Turm der Qualen - 1 (2016)
Mein Schädel brummt. Verdammt. Habe ich wirklich so viel getrunken letzte Nacht? Ich kann mich nicht erinnern. Und dieses Jucken an meinem Hals. Unerträglich. Meine Hand wandert zu der kratzenden Stelle. Meine Fingerkuppen treffen auf kühles Metall. Schockiert reisse ich die Augen auf. Was ist das? Vor meinen Augen nehme ich eine graue kahle Wand wahr. Moment mal. Das ist definitiv nicht mein Schlafzimmer. Wo bin ich? Ich reibe mir über die Augen, aber als ich sie wieder öffne, bleibt das, was ich zu sehen bekomme unverändert. Gleicher Anblick. Graue, kahle Wand. Ich muss immer noch high sein. Was habe ich genommen? Speed? Nein. Crystal? Vermutlich nicht. Eigentlich habe ich den Drogen abgeschworen. Seltsam. Ich kann mich nur noch daran erinnern wie...
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
Wie von der Tarantel gestochen springe ich von dem, was ich bis vor kurzen noch für ein Bett gehalten habe, auf und wäre beinahe mit dem Gesicht voran auf den Boden geknallt. Ich stütze mich in letzter Sekunde ab und schnappe hyperventilierend nach Luft. Wo um Himmels Willen….
„Keine Panik.“
Panik? Immer noch nach Luft hechelnd, richte ich mich auf und starre in das Gesicht von einem Kerl, dessen Handgelenke über seinem Kopf an der gegenüberliegenden Wand mit einer Art Fessel festgemacht worden sind. Meine Augen bleiben an ihm kleben.
„Ich muss verdammt drauf sein.“ Verzweifelt reibe ich mir nochmals über die Augen.
„Natürlich sind sie das.“
Der Kerl fängt an zu lachen und lehnt seinen Kopf gegen die Wand.
„Sehen sie es positiv, immerhin können Sie sich frei bewegen.“
„Wie meinen sie das?“
„Sehen sie sich um. Sie haben einen Betonklotz auf dem sie… ähh… existieren können. Ich hänge hier schon eine Weile rum.“
„Sie hängen hier schon eine Weile rum? Wo sind wir überhaupt? Wie komme ich hier her?“
„Sehen sie mich nicht so an, ich weiss genau so wenig wie sie. Das Licht ging aus und nach einer Weile wieder an und plötzlich waren sie hier.“
Ich kratze mir über die Stirn. Das kann doch nicht sein. Im Kopf gehe ich die letzte Nacht nochmals durch. Ich bin in einer Bar gewesen und habe Bier getrunken. Zwei vielleicht, höchstens drei. Betrunken kann ich also nicht gewesen sein. Und dann? Das Spiel ist im Fernseher hinter der Theke gelaufen. 3:0 Für Deutschland. Gutes Spiel. Moment… genau. Da ist diese Frau gewesen. Eine Blondine, jung. Sie war ganz schön anhänglich. Hing ständig an meiner Schulter. Hat diese Tussi mir etwa etwas in mein Bier getan? Ein Stich durchfährt meine Schläfe und mit einem Seufzer drücke ich mit meinem Finger gegen die schmerzende Stelle. Verdammt. Ich kann mich bei besten Willen nicht mehr erinnern, wie ich hier her gekommen bin. Ich spüre, wie die Panik, die in mir aufsteigt mit meinem leeren Magen kollidiert. Übelkeit erobert meinen Körper und meine Nackenhaare stellen sich auf. Gerade als ich mich wieder auf meinen ‚Betonklotz‘ setzen will, geben meine Füsse unter mir nach und ich knalle unsanft mit den Knien auf den Boden. Die Magensäure frisst sich ihren Weg durch meine Speiseröhre und ich übergebe mich. Mein Erbrochenes läuft über meine Handflächen und als der Würgereflex mich nicht mehr zu überwältigen droht, wische ich angewidert die Kotze an meiner Hose ab. Ekelhaft.
„Sie haben einen Schlüssel gekotzt! Ähhh… ich meine natürlich erbrochen.“
„Was?“
„Sehen sie, auf dem Boden, in ihrem…. Erbrochenem.“
Ich werfe dem Hängenden an der Wand einen skeptischen Blick zu, bevor ich mich dazu zwinge, mein Erbrochenes genauer anzusehen. Er hat Recht. In dem halbverdauten Borrito steckt tatsächlich ein kleiner Schlüssel.
„Verdammt ist das ekelhaft.“, knurre ich und starre das kleine silberne Ding vor mir an.
„Stellen sie sich nicht so an. Los nehmen sie den Schlüssel! Vielleicht öffnet er … eine Tür,… oder sogar meine Handschellen?“
Der säuerliche Geruch, der in meine Nase steigt, löst einen erneuten Brechreiz aus und ein weiterer Schwall Magensäure sammelt sich in meinem Hals, bereit sich durch meinen Mund die Freiheit zu erkämpfen. Ich kneife die Augen zusammen, schlucke mühsam die Flüssigkeit herunter und fische nach dem Schlüssel. Als ich ihn habe, lasse ich mich auf die Seite kippen. „Verdammt, ich verrecke hier noch.“, jammere ich, als mein Magen erneut anfängt zu rebellieren.
„Lassen sie sich ruhig Zeit. Ich habe heute sowieso nichts mehr vor.“, grinst der Kerl hämisch.
Wer ist der Typ? Wie kann er in so einer Situation überhaupt so gelassen sein und Witze reissen? Die Übelkeit überkommt mich ein weiteres Mal. Ein metallischer Geschmack breitet sich auf meiner Zunge aus. Ist das etwa Blut? Ich spüre, wie mein Sichtfeld langsam anfängt zu verschwimmen, fühle mich schwerelos und als ich mich erneut übergebe, verliere ich das Bewusstsein.
Mein Schädel brummt. Verdammt. Habe ich wirklich so viel getrunken letzte Nacht? Ich kann mich nicht erinnern. Und dieses Jucken an meinem Hals. Unerträglich. Ich drehe mich mühsam auf die Seite und drücke meine Stirn gegen meine Handfläche. Meine Zunge fühlt sich pelzig an und der bittere Geschmack in meinem Mund ekelt mich an. Ich muss mich übergeben haben. Mehrmals. Wahrscheinlich habe ich wirklich zu viel getrunken und mir total die Kante gegeben…
„Hallo? Leben sie noch?“
Wer ist das? Die Stimme kommt mir bekannt vor. Zögerlich öffne ich die Augenlider und das Licht trifft mich wie eine Wucht. Ich verdecke meine Augen reflexartig mit meinem Arm. Igitt, was ist das? Als ich den Arm wieder von meinem Gesicht nehme, erkenne ich eine klebrige Flüssigkeit auf meiner Haut. Der Geruch von Erbrochenem steigt mir in die Nase. Na toll. Ich bin in meiner eigenen Kotze eingeschlafen. Super.
„Offensichtlich leben sie noch. Guten Morgen!“
„Wer sind sie?“, murmle ich, während ich versuche meinen Arm an meinem Shirt sauber zu wischen. Mein Blick fällt auf die Hose, die ebenfalls durchtränkt mit meinem Mageninhalt ist.
„Wir kennen uns bereits. Sie haben einen Schlüssel… wie soll ich sagen, aus ihrem Bauch hervorgezaubert und sind danach,… weggetreten.“
„Schlüssel? Weggetreten? Wovon reden Sie?“
Ein Stich durchfährt meine Schläfe. Die Kopfschmerzen sind unerträglich. Ist das eine Migräne? Wahrscheinlich.
„Offensichtlich haben sie eine Amnesie…. Hören sie, wir sind hier im…“
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
Die Durchsage durchbohrt mein Trommelfell wie eine Kugel, die aus nächster Nähe abgeschossen worden ist. Schmerz zischt durch meinen Kopf und ich ziehe die Knie an.
„AUFHÖREN!“, brülle ich. „Bitte…“
„Genau, das wollte ich sagen. Wir sind hier im Turm der Qualen und sie haben einen Schlüssel vor sich liegen.“
Was für ein schrecklich passender Name für einen Ort wie diesen. Vorsichtig öffne ich die Augen und inspiziere den Bereich um mich herum. Tatsächlich. Ein Schlüssel.
„Wofür ist der Schlüssel?“
„Höchstwahrscheinlich für ein Schlüsselloch.“
„Sehr lustig.“
„Entweder er ist für diese Tür da rechts, für meine Handschellen oder,… kommen sie mal näher.“
Ich mustere den Kerl, der von der Wand hängt. Schwarzes schulterlanges Haar, bleich, kleiner als ich und schmal. Er sieht nicht bedrohlich aus, ich könnte ihn locker überwältigen. Aber ob ich ihm trauen kann? Mein Blick fällt auf den kleinen Schlüssel in meiner Hand. Kein normaler Hausschlüssel, sieht antik aus, filigran, verschnörkelt und mit leichten Einkerbungen.
Mühsam drehe ich mich auf meine Knie und stütze mich mit meinen Handflächen auf den Boden ab. Ein weiterer Stich schiesst direkt in mein Hirn und hinterlässt einen pochenden Schmerz im linken Auge. Verdammt. Zusammenreissen. Meine Beine fühlen sich an wie die Geelemasse eines Gummibärchens und als meine Fusssohlen endlich den Boden berühren, komme ich leicht ins Wanken, bis sich mein Gewicht wieder gleichmässig verteilt. Was ich auch immer zu mir genommen habe, es haut mehr rein als ein Metalfestival mit intensiven Saufgelage im Sommer.
Langsam setze ich einen Fuss vor den anderen und steuere auf die einzige Tür in dem Raum zu.
„Sie haben Recht. Ich nehme es ihnen nicht übel, dass sie zuerst probieren, die Tür zu öffnen. Nur zu!“ flötet der Hängende zu mir herüber und ich verdrehe die Augen. Seltsamer Kauz. Irgendetwas an dem ist mir nicht geheuer.
Die Tür scheint aus Beton zu sein. Sowas habe ich noch nie gesehen. Sieht aus wie ein Stück Mauer in die ein Schloss und eine Klinke hineingemeisselt worden ist. Ob die überhaupt funktioniert? Muss sie fast, wie wären sie sonst hier rein gekommen? Ich drehe mich um und lasse den Blick durch den Raum schweifen. Definitiv der einzige Ausgang. Gegenüber von dem Hängenden ist eine Art Betonpodest, ansonsten ist der Raum völlig kahl und grau,… und verschlossen. Kein einziges Fenster. Nur ein kleiner Lüftungsschacht direkt über dem Podest und vor diesem ist ein Gitter angebracht mit Stäben, die vom Rost zerfressen sind. Die Stäbe sehen instabil aus, aber selbst wenn ich es schaffe, sie zu verbiegen oder rauszureissen, würde ich niemals durch diesen Schacht passen. Ich blicke den Kerl an der Wand an. Nein, der passt definitiv auch nicht durch. Seine Augen treffen auf meine und ein schiefes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.
„Na los, versuchen sie es, ich platze vor Neugier. Passt das Schlüsselchen in das Loch?“
„Schlüsselchen?“ wiederhole ich und ziehe die Augenbraue in die Höhe.
„Stellen sie sich vor, wie ich mit den Schultern zucke, das würde ich nämlich jetzt tun, wenn ich nicht hier rumhängen würde.“
„Sie sind merkwürdig.“
„Ich bin nur leicht angespannt, sehen sie?“
Er dreht seinen Kopf zu seinen Armen und nickt mir zu. Ich starre ihn an, verdrehe die Augen und widme mich dem Schloss in der Tür. Der Schlüssel in meiner Hand ist klebrig und stinkt barbarisch. Vorsichtig versuche ich den schlanken Hals in das Schloss zu stecken und,… verdammt. „Das ist eine Attrappe!“ Genervt kicke ich mit meinem Fuss gegen die Wand.
„Ahhhhh.. FUCK!!!!“
Eine Welle aus Schmerz erfasst mich und ich springe auf einem Bein zurück, während ich versuche meinen pochenden Fuss mit meiner Hand zu halten, weil er so unfassbar weh tut. Ein Bild wie in den alten Comics.
„Eine Attrappe? Seltsam, da wirft sich mir die Frage auf, wie wir hier hinein gekommen sind? Kommen sie mal näher, ich möchte einen Blick auf das Schmuckstück um ihren Hals werfen.“
Schmuckstück um meinen Hals? Ich stoppe mein Rumgehüpfe und tatsächlich, als ich besagte Stelle abtaste, treffen meine Finger auf etwas Metallisches. Das erklärt das Jucken.
„Kommen sie schon, ich beisse nicht.“, schmunzelt der Hängende und ich mustere ihn mit einem abschätzenden Blick.
Als ich einen Schritt näher auf ihn zukomme, wird sein Grinsen breiter und ich stoppe.
„Sie erwecken in mir nicht den Eindruck, als ob man ihnen trauen kann.“
Ein Lachen hallt durch den Bunker.
„Ganz schön vorsichtig, mein Freund. Meinen sie die Handschellen um meine Handgelenke sind auch nur Attrappe und sobald sie vor mir stehen, reisse ich sie aus der Wand und stürze mich auf sie und,… nein. Keine Sorge, sie sind absolut nicht mein Typ. Ausserdem würde ich nicht warten, bis sie direkt vor mir stehen, ich hätte sie, als sie vorhin in Ohnmacht gefallen sind, sie wissen schon. Was man halt so mit Bewusstlosen in einem Bunker so anstellt.“
Ich spüre wie meine Unterlippe sich von meiner Oberlippe verabschiedet und starre den Kerl mit heruntergeklappter Kinnlade an.
„Wie bitte?“, stammele ich.
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
Die Kopfschmerzen kehren schlagartig zurück. Das Dröhnen und das Ziehen im Schädel zehrt an meinem Gleichgewicht und ich drohe auf der Stelle zusammenzubrechen.
„Geht es ihnen gut?“
So laut. Seine Stimme schlägt mit einem Vorschlaghammer Löcher in meinen Gehörgang. Verzweifelt drücke ich meine Handflächen gegen meine Ohren, um mich vor dem Lärm abzuschirmen.
„Hören sie mich?! Was ist mit ihnen los?“
Vergebens, jedes einzelne Intervall frisst sich direkt in meinen Kopf und löst dort eine Lawine aus Schmerz aus.
„Aufhören… bitte…“
Etwas Warmes läuft über meine Handflächen. Ist das etwa? Nein, das kann nicht sein.
Mein Schädel brummt. Verdammt. Habe ich wirklich so viel getrunken letzte Nacht? Ich kann mich nicht erinnern. Und dieses Jucken an meinem Hals. Unerträglich. „Guten Morgen! Schon wieder!“ Was? Wer ist das? Langsam öffne ich meine Augen einen Spalt. Das Licht blendet und ich reibe mit meinem Handballen über meine Lider. Meine Stirn glüht. Habe ich etwa Fieber?
„Ich kann ja verstehen, dass es sehr gemütlich sein muss auf dem Boden rumliegen zu können. Ich nehme ihnen das auch nicht übel. Ich hänge schliesslich auch hier ab. Aber es wäre vielleicht gut, wenn wir endlich herausfinden, für welches Schloss der Schlüssel ist, den sie da vor sich liegen haben.“
„Schlüssel?“, flüstere ich und blinzle ein paar Mal um mich an die Helligkeit zu gewöhnen.
„Ihre Amnesie fängt langsam an mir auf die Nerven zu gehen.“
„Amnesie? Wer sind die überhaupt und wo bin ich?“
Die Stimme seufzt theatralisch auf. Ich öffne langsam die Augen und als ich den Hängenden an der Wand erblicke, fällt mir schlagartig alles wieder ein. Verdammt.
„Sie und ich, wir sind hier eingesperrt und…“
„Ich erinnere mich.“, unterbreche ich ihn und suche nach dem Schlüssel.
„Hinter ihnen.“
Ich werfe dem Hängenden einen Blick zu und drehe mich um. Dort entdecke ich das kleine Mysterium.
„Brav und jetzt seien sie ein gutes Hündchen und dackeln sie zu mir herüber, damit ich endlich einen Blick auf ihr Halsband werfen kann.“
Zögerlich schaue ich zwischen Schlüssel und dem Kerl an der Wand hin und her. Seine Handgelenke sind über seinem Kopf an der Wand an einer Metallvorrichtung mit Handschellen festgemacht. Die Füsse sind zwar frei beweglich, aber sein Körper ist dermassen gestreckt, dass er, auf den Zehenspitzen balancieren muss, um nicht an den Armen von der Wand zu hängen. Es wäre also nur kontraproduktiv und sehr schmerzhaft für ihn, wenn er mich treten wollen würde. Ich habe also nichts zu verlieren. Ausser die Handschellen sind -wie das Schloss in der Betontür- nur eine Attrappe und er tut nur so als ob er gefangen ist, aber andererseits, warum sollte er das tun? Das ergibt keinen Sinn. Nichts hier drin ergibt einen Sinn.
Kurzerhand beschliesse ich es zu riskieren und stelle mich direkt vor ihn. Der Hängende hebt seinen Kopf und lehnt sich, so weit wie es geht zu mir vor, ohne dass seine Zehen den Kontakt zum Boden verlieren.
„Hmm….können sie kurz mein Kinn kratzen? Es juckt fürchterlich. Ich würde es ja selbst tun aber,… ausserdem passt diese Geste hervorragend zu der Situation und perfektioniert das Bild von mir, nachgrübelnd über das, was sie da am Hals haben. So wirken wir sehr authentisch für unseren Beobachter und Einsperrer.“
„Das ist ….“
„Verrückt?“, beendet er meinen angefangenen Satz. Er wirft mir einen traurigen Welpen-Blick zu und streckt mir das Kinn auffordernd entgegen.
„Ich bitte sie, nein, ich flehe sie an, ich würde sogar vor ihnen auf die Knie gehen, aber wie sie sehen, kann ich das leider nicht. Bitte kratzen sie mir das Kinn.“
Will er mich verarschen? Mit was für einem komischen Kerl hat man mich hier eingesperrt? Ich werde irre. Ich sehe mich schon in einem weissen Strampler in der Anstalt für Wahnsinnige mit einem anderen Verrückten Schach spielen. Im Hintergrund würde die Melodie von einem schlechten Klassiker laufen und mein einziger Freund wäre das Gläschen voller pinker Pillen und mein Betreuer, der sich andauernd über seinen viel zu niedrig angesetzten Lohn beschwert.
„Kratzen sie mich? Kratzi, kratz.“
Missbilligend kratze ich, wie aufgefordert, über das Kinn. Ein leises Stöhnen seinerseits, lässt die Härchen in meinen Nacken Cha Cha Cha tanzen und sendet Impulse direkt in meinen Magen, der mit einem gequälten Rumoren Hallo sagt. Die Galle schiesst wie die Lava eines kurz vor der Eruption stehenden Vulkans in meinen Hals und küsst meinen Gaumen. Mit höchster Mühe schaffe ich es, die Ansammlung von Magensäure hinunter zu schlucken.
„Strafen sie mich lügen, aber ich glaube, das Ding um ihren Hals,… kennen Sie diese Dressurhalsbänder für Hunde? Sind heutzutage zwar verboten, aber ich glaube so ein Exemplar tragen sie um den Hals.“
„Ein Dressurhalsband?“
„Sie wissen schon, die mit den Elektroschocks.“
„Die sind für gewöhnlich nicht aus Metall.“
„Nicht? Seltsam, auf der linken Seite ist so eine Art Böxchen angebracht und… warten sie, kommen sie noch einen Schritt näher.“
„Ein Böxchen?“
„Tatsächlich, hier in dem Böxchen ist ein Schlitz, eventuell passt dort unser Schlüsselchen rein.“ Er kichert leise, ehe sein belustigter Gesichtsausdruck einem ernsthaftem weicht.
„Stecken sie mir den Schlüssel zwischen die Lippen und ich probiere aus,… ob er passt.“
Etwas nervös positioniere ich den Schlüssel zwischen seine Lippen und stelle mich so hin, dass mein Hals auf Mund Höhe bei ihm ist. Mit einem Kopfnicken fordert er mich auf, ein noch bisschen näher zu kommen. Ich füge mich und als mein Körper seinen berührt, spüre ich den kalten Schlüssel über meinen Hals kratzen. Die Gänsehaut lässt nicht auf sich warten und ich fühle, wie der Schweiss, der sich auf meiner Stirn gesammelt hat, über meine Schläfe wandert und auf meinen Oberarm tropft. Muss am Fieber liegen. Rede ich mir zumindest ein. Aus Sekunden werden Minuten und als nichts passiert, werde ich langsam unruhig.
„Machen sie schon!“
Ein metallisches Kratzen durchbricht die angespannte Stille. Der Schlüssel muss direkt beim Loch sein. Wahrscheinlich ist er gerade dabei Millimeterarbeit zu leisten. Komm schon Schlüssel,… passe! Ein Klirren auf dem Boden signalisiert mir, dass der Schlüssel nicht mehr im Mund von meinem Gegenüber steckt.
„Hat es geklappt?“, flüstere ich, gehe automatisch ein paar Schritte zurück und fasse an das Halsband. Vorfreudig ziehe ich daran, in der Hoffnung meinen Hals davon befreien zu können, aber das Band sitzt fest an Ort und Stelle.
„Ich fürchte, ich muss sie enttäuschen. Ich kriege den Schlüssel zwar in vorgesehenes Loch, aber er scheint zu… zu klein zu sein.“
„Verdammt…“, stöhne ich und bücke mich nach dem Schlüssel.
„Vielleicht könnten sie, natürlich nur wenn sie wollen, mal probieren, ob der Schlüssel eventuell… sie wissen schon, die Handschellen, vielleicht passt er dort.“ Sein Blick wandert zu seinen Handgelenken hoch. Ich ziehe die Stirn in Falten.
„Nehmen sie es mir nicht übel, aber ich fühle mich sicherer, wenn sie dort an der Wand hängen. Ich weiss nicht ob ich ihnen trauen kann. Ich kenne sie nicht einmal.“
„Oh! Entschuldigen sie! Ich habe völlig vergessen mich vorzustellen. Mein Name ist Charles, aber sie können mich Charlie nennen. Hocherfreut! Ich würde ihnen ja die Hand reichen, aber wie sie sehen, sind mir die Hände gebunden.“
„Charles?“, wiederhole ich skeptisch. Automatisch taucht ein Bild von einem Butler in einem feinen Herrenhaus vor meinem inneren Auge auf. Der Kerl vor mir sieht definitiv nicht aus wie ein vornehm gesitteter Herr in faltenfreier und gebügelter Kleidung, der geschickt mit einem Teekännchen durch die Flure saust und Besucher mit einem Hofknicks begrüsst. Nein. Der Hängende alias Charlie sieht ziemlich heruntergekommen aus. Jung, mit weichen Gesichtszügen und strahlend blauen Augen. Schmerzhaft kommt die Erinnerung an meine Schwester hoch, die letztes Jahr bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen ist. Sie hatte die gleichen Augen wie er, auch schwarzes halblanges Haar und…
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
Mein Schädel brummt. Verdammt. Habe ich wirklich so viel getrunken letzte Nacht? Ich kann mich nicht erinnern. Und dieses Jucken an meinem Hals. Unerträglich.
„Halloooooooooo!“
Diese Stimme,… ich reisse die Augen auf und das Licht brennt durch meine Netzhaut direkt in das Innere meines Augapfels. „Ahhh verdammt! Ist das hell!“
„Ich glaube sie reagieren etwas empfindlich auf die Durchsage.“
„Was… wer sind sie? Wo bin ich?“
„Charlie, im Turm der Qualen. Hocherfreut. Sie haben eine Amnesie.“
„Charlie? Wer? Kenne ich sie?“
Meine Augen wandern orientierungslos im Raum umher. Überall graue kahle Wände. Wie bin ich hier…
„Wir haben uns soeben vorhin kennengelernt. Sie fanden mich sehr sympathisch. Sie wollten gerade diesen Schlüssel in ihrer Hand verwenden, um mich von meinen Handschellen zu befreien.“
„Schlüssel?“
„Der Schlüssel in ihrer Hand.“
Als mein Blick auf den kleinen verschnörkelten Schlüssel in meiner Hand fällt, erinnere ich mich.
„Sie lügen. Ich wollte sie nicht befreien.“
Charlie rümpft die Nase und seufzt tief. „Ein Versuch war es wert.“
Ich richte mich langsam auf meine Beine auf. Es muss hier irgendwo einen Ausgang geben. Ich meine, die haben uns wohl unmöglich durch die Luke an der Decke oben in diesen Raum befördert. Oder? Wobei, die Öffnung wäre gross genug, da würde sogar ein komplettes Auto durchpassen. Na gut, nicht unbedingt ein grosses Auto, aber ein Smart bestimmt. Angespannt schlurfe ich auf die Wand mit dem Betonpodest zu und taste sie mit meinen Fingern ab. Irgendwo muss ein Schalter versteckt sein, oder eine Ritze. Irgendetwas.
„Wonach suchen sie?“, brüllt Charlie mir entgegen und die Härchen auf dem Rücken stellen sich auf. So schreckhaft kenne ich mich nicht. Ich muss wirklich total durch sein.
„Einem Ausgang.“
„Ich glaube, die Person, die uns hier eingesperrt hat, möchte nicht unbedingt, dass wir hier so einfach wieder rauskommen. Ich sehe jedenfalls keine Tür mit der Aufschrift Exit. Sparen sie sich die Mühe.“
Ich ignoriere ihn und taste mich weiter voran. An einigen Stellen ist der Beton brüchig. Ich balle meine Hand zur Faust um hämmere leicht gegen den Putz. Zwecklos. Momentmal. Ich hab’s! Energisch klopf ich mich weiter voran und hämmere immer wieder von oben bis unten, von rechts nach links gegen die Wand, bis meine Knöchel langsam anfangen aufzuplatzen. Egal. Ich finde die..
„Was tun sie da?“
„Ich suche einen Hohlraum.“
„Einen Hohlraum?“
„Ich..“
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
Mein Schädel brummt. Verdammt. Habe ich wirklich so viel getrunken letzte Nacht? Ich kann mich nicht erinnern. Und dieses Jucken an meinem Hals. Unerträglich.
„Knien sie vor mir nieder! Ich bin Gott!“ Ein spitzbübisches Lächeln hallt durch den Raum. Wo bin ich? Ich reibe mir über die Augen und öffne sie langsam einen Spalt. Vor mir taucht eine graue, kahle Wand auf. Als ich mich aufrichte, droht mein Kopf zu platzen. Verdammt,… diese Kopfschmerzen. Meine Hand wandert zu meiner Stirn und meine Finger treffen auf etwas Warmes. Ist das Blut? Habe ich mir den Kopf gestossen?
„Ich bin Gott, knien sie vor mir nieder!“
„Was?“
Ruckartig drehe ich mich um und erblicke einen jungen Mann der von der Decke hängt. „Wer bist du? Wo bin ich?“
„Ich bin Gott, knien sie…“
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
Mein Schädel brummt. Verdammt. Habe ich wirklich so viel getrunken letzte Nacht? Ich kann mich nicht erinnern. Und dieses Jucken an meinem Hals. Unerträglich.
„Ihre Amnesie geht mir gewaltig auf den Zeiger. Das wollte ich ihnen nur mal so an den Kopf werfen. Damit sie Bescheid wissen.“
„Was? Oh verdammt mein Kopf…“
„Sie haben Kopfschmerzen, ein Hundehalsband um den Hals, einen Schlüssel in der Hosentasche, sie sind mit mir im Turm der Qualen eingesperrt, haben die Wand abgeklopft, festgestellt dass es hier keinen Ausgang gibt, ich heisse Charlie und ich kann ihnen leider nicht sagen, wer sie sind, da sie mir ihren Namen nicht verraten haben.“ Charlie schnappt nach Luft und fängt an zu röcheln.
Bilder und Erinnerungen prallen auf mich ein. Der Hohlraum. Ohne zu zögern, raffe ich mich auf und fange an auf wackeligen Beinen wieder die Wand abzuklopfen.
„Langsam fange ich an, sie nicht mehr zu mögen.“
„Raphael.“
„Was Raphael?“
„Ich heisse Raphael.“
„Oh,… schön sie kennenzulernen Raphael.“
Ich halte meine geschundene Hand hoch und zeige ihm den Mittelfinger, ehe ich mein Ohr wieder an die Wand lege und weiterklopfe.
„Sehr charmant. Raphael? Wollen Sie nicht mal den Schlüssel ausprobieren? Ich meine, nur so ein bisschen den Schlüssel in das Loch da von meinen Handschellen stecken. Wenn es ihnen zu viel wird, können sie jederzeit aufhören,… ich verstehe das, mir wird es auch manchmal zu viel.“
„Was redest du eigentlich für einen Blödsinn?“
„Oho, sie sind aber frech. Kommen sie schon… tun sie es. Es gefällt ihnen bestimmt!“
Ich ignoriere ihn und klopfe weiter die Wände ab und das obwohl ich spüre, wie mit jedem weiteren Schlag und jeder weiteren Sekunde die Hoffnung schwindet. Wer auch immer unsere Kidnapper sind, sie sind keine Vollidioten und höchstwahrscheinlich haben sie uns wirklich durch die Luke dort oben in diesen Raum befördert. Warum eigentlich? Ich verstehe es nicht. Was habe ich ausgefressen, um hier mit diesem Kerl eingesperrt zu werden? Die Rechnungen habe ich bezahlt, mit Drogen habe ich… na gut, das letzte Mal bei Tiffanys ein bisschen Schnee, aber den habe ich mehr oder weniger legal erworben. Legal. Illegal legal. Der Dealer hat sein Geld bekommen. Mehr als genug. Ich wollte schliesslich Isabell beeindrucken. Diese dämliche Hure,…
„Wenn sie nicht sofort den Schlüssel in meine Handschellen stecken, werde ich solange furchtbare Schlagerlieder singen, bis sie es tun!“
„Drohst du mir gerade?“
„Aus ihrem Mund hört sich das nach etwas Schlechtem an. Aber ja. Ich drohe ihnen.“
„Mach doch, wenn du die Quittung für dein Tun ertragen kannst.“
Ein leises Kichern dringt zu mir herüber. Ich werfe einen Blick über meine Schulter. Charlies grinsendes Gesicht funkelt mir entgegen. Seine Mundwinkel zucken nervös und als seine Zunge hervorschnellt und über seine spröden Lippen leckt, schüttle ich genervt mit dem Kopf.
„Du hast definitiv nicht alle Tassen im…“
„AAAATEEEEEMLOOOOOS, DURCH DIE NAAAACHT…“, trällert er los. Ein stechender Schmerz schiesst durch meinen Gehörgang direkt durch meine Schädelwand und spiesst mein Gehirn auf.
„AUFHÖREN!“, brülle ich und drücke meine Hände verzweifelt gegen meine Schläfe.
„BIS EIN NEUER TAG ERWAAAAACHHHT!“
Meine Finger graben sich in meine Kopfhaut. „AUFHÖREN SOFORT!“
„ATEMLOS EINFACH RAUS! DEINE AUGEN ZIEHN MICH AUS!... OOOHHH BAABBBY…“
Mit grossen Schritten sprinte ich auf ihn zu und donnere direkt meine Faust neben seinem Gesicht in die Wand. „Aufhören sofort!“ Jedes Wort vor Zorn triefend ausspuckend, platziere ich meine mittlerweile blutigen Fingerknöchel direkt unter sein Kinn.
„Oder,… ich werde dir….“
Charlies Augen weiten sich überrascht. „Hörst du auf?“, frage ich erneut mit bebender Stimme.
Ein kleines Lächeln umspielt seine Lippen.
„…..Spür‘… was Liebe aus uns macht.“
„Ich meine es ernst.“
„Tun sie das?“
„Fordere mich nicht heraus.“
Ich starre ihn an, fokussiere seine Augen mit meinen. In Zeitlupe wandern seine Mundwinkel nach unten und als sich eine schmale Linie auf seinen Lippen bildet, nickt er.
„Gut.“, knurre ich, drehe mich um und steuere auf mein Betonpodest zu. Ich muss mich unbedingt hinleg..
„Atmenlos, schwindelfrei, grosses Kino für uns zwei.“, flüstert es leise von gegenüber und all meine Nerven explodieren… ich drehe mich ruckartig um, stürme auf den Wichser zu als wäre ich Hulk und schleudere mein Knie gegen seine Weichteile. Ein schriller Schrei dröhnt durch den Bunker.
„Ich habe dich gewarnt…“
Charlie gibt ein leises Wimmern von sich und versucht mit seinen Zehenspitzen wieder Halt auf dem Boden zu finden.
„Haben wir uns verstanden?“, drohe ich erneut und schiebe mein Knie wieder zwischen seine Weichteile.
„Selbstverständlich.“
Überrascht ziehe ich die Augenbraue in die Höhe und schaue in sein grinsendes Gesicht.
„Du klingst gefasster als…“
„Als?“
„Als,… man eigentlich klingen sollte, wenn man gerade einen Tritt in die Weichteile verpasst bekommen hat.“
„Nehmen sie es mir nicht übel. Ich spüre keine Schmerzen.“
Ein mechanisches Rumoren erschaudert das Zimmer und die Wände fangen an zu beben und sich zu verschieben, rücken näher, das Rechteck wird zu einer Raute. „Was passiert hier???“, brülle ich und schaue in Charlies ebenfalls erstauntes Gesicht. „Ich habe keine Ahnung!“ Der Boden unter mir wandert von links nach rechts. Mühsam halte ich das Gleichgewicht und versuche mich an der Wand neben mir abzustützen, die ebenfalls weg zu driften droht. Charlie hängt in seinen Handschellen und wird ebenfalls durchgeschüttelt. Die Luke an der Decke öffnet sich und…
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
Mein Schädel brummt. Verdammt. Habe ich wirklich so viel getrunken letzte Nacht? Ich kann mich nicht erinnern. Und dieses Jucken an meinem Hals. Unerträglich.
„Raphael? Hören Sie mich?“ Ein leises Flüstern schleicht sich in mein Ohr. Der Nebel in meinem Kopf wiegt schwer und breitet sich aus. Mein Kopf ist kurz vor dem Platzen. So ein gewaltiger Druck. Dieser Kater übertrifft alles. Wie viel habe ich gesoffen? Am liebsten würde ich meinen Kopf in einen Eimer voller Eiswürfel…
„Raphael! Wachen Sie auf!“
Wer auch immer das ist, er kann warten. Wenn ich mich jetzt bewege, explodiert mein Schädel und meine Hirnmasse verteilt sich…
„Wir sind nicht mehr allein!“
„Mir doch egal.“ Ich gebe ein lautes Knurren von mir und lehne meinen Kopf an die Wand hinter mir. Der Beton fühlt sich kühl an. Gut. Es fühlt sich so gut an. Ich drücke meinen Kopf fester dagegen.
„Raphael! Ich bitte sie! Oh hallo Neuankömmling! Willkommen im Turm der Qualen.“
Turm der Qualen? Automatisch spüre ich wie lodernde Hitze durch meine Adern fliesst und den Schmerz vorerst betäubt. Perplex reisse ich die Augen auf und greife reflexartig um mich. Hinter mir die Wand, neben mir Charlies Beine, die noch immer in der Luft baumeln. Meine Augen wandern zu ihm hoch. Er hängt mit gesenktem Kopf neben mir von der Decke. Ist der Boden etwa? Das kann doch nicht sein. Ich mustere den Raum. Rechteckig, wie vorher. Sieht unverändert aus, aber… der Boden ist tiefer. Als wäre er wie ein Schiff gesunken. Als hätten sich die Erdplatten verschoben, als wären wir,…
„Psscht, ich glaube der Neuankömmling schläft noch.“
Charlie deutet mit seinem Kinn auf die gegenüberliegende Seite. Meine Augen wandern automatisch in die Richtung und… fokussieren den ‚Neuankömmling‘. Ein komplett schwarz gekleideter Kerl in Nadelstreifenhemd und Lederhose lehnt an der Wand. Das halblange gewellte Haar hängt ihm ins Gesicht, was es schwierig macht zu erkennen, ob der Kerl schläft oder wach ist.
„Wer ist das?“, flüstere ich eher zu mir selbst als zu Charlie und richte mich schwankend auf.
„Ich weiss es nicht, ich habe ihn nicht eingeladen.“
Ich verdrehe die Augen und schüttle den Staub von meinem Pullover. Da fällt mir auf. Wo ist der verdammte Schlüssel? Panisch taste ich die Taschen meiner Hose ab. Nichts. Vielleicht auf dem Boden? Mein Blick schweift über den Boden des überschaubaren Raumes. Nichts.
„Charlie,… wo ist der Schlüssel?“
„Sie sind ein Scherzkeks Raphael.“
„Was?“
„Raphael, sie sind Frodo mit dem…na gut, Frodo hatte einen Ring, aber sie wissen worauf ich hinaus will. Ich bin die athletische Version von Sam und sie, sie sind der, der den Schlüssel nicht hergeben wollte. Vielleicht hat ihn unser Neuankömmling geklaut? Denken sie,…oh! Vielleicht ist er… Gollum?“
Ich ziehe skeptisch die Stirn in Falten und haue ihm meinen Ellbogen gegen die Rippen.
„Autsch!“
„Ich dachte, du spürst keine Schmerzen hm?“
„Das ist richtig, aber für sie, tue ich doch gerne so, als hätte das gerade eben sehr weh getan. Ich meine, warum sollten sie mich sonst schlagen?“
Ich zucke mit den Schultern und ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus.
„Weil es Spass macht?“
„Unerhört.“
„Denkst du wirklich, er hat den Schlüssel? Wie kommt er überhaupt hier rein?“
„Da weder sie noch ich den Schlüssel haben,… ist es naheliegend, dass er den Schlüssel haben muss, ausser das Schlüsselchen hat sich in Luft aufgelöst, als,… der Raum angefangen hat Inception zu spielen.“
„Inception?“, wiederhole ich und ziehe die Augenbraue in die Höhe.
„Kennen Sie den Film etwa nicht? Sie Banause!“
„Doch, den habe ich damals mit…. Egal, vergiss es. Was machen wir jetzt?“
„Ich hänge hier ab. Was sie tun ist ihnen überlassen. Wir könnten über fantastische Filme philosophieren. Ich bin ein riesiger Liebhaber von guten Filmen. Mögen sie,…warten sie, was würde zu ihnen passen,… lassen sie mich kurz überlegen. Wie wäre es mit,… Godzilla?“
Ich verschlucke mich und huste ein paar Mal auf. „Godzilla? Warum ausgerechnet Godzilla? Und eine viel wichtigere Frage, wer zum Teufel kennt Godzilla nicht?!“
Gerade als Charlie kontern möchte, regt sich der Neuankömmling. „zum Teufel,….“, wiederholt er murmelnd einen Teil meiner letzten Aussage und kippt zur Seite, dabei fallen seine Haare aus dem Gesicht und entblössen ein umgekehrtes schwarzes Kreuz, das auf der Wange des Kerls eintätowiert ist.
„Ist er tot?“, flüstert Charlie und seine Lippen formen ein grosses „O“.
„Wer interessiert schon, ob er tot ist, viel wichtiger, habe ich auch so ein hässliches Tattoo verpasst bekommen?“ Ich spüre, wie es mir eiskalt über den Rücken läuft und taste nervös mein Gesicht ab.
„Zeigen sie mal her.“
Ich zwinge mich meine Hände vom Gesicht zu nehmen und präsentiere es Charlie mit zusammengepressten Lippen. Er mustert mich angestrengt, ehe er anfängt zu schmunzeln.
„Hatten sie schon immer einen riesigen haarigen Phallus mitten auf der Stirn?“
„Was?!“, brülle ich und fasse mir an die Stirn. „Ich habe WAS auf meiner Stirn? Das ist nicht dein Ernst??? Sag mir, dass du lügst!“
Ich packe Charlie am Kragen seines ausgefransten Shirts. „Sofort!“
Charlies Mundwinkel ziehen sich bis zu seiner Schläfe hoch und enthüllen ein strahlend weisses Zahnpastalächeln.
„Sie können mich nun wieder schlagen, aber,… das war es wert.“ Charlie prustet los und sein kompletter Körper fängt an in den Fesseln zu wippen.
„Du bist so ein Arschloch.“, knurre ich und kann mich nur mühsam davon abhalten, seinen Weichteilen nochmals mein Knie vorzustellen.
„Manchmal. Keine Sorge, sie haben keinen haarigen Phallus auf ihrer Stirn, nur ein pinkes Einhorn auf der Nase.“
„Es reicht.“
„Haltet endlich mal eure Klappe, ihr hässlichen Christen! Zur Hölle mit euch!“, brüllt es aus der anderen Richtung und Charlies Augen so wie meine schnellen zu dem Kerl auf dem Boden hinüber.
„Es ist wach. Hallo!“
„Christen?“ Was ist denn das für einer? Der Christenhasser setzt sich auf und massiert mit seinen Fingern, an denen je ein silberner protziger Ring steckt, seine Schläfe. Scheint wohl auch Kopfschmerzen zu haben. So wie ich.
„Euer schwules Rumgeturtel erträgt kein Mensch. Ausserdem kann ich euch nicht leiden, also müsst ihr Christen sein.“
„Meint der das ernst, oder veräppelt er uns?“, frage ich Charlie, der den Kopf schief legt.
„Sehe ich aus als würde ich Witze machen?“ Der genervte Tonfall in seiner Stimme ist vielsagend. Er meint es tatsächlich ernst. Bin ich hier nur mit Vollidioten eingesperrt?
„Es tut mir leid, es fällt mir schwer dich ernst zu nehmen mit dem lächerlichen umgekehrten Kreuz auf deinem Gesicht.“
„Lächerlich?!“ Er richtet sich auf wackeligen Beinen auf. „Willst du dich wirklich mit mir anlegen? Wo zur Hölle bin ich hier eigentlich gelandet?“
„Nicht in der Hölle.“, schmunzelt Charlie und zappelt fröhlich mit seinen nackten Füssen. Der Neuankömmling wirft Charlie einen giftigen Blick zu und klopft sich den Dreck von seiner Kleidung. Dann kommt er mit langsamen Schritten auf uns zu, während er skeptisch den Raum inspiziert.
Als er direkt vor mir zum Stehen kommt, zeigt er mit seinem Finger auf Charlie und hebt das Kinn. „Warum hängt der dort?“
„Frag ihn doch selbst.“, kontere ich und verschränke angepisst die Arme. „Ich bin nicht die Auskunft.“
„Ich rede nicht mit diesem hässlichen Jesusverschnitt. Möge er in der Hölle Satans brennen.“
„Jesus?“ Charlies schriller Pfiff löst in meinen Ohren einen stechenden Schmerz aus und ich halte mir reflexartig die Hände dagegen. Der Neuankömmling tut es mir gleich.
„Kannst du einfach stillschweigend vor dich hinhängen? Verdient hast du es bestimmt.“
„Ich bin Jesus.“, säuselt Charlie, lässt den Kopf in den Nacken fallen und streckt die Zunge raus.
Ich sehe, wie die Hand des Neuankömmlings zuckt und fühle es ihm gleich. „Er spürt keine Schmerzen, du kannst es dir sparen.“
„Keine Schmerzen huh? Wir werden sehen.“ Seine Hand wandert in seine Hosentasche und fängt an darin rumzuwühlen.
„Was suchst du?“, frage ich und beobachte wie die andere Hand sein Hemd abtastet.
„Wahrscheinlich den Schlüssel oder er holt sich gerade mehr oder weniger auffällig einen runter.“ Charlie zwinkert mir zu und fängt an laut loszulachen. „Ich meine, wir sind schon ziemlich attraktiv. Sie mit ihrem schönen Strickpullover und ich,... gut, ich trage nicht gerade das heisseste Outfit meiner Sammlung, aber ich bin Jesus. Ich muss so aussehen.“
„Das ist… nicht lustig.“ Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Neuankömmling. „Sag mal, hast du den Schlüssel? So ein kleiner, antiker.“
„Feuerzeug.“
„Was Feuerzeug?“
„Wie ich euch Christen hasse,… ein Feuerzeug um den Mistkerl anzuzünden. Was sonst.“
„Du willst ihn… anzünden?“
Charlies lächerliches Gekicher nervt unheimlich und seine Gesangskünste sind jenseits von gut. Vielleicht ist das mit dem Feuerzeug gar keine schlechte Idee.
„Das sollte man mit jedem Christen tun. Verbrennen oder Enthaupten. Heil Satan. Hast du ein Messer?“
„Nein?“
„Kruzifix. In diesem Bunker ist Spass wohl verboten. Wenn es hart auf hart kommt, fresse ich den als erstes.“
Er zeigt mit seinem Finger nochmals auf Charlie, der noch immer in seinen Fesseln freudig hin und her zappelt.
„Du scheinst ganz in Ordnung zu sein, trotz deines hässlichen christlichen Pullovers.“ Er rümpft die Nase, dreht sich um, steuert auf das Betonpodest zu und legt sich hin. Dann gähnt er herzhaft und schliesst die Augen. „Weckt mich, wenn es spannend wird.“
„Moment Mal, das war es jetzt für dich? Interessiert es dich gar nicht wo du bist? Wie du hier hergekommen bist? Warum du hier bist? Wie du hier wieder raus kommst? Alter, ich hab mir beinahe in die Hosen geschissen. Ist das etwa für dich normal? Bist du etwa… unser Entführer???“ Total aufgebracht brause ich auf den Typen zu und plustere mich vor ihm auf.
Seine Lippen formen sich zu einem neckischen Lächeln.
„Satan steht mir zur Seite. Was soll schon passieren? Wenn ich Hunger habe, fresse ich unseren Minijesus. Der kann sich nicht wehren, und wenn der nicht reicht, bringe ich eben auch noch dich zur Strecke. Was auch immer die von uns wollen, mehr als verrecken, kann ich nicht. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich heisse ihn sogar Willkommen. Was auch immer hier passieren wird oder warum auch immer ich hier bin, der Teufel steht mir bei und Luzifer wartet bereits in der Hölle auf mich. Satan überalles!“ Er formt mit seinen Händen einen Teufelsgruss. Ich spüre wie mir der Mund offen steht und suche verzweifelt nach dem Sarkasmus in seiner Stimme.
„Das meinst du nicht ernst oder?“
„Todernst. Aber ich kann verstehen, dass das für Christen wie du einer bist, schwer nachvollziehbar ist. Euer Gott pisst ja auf euch, falls er überhaupt existiert.“
„Raphael? Ich kann den Neuankömmling nicht leiden. Ich glaube, er will die Dekoration - mich - Jesus, vernaschen.“
„Keine Sorge, ich ‚vernasche‘ dich nicht. Ich schlitze dich nur mit meinen Fingernägeln auf, weide dich aus und grabe meine Zähne in dein Fleisch. Das übliche halt. Oh, fast vergessen. Ich trinke dein Blut und pisse auf deine schäbigen Überreste. Mal sehen, ob du dann so schmerzfrei bist, wie dein Kumpel hier neben mir behauptet. Seid ihr ein Pärchen? Ach übrigens, Raven mein Name. Sehr erfreut oder auch nicht.“
Ich spüre wie die Zornesfalte auf meiner Stirn anfängt nervös zu vibrieren. „Was ist falsch mit dir?“
„Nichts, ich bin Perfektion. Die Verkörperung des Bösen im Menschen. Einer der Gefolgsleuten Satans. Mein Verstand ist nicht so vernebelt wie eurer, ich sehe klar, ich rieche im Licht die Dunkelheit, gehe mit hocherhobenem Haupt den Pfad der Seelenlosen, kann tun und lassen was ich will, lebe sündhaft und sterbe vollkommen.“
„Sterbe vollkommen.“, äffe ich ihn nach und beuge mich über ihn. „Wo ist der Schlüssel?“
„Geben sie ihm Saures, Raphael! Ich feuere sie von hier hinten aus an!“
„Richtig, ich sterbe vollkommen und ich habe absolut keine Ahnung was für einen Schlüssel du meinst. Ausserdem atmest du gerade meine Luft weg.“
„Das hier drinnen ist, wenn dann schon, unsere Luft, wir sind schliesslich schon länger hier drin als du und zweitens meine ich diesen dämlichen antiken Schlüssel, der verschwunden ist, seit du hier aufgetaucht bist.“
„Ich habe absolut keine Ahnung wovon du redest.“, knurrt er, packt mich als wäre ich seine Beute wie ein Raubtier am Hals, richtet sich auf und drängt mich an die gegenüberliegende Wand. Seine Finger bohren sich in meine Haut, drücken zu und ich schnappe nach Luft.
„Raphael! Los, machen sie die Nummer mit ihrem Knie!“
Ravens Blick wandert automatisch zu meinen Beinen herunter und bevor ich reagieren kann, hat er bereits seinen Schenkel um mein Bein geschlungen und mit einem Ruck mir den Boden unter den Füssen weggezogen. Schmerzhaft knalle ich auf den Boden und schreie auf.
„Das hast du deinem Freund zu verdanken.“
Er leckt sich genüsslich über seine Fingerkuppen. „Mmmhh.. A-Positiv? Oder doch eher B?“ Dann streckt er seine Arme von sich, gähnt abermals und legt sich wieder auf dem Podest hin.
Ich sitze immer noch röchelnd auf dem Boden und akzeptiere meine Niederlage nur schwer. Charlie, dieser…
„Geht es ihnen gut Raphael? Ich glaube Raven hat den Schlüssel nicht.“
„Ach plötzlich?“
„Ja tatsächlich, mir ist schlagartig, jetzt wo ich sie so am Boden liegen sehe, wieder eingefallen, dass der Schlüssel, als der Raum so geruckelt hat, in der Luke dort oben verschwunden ist.“
„Willst du mir wahrhaftig verklickern, dass der Schlüssel angefangen hat zu fliegen und durch diese affige Luke dort oben verduftet ist?“
„Genau, wow, aus ihrem Mund hört sich das sehr albern an. Aber so war es. Ich schwöre. Bei meinem Leben.“
„Das habe ich gehört.“, lacht es vom Podest aus und als Charlie und ich Raven verdattert anstarren, leckt er sich über die Unterlippe.
„Was? Ich habe doch bereits angekündigt Jesus früher oder später zu fressen.“
„Ich habe die Schnauze voll.“, verkünde ich laut und hätte am liebsten wie ein kleines Kind angefangen zu quengeln und um mich zu treten. Und ich dachte, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Charlie ist ja noch einigermassen erträglich, aber dieser Raven? Der überspannt den Bogen. Geschweige denn, kann er wie ich frei herumlaufen und könnte zur Gefahr werden, anders als Charlie. Er hat gerade eben demonstriert, wie gefährlich er ist und was er von uns hält. Eingesperrt mit einem wahnsinnigen Satanisten und einem an der Wand hängenden Spassvogel. Was für ein Glück ich doch habe. An Schlaf ist hier drin jedenfalls nicht zu denken. Sobald ich ein Auge zu mache, wird höchstwahrscheinlich der selbsternannte Teufel in Menschengestalt über mich herfallen und Charlie dort drüben, würde ihn auch noch anfeuern, bis er selbst an der Reihe ist. Das ist wahrhaftig der Turm der Qualen. Es ist eine Qual hier drin zu sein. Die Gesellschaft ist eine Zumutung. Das Ambiente schrecklich und diese Durchsage unerträglich…
„Herzlich Willkommen. Wie sie bereits bemerkt haben, wurde ihnen allen ein Chip im Nacken implantiert, sobald sie gegen unsere Regeln hier verstossen oder wir sie aus irgendeinem Grund ausschalten müssen, werden sie mithilfe des Chips ausser Gefecht gesetzt. Das geschieht aber nur, wenn wir es wollen. Wir haben die Macht über sie und sie werden gehorchen. Nur der Stärkste wird überleben. Die Aufgaben werden sie in ihre Knie zwingen, sie zu einem anderen Menschen formen und Seiten an ihnen hervorrufen, von denen sie nicht einmal wussten, dass sie existieren. Jeder von ihnen erhält zwei Würfel, jeder von ihnen erhält zwei Chancen und jeder von ihnen kämpft bis zum bitteren Tod. Lassen Sie uns die Spiele beginnen.“
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“
„Herzlich Willkommen im Turm der Qualen.“