner von ihnen, bitte. Sei besser, Val.“

Das Mädchen dreht sich zu mir um. Die Ringe unter ihren Augen sind tief, ja, aber die offenen Wunden in ihrem Herzen sind noch tiefer. Davon bin ich überzeugt. Überall auf ihrem Körper sieht man die Narben, die jeder Einzelne, der gegangen ist, auf ihrer Haut hinterlassen hat. Ophelia hat die Klinge geführt, ja, aber Schuld, Schuld an den Narben und dem Schmerz tragen die Anderen.

„Phe, ….“, flüstere ich und verspüre einen plötzlichen Anflug von Mitleid. Ich klopfe mit der freien Hand auf die Matratze. „Komm zu mir.".

Das lässt sie sich nicht zweimal sagen und als sie wieder bei mir im Bett liegt, lege ich die Pistole neben mir aufs Kissen und ziehe das Mädchen in meine Arme. Sanft streichle ich ihr über ihr welliges Haar und lege mein Kinn auf ihrer linken Schulter ab. Es geht nicht lange und Phe schmiegt sich enger an mich, drückt ihr Hinterteil gegen meinen Schritt. So wie sie es immer tut, wenn wir so daliegen und sie das Gefühl hat, sie könne mich mit Sex an sich binden.

„Ich will nicht mit dir schlafen, Phe“, sage ich vorsichtshalber, um den Mädchen keine Hoffnungen zu machen.

„Warum nicht? Du wirst dich danach besser fühlen. So wie immer.“

„Sex wird es diesmal nicht besser machen.“

„Nicht besser machen", keucht Phe erbost und presst ihren Po provokativ fester gegen meine Lende, weil sie ein ‘ich will nicht’ einfach nicht akzeptieren will.

"Ich habe damals auch nicht aufgegeben, als diese Hure in meiner Klasse das Buch, das ich extra für meinen im Sterben liegenden Opa geschrieben habe, vor meinen Augen zerrissen hat. Nein. Ich habe nicht aufgegeben. Ich habe gekämpft. Ich habe es der Hure gezeigt!“

„Ich weiss, du bist stärker als ich. Du bist ein starkes Mädchen. Siehst du, du brauchst mich gar nicht", tröste ich Phe und streichle über ihren Oberarm. Meine Fingerspitzen wandern über ihren Ellbogen hinab zu ihrer Hand. Gierig schlingen sich Phe’s Finger um meine. Halten mich fest.

„Ich habe auch nicht aufgegeben, als ihre Freunde mich von ihr runtergerissen und sich auf mich geworfen haben. Nein. Ich habe mich gewehrt. Selbst dann, als ihre Schläge mich fast umgebracht haben“, kichert Phe hysterisch. „Es hat so weh getan, Val! So unendlich weh!“, das Mädchen lässt meine Hand los und schlägt mit ihren Fäusten auf die Matratze ein. Das Kichern verwandelt sich zu einem Lachen. Lachen mit Schnappatmung. Das ist der Moment, in dem ich realisiere, dass Ophelias zweite Persönlichkeit das Ruder übernommen hat. Ophelias starkes Ich. Das Ich, das weiss, was es will und sich nimmt, was es will. Die gefährliche Seite von ihr. Das Mädchen ist gespalten, weil sie als Kind viel Leid ertragen musste. Mehr Leid als eine einzige Person ertragen kann und nun sind da zwei Menschen in Phe drin, die sich einen Körper miteinander teilen.

„Aber ich habe mir das nicht gefallen lassen, Val. Ich habe die Hure zur Sau gemacht. Ich habe ihr gegeben, was sie verdient hat. Sie hat geschrien, aber keiner hat sie gehört. Keiner!“ Ophelias Lachen wird schlimmer. Grausamer und hat eine ganz andere Klangfarbe als gewöhnlich. Schroffer, tiefer und dunkler, aber ich lasse mich davon nicht einschüchtern und drücke mich einfach fester an das Mädchen heran. Alles, was sie jetzt braucht, ist Halt. Jemand, der sie festhält. Am Boden hält. Zurückhält. Und dieser jemand bin ich. Dieser jemand war ich sechs Monate lang und wer es danach sein wird, ist mir egal.

„Du kannst uns nicht allein lassen, Val“, wispert Phe nach einer Weile, müde vom Lachen und erschöpft vom um sich schlagen. Ihr Körper erschlafft in meiner Umarmung und sie wird ganz ruhig. Täuschend ruhig. Ophelias zweites Ich ist unberechenbar und taucht für oft auf, wenn das Mädchen sich in einer Stresssituation befindet. Ab und zu auch beim Sex oder bei tiefer Trauer. Oder in Momenten, in denen man sie absolut nicht gebrauchen kann. Das zweite Ich ist wie ein Schutzschild, der ausgefahren wird, sobald das andere und schwächere Ich droht zu zerbrechen. Manchmal ist es so schlimm, dass ich das Mädchen nicht mehr beruhigen kann. Das endet meistens mit blauen Flecken, Kratzspuren und Schrammen auf mir. Ich werfe einen Blick über meine Schulter zur Pistole. Wer weiss, zu was Ophelias zweites Ich in der Lage wäre, wenn heute einer dieser Tage wäre, an dem selbst ich sie nicht mehr zügeln könnte. Verdammt. Ich muss das Mädchen loswerden. Sofort. Sonst kommt sie mir und meinem Plan in die Quere. Mein Blut soll an der Wand kleben, nicht das ihre.

„Du hast recht, vielleicht sollten wir uns doch die Birne wegkoksen und ficken“, schlage ich vor und gebe Phe einen versöhnenden Kuss auf den Nacken. „Darauf hätte ich jetzt Bock.“

„Wirklich?“, erwidert das Mädchen fröhlich und wackelt mit ihrem Hinterteil an meinem Schritt herum. Es erzielt auch den gewünschten Effekt. Phe soll ruhig glauben, dass ich wirklich Lust habe, einen unserer üblichen Nachmittage mit ihr zu verbringen. Das macht es leichter.

„Ja, ich glaube, ich habe noch ein bisschen Stoff in der Küche. Würdest du ihn bitte holen?“, frage ich und schnurre die letzten Worte verheißungsvoll in ihr Ohr.

„Wo genau in der Küche?“

„Kühlschrank, denke ich.“

Hastig dreht sich das Mädchen zu mir um und strahlt mich an, als hätte ich ihr soeben einen Heiratsantrag gemacht. Ihre Lippen pressen sich hektisch auf meine und ich erwidere den Kuss. Dann steht Ophelia auf und steuert auf die Tür zu. Als sie die Klinke herunter drückt, spüre ich wie eine Last von mir fällt. Endlich. Jetzt kann ich es endlich tun…

Gerade als ich die Waffe in meinen Mund stecken will, dreht sich das Mädchen im Absatz um und erwischt mich bei meinem Vorhaben.

„Du verdammter Scheisskerl!“

Phe wirft sich auf mich und ehe ich die Waffe entsichern und den Abzug drücken kann, reißt das Mädchen mir die Knarre bereits aus der Hand und schleudert sie gegen die Wand.

„Wie kannst du mich nur so verarschen“, bellt sie und pfeffert mir ihre flache Hand gegen die Wange. Der Schmerz brennt wie Feuer in meinem Gesicht. Tränen strömen aus unseren Augen und tropfen wie Regen auf uns herab. Ich hätte es damals eigentlich besser wissen sollen. Damals, als ich Ophelia in diesem Selbstmordforum angeschrieben habe, habe ich nur was fürs Bett gesucht, Dampf ablassen, bis ich meinem Leben ein Ende setze und sie meinte, das wäre für sie in Ordnung. Das sei genau das, worauf sie auch gerade aus ist. Nichts Ernstes. Nur Ficken und alles um sich herum vergessen. Sie hat nicht einmal nachgefragt, warum ich ausgerechnet von all den Usern im Forum sie angeschrieben habe. Vielleicht ist es auch besser so. Wie hätte ich ihr denn erklären sollen, dass ich sie ausgewählt habe, weil ich davon überzeugt war, dass ich mich niemals in so eine wie sie verlieben könnte und es noch immer bin. Ich liebe Phe nicht. Könnte ich nie.

Das Mädchen ragt noch immer über mir auf und zittert am ganzen Körper vor Wut. Aber ihr zweites Ich scheint weg zu sein. Immerhin. Oder es ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Wer weiss das schon. Mühsam richte ich mich auf, schubse Phe etwas zur Seite und suche nach der Waffe auf dem Boden. Ich entdecke sie in der linken Ecke des fensterlosen Zimmers. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Ophelia wird nicht freiwillig gehen und solange sie hier ist, wird sie es nicht zulassen, dass ich mein Leben beende. Also muss ich zusammen mit dem Mädchen mein Zimmer verlassen. Sie unterwegs loswerden, sozusagen.

„Na gut, besorgen wir uns Stoff“, murmle ich und bemühe mich um ein falsches Lächeln.

„Du lügst mich doch sowieso wieder an“, zischt Phe und packt mich grob am Arm.

„Nein, ich meine es ernst, du hast recht, es ist eine blöde Idee gewesen mit der Knarre. Ich bringe mich nicht um. Versprochen. Aber ich brauche dringend was, um die Welt um mich herum zu vergessen.“ Ich befreie mich aus dem Griff und fische nach der Hose neben dem Bett, dann ziehe ich sie wortlos an. Das Mädchen beobachtet mich und verfolgt jede Bewegung von mir mit Adleraugen. Sie ist misstrauisch und ich kann es ihr nicht mal verübeln. Unter dem Bett finde ich einen Kapuzenpullover und streife mir diesen ebenfalls über. Die Socken haben Löcher, aber das ist egal. Ich ziehe sie trotzdem an. Angezogen schlurfe ich auf die linke Seite des Zimmers zu und bücke mich nach der Waffe. Im gleichen Moment schlingt Phee von hinten ihre Arme um meine Hüfte und drückt ihr Gesicht gegen meinen Rücken. Ich erstarre in ihrer Umklammerung.

„Kleine Phee… willst du die Pistole? Ich meine… passt du für mich darauf auf?“, frage ich das Mädchen und schaue hinab auf die Waffe in meiner Hand. Phe würde mir ohnehin keine andere Wahl lassen und irgendwie muss ich ihr Vertrauen zurückgewinnen.

„Das musst du mir nicht zweimal sagen!“, johlt es hinter mir. Ich drehe mich um und reiche dem Mädchen mein Ticket ins Totenreich.

"Danke.“ Phe nimmt die Waffe an sich und lächelt mich an. Anders als mein Lächeln sieht ihres tatsächlich aufrichtig aus.

„Danke wofür?“

„Dass du mich nicht verlässt so wie die anderen.“

„Du lässt mir keine Wahl“, witzle ich und kassiere prompt einen bösen Blick. „Ich mache doch nur Spass. Los, lass uns Stoff kaufen. Hast du noch Kohle?“

„Nicht viel, aber wir können die Knarre verkaufen“, schlägt das Mädchen vor und bringt mein ohnehin erzwungenes Lächeln noch mehr in Schieflage.

«Können wir.»

Sie grinst und schlüpft in ihren lilafarbenen, knielangen Plüschmantel. Ihre Füße verstaut sie in ihren schwarzen Springerstiefeln.

«Willst du darunter nichts anziehen?», erkundige ich mich, obwohl ich die Antwort bereits erahnen kann.

«Stört es dich etwa?», neckt Phe mich und sieht mich herausfordernd an. Ich schüttele den Kopf und schlüpfe ebenfalls in meinen Mantel. Schwarz, langweilig, nichts Besonderes. Hält warm. Neben Phee wirke ich wie ein Schatten, der zwar da ist, dem man aber keine sonderliche Beachtung schenkt. Das stört mich nicht, ich begrüsse es sogar. Ophelia genießt die Aufmerksamkeit ohnehin viel mehr als ich es je könnte. Sie liebt es, im Mittelpunkt zu sein. Zumindest behauptet sie das. Aber ich bekomme oft mit, wie sie die Blicke der Menschen, die sie durch ihr provokatives Auftreten automatisch auf sich zieht, dennoch stören und ihr unangenehm sind.

Nur einmal habe ich es gewagt, nachzufragen, warum sie sich so auffällig kleidet, wenn sie die Blicke nicht verkraftet. Prompt habe ich von ihr dafür einen finsteren Blick kassiert und den Vorwurf, ich würde mich für sie schämen. Was natürlich nicht stimmt. Phee ist ein hübsches Mädchen, auch wenn sie konsequent das Gegenteil behauptet. So wie es Frauen gerne tun. Paula hat sich selbst auch nie als schön empfunden, ich sie dafür umso mehr. Jeder einzelne Makel machte sie für mich nur noch liebenswerter. Verdammt. Paula.

«Du ziehst schon wieder so ein Gesicht, Val“, murrt Phe, zieht an meinem Mantel und holt mich zurück ins Hier und Jetzt.

«Es tut mir leid, ich ..»

«Ich weiss schon", unterbricht mich das Mädchen. "Du hast an sie gedacht. Du tust das viel zu oft. Weißt du? Leb’ mal mehr in der Gegenwart. Im Jetzt. Bei mir.»

«Ich komme mit dem Jetzt irgendwie nicht so ganz zurecht.»

«Bald geht’s dir wieder besser, Val.»

Es ist bereits spät draußen. Die Strassenlaternen beleuchten die vom Regen nassen Strassen, auf der sich links und rechts der Müll sammelt. Das Viertel ist schäbig, keiner lebt hier, weil er hier leben will. Aber die Wohnungen sind billig und niemand kümmert sich um den anderen. Man ist auf sich alleine gestellt - und das ist gut so. Keiner braucht hier irgendjemanden, der sich in seine Angelegenheiten einmischt. Einfach nur leben und leben lassen, bis das Leben einen überholt und man in den Sog des Abgrunds hineingezogen wird und für immer davon driftet.

Phe hüpft neben mir her und bei jedem noch so kleinen Sprung schmiegt sich ihr Mantel um ihren schlanken Körper und gewährt einen Blick auf das, was für eigentlich bedeckt sein sollte. «Ist dir nicht kalt?», stichle ich und grinse verwegen.

«Ich mag es luftig», erwidert das Mädchen gelassen und schmiegt sich sogleich an mich.

«Du könntest dich erkälten oder Schlimmeres.»

«Hoffentlich. Dann musst du mich nämlich gesund pflegen.»

Phe‘s Handy klingelt. Ich spüre, wie das Mädchen an meiner Seite zusammenzuckt, gar ein paar Zentimeter schrumpft. Wir beide wissen, wer gerade anruft und es kostet Phe sichtlich Überwindung den Anruf entgegenzunehmen.

«Mom? Nein, ich bin bei einer Freundin», lügt Phe, schaut zu mir hoch und legt einen Finger auf ihre Lippen, um mir zu signalisieren, die Klappe zu halten.

«Nein, Mom, bei einer Freundin! Ich bin nicht bei Val. Nein, ich komme heute nicht mehr nach Hause. Ja, ich weiss, dass ich morgen ein Vorstellungsgespräch habe. Ist gut, Mom. Moooom…. Ja, bei Manuela. Nein, ich gebe dir nicht ihre Eltern. Mom, du bist peinlich!», Genervt legt das Mädchen auf und manövriert das Telefon zurück in die Tasche ihres Mantels.

«Du lügst deine Mutter mal wieder an», rüge ich das Mädchen und schüttle den Kopf.

«Die übliche Leier. Sie will nicht, dass ich mich mit dir treffe. Sie findet, du bist kein guter Umgang für mich.»

«Sie hat recht.»

«Val! Rede doch keinen Unsinn!»

«Ich hätte dich niemals anschreiben sollen.»

«Jetzt fängst du wieder damit an! Ich glaube es ja nicht!»

«Es war ein Riesenfehler, du musst wegen mir deine Mutter anlügen, das will ich nicht.»

«Stimmt doch gar nicht! Würde die sich nicht so dumm anstellen, müsste ich sie gar nicht anlügen!»

«Phee…»

«Nichts Phee. Lass uns den Stoff besorgen und einen Fick auf alles geben. Ok?», knurrt das Mädchen zerknirscht und beendet das Gespräch, das wir gefühlt jede Woche mindestens einmal führen. Ich gehe wortlos weiter. Diskussionen sind sinnlos, gerade wenn sie so sind, wie diese hier und mit Phe diskutieren, bringt ohnehin nichts.

Wir holen den Stoff immer beim selben Dealer. Er ist der beste Dealer der Stadt, hat den außergewöhnlichsten Stoff der Welt, ist ein guter Freund von mir und verkauft das Zeug direkt hinter dem Chicken Wings Heaven an der Elmstreet. Stoff kaufen, Chicken Wings essen, nach Hause gehen, sich zu ballern und ficken. Ein solides Ritual und Rituale haben ihre Daseinsberechtigung. Sie funktionieren gut. Besonders bei Junkies. Haben so etwas Heimisches. Beruhigendes. Und mein Ritual ist, wie in einer Endlosschleife festzustecken. Eine Endlosschleife bestehend aus Sex, Hühnchen und Drogen. Hätte mir jemand vor einem Jahr gesagt, dass ich einmal in so einer Schleife festsitzen würde, hätte ich ihm lachend ins Gesicht gespuckt und ihn als einen Lügner beschimpft. Manchmal kommen die Dinge halt anders. Man verändert sich. Ich habe mich verändert.

Bereits von Weitem erspähe ich unseren Dealer, der wie immer hinter den Containern vom Wings sitzt und Sudokus löst. Wieso er das tut, ist mir schleierhaft. Sudokus seien halt sein Ding, meinte er einmal zu mir und an der frischen Luft würden sie sich besser lösen. Vielleicht ist da etwas dran.

Phe lässt meinen Arm los und rennt auf James zu. Der Mantel flattert hinter ihr her und ab und zu blitzt eine nackte Pobacke auf, aber das scheint das Mädchen nicht sonderlich zu stören.  „Jaaaaaaaaaaaaaaaaaames!“, kreischt sie und als er aufblickt, sitzt sie schon auf seinem Schoß drauf und schlingt ihre Arme um ihn wie um ein Kuscheltier. Total überrumpelt lässt James das Sudoku in die Pfütze neben sich fallen und flucht laut auf. „Was zur Hölle...“

„Wir brauchen Stoff!“, säuselt das Mädchen und denkt nicht einmal daran, dem Mann ein bisschen Freiraum zu gönnen.

„Hey, Val, pfeiff mal dein Weib zurück!“, ruft James mir entgegen, als ich näher komme und drückt Phe von sich weg. Ha. Mein Weib. Das hört sich total falsch an. Phe und ich, wir sind nur Freunde und trotzdem hält uns jeder für ein Paar, der uns zusammen sieht. Optisch passen wir vielleicht zusammen, aber innerlich bin ich weit entfernt von ihr und ganz woanders.

„Hi James“, begrüsse ich den Dealer und prompt unterzieht James mich einer Musterung. Seine Stirn legt sich in Falten und eine Augenbraue rutscht skeptisch in die Höhe. „Wie siehst du denn aus? Was ist mit deinen Haaren passiert?“, erkundigt sich James bei mir, als von mir nichts kommt.

„Phe hat sie mir gefärbt.“

„Platinblond", kichert das Mädchen und klettert von James herunter wie von einem Berg. Dieser ist kurz abgelenkt von Phe‘s aufregenden Mantel-Innenleben, richtet seine Aufmerksamkeit jedoch, nach einmal ausgiebig gaffen, wieder auf mich. „Das sieht echt scheisse aus“, meint er zu meiner neuen Frisur.

Ich zucke lediglich mit den Schultern. Die Frisur hätte sowieso keine Rolle mehr gespielt, wenn ich die Gelegenheit dazu gehabt hätte, meinem Kopf eine Kugel zu verpassen. Die platinblonden Haare wären mit den klebrigen und blutigen Überresten meines Gehirns zu einer breiigen Einheit verschmolzen und keiner hätte sich mehr an der neuen Haarfarbe gestört. Da bin ich mir sicher.

„Ich finde, es sieht gut aus“, murrt Ophelia und zieht einen Schmollmund. Um die Diskussion voranzutreiben, rücke ich zu unserem Anliegen vor. Kein wie geht’s, kein was machst du so nur: „Hast du was für uns, James?“

„Im Prinzip schon, ehrlich gesagt, habe ich heute nicht mehr mit euch beiden gerechnet. Ihr seid später dran, als sonst", erwidert James in einem neutralen Tonfall.

„Val wollte sich das Hirn wegpusten“, mischt sich Ophelia ein und zeigt anklagend mit ihrem Finger auf mich.

„Im Ernst?“, James Augen weiten sich. Die Überraschung ist ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Witzig, er ist überrascht und das obwohl ich die ganze Zeit nur davon rede, dem ganzen Scheiß, was sich Leben nennt, endlich ein Ende zu setzen. Niemand nimmt einen ernst, bis man es wirklich tut. Sich umbringen. Oder bis man es zumindest versucht. Todessehnsucht wird oft als Phase oder Depression abgestempelt - das geht vorüber, es wird schon wieder. Es gäbe doch immer eine Lösung für jedes Problem. Kopf nicht hängen lassen. Ja. Nicht hängen lassen. Kopf wegballern. Niemand versteht die Sehnsucht nach dem Nichts, nach dem Nicht mehr sein, nicht mehr da sein, nicht mehr fühlen, nicht mehr taub sein. Mir ist alles egal geworden. Absolut alles.

Da Lügen ohnehin zwecklos ist, nicke ich und bestätige Ophelias Aussage, was die Sache mit dem Hirn wegpusten betrifft. Phe und James glotzen mich beide an, als hätte ich gerade vor ihnen die Hose runtergezogen und auf den Boden geschissen. Ich spüre, wie James etwas sagen will, sich aber dazu entschließt, es doch lieber bleiben zu lassen.

„Hast du Stoff, James?“, hake ich ungeduldig nach, immer noch mit dem Wunsch, die Sache zu beschleunigen und es endlich hinter mich zu bringen.

„Deine Freundin sagt mir gerade, dass du dich umlegen wolltest und du streitest es nicht einmal ab und erwartest dann auch noch, dass ich dir Stoff gebe? Ich bin zwar ein Dealer, aber ich bin ebenso dein Freund.“

„Mir geht es gut. Phe hat mir die Augen geöffnet“, lüge ich und auf Phe‘s Gesicht breitet sich ein zufriedenes, gar stolzes Lächeln aus.

„Aha…“, James Augen mustern mich noch immer misstrauisch.

„Wirklich. Mir geht es gut“, versichere ich ihm und manövriere meine Mundwinkel so weit hoch, wie es nur geht. Phe hüpft fröhlich auf Zehenspitzen zu mir herüber und schlingt ihre Arme um meine Taille. Ich drücke ihr notgedrungen einen Kuss auf die Stirn und tue so, als wäre ich superduper glücklich. Das scheint James als Bestätigung erstmal zu reichen, denn er hievt sein Hinterteil vom Boden hoch und schwingt seinen Rucksack über die Schulter.

„Na gut, los gehen wir rein, ich habe sowieso Hunger.“

Im Restaurant setzen wir uns an unseren Stammtisch, hinterste Ecke gleich bei den Toiletten. James holt die Chicken Wings für uns bei der Theke ab und serviert sie vor uns auf dem Tisch. Kaum abgestellt, verschwindet Phe‘s Hand ungeduldig in der Chickenbox.

„Ich habe nicht viel dabei heute“, beginnt James und kramt in seinem Rucksack nach einem Beutel. Dieser landet neben den Wings auf dem Tisch.

„Das macht nichts, wir haben nicht viel Geld“, sage ich und nehme den Beutel etwas genauer ins Visier.

„Aber wir haben eine Knarre!“, drängt sich Phee dazwischen. Ich hätte sie am liebsten neben mir von der Bank geschubst, aber reiße mich vorerst am Riemen, um nicht unnötig viel Aufmerksamkeit auf mich oder uns zu ziehen.

„Eine Knarre?“, James Augenbrauen hüpfen verwundert nach oben.

„Ja, die, mit der sich Val umlegen wollte“, klärt Phe James auf und klimpert unschuldig mit ihren Wimpern.

„Woher hast du die Knarre?“, James Blick haftet auf mir. Wenn eine Sache sicher ist, wie das Amen in der Kirche, dann ist es die, dass ich Phe die Knarre nicht hätte geben sollen. Nun steht das Ding wieder ungewollt im Mittelpunkt.

„Internet“, erwidere ich kleinlaut und fische ebenfalls ein Stück Chicken aus der Chicken Wings Box, um mich irgendwie mit irgendwas zu beschäftigen, sonst drehe ich durch.

„Lasst mal sehen“, fordert James uns auf. Das lässt sich Ophelia nicht zweimal sagen und greift in ihre Manteltasche hinein. Sie deutet mit ihren Augen unter den Tisch, um James zu signalisieren, dass der Tausch unter der Tischplatte stattfinden wird, dann reicht sie ihm, als dieser den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hat, die Knarre. Als die Knarre den Besitzer unauffällig wechselt, schlucke ich und wäre am liebsten über den Tisch gesprungen, um James die frisch erlangte Waffe abzuluchsen und mich zu erschießen.

James Fokus wandert nach unten zwischen seine Beine. Er begutachtet die Pistole ein paar Sekunden, dann hebt er den Kopf und schaut mich an.

„Krass, Val… wirklich.“

„Es war eine blöde Idee. Ich gebe es ja zu“, sage ich und bemühe mich, dabei einigermaßen aufrichtig und reuig zu klingen.

James signalisiert Phe mit seiner freien Hand, den Tausch rückgängig zu machen und die Waffe wieder an sich zu nehmen.

„Willst du sie nicht?“, fragt das Mädchen enttäuscht und manövriert ihre Hände unter den Tisch. Wieder wird der Besitzer der Knarre gewechselt und einmal mehr muss ich erleben, wie das, was ich am Sehnlichsten will, so nah und doch so fern ist.

„Ich kann damit nichts anfangen“, meint James.

Die Pistole verschwindet in Phe‘s Manteltasche. Meine Finger zucken. Ich müsste jetzt nur rübergreifen und die Waffe an mich nehmen. Es könnte alles so einfach sein. So verdammt einfach.

„Also kommen wir zum Geschäft. Darf ich präsentieren“, James schüttelt den Beutel auf dem Tisch aus. Das Praktische an James Drogen ist, dass die Drogen auf den ersten Blick nicht wie Drogen aussehen. Klar, James vertickt auch das übliche Zeug, aber meistens trägt er Stoff mit sich herum, den man nicht einmal auf dem Schwarzmarkt findet.

Das heutige Angebot besteht aus einem Beutelchen mit Pfefferminzbonbons, einer Kaugummi Rolle in Grün und einem Kugelschreiber mit blauer Flüssigkeit.

„Also, wir haben hier einmal Bonbons - die helfen gegen Depressionen, lösen Glücksgefühle aus und so einen Scheiß. Ziemlich harmlos das Zeug, aber ich denke, das könnte dir helfen, Val. Beruhigt innerhalb weniger Sekunden, aber du bleibst trotzdem bei klarem Verstand. Dann haben wir hier noch den Kaugummi. Kaust du ihn, hat es den gleichen Effekt wie LSD, nur ein bisschen schwächer. Und das Beste zum Schluss. H19.“

Phe’s Augen leuchten, als James uns den Kugelschreiber präsentiert. Er balanciert das Ding zwischen seinen Fingern, als wäre dieser Kugelschreiber das Nonplusultra überhaupt. Flüssiges Gold in Kugelschreiberform sozusagen. „Das Zeug ist neu, kaum getestet. Und der Kuli hier, ist kein gewöhnlicher Kuli.“

James lässt verschwörerisch die Augenbrauen tanzen, dreht am Verschluss des Kugelschreibers herum und als der Verschluss ab ist, blitzt aus der Miene eine Nadel hervor. „Eine Spritze mit purem H19. Ist das Zeug erst mal in der Ader drin, empfindet man Schmerz als Lust. Und ich lüge nicht, ich habe es ausprobiert.“

„Schmerz als Lust?“, quietscht Phe vergnügt und klatscht dazu euphorisch in die Hände. „Wir wollen H19!“

James zwinkert ihr zu, dann wandert seine Aufmerksamkeit in meine Richtung. Ich nicke und James grinst zufrieden.

„Wie teuer?“, frage ich und hoffe, dass wir genug Kohle für den dämlichen Kugelschreiber dabei haben.

James Grinsen verdoppelt sich. „Ach… da ihr nicht viel Geld mit euch trägt, wie wäre es stattdessen mit ein bisschen Unterhaltung?“

„Unterhaltung?“, hake ich unsicher nach und ahne bereits Schlimmes.

James lehnt sich lässig auf der Bank zurück, dann lässt er seinen Blick durch das Lokal schweifen. „Wie wäre es, wenn du…“, er reckt das Kinn zu Phe. „…unter den Tisch krabbelst und es mir, du weißt schon, mit deinem hübschen Mund…“, James Zunge blitzt neckisch auf und wir alle Drei wissen, auf was für eine Sorte Unterhaltung er aus.

„Denkt nicht mal dran“, mische ich mich ein.

„Du teilst einfach nicht gerne“, lacht James und spielt mit dem Kugelschreiber in seiner Hand herum.

„Sie ist keine Hure.“

„Ey Jungs, nicht streiten. Ich kann immer noch selbst entscheiden“, drängelt sich Phe dazwischen.

„Du hast die Dame gehört“, James selbstgefälliges Grinsen unterstreicht perfekt seinen missratenen Charakter. Ich mag James. Aber es gibt Seiten an ihm, mit denen ich absolut nicht klar komme und diese Seite kommt gerade zum Vorschein.

Phe kichert los wie eine Hexe. Offenbar hat soeben ihr zweites Ich das Ruder übernommen. Ihr zweites Ich würde alles tun, um an den Stoff zu kommen. Alles und ich verabscheue es, weil ich weiss, dass das zweite Ich James’ Angebot annehmen und auch, dass Phe es im Nachhinein bereuen wird.

„Komm Phe, wir gehen. Lass uns einfach gehen. Wir brauchen das Zeug nicht. Wir tun es einfach ohne“, bitte ich das Mädchen. Für einen kurzen Augenblick sehe ich in ihren Augen die zerbrechliche Phe aufblitzen, die sogleich verschwindet, als James den Kugelschreiber vor ihrem Gesicht verführerisch von links nach rechts gleiten lässt. Und es erzielt den gewünschten Effekt. Das Mädchen bricht in Gelächter aus.

„Phe,.. komm… mir geht’s gut, wir brauchen den Stoff nicht“, sage ich beinahe schon flehentlich.

Phe sieht mich an, dann wandert ihr Blick zurück auf den Kugelschreiber, der immer noch vor ihrem Gesicht hin und her tanzt. „Phe“, versuche ich es erneut. Aber James lässt nicht locker. „Ich schwöre dir, das Zeug ist richtig geil. Einem Freund von mir hat es geholfen, als es ihm so richtig mies ging.“

Jetzt hat er sie. Phe’s Mundwinkel verziehen sich zu einem abstrakten Lächeln, ehe das Mädchen unter dem Tisch verschwindet. Der Reißverschluss einer Hose ist zu hören.

„Aber die Dosis reicht nur für einen von euch beiden. Oh ja… ja braves Mädchen“, stöhnt James zufrieden und macht es sich gemütlich, während Phe ihm gibt, was er von ihr will.

„Komm schon, muss das sein?“, knurre ich geschlagen.

„Ich habe sie nicht gezwungen. Oh Shit man… Ist das gut.“

Ich versuche die Geräusche auszublenden. Könnte eingreifen, das Mädchen unterm Tisch hochziehen und mit ihr aus dem Lokal verschwinden, aber ich sitze nur da und starre auf die Bonbons und den Kaugummi. Die Belanglosigkeit ergreift mich. Phe will es so und ich bin nicht verantwortlich für das, was sie tut. Hätte sie mich vorhin einfach gehen lassen, wäre es nicht so weit gekommen und sie müssten nun nicht tun, was sie denkt, tun zu müssen. Warum mache ich mir überhaupt Gedanken darum. Es ist egal, was unter diesem Tisch passiert. Absolut egal.

Als Phe’s Kopf nach einer Weile wieder neben mir auftaucht, sind die Haare zerzaust und der Mund wund. Jetzt sieht sie noch kaputter aus, als ich mich fühle. Am liebsten hätte ich das Mädchen in den Arm genommen. Sie getröstet. Ihr über den Kopf gestreichelt, aber James Reißverschluss und der damit verbundene Ekel halten mich davon ab.
„Danke Phe. Ich denke, der Kugelschreiber gehört jetzt euch“, schnurrt James sichtlich befriedigt.

Phe schüttelt sich wie ein Hund, als sie sich über die Lippen leckt, um den letzten Rest von James aus ihrem Gesicht zu putzen, dann angelt sie den Kugelschreiber aus seiner Hand und begutachtet die Ware mit einem Leuchten in den Augen. Sie sieht mich an und lächelt verwegen. Schneller als ich reagieren kann, findet die Spitze des Kugelschreibers durch die zerrissene Stelle meiner Hose in mein Bein. Ich stöhne vor Schmerz auf und will Phe's Hand mitsamt Kugelschreiber wegschlagen, aber die blaue Flüssigkeit bahnt sich bereits ihren Weg in meine Blutbahn und entfaltet ihre sonderbare Wirkung. Meine Hand bleibt für eine Millisekunde wie festgefroren in der Luft hängen, ehe sie achtlos auf die Tischkante knallt. Ich wappne mich innerlich auf den Schmerz, werde aber stattdessen überrascht. Ein Gefühl, ähnlich wie ein Höhepunkt, erfasst meinen Körper und bringt ihn von oben bis unten zum Kribbeln. Ich schaudere und halte die Luft an.

„Und?“, James grinst über beide Backen. „Gut, das Zeug, nicht wahr?“

Ich nicke träge und glotze mit weit offenem Mund auf meine Hand hinab, die weh tun sollte und es nicht tut. Nein, sie fühlt sich an, als würden tausend Schmetterlinge durch sie hindurch fliegen und sie von innen heraus mit ihren Flügeln kitzeln. Phe strahlt mich an. „Willst du mehr?“, ihre Frage wirkt so surreal. Natürlich will ich mehr.

"Ja", hauche ich leise und beobachte, wie das Mädchen neben mir die Gabel auf dem Tisch in die Hand nimmt. Die Gabel landet in meinem Handrücken. Die silbernen Spitzen bohren sich in mein Fleisch hinein. Eine weitere Welle aus Lust fegt über mich hinweg und lässt mich zusammenfahren. Ich kann nicht anders und muss stöhnen. Es tut so gut. So unfassbar gut.

„Sag mal, spinnst du?“, keift James Phe an. Allmählich ziehen wir mit unserem Verhalten die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf uns. Aber das ist egal. Alles, was zählt, ist dieses prickelnde Gefühl unter meiner Haut. Unfassbar geil. Es macht absolut süchtig. Mehr. Mehr, verdammt, ich will alles um mich herum ausblenden und mich vollends diesem Rausch hingeben. Ich greife nach Phe’s Hand und drücke zusammen mit ihr die Gabel fester in meinen Handrücken hinein. Blut quillt aus der Wunde und jeder einzelne Tropfen, der auf dem Tisch landet, lässt mich vor Ekstase beben. Probleme? Alle vergessen. Depressionen? Vergessen. Wer ich bin und wie ich heisse? Vergessen. Spielt keine Rolle mehr.

„Ich will mehr“, fordere ich und drücke noch fester zu. "Du tust mir weh", fiept Ophelia und will ihre Hand aus meiner Umklammerung lösen. Ihre Worte prallen an mir ab. Ich lasse nicht locker. Ich brauche das. Ich brauche mehr.

«Immer langsam, wir sind hier immer noch in einem Restaurant», mahnt mich James und will Phe helfen. Wir rangeln und durch die Bewegung kommt die Gabel in meinem Fleisch so richtig in Fahrt..

Ich starre wie gebannt auf meine Hand hinunter, fasziniert von der roten Flüssigkeit, die aus ihr entweicht und gefesselt von der sinnlichen und bizarren Hitze, die diese Wunde in mir auslöst. Dass sich Schmerz so gut anfühlen kann, überwältigt mich. Dass er erlösend ist, das wusste ich bereits, aber das… Was er nun in meinem Körper auslöst, ist der pure Garten Eden. Alle negativen Gefühle ausradiert, die Menschen um mich herum inexistent, es gibt nur noch mich und dieser heilende Schmerz.

James steht auf und versucht mit vollem Körpereinsatz meinen Griff von Gabel und Phe's Hand zu lösen, dabei zerrt er die Wunde noch mehr auf. Ekstase schwemmt über meinen Körper hinweg. Ich lasse los und schreie. Schreie alles aus mir heraus. Fuck. Ist das gut. So gut. So verflucht beschissen gut.

«Entschuldigen Sie bitte,… das hier ist ein Restaurant und die anderen Gäste fühlen sich von ihnen… Was machen sie da?? Sind sie noch ganz bei Sinnen????? Verlassen sie unverzüglich das Lokal!», meldet sich eine aufgebrachte Stimme zu Wort. Bevor ich überhaupt realisiere, was los ist und wer plötzlich vor unserem Tisch steht, zieht James die Gabel aus meiner Hand heraus und schleudert sie auf den Boden vor die Füße des Mitarbeiters vom Chicken Wings Heaven. Phe macht sich neben mir ganz klein, als der Mitarbeiter daraufhin aufschreit und angewidert ein paar Schritte von uns weg und nach hinten hechtet.

«Sorry, wir gehen gleich… Ehh… eh… ja… sorry…», versichert James dem Mitarbeiter, um die Situation irgendwie noch zu retten. Alle Augen im Lokal sind auf uns gerichtet. Entsetzte Gesichter, Kopfschütteln, ein paar Handys, die alles filmen.

«Wir müssen hier weg», James greift nach meinem Arm und sieht mich eindringlich an. Aber ich will nicht weg. Die Ekstase ist verschwunden. Mein ganzer Körper fühlt sich taub an. Unausgeglichen. Mein einziger Wunsch ist, diesen Status wieder zu erreichen – ich muss mir weh tun. Sofort. Ich springe von meinem Platz auf und lasse mich einfach auf die Knie fallen. Der Aufprall fühlt sich an wie hemmungsloser Sex, scheisse, ist das geil. Etwas glitzert neben mir. Die Gabel. Ich brauche diese Gabel. Meine Hand schnellt an dem Fuss des Mitarbeiters vorbei und klammert sich um die Gabel, als wäre sie mein Rettungsseil und ich kurz vor dem Ertrinken. Ertrinken in einem Meer aus Scheisse und Kummer. Ich hole aus und ramme mir die Zacken der Gabel abermals in meinen ramponierten Handrücken. Oh ja,… oh ja…. Mehr. Mit zitternden Fingern ziehe ich die Gabel über meine Haut zu meinem Ellbogen hoch, bis ich abrutsche und das Besteck auf den Boden fällt. Es fühlt sich so unglaublich gut an. Weit entfernt, wie durch ein Vakuum, höre ich Phee schreien. Aber das interessiert mich nicht. Ich muss weitermachen. Tränen sammeln sich in meinen Augen und trüben meine Sicht, scheiß drauf. Wo ist die Gabel? Nervös kratze ich über den Boden und suche sie. Sie ist doch gerade noch da gewesen, wo ist sie hin? James packt mich an der Schulter. Ein «Nein» verlässt meinen Mund. Lasst mich in Ruhe, ich habe endlich gefunden, wonach ich eine Ewigkeit gesucht habe. Eine Lösung zu leben, ohne zu sterben. Niemand darf mir das nehmen. Niemand! Niemand! James Arme schlingen sich um meinen Rumpf und er stöhnt auf, als er mich vom Boden versucht hochzuziehen. Ich wehre mich mit Händen und Füssen, schlage wild um mich.

«Ich verständige die Polizei!», droht eine Stimme. Andere Stimmen mischen sich dazu.

«Ich kümmere mich darum», verspricht James gestresst, während er mich über den Boden schleift, weg von der Gabel, weg von den Schuhen des Mitarbeiters und raus aus dem Laden. Ich versuche mich irgendwo festzuhalten, bekomme einen Stuhl zu greifen, verliere ihn wieder. Nein. Ich will nicht weg. Ich will nicht weg! Ich strample mit den Füssen und flenne. Überall ist Boden. Nichts mehr zum Festhalten. Verschwommen nehme ich Phe neben mir wahr, die auf ihren Nägeln herumkaut. Meine kleine Phe. Ich wünschte, ich hätte dich lieben können. Ich versuche die Worte mit meinen Lippen zu formen, bringe jedoch keinen Ton raus. James beschleunigt seinen Gang und als wir den Laden verlassen haben, lache ich laut auf.

«Ist mit ihm alles in Ordnung?», fragt Phe weinerlich, die ihren Mantel enger um ihren Körper gezogen hat, als wäre ihr kalt.

«Er hat komplett den Verstand verloren, wenn du mich fragst. Was soll das Val?», James bückt sich zu mir herunter und verpasst mir eine schallende Ohrfeige. Ich muss stöhnen. “Fuck, ja! Mehr. Schlag mich noch einmal”, keuche ich und schlage mir stattdessen selbst mit der flachen Hand ins Gesicht. Wieder und wieder.

«Was hast du uns für eine Droge angedreht!?», keift Phee James an und zupft dabei verzweifelt an seiner Jacke herum. Ihre Verzweiflung wird zu Zorn und ich bin mir sicher, es ist jeden Moment so weit. Sie würde auf James losgehen und ihm die Augen auskratzen, wenn sie niemand davon abhalten würde. Ich könnte ihn warnen. Ich sollte ihn warnen. Wobei… Es ist mir egal.

«Das war nur eine kleine Dosis H19… Ich wusste nicht, dass er so reagieren würde», rechtfertigt sich James und bäumt sich vor dem Mädchen auf.

Neben mir nehme ich eine Strasse wahr. Prompt höre ich auf mich selbst zu schlagen. Autos mit gaffenden Fahrern ziehen vorüber. Sie achten nicht mehr auf den Verkehr, sehen nicht, wo sie hinfahren, haben vergessen, dass sie in einem Auto sitzen, hören nicht das Heulen des Motors, ignorieren die Kilometerzahl, beobachten nur das Geschehen am Straßenrand, sind total sensationsgeil, können nicht mehr reagieren, wenn jemand auf die Straße rennt und,… Paula… wieder sehe ich sie vor mir, in ihrem hübschen Kleid, ihre schönen langen Haare wehen im Wind, sie dreht sich zu mir um, ihr Mund öffnet sich und dann die Scheinwerfer, die ihren Schatten ein letztes Mal auf die Straße werfen,… das Geräusch von quietschenden Bremsen, der Aufprall. Ich vermisse dich, Paula… so sehr… es tut so weh, ohne dich hier zu sein. Meine Paula.

Heisse Tränen tropfen von meinem Kinn. Sie brennen wie Feuer. Keine Ekstase mehr, nur noch Schmerz. Allesverschlingender Schmerz.

«Du hast es nicht gewusst?! Nicht gewusst!? Ist das dein Ernst?», faucht Phee im Hintergrund.

«Fahr mich nicht so an!», kläfft James zurück. Sie streiten sich wegen mir, sind total abgelenkt, merken nicht, dass die Lösung zum Greifen nah ist.«Sieh dir an, was du mit ihm gemacht hast!», Phe's Stimme ist schrill und laut, aber die Straße ist lauter. Die Straße ruft nach mir, lockt mich. Es sind nur wenige Schritte, die uns noch trennen. Ich habe keine Angst. Ich weiss, es wird sich gut anfühlen. Befreiend. Ich kann zurück zu meiner Paula, einfach loslassen. Hier und jetzt. Mich ins Licht der Scheinwerfer werfen und mich völlig und für immer dem Schmerz hingeben. Das Licht ist nur einen Sprung entfernt.

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