Verführerische Fremde
Ich liebe es, wenn deine Hände sanft über meinen Körper streicheln und deine weichen Fingerkuppen jeden Zentimeter von mir erkunden. Jede Berührung von dir fühlt sich so unbeschreiblich schön an. Ich muss an dein Lächeln denken, wenn deine Lippen meine Lieblingsstelle zwischen Bauch und Becken erreichen und ich dabei leicht zusammenzucke. Ich mag es, wenn du dich auf mich legst und ich dein Gewicht auf mir spüre. Dein Körper ist Feuer und ich bin das Eis, das du zum Schmelzen bringst. Ich sehe dir gerne zu, wie du dich auf mir bewegst, während ich unter dir gefangen bin. Haut an Haut, so eng verbunden.
Ich muss seufzen und ziehe die Decke ein bisschen weiter hoch, aber nur so weit, dass ich dich noch sehen kann. Das Wort Liebe vermag es nicht zu beschreiben, was ich für dich in diesem Moment empfinde. Ich will deine Spielwiese sein, möchte dich spüren, dich küssen und in deinen starken Armen liegen. Aber du bist so so fern. Vorsichtig strecke ich meinen Arm aus, versuche dabei so leise wie möglich zu sein, weil ich Angst habe, dich aufzuwecken. Ich kann dich nicht berühren. Du liegst auf der anderen Seite des Bettes, weit weg von mir. Wie gerne würde ich die Entfernung zwischen uns ausradieren.
Ich stelle mir vor, wie ich neben dir liege und mich an deinen Rücken kuschle. Aber ich weiss, du willst es nicht. Du willst mich nicht mehr. Nicht mehr seit du sie kennengelernt hast. Diese verführerische Fremde, die nun zwischen uns steht. Das Frösteln in meiner Brust lässt mich schaudern. Es fühlt sich an, als würde ich erfrieren ohne deine Wärme. Warum kann ich die Zeit nicht zurückdrehen? Zurück zu einem Moment, als wir beide uns so nah waren. Diesen Moment einfrieren und immer wieder erleben. Eine Endlosschleife von dir und mir, zusammen, für immer. Wieder fange ich an zu weinen und ich weiss, wie sehr du meine Tränen hasst. Du hast mir oft genug gesagt, dass du es nicht erträgst, dass ich ständig traurig bin. Wolltest immer, dass es mir gut geht, aber ich konnte nicht aufhören, mich schlecht und wertlos zu fühlen. Vielleicht hätte ich die Zeit mit dir mehr wertgeschätzt, wenn ich gewusst hätte, dass sie einmal endet. Ich hasse mich so sehr dafür, nicht bemerkt zu haben, wie sehr ich mich mit meinem Verhalten von dir distanziere. Hätte ich doch nur alles richtig gemacht, dann wäre diese andere Frau niemals in unser Leben getreten.
Ich spüre wie ich keine Luft mehr bekomme und muss aufstehen. Kann nicht mehr neben dir liegen, während dein Handybildschirm ununterbrochen aufleuchtet. Sie schreibt dir. Ständig. Immerzu. Sie drängt sich jede Sekunde mehr in unser Leben und du lässt es zu. Es gefällt dir sogar. Ich kann nicht mehr. Leise schleiche ich mich aus unserem Schlafzimmer. Der Weg zum Badezimmer ist mir nie so lange wie heute vorgekommen. Als ich vor dem Spiegel stehe, starre ich in das Gesicht, das du nicht mehr lieben kannst. Es tut so weh, mich anzusehen und zu wissen, dass ich recht hatte. Ich bin nicht schön genug, um begehrt zu werden. Meine Nase ist zu gross, meine Haut nicht makellos. Die Lippen zu schmal, das Kinn zu kantig. Wie gerne würde ich mir eine Maske aufsetzen, um zu verbergen wie hässlich ich doch bin. Ich möchte dir wieder gefallen, habe versucht so schön zu werden, wie die Frauen, denen du auf Instagram folgst. Aber ich kann es nicht. Immer wieder falle ich in dieses schwarze Loch, was mich davon abhält, perfekt für dich zu sein. Ich zerbreche innerlich. Diese Hülle, in der ich gefangen bin, sie gefällt dir nicht mehr und ich kann es nicht ändern, weil ich nicht stark genug bin. Mir fehlt die Kraft und es tut so weh. Es tut so unendlich weh. Mit zittrigen Fingern greife ich nach den Tabletten im Medizinschränkchen und versuche den Schmerz mit Pillen zu betäuben. Ich nehme wieder einmal eine zu viel, aber es wird dich nicht stören. Nicht mehr. Du hast jetzt eine andere.
Es klingelt an der Tür. Ich weiss, wer es ist. Als ich öffne, sehe ich sie, diese verführerische Fremde, und muss lächeln. Sie ist so schön. Volles Haar, makelloses Gesicht und ein perfekter Körper, kein Gramm zu viel. Ich kann verstehen, warum du sie haben willst. Sie ist besser, als ich. Bestimmt hat sie einen guten Charakter und sie scheint auch jemand zu sein mit dem man Pferde stehlen gehen kann. Das sehe ich ihr an. Sie wird auch nicht mit so vielen Dämonen kämpfen wie ich. Unkompliziert, jemand mit dem man gerne seine Zeit verbringt. Du hast eine gute Wahl getroffen mit ihr. Während ich da so stehe, sie ansehe, diese verführerische Fremde, und mir vorstelle, wie du all das mit ihr tust, was du mit mir nicht mehr tun willst, läuft im Bad bereits das Wasser in die Wanne. Ich hoffe, sie schreit mich nicht zu lange an. Sie fragt nach dir. Sie will in unser Schlafzimmer, will sich an mir vorbei drücken und zu dir. Aber ich lasse sie nicht. Ich lächle sie nur an. Ich bin es leid, zu diskutieren. Sie beschimpft mich, bricht in Tränen aus und droht mir. Sie will die Polizei rufen, sagt ich bin eine Mörderin. Es ist mir egal. Ich schliesse die Tür und lege das Messer beiseite. Allmählich wird mir schwindelig und ich werde müde. Mein Körper fühlt sich an wie Watte und mein Kopf fährt Karussell. Bald, denke ich mir, bald sind wir woanders. Weit, weit weg von ihr. Von dieser verführerischen Fremden. Nur wir beide. Für immer. Zusammen. Ohne sie.