Erinnerung – Dusche

Poesie 21. Jan. 2022

Warnung:

Wir erinnern uns daran, dass dies nur eine fiktive Geschichte ist. Der Inhalt soll schockieren, abschrecken und Angst auslösen.  Das Leben ist kostbar. Das Leben ist ein Geschenk und man sollte andere so behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Mit Respekt, Liebe und Verständnis. Solltest du dunkle Gedanken haben, die dich drohen einzunehmen, dann suche dir bitte Hilfe. Es gibt immer eine helfende Hand, man muss danach nur greifen wollen.

TRIGGERWARNUNG

Einmal im Ferienlager. Ich fühle mich unwohl hier und möchte nach Hause. Der Ort ist schön. Ein Holzhäuschen mit vielen Zimmern auf einem Berg. Viele Zimmer für viele Kinder aber nur eine Dusche. Die sollen wir uns teilen. Wir sind so klein, keiner wird Fragen stellen, das ist absolut normal. Normal, sagen sie, denken sie alle. In meinem Kopf zwirbelt das Karussell. Es dreht sich immer, rundherum im Kreis herum, aber heute, in diesem Augenblick, dreht es schneller. Für mich ist das nicht normal. Mein Körper fängt an vor Angst zu vibrieren. Ich nehme die Facetten vor mir verschwommen wahr und erkenne meinen Lehrer nur noch an seiner Stimme, die laut meinen Untergang verkündet. Wir sollen uns aufteilen. Immer zwei. Ich spüre, wie ich mit dem Stuhl verschmelze und der Boden unter meinen Füssen Richtung Hölle verschwindet. Ich stecke in der Schwebe, gefangen zwischen Abgrund und Untergang. Bitte nicht, hallt es durch meinen Kopf und ich beginne leise zu zählen. Und es geht auf. Wir sind zwölf kleine Kinder und wir müssen Wasser sparen. Lieber hätte ich kalt geduscht. Aber ich halte meinen Mund und starre zitternd in die Masse, die bereits freudig Grüppchen bildet. Dann taucht genau das Gesicht vor mir auf, vor dem ich mich am meisten fürchte. Ihr Mund ist zu einem freundlich trügerischen Lächeln verzogen. Sie greift nach meiner Hand, die in meinem Schoss liegt und weiss, dass sie gewonnen hat. Ich schlucke heimlich, als sie dem Lehrer mitteilt, dass wir zwei nun eine Gruppe bilden. Alle freuen sich, nur ich sitze da und kämpfe mit meinen Dämonen, die leise die Melodie der sich nahenden Apokalypse zwitschern. Ich will nicht. Ich kann nicht. Tu mir das nicht an. Das stille Flehen wird nicht erhört und nur wenige Minuten finde ich mich im Badezimmer wieder.

Das ganze Weiss in dem kleinen Raum wirkt wie eine ketzerische Lüge und ich sehne mich nach der schwarzen Wahrheit, die sich in den Wänden versteckt und das Geschehen schmunzelnd beobachtet. Der Mann in meinem Kopf läuft nervös auf und ab. Zum ersten Mal teilen wir uns eine Meinung. Wir müssen hier raus. Lieber dreckig, als befleckt. Lieber tot, als hier mit ihr gefangen zwischen klitschnassen weissen Kacheln. Der Spiegel ist bereits beschlagen und ich erkenne nur noch Schemen darin. Umrisse meiner selbst, ein gesichtsloses Etwas, wie ein Schatten an der Wand. Das Geräusch von Stoff, der über unschuldige Haut gleitet, kriecht durch meine Ohren in mein Gehirn und startet den Film in meinem Kopf, dessen Inhalt nicht für Kinder gedacht ist. Ich versuche den Gedanken abzuschütteln. Zwecklos. Das Kino hat begonnen und ich bin die Einzige, die nicht nackt ist. Das Mädchen fängt an, mich auszuziehen, als ich keine Anstalten mache, es zu tun. Die grinsende, selbstgefällige Fratze fühlt sich an, wie ein unangenehmer Cocktail aus Wut und Furcht, der langsam die Kehle herunterrinnt und sich wie Säure in die Eingeweide frisst. Widerwillig gehe ich ihr mit nervösen Fingern zur Hand und streife die Klamotten von meinem bebenden Leib. Mein Körper ist gefangen zwischen elektrischen Stäben und jeder Fetzen Stoff, der von meiner Haut gleitet, löst eine erneute Stromwelle aus. Es tut weh. Es tut so unfassbar weh.

Das Rauschen der Dusche ist laut. Wasser, das auf dem Boden aufpeitscht und in alle Richtungen schiesst. Wir stellen uns unter den heissen Strahl. Ich habe ausgeblendet, was sie zur mir gesagt hat. Wollte es nicht hören, es einfach nur hinter mich bringen. Ihr Lachen hat gereicht, um zu verstehen, wie sich das Ganze für sie anfühlt. Sie geniesst das. Sie liebt es, mich leiden zu sehen. Mich zu brechen und in Einzelteile zu reissen. Die Stücke von mir auf dem Boden zu sehen und darauf herum zu trampeln, als wäre ich die erbärmliche Wanze, für die sie mich hält.

Ich presse meinen Rücken gegen die kalten Fliesen der Dusche und versuche mit der Wand zu verschmelzen. Das Wasser streift mich nur, so werde ich niemals sauber. Aber das ist mir egal. Jeder Wassertropfen fühlt sich an wie ein Peitschenhieb. Das Mädchen steht vor mir und sieht mich an. Sie sagt irgendetwas. Sie lacht und ich lache mit, um den Schein zu wahren. Ich lache einfach mit. Lache mit und sterbe innerlich, als ihre Hand mich berührt. Ihre Finger gleiten über meinen Körper. Über Stellen, die nicht angefasst werden sollen. Ich hasse es. Ich hasse mich und ich will nicht hier sein. Sie lacht und ich schliesse die Augen. Lasse es geschehen und alles was ich höre, ist das Rauschen der Dusche und das leise Wimmern in meinem Kopf.

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