"Tick Tack, Herr Anwalt!"
Warnung:
Wir erinnern uns daran, dass dies nur eine fiktive Geschichte ist. Der Inhalt soll schockieren, abschrecken und Angst auslösen. Das Leben ist kostbar. Das Leben ist ein Geschenk und man sollte andere so behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Mit Respekt, Liebe und Verständnis. Solltest du dunkle Gedanken haben, die dich drohen einzunehmen, dann suche dir bitte Hilfe. Es gibt immer eine helfende Hand, man muss danach nur greifen wollen.
«Sehr geehrter Herr Schwertschwinger-Lancelot-Zerstörerer, in diesem Schreiben möchte ich Ihnen das weitere Vorgehen bezüglich des bevorstehenden Prozesses am 11. Oktober 2019 genauer schildern. Ich beziehe mich hiermit auf das Gespräch vom Mittwoch, dem 05. September 2019, zwischen Ihnen und mir und halte Folgendes wie vereinbart fest....»
Seufzend schiebe ich die Tastatur etwas zurück, krame meine Notizen aus der Schublade hervor und breite sie auf meinem Schreibtisch aus. Im selben Moment schwingt die Tür zu meinem Büro auf und Paul schneit ausgerüstet mit Kaffeetasse und Zeitung herein.
«Hallihallöchen, komme ich ungelegen?» Mit einem Grinsen im Gesicht marschiert mein Arbeitskollege auf mich zu und befördert mit Schwung sein Hinterteil auf den Stuhl, der eigentlich für Klienten vorgesehen ist. Dann rollt er um den Tisch herum und gesellt sich neben mich. «Ich sitze immer noch an dem Schwertschwinger-Fall», stöhne ich genervt. «Ich hasse den Idioten.»
«Verständlich» erwidert Paul, nippt an seinem Kaffee und lehnt sich zu meinem Computerbildschirm vor. Seine Augen überfliegen meine angefangene E-Mail. «Schwertschwinger-Lancelot- Zerstörerer? Er besteht wirklich darauf, dass du ihn so nennst?»
Ich nicke.
«Total bescheuert, der Kerl. Du tust mir leid, mein Freund. Apropos, schau mal.» Paul breitet seine Zeitung vor mir aus. In grossen roten Buchstaben springt mir die Schlagzeile ‘BRUTALER FACEBOOK-KINDERFICKER IMMER NOCH AUF DER FLUCHT’ entgegen. «Wie gerne würde ich den Kerl vor Gericht vertreten.» Paul tippt mit seinem Finger auf das Foto unter dem Artikel. Es zeigt einen zensierten Ausschnitt aus dem Video, dass vor ein paar Wochen auf Facebook kursiert hat. Ein Mann, getarnt als Einbrecher, der über ein armes, wehrloses Mädchen hergefallen ist. Harter Tobak, vor allem weil er sie in ihrem eigenen Kinderzimmer missbraucht hat. Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. «Warum willst du den Mistkerl vertreten?», frage ich und greife nach meiner Kaffeetasse, nur um festzustellen, dass sie leer ist.
«Publicity», antwortet Paul. «Ausserdem hätte ich nichts gegen ein bisschen Nervenkitzel einzuwenden. Ich habe die Nase sowas voll von Scheidungen und Co. Übrigens, wusstest du, dass der Kerl mit einer aus Ninas Zumba-Kurs mal etwas hatte? Die verdammte Welt ist ein Dorf.»
«Ernsthaft?»
«Yep, mit der Braunhaarigen, die immer ihre Tangas bis zur Hüfte hochzieht.»
«Ne, oder?»
«Wenn ich es dir doch sage! Aber kein Wort zu Matze. Das bleibt unser Geheimnis.» Paul klopft mir auf die Schulter.
«Woher hast du die Information?» Ungläubig mustere ich das Foto und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser Kinderficker mit der heissen Latina aus dem Zumba-Kurs jemals irgendetwas am Laufen hatte. Ich wusste zwar, dass er hier aus der Gegend kommen soll, aber mehr auch nicht. Die Polizei hat aus ermittlungstechnischen Gründen nur wenig Details zu dem Fall preisgegeben.
«Nina hat mir gestern erzählt, dass Letizia, so heisst die Tangabraut übrigens, sich bei ihr ausgeheult hat wegen dem Typen. Die war offenbar einige Jahre mit dem zusammen und könne es immer noch nicht fassen, dass er sich an einem Kind vergriffen haben soll. Weisst doch wie die Frauen sind. Blabla den ganzen Tag. Habe mir schon überlegt, ob ich für ein paar Kröten der Presse einen Tipp geben soll. Aber andererseits… ist es wahrscheinlich ganz praktisch, mehr zu wissen, als alle anderen. Mal schauen, eventuell kann ich Nina überreden, diese Letizia zum Essen einzuladen, dann kann ich sie ein bisschen für uns ausquetschen. Wenn du nett fragst, gebe ich dir vielleicht sogar ihre Handynummer.»
Paul knufft mich in die Seite und rollt dann lachend die Zeitung wieder zusammen.
«Du spinnst doch.»
«Ich mach doch nur Spass. Bleib mal locker. Kommst du auch eine rauchen?»
«Nee, ich muss noch diese blöde Mail fertigschreiben.»
«Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du deinen Job viel zu ernst nimmst?»
«Du, gefühlt jeden Tag.»
«Richtig. Na gut, dann….» Paul lehnt sich über meinen Tisch und linst in meine leere Kaffeetasse. «bin ich mal so nett und bringe dir Nachschub. Bis gleich.»
Mit diesen Worten verschwindet Paul inklusive meiner Kaffeetasse aus meinem Büro und schliesst die Tür hinter sich zu.
Na gut, wo bin ich stehengeblieben? Ich überfliege kurz meine Mail. Schwertschwinger-Lancelot-Zerstörerer. Das ist so bekloppt. Paul hat recht, ich nehme meinen Job viel zu ernst. Es führt kein Weg daran vorbei, ob ich will oder nicht. Ich habe den Fall angenommen, also muss ich in den sauren Apfel beissen und mich dem Willen meines Klienten fügen. Demotiviert sortiere ich meine Notizen und schreibe ein paar Stichworte heraus. So viel Aufwand für einen Typen, der seine Nachbarin mit einem Schwert halbiert hat und sowieso den Rest seines Lebens in einer Irrenanstalt verbringen wird. Ich liebe meinen Job.
«Sie haben am 14. Juni 2019 um 22:53 Uhr das Haus als Gustavo Karl Svenson verlassen, um an einem Rollenspiel «Burg von Ritterstein» teilzunehmen. In dieser Nacht hat sie Fräulein van der Wall (bürgerlicher Name unbekannt) zum Ritter geschlagen. Fortan sollte man sie nun nur noch mit ihrem ritterlichen Namen Schwertschwinger-Lancelot-Zerstörerer ansprechen. Diese Bitte hat ihre Nachbarin Klarafina Weberhaus am 20. Juni 2019 um 14:05 Uhr missachtet und sie verspottet, wodurch sie sich gezwungen gefühlt haben, sie Macht ihres Schwertes zurechtzuweisen.»
Ich blättere in meinen Notizen. Irgendwo muss die Marke sowie der Hersteller des Schwertes doch stehen. Ich bin mir sicher, ich habe es mir aufgeschrieben.
Laute Musik dröhnt von einer Etage über meinem Büro zu mir herunter. Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät mir, dass der Zumba-Kurs im dritten Stock gestartet hat. Na toll, das hat mir gerade noch gefehlt. Wie soll man sich bei dem Radau konzentrieren. Genervt starre ich auf meine Notizen und halte mir die Ohren zu. Vergebens. Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, direkt unter einem Fitnessstudio ein Anwaltsbüro zu eröffnen? Achja,… ich erinnere mich. Und sogleich platzt der Übeltäter bewaffnet mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette hinterm Ohr zur Tür herein.
«Hey Mick, kann ich mir deine Schlüsselkarte ausborgen? Meine spinnt mal wieder.»
Paul stellt die Tasse auf meinem Tisch ab. «Hier dein Kaffee.»
«Danke», sage ich und fische meine Karte aus meiner Anzugshose. «Die will ich aber wiederhaben.»
«Klar, ich bringe sie dir gleich zurück.»
«Ich meine das ernst, ich will nicht wieder hier übernachten müssen», knurre ich und erinnere mich, an das letzte Mal, als Paul sich meine Schlüsselkarte ausgeborgt hatte und ich nicht mehr aus dem Büro gekommen bin, weil sich die Tür zur Kanzlei ab 19 Uhr ohne nicht öffnen lässt und die Feuerleiter seit einem halben Jahr defekt ist.
«Ach, das eine mal… sei doch nicht so nachtragend. Ich habe dir Kaffee gebracht und konnte mir sogar merken, wie du ihn magst. Zwei Würfel Zucker, ohne Milch. Bin ich nicht gut? Also wenn das kein Friedensangebot ist. Ausserdem muss ich heute sowieso bis 9 bleiben. Nina und ich wollen nach ihrem Kurs zusammen noch in diese neue Shishabar in der Elmstreet. Kommst du mit?»
«Ich weiss nicht, ich muss noch die Mail fertig kriegen und ich komme nicht vorwärts.»
«Scheiss doch auf diesen Schwertschwingerer-Dingsbums und komm mit uns feiern.» Paul fingert die Schlüsselkarte aus meiner Hand und schenkt mir ein Lächeln.
«Ja, okay. Ist Matze auch dabei?», frage ich und Pauls Gesicht verzieht sich zu einer Fratze. «Neeee…. Nimm es mir nicht übel, aber… ich mag es nicht wie er meine Frau ansieht.»
«Sag bloss, du bist eifersüchtig?», scherze ich und nehme einen Schluck von meinem Kaffee.
«Neee, ich bin nicht eifersüchtig. Ich mag es einfach nicht, wie er sie ansieht.»
«Achja.»
«Ja, der guckt halt richtig pervers.»
«Tut er das?»
«Sei nicht so scheisse zu mir, Mick. Du weisst, dass ich recht habe. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Dude.»
«Du magst es einfach nicht, dass er bei den Frauen besser ankommt, als du.»
«Du kannst mich mal.» Paul zeigt mir den Mittelfinger und dampft dann wie eine alte Lokomotive aus meinem Büro. Ich schaue ihm hinterher und muss grinsen. Oh ja, er ist definitiv eifersüchtig. Aber ich kann es ihm nicht verübeln. Matze ist ein Womanizer, nicht umsonst nennt man ihn auch Mr. Hollywood. Blondes, glänzendes volles Haar, perfekt strahlend weisse Zähne und Muskeln wie ein Adonis. Daneben sehen Paul und ich aus, wie zwei Flaschen Wasser neben einem Prosecco. Das Geräusch einer E-Mail reisst meine Aufmerksamkeit wieder auf den Computer. Absender Unbekannt, Betreff: TickTack. Stirnrunzelnd fahre ich mit der Maus über die Mail und überlege ein paar Sekunden. Bestimmt Spam. Kurzerhand markiere ich sie als Junkmail. Problem gelöst. Wenn sich doch alle Probleme so einfach lösen würden.
Ich schaue kurz über den Rand des Bildschirms zur Tür. Paul würde bestimmt sobald nicht wiederkommen. Den habe ich erstmal vergrault. Bleibt nur zu hoffen, dass er mir meine Schlüsselkarte zurückgibt, bevor er mit Nina um die Häuser zieht. Die perfekte Gelegenheit, um kurz nachzuschauen, ob MissGina28 schon auf meine Nachricht geantwortet hat, Schwertschwingerer-Lancelot kann noch ein paar Minuten warten. Etwas nervös öffne ich den Internet-Browser und…prompt blitzen mir gefühlt 100 Ruf-mich-an-Porno-Werbungen entgegen. Was zur Hölle… soll das? Hektisch manövriere ich den Mauszeiger auf das rote X, doch als ich versuche die Billig-Billig-Willig-Seite zu schließen, öffnen sich drei weitere. Innerhalb kürzester Zeit ist mein kompletter Desktop überflutet mit nackten Frauen in gespreizten Posen. Genervt wiederhole ich das Spiel ein paar Mal, ohne Erfolg und mit dem gleichen verdammten Ergebnis. Was passiert hier? Liegt das an dieser verdammten Junkmail? Das kann doch nicht sein, ich habe sie NICHT geöffnet!
Die Tür zu meinem Büro springt auf. Das hat mir gerade noch gefehlt. „Mick, deine Schlüsselkarte funktioniert nicht. Eh… was ist los?“
Ich spüre wie mir die Röte in die Wangen schießt und der Schweiß beginnt zu laufen. Eigentlich wäre das nichts, wofür ich mich zu schämen brauche, aber ich tue es trotzdem. „Nichts“, antworte ich plump, beuge mich unauffällig auf meinem Tisch vor und schalte den Bildschirm aus. Dann lehne ich mich auf meinen Stuhl zurück und versuche gelassen auszusehen. Was mir vermutlich nur minder gelingt, Pauls verwirrtem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
„Meine Schlüsselkarte funktioniert nicht?“, wiederhole ich und zwinge mich zu einem Lächeln. „Sicher, dass du nicht einfach zu blöd bist, um sie zu benutzen?“
„Haha, sehr lustig. Nee, funktioniert nicht. Sobald ich sie an den Sensor halte, leuchtet das Ding rot, statt grün. Wie bei meiner. Vielleicht hat die IT mal wieder etwas umgestellt ohne uns es uns zusagen, die Vollidioten.“
„Hast du Matze schon gefragt?“, hake ich nach und ernte prompt einen missbilligenden Blick von Paul. „Nee, frag du ihn doch.“
„Will ich raus eine Rauchen gehen oder du? Irgendwann musst du dich mit ihm abgeben. Du kannst ihn nicht ewig ignorieren.“
„Warum hast du den Wichser überhaupt eingestellt?“ Paul kommt wie eine Walküre in Streitlaune auf mich zu. Ich zucke lediglich mit den Schultern. „Sein Lebenslauf war beeindruckend.“
„Sein Lebenslauf war beeindruckend“, äfft Paul mich nach und lässt sich auf den Stuhl für Klienten fallen. „Das Einzige, was an dem Kerl beeindruckend ist, ist die Menge an Haarspray in seiner bekloppten Föhnfrisur.“
„Jungs?“ Matze taucht in der Türschwelle auf. Perfekt frisiert, in einem engen und maßgeschneiderten blauen Nadelstreifenanzug und zu Hochglanz polierten zum Rest passenden Schuhen. „Wenn man vom Teufel spricht“, murrt Paul leise, schlägt die Beine übereinander und dreht sich in seinem Stuhl in Richtung seines auserkorenen Todfeinds. Ich muss mir ein Lachen verkneifen.
„Ich wollte Pizza bestellen, aber mein Handy hat keinen Empfang, mein Telefon ist tot und… ehm… irgendetwas stimmt nicht mit meinem Computer.“
„Aha.“ Pauls Tonfall ist so herablassend, dass ich ihm am liebsten irgendetwas gegen den Kopf geschleudert hätte.
„Moment, du kannst mein Handy haben“, sage ich und hole es aus der Schublade unter meinem Tisch. Ein kurzer Blick auf das Display. Keine Nachrichten, keine Anrufe, was etwas überraschend ist. Ich lege die Stirn in Falten. Ebenfalls kein Empfang. He? Das kann doch nicht sein.
„Bei welchem Anbieter bist du Matze?“
„O2, wieso fragst du?“
Oh, na gut, kann doch sein. „Ich auch, offensichtlich haben die gerade mal wieder Probleme mit ihrem Netz. Ich habe auch kein Empfang.“
„Mist, kann ich mir deins kurz ausleihen? Die Frage ist an Paul gerichtet. Ein süffisantes Lächeln schmiegt sich um seine Lippen, als er mit einem knappen „Nö“ antwortet.
„Sei doch nicht so kindisch“, weise ich ihn zurecht. „Er will sich doch nur eine Pizza bestellen.“
„Vielleicht, aber vielleicht will er auch etwas anderes. Wer weiss.“
„Hä? Was meinst du?“, schaltet sich Matze verwirrt ein.
„Nimm es mir nicht übel, Matziboy, aber ich kenne dich nicht und ich traue dir nicht. Du arbeitest erst seit drei Wochen bei uns und mein Vertrauen muss man sich erst verdienen.“
„Bist du jetzt total bescheuert?“, fauche ich Paul an. „Das ist doch lächerlich. Matze, was für eine Pizza willst du? Ich rufe kurz an. Ignorier Paul einfach, keine Ahnung was ihm heute über die Leber gelaufen ist.“ Ich werfe Paul einen bösen Blick zu, dieser reckt lediglich das Kinn und fängt an Karussell mit seinem Stuhl zu fahren.
„Ehh… okay. Eine Hawaii mit extra Käse.“
„Alles klar, ich bestelle gleich, lässt du uns bitte kurz alleine?
„Danke und sorry für die Umstände. Ich schau mal, ob ich mein Telefon irgendwie gefixt bekomme.“ Matze hält die Hand zum Abschied hoch und schliesst dann die Tür hinter sich. Als Paul und ich wieder alleine sind, stelle ich ihn zur Rede.
„Was sollte das eben?“
„Ich traue dem Dude nicht, habe ich dir doch schon gesagt. Und ganz im Ernst, Pizza Hawaii? Kein normaler Mensch bestellt sich Pizza mit Ananas. Das ist widerlich. Ich wette mit dir, der Typ will nur mein Handy um an die Nummer von Nina zu kommen. Ich bin doch nicht blöd.“
„Du solltest wirklich etwas gegen deine Eifersucht unternehmen. Das ist nicht mehr normal.“
„Ich bin nicht eifersüchtig. Ist dir wirklich nicht aufgefallen, wie er meine Nina ansieht? Vor zwei Tagen habe ich ihn erwischt, wie er ihr nachgestellt hat. Sie hat sich kurz beim Bäcker nebenan einen Kaffee und eine Bretzel geholt und rate, wer urplötzlich und natürlich ganz zufällig hinter ihr stand. Matze.“
„Wow, du hast wirklich ein Problem. Ganz im Ernst, wenn du dich nicht zusammenreissen kannst, sehe ich mich gezwungen, dir eine Verwarnung zu geben. Freunde hin oder her, aber so ein Verhalten am Arbeitsplatz kann ich nicht akzeptieren. Komm einfach klar damit, dass der Typ nun bei uns arbeitet.“ Pauls Kinnlade donnert gegen den Boden.
„Nicht dein Ernst? Du ziehst den Kerl mir vor?“
„Ich ziehe ihn dir nicht vor, aber wir brauchen ihn und du verhältst dich einfach wie ein kleines Kind.“ Ich greife zum Hörer des Telefons und fange an die Nummer von der Pizzeria einzutippen. „Ausserdem ist Nina treu, sonst wäre sie längst mit dem feurigen Brasilianer vom Zumba-Kurs durchgebrannt.“
„Der ist schwul.“
„Hmm, merkwürdig“, sage ich geistesabwesend. „Was ist daran so merkwürdig?“, fragt Paul und legt den Kopf schief.
„Hä? Oh, Nichts. Aber ich höre kein Tuten.“ Ich lege den Hörer kurz auf die Gabel und versuche es erneut. Wieder kein Tuten. „Ich glaube, mein Telefon ist auch kaputt. Da passiert nichts.“
„Zeig mal.“ Paul lehnt sich über meinen Tisch und nimmt mir den Hörer aus der Hand. Er drückt ein paar Mal auf dem Bedienfeld herum, nur um festzustellen, dass ich recht habe. Dann kramt er wortlos sein Handy aus seiner Hose, schaut kurz auf das Display und ohne etwas zu sagen, kann ich an seinem Gesicht ablesen, dass sein Handy keinen Empfang hat.
„Auch bei O2?“, frage ich und Paul schüttelt den Kopf. „Nee… das kann doch nicht wahr sein.“
Wieder schwingt die Tür zu meinem Büro auf und Matzes blonder Schopf gesellt sich zu uns. „Ich will wirklich nicht stören, aber meine Schlüsselkarte geht nicht. Kann mir vielleicht einer von euch seine leihen?“
Paul und ich schauen uns an. „Blinkt ein rotes, statt ein grünes Licht auf?“, frage ich und merke, dass ein leichter Anflug von Panik über mich hinweg fegt. Ich habe absolut keine Lust, die ganze Nacht mit zwei Streithähnen hier eingesperrt zu sein.
„Yep, rotes Licht und ich habe es ein paar Mal versucht. Beim Telefon hatte ich auch keinen Erfolg, alle Kabel sind richtig eingesteckt, aber es bleibt tot.“
Ruckartig steht Paul auf und sprintet an Matze vorbei aus dem Büro.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“
„Nee, hast du nicht. Es ist nur….eh… unsere Schlüsselkarten funktionieren ebenfalls nicht und mein Telefon ist wohl genauso tot wie deins.“
„Wirklich?“, Matze sieht mich überrascht an und kommt in meine Richtung. Er wirft einen Blick auf mein Telefon, greift nach dem Hörer und vergewissert sich, ob ich ihm die Wahrheit erzählt habe. „Voll abgespaced“, murmelt er und legt den Hörer wieder auf. „Und der Computer?“
„Wie, was soll mit dem Computer sein?“
„Ist mit dem alles in Ordnung?“
Ich schaue Matze verunsichert an. „Warum sollte der nicht in Ordnung sein?“
Ohne eine Vorwarnung schaltet er meinen Bildschirm an. Gespreizte Schenkel, grosse Titten und verführerische Versprechen hüpfen uns entgegen. „Ehh…. Ich… ich… kann das erklären!“, stammele ich peinlich berührt und fuchtle verzweifelt mit meinen Händen vor dem Computer herum, um den mit Erotikwerbung überfluteten Desktop irgendwie zu verbergen.
„Wie bei mir“, flüstert Matze nachdenklich, schnappt sich die Maus vom Tisch und klickt ein paar Mal auf rote Kreuze, aber statt Fenster zu schließen, öffnen sich unzählige weitere verlockende Angeboten im zwielichtigen Bereich.
Ehe ich etwas darauf erwidern kann, stürmt Paul in mein Büro. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn, als hätte er gerade einen Marathon hinter sich.
„Mein Telefon ist auch tot und die Schlüsselkarten funktionieren immer noch nicht. Wir sind verdammt nochmal eingesperrt.“
„Und was ist mit deinem Computer?“
„Was soll mit dem sein?“
„Schau mal“, fordert Matze Paul auf und winkt ihn zu uns herüber. Mit zügigen Schritten marschiert Paul hinter meinen Schreibtisch. Als wir alle drei auf die twerkenden Frauen auf meinem Bildschirm glotzen, wäre ich am liebsten im Boden versunken. Auch Pauls Gesicht nimmt die Farbe einer Tomate an. „Ehh… ja, ich glaube, ich habe den gleichen Virus auf meiner Kiste.“ Paul hustet ein paar Mal und zupft nervös an seinem Ziegenbärtchen herum.
„Und nun?“, frage ich in die Runde, aber erhalte ausser Schulterzucken keine Antwort. Ein lautes „Aaaaaarrrriba“ eine Etage über uns durchbricht die Stille. „Wir könnten warten, bis der Zumba-Kurs vorbei ist und solange gegen die Tür hämmern, bis irgendjemand auf uns aufmerksam wird“, schlägt Matze vor. „Die helfen uns bestimmt.“
„Ich habe sowieso ein Date mit Nina, sie wird mich suchen, wenn ich nicht Punkt 9 vor dem Eingang auf sie warte“, erwidert Paul und sieht mich an. Ich nicke lediglich.
„Du hast ein Date mit Nina?“
„Sie ist meine Frau“, knurrt Paul und wenn Blicke töten könnten, würde Mr. Hollywood in akuter Lebensgefahr schweben.
„Oh, das wusste ich nicht. Sie hat nicht gesagt, dass sie verheiratet ist.“ Matzes überraschter Tonfall gibt Paul den Rest. Okay. Schnell handeln, bevor die beiden aufeinander losgehen.
„Ehhh..“, schalte ich mich ein und versuche die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema zu lenken. „Habt ihr auch diese E-Mail bekommen?“
„Was für eine E-Mail?“
Pauls Todesblick hüpft von Hollywood auf mich über. „Was für eine E-Mail?!“, wiederholt er etwas schroffer und im Augenwinkel nehme ich wahr, wie seine Hände sich zu Fäusten ballen. Ich sollte ihn in einen Antiaggressionskurs schicken, denke ich, klaue Matze die Maus aus der Hand und versuche Outlook zu öffnen, was sogar auf Anhieb klappt.
„Diese Mail“, sage ich und zeige mit meinem Finger auf die TickTack-Mail von Mr. Unbekannt, die ich als Spam markiert habe. Paul sowie Matze schütteln mit dem Kopf.
„Aber wenn Outlook nicht vom ominösen Pornovirus befallen ist, schreib Silvio eine Mail. Der soll den Scheiss mit der Schlüsselkarte fixen.“
„Gute Idee!“, stimme ich Paul zu und gerade als ich eine neue Mail öffnen und loslegen will, werde ich völlig widererwarten von dem Klingeln meines Telefons unterbrochen. Verdutzt starre ich auf die Anzeige. IT is calling. Was für ein Zufall. Ich schnappe nach dem Hörer und schalte auf Lautsprecher.
„Silvio! Wie gut, dass du anrufst. Ich wollte dir gerade eine Mail schreiben. Wir sind völlig aufgeschmissen. Unsere Schlüsselkarten funktionieren nicht, die Telefone sind tot und... ääh, mit unseren PCs stimmt auch etwas nicht. Sobald wir den Internetbrowser öffnen, ähm… also da kommen so Pop-Ups. Wir haben alle drei das gleiche Problem. Kannst du uns bitte helfen?“
„Nein“, antwortet die Stimme am anderen Ende der Leitung. Perplex schaue ich auf die Anzeige meines Telefons. Dort steht IT, aber das ist definitiv nicht Silvio.
„Wie nein? Sorry, sind sie neu? Wo ist Silvio? Wir brauchen wirklich dringend Hilfe. Wir sind eingesperrt.“
„Sie können mich Charlie nennen.“ Charlie? Ich kenne keinen Charlie. Ein Blick in die Runde verrät, dass es Paul und Matze wohl genauso geht. Vielleicht hat Silvio einen neuen Praktikanten?
„Okay, Charlie, kannst du bitte Silvio ans Telefon holen?“
„Duzen Sie mich nicht“, antwortet Charlie ernst.
„Ehh… sorry, können Sie bitte Silvio ans Telefon holen, Charlie? Es ist wirklich ein Notfall“, versuche ich es erneut und achte darauf, so höflich und anständig wie möglich zu klingen. Offensichtlich ist Charlie ein Mensch der Kategorie Kompliziert.
„Nein.“
„Ist Silvio nicht da?“
„Nein.“
„Können Sie uns helfen bitte?“ Allmählich verliere ich die Geduld mit dem Typen und Pauls Gesichtsausdruck nach zu urteilen, würde er mir am liebsten den Telefonhörer aus der Hand reissen und ins Telefon schreien.
„Eventuell.“ Ein leises Kichern raunt durch die Lautsprecherbox meines Telefons.
„Das ist wirklich nicht lustig.“
„Wissen Sie, was lustig ist?“
„Nein.“
„Raten sie.“
„Nein, ich will nicht raten, bitte helfen Sie uns doch einfach.“
„Ich gebe Ihnen einen Tipp. Es macht Tick, Tack und ist gut versteckt.“
„Was?“, frage ich überrumpelt und glotze Paul an, der zurückglotzt. Matze reisst mir die Maus aus der Hand und klickt zweimal auf die E-Mail in meinem Junk-Mail-Ordner. Als ich sehe, was sich im Anhang der Mail befindet, rutscht mir das Herz in die Hose.
„Woher wusstest du das?“, kläfft Paul Matze an und schubst ihn unsanft von meinem Tisch weg. „Hey!“ Matze stolpert ein paar Schritte nach hinten und hätte fast das Gleichgewicht verloren. „Das war doch offensichtlich, Mann!“
„Eine Bombe“, flüstere ich in den Hörer und kann meinen eigenen Worten nicht trauen.
„RRRRrrrrrriiiichtig!“
„Bitte holen sie uns einfach hier raus.“ Wie gebannt kleben meine Augen an dem Foto der Bombe, die in unserer Abstellkammer, wo wir die ganzen Ordner und Akten aufbewahren, an der Decke oben angebracht ist. Ich kenne mich mit Bomben nicht aus, aber der Grösse nach zu urteilen, wird sie ordentlich Wumms machen. Warum ist die uns bisher nicht aufgefallen? Wie lange hängt die schon dort oben und wie zum Teufel ist sie dort hinein gekommen? Paul stampft wie eine Furie aus meinem Büro und schleudert die Tür hinter sich zu, während sich Matze wieder gefangen hat und neben mir in die Hocke geht.
„Frag ihn, was er will.“
„Was wollen sie von uns?“
„Mir gefällt ihre Kanzlei. Sie ist so schön traurig und trist wie ein Gemälde von Edvard Munch. Lassen sie uns den Pinsel schwingen und ein bisschen Farbe in ihren langweiligen, grauen Alltag bringen und… für eine bombastische Stimmung am Arbeitsplatz sorgen, Mick.“
„Sind Sie ein Klient von uns? Haben wir irgendetwas falsch gemacht oder benötigen Sie einen Anwalt? Geld vielleicht? Sagen Sie mir einfach, was sie von uns wollen.“
„Sie kommen direkt zum Punkt, ein richtiger, knallharter Geschäftsmann eben. Soll ich Ihnen den Sachverhalt erklären, Herr Anwalt? Wollen wir die Fakten auf den Tisch legen und schauen, ob sie ihre Ärsche aus der brenzligen Situation wieder herausboxen können? Ich bin so aufgeregt. Werden Sie es schaffen? Werden Sie? Können Sie den Richter überzeugen und dem Urteil entfliehen?“ Teuflisches Gelächter dringt durch die Boxen. Mir wird flau im Magen.
Im Nebenzimmer fängt es an zu poltern. Irgendetwas fällt auf den Boden. Dann hört man einen Karton reissen.
„Sagen Sie mir einfach, was ich tun soll…“, winsle ich und merke, dass ich der aktuellen Lage nicht gewachsen bin. Meine Hände fangen an zu schwitzen und die Tatsache, dass Paul gerade die ganze Kanzlei auseinandernimmt, machen es nicht besser.
„Gut, hören Sie mir zu, Herr Anwalt. Das komplette Gebäude steht unter meiner Kontrolle. Aber das haben sie sicherlich schon bemerkt. Sie sind ja schliesslich ein raffiniertes Köpfchen. Die Kanzlei ist verwanzt und ich sehe alles. Suchen Sie nicht nach den Kameras. Sie könnten es bereuen. Ich habe drei Bomben versteckt, wo sich die Erste befindet, wissen ja schon. Sie erhalten drei Rätsel. Drei Chancen, drei Bomben zu entschärfen. Es gibt nur eine Regel. Jeder von ihnen darf nur ein Rätsel lösen. Und falls sie ein Rätsel nicht lösen können, dann…. BOOOOM!“
„Drei Bomben?“, wiederholt Matze und streift sich mit der Hand durch seine perfekten Haare. Dann nimmt er mir den Hörer aus der Hand.
„Sind die drei Bomben alle in unserer Etage platziert?“, fragt er und erhält als Antwort ein patziges „Eventuell“.
„Warum fragst du das?“, hake ich leise nach und nehme den Hörer wieder entgegen. „Wenn wir nur eine Bombe in unserer Etage haben, ist die Chance höher, dass wir überleben.“
„Überleben? Warte was? Du willst die verdammten Bomben doch nicht hochgehen lassen?“
„Nein, natürlich nicht, aber wir müssen logisch denken. Kennst du dich mit Bomben aus?“
Ich schüttle mit dem Kopf. „Du etwa?“
„Nee, Paul vielleicht?“
„Garantiert nicht, er ist Grobmotoriker, er würde uns alle umbringen.“
„Ich möchte das Teekränzchen nur ungern unterbrechen, aber die Uhr tickt. Sind sie bereit für das erste Rätsel, Herr Anwalt? Sind sie bereit?“
Wie auf Kommando erscheint ein völlig aufgelöster Paul in der Türspalte, in der einen Hand einen kaputten Ordner haltend und in der anderen ein Stück Kabel. Schwankend kommt er auf uns zu und hievt sein Hinterteil auf den Stuhl für Klienten. Dann lässt er den Ordner fallen und klopft sich den Staub von seinem schwarzen, ramponierten Anzug. „Wo zur Hölle warst du?“ Matze wirft Paul einen fragenden Blick zu. „Ich habe versucht, die verdammte Bombe von der Decke zu reissen.“
„Bist du wahnsinnig?! Willst du uns alle umbringen?“
„Ja, wir sind bereit“, lüge ich Charlie an und beisse mir auf die Lippen. „Erstes Rätsel für Sie, Herr Anwalt. Bereit oder nicht. Hier kommt es. Was sucht ein Arbeitsloser unter dem Rock einer Frau? Na, was könnte er dort wohl suchen? Sie haben 2 Minuten. Die Uhr tickt. Tick tack, Tick tack.“
Die Melodie von O Fortuna rieselt durch das Telefon und wird begleitet von einem wilden Tick-Tack-Tick-Tack-Singsang von Charlie.
Ich schaue meine Arbeitskollegen erwartungsvoll an. „Das ist doch dein Fachgebiet, Hollywood“, bockt Paul. Seine Augen formen sich zu Schlitzen. „Warum sollen wir überhaupt so bekloppte Rätsel lösen?“
„Um die Bomben zu entschärfen“, antworte ich knapp, seine Bemerkung von gerade eben ignorierend.
„Aha.“
„Und jeder darf nur ein Rätsel lösen, wir brauchen dich also.“
„Was könnte ein Arbeitsloser suchen…“, schaltet sich Matze ein. „Einen Job, vielleicht? Geld. Oder… hmmm…HARTZ 4?“
„Warum sollte ein Arbeitsloser unter einem Rock einen Job finden? Das ist doch bescheuert.“ Funken sprühen zwischen Paul und Matze. Wie um Paul zu verhöhnen, streckt Matze die Zunge raus und tippt sich ein paar Mal damit gegen die Oberlippe. „Vielleicht solltest du das bei deiner Frau auch mal versuchen, dann müsste sie nicht bei anderen Männer holen, was du ihr nicht geben kannst.“
„Das hast du nicht gesagt! Siehst du Mick? Ich hatte recht!“ Paul rollt die Ärmel seiner Anzugsjacke nach hinten und begibt sich in Kampfstellung.
„Könnt ihr bitte aufhören euch zu streiten.“ Verzweifelt schiebe mich zwischen die beiden und versuche dabei nicht, das Telefonkabel aus der Vorrichtung zu ziehen.
„Tick, Tack, Tick, Tack, die Zeit läuft, Herr Anwalt, die Zeit läuft!“, schaltet sich Charlie ein.
„Ihr könnt euch später noch die Köpfe einschlagen. Wir haben eine verdammte Bombe in unserer Kanzlei! Verdammt! Konzentriert euch!“
„10, 9, 8, 7…“ zählt Charlie runter. Ich spüre, wie mein Herz anfängt im Takt des Countdowns zu schlagen und droht, gleich aus der Brust zu springen. Was sucht ein Arbeitsloser…. Doch einen Job? Blowjob? Nein, das macht keinen Sinn.
„3.. 2…“
Matze reisst mir den Hörer aus der Hand. „Eine offene Stelle. Er sucht eine offene Stelle.“
„Ist das ihre finale Antwort, Herr Anwalt Nr. 2?“ Die Musik verstummt und für drei Sekunden herrscht Totenstille. Lediglich die dumpfen Klänge der mexikanischen Musik aus dem Zumba-Kurs eine Etage höher sind zu hören.
„Ja, das ist meine finale Antwort. Er sucht eine offene Stelle.“
„Rrrrrichtig!“
„Glückstreffer“, murrt Paul und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Fick dich“, kontert Matze und reicht mir wieder den Hörer. „Du wirst uns noch alle umbringen!“
„Sehr gut, Herr Anwalt Nr. 2. Sie dürfen nun selbstverständlich kein weiteres Rätsel mehr lösen und wenn sie es doch wagen sollten, Anwalt Nr. 1 oder Anwalt Nr. 3 irgendwie zu helfen und ich SEHE und HÖRE alles, sprenge ich das komplette Gebäude in die Luft.“ Schallendes Gelächter dringt aus dem Telefon. „Dann macht es Boom-Boom!“
„Was? Er darf uns nicht mehr helfen?“, frage ich gestresst und schaue panisch Paul an, der nun hoffentlich auch den Ernst der Lage endlich begreifen sollte. Eine unangenehme Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus.
„Sie haben richtig verstanden, Herr Anwalt Nr.1. Bereit oder nicht, hier kommt das nächste Rätsel: Wie bezeichnet man einen Toilettenbesucher, der eine akademische Ausbildung hat? Die Uhr tickt. Tick tack, Tick, tack.“ Wieder flötet die Melodie von O-Fortuna aus der Lautsprecherbox begleitet von dem unangenehmen Gesang von Charlie.
„Du oder ich?“, frage ich Paul, aber dieser schenkt mir keine Beachtung und sieht zu Hollywood herüber. „Weisst du es, Lockenfresse?“
„Das ist so einfach“, antwortet Hollywood und wird prompt von Charlie zurechtgewiesen. „Wenn sie den Mund nicht halten, Herr Anwalt Nr. 2, fühle ich mich gezwungen, die Bombe hochgehen zu lassen. Aber es ist ihre Entscheidung. Ich bin mit beidem einverstanden.“
Matzes Lippen formen sich zu einer schmalen Linie. „Weisst du die Antwort Paul?“, frage ich mit Nachdruck. Paul verschränkt die Arme vor der Brust und streckt die Nase in die Höhe.
„Natürlich weiss ich die Antwort, du etwa nicht?“
„Doch. Soll ich antworten oder du?“
„Mach du.“
„Okay“, sage ich misstrauisch und glaube Paul irgendwie nicht so richtig, dass er die Antwort auf das Rätsel weiss. Skeptisch überlege ich, ob ich das Rätsel wirklich lösen soll. Wenn ich nun antworte und Paul danach als Einziger das letzte Rätsel lösen darf und verkackt, sind wir alle im Arsch. Andererseits hat er einiges auf dem Kasten. Er ist ein Spitzenanwalt, er hat schon Fälle gemeistert, bei denen ich nicht mal ansatzweise eine Chance gehabt hätte. Ich muss ihm einfach vertrauen und hoffen, dass er sich nicht von seinen Gefühlen übermannen lässt, weil er der Meinung ist, sich einen Konkurrenzkampf mit Hollywood leisten zu müssen.
„Man bezeichnet den Toilettenbesucher als einen Klugscheisser“, sage ich und prompt verstummt die Musik.
„Ist das Ihre finale Antwort, Herr Anwalt Nr.1?“
„Ja, das ist meine finale Antwort. Klugscheisser.“
„RRrrrrrichtig!“
„Hätte ich auch gesagt“, murrt Paul und richtet sich in seinem Stuhl auf. „So und jetzt kommt meine Runde. Gib mir das Telefon. Wir sind gleich hier raus. Versprochen.“
Ich ziehe die Augenbraue in die Höhe und bete zu Gott, als ich ihm den Hörer reiche. Bitte lass das kein Fehler gewesen sein. Bitte.
„Letztes Rätsel für Sie, Herr Anwalt Nr. 3. Sie sind nun auf sich alleine gestellt. Sind Sie nervös?“
„Nööö, immer her damit. Ich will endlich hier raus. Sie versprechen uns doch, dass sie uns alle wohlbehalten hier rauslassen, sobald ich das letzte Rätsel gelöst habe oder?“
„Selbstverständlich, ich halte immer zu meinem Wort. “
„Versprechen Sie es hoch und heilig.“
„Hoch und Heilig, Herr Anwalt Nr. 3. Bereit oder nicht, hier kommt das letzte Rätsel: Was ist ca. 20 cm lang, steif und am Ansatz behaart und wird in eine feuchte Öffnung hineingeschoben wo es schnell hin und her bewegt wird? Was ist es? Die Uhr tickt. Tick tack, Tick, tack.“ O-Fortuna fiedelt wieder aus der Lautsprecherbox und treibt meinen Puls in die Höhe. Angespannt mustere ich Paul. Ein selbstsicheres Grinsen breitet sich aus seinem Gesicht aus. Ist das ein gutes Zeichen? Weiss er die Antwort? Ich will nicht sterben. Auch Matze wirkt, als würde er auf heissen Sohlen sitzen.
„Wow, wirklich Charlie? Das ist ja fast schon zu einfach“, verhöhnt Paul den Kerl mit der Zündung in der Hand.
„Sag bloss, sie wissen die Antwort, Herr Anwalt Nr. 3?“
„Natürlich weiss ich die Antwort, das ist kinderleicht.“
Matze schaut zu mir herüber. Ich erwidere seinen Blick. Unsicherheit liegt darin. Hoffentlich weiss Paul, was er da tut. Kalter Angstschweiß läuft mir über den Rücken hinab. Die Tick, Tacks sind kaum noch zu ertragen.
„Es ist ein Schwanz.“ Stolz plustert sich Paul in seinem Stuhl auf. Ist das sein verdammter Ernst? Ich reiße die Augen auf und starre ungläubig meinen alten Freund und Arbeitskollegen an. Revidiere es! Sofort. Bitte lass das nur ein kleiner Scherz sein. Nur ein kleiner Scherz. Oh mein Gott, bitte. Die Musik verstummt und ich halte die Luft an.
„Ist das ihre finale Antwort, Herr Anwalt Nr. 3?“, flötet Charlie durch das Telefon.
„Selbstverständlich. Es ist ein Schwanz. Und jetzt lassen Sie uns hier raus. Meine Frau wartet auf mich.“
„Sind sie wirklich sicher? Wirklich wirklich sicher? Also, so richtig sicher?“
„Jaaaaaa, mann, die Antwort ist Schwanz. Schwanz, Schwanz Schwanz und jetzt seien Sie kein schlechter Verlierer und lassen sie uns hier ra….“
Im Augenwinkel nehme ich wahr, wie Matze sich auf Paul stürzt und anfängt auf ihn einzuschlagen. Wie angewurzelt beobachte ich die beiden und kann nicht glauben, was gerade passiert ist.
„Die Antwort ist…….. FAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAALSCH!!!!!!!!!!!!!!!! BOOM BOOOOM!!!!!!!!!!!!“