Tür 27, Fynn - Damals im Heim

Etablissement 21. Jan. 2022

Fynn - 14 Jahre alt - Damals im Heim (Reise in die Vergangenheit)

.....Komme später vorbei xxx

17:15 Uhr. Keine Ahnung, wann später ist. Später könnte viel bedeuten. Vielleicht nach dem Duschen. Später könnte auch heißen, dass sie kurz vor 22 Uhr kommt. Sie kommt selten wirklich spät. Einer der Gründe dafür ist, dass sie mich für unsere sogenannten Treffen, seit ich älter geworden bin, im Flur abfangen muss. Früher war spät nie ein Problem. Spät hieß um 19 Uhr, wenn sie kam, um Gute Nacht zu sagen. Doch heute, heute ist spät relativ. Besonders seit sie mir wieder einmal das Handy weggenommen haben. Das tun sie häufig. Passe nie im Unterricht auf. Mache nur Unsinn. Erziehungsmassnahmen nennen sie das, obwohl bei mir Erziehung sowieso zwecklos ist. Ich lasse mich nicht erziehen. Von niemandem. Außer von meinem Puma. Sie erzieht mich auf ihre Weise und es ist eine Weise, die mir gefällt. Zumindest glaube ich das. Manchmal habe ich auch keine Lust darauf, von ihr erzogen zu werden, aber dann macht sie dieses Ding mit ihrem Mund und scheisse, ich liebe es, wenn sie das Ding mit ihrem Mund macht. Wir nennen das so, seit sie es das erste Mal bei mir gemacht hat. Da war ich Sieben, und wir sagen dazu immer noch so, obwohl ich den Begriff dafür mittlerweile kenne. Lutschen. Besser gesagt, Schwanzlutschen. Es ist so ziemlich das Einzige, was die Zeit hier erträglich macht. Nun ja. Das Ding mit dem Mund und Caro. Caro ist auch okay, aber sonst können mich im Heim alle mal. Bin schon zu lange hier. Mit Unterbrechungen, weil ich schwierig bin. Weil mich keiner aushalten. Weil mich keiner haben will. Weil ich Dinge abfackle. Weil ich mich schlage. Sachen kaputt haue. Drogen nehme. Rauche. Einfach weil ich tue, was ich tun muss, um nicht durchzudrehen. Denn das tut man hier. Im Heim für schwer erziehbare Jugendliche. Hier können Eltern uns abschieben, wenn sie keinen Bock mehr auf uns haben oder sich nicht mehr um den Dreck kümmern wollen, den Kindern nun mal so anstellen. Oder einfach weil wir nerven, die falsche Haarfarbe oder Augenfarbe haben, die Nase nicht passt oder sie schlichtweg unfähig sind, uns zu lieben - so war es zumindest bei mir. Denke ich. So ist es bei vielen. So irgendwie.

„Kommst du nachher mit?“ Luke wirft mir einen Gummiball an den Kopf, um meine Aufmerksamkeit vom Buch in meiner Hand auf sich zu lenken. Funktioniert heute, weil das neue Buch ziemlich scheisse ist und ich ohnehin keine Motivation dazu habe, es weiterzulesen. Wusste schon vorher, dass ich Fantasy nicht mag, aber Edgar war der Meinung ich sollte es mal probieren. Edgar ist der Typ, der meinem Puma den Ring an den Finger gesteckt hat und von nichts ne’ Ahnung hat. Nicht einmal von guten Büchern. Keine Ahnung, warum ich etwas über Zwerge, Elfen, Oger und was es sonst noch so gibt, lesen sollte. Ich mag auch keine Bücher mit Helden. In meiner Welt gibt es keine Helden. Helden sind was für Warmduscher.

Kurzerhand stopfe ich den Zettel, den mir mein Puma zugesteckt hat, als Lesezeichen in das Buch hinein und lege es auf meinen Bauch ab, der seit einer Woche gepierct ist. War eine Mutprobe. Leon hat mir den Ring im Suff durch den Bauchnabel gestossen. Hat geblutet wie Hölle und sieht total schwul aus, hat mir aber eine Packung Zigaretten und eine Nase Koks beschert. Problem ist nur, dass der silberne Ring und mein Bauchnabel keine Freunde geworden sind. Der Scheiss hat sich entzündet und ich drücke mich seit drei Tagen davor zur Krankenschwester zu gehen. Lissy. Ich hasse Lissy. Lissy ist ein fettes altes Weib mit verdammt großen Fingern. Jeder, der schon mal was in seinem Arsch versteckt hat, lernt diese Frau auf eine Art und Weise kennen, die echt für den Arsch ist. Denn egal was auch immer man sich hinten reingeschoben hat, die Alte kriegt es raus und hört auch nicht auf, ehe auch alles draußen ist.

Ein kurzer Blick in das Bett gegenüber und ich bin nicht überrascht, dass Luke wieder einmal seinen Schwanz in der Hand hat. Ist nicht groß das Ding, auch nichts womit man angeben kann, aber ich bin trotzdem angepisst, als ich den Abdruck sehe. Violetter wasserfester Lippenstift von meinem Puma. Das macht er extra, dieser Hurensohn, weil er weiß, dass es mich fertig macht.

„Wohin?“, frage ich und tue so, als würde mich sein frisch gelutschter Schwanz kalt lassen.

„Wollten uns nachher noch rausschleichen. Die schmeißen irgendwo eine Party, meinte Pete. Mit Mädels.“ Luke lässt seine Augenbrauen tanzen, während er an seinem Schwanz herumfuchtelt und auf meine Antwort wartet. Luke ist ein Jahr älter und genauso schwer erziehbar wie ich. Er ist blond und blauäugig. Lang und schmal. Hat eine Brille, trägt sie aber nie. Ich habe auch eine, aber mit der sehe ich behindert aus.

„Aha.“ Wenn Luke von Mädels spricht, sind die meistens nicht älter als wir und oft gehen die mir nach fünf Minuten bereits auf die Eier. Ich kann nicht gut mit Mädels. Luke schon.

„Ja also kommst du? Dave ist auch dabei und Tarkan.“

„Wann ist nachher?“

„Keine Ahnung, Stunde nach Nachtruhe oder so.“

„Kann ich auch mit?“, krächzt Kim, der gerade erst in den Stimmbruch gekommen ist und das Bett neben meinem beherbergt. Kim ist im Gegensatz zu mir und Luke erziehbar, tut aber so, als wäre er wie wir schwer erziehbar, weil er dazugehören will. Kim ist Hardcore-Asiate. Seine Augen sind so schmal, dass man sich nie sicher sein kann, ob er wach oder am pennen ist, was ziemlich praktisch für ihn ist. Vorallem im Unterricht. Kim ist hier bei uns gelandet, weil seine Mom eine Schlampe ist. Mehr wissen wir nicht. Mehr brauchen wir auch nicht zu wissen. Denn all unsere Mütter haben etwas gemeinsam. Sie sind beschissen.

„Keine Ahnung, ob du kannst. Kannst du?“, zieht ihn Luke auf.

„Klar kann ich!“, krächzt Kim noch einmal und ich hätte mir am liebsten die Ohren zugetackert. Der Typ redet, als hätte man die Stimmbänder mit Schleifpapier ausgetauscht.

„Aber wenn du petzt, verfüttere ich meine Sackhaare an dich.“

„Als ob du welche hast“, entgegne ich und hätte lieber die Klappe gehalten.

„Und wie ich welche habe, sieh mal.“ Luke steht von seinem Bett auf und schwingt seinen Dödel einmal von links nach rechts wie ein Elefant seinen Rüssel und ich Vollidiot kann nicht anders, als wieder auf den violetten Lippenstiftabdruck zu glotzen und mich scheisse zu fühlen, weil ich keinen an meinem Schwanz habe.

„Könnt ihr mal aufhören mit der schwulen Scheisse?“, mischt sich nun auch Vale ein. Womit wohl jetzt alle im Zimmer auf Lukes bescheuerten Schwanz starren. Vale ist so alt wie Luke und nur mit uns in einem Zimmer, damit sein gutes Benehmen oder sein guter Einfluss auf uns abfährt. Ungefähr so oder so ähnlich hat das die Sachbearbeiterin zum Puma gesagt. Die hat es Luke erzählt und Luke geht damit hausieren, so dass es nun absolut jeder weiß und Vale seitdem mehr Schläge kassiert als Vladimir Klitschko im Boxring. Gutes Benehmen und guter Einfluss sind hier sowas wie ein Todesurteil. Keiner mag Vale, aber er mag uns auch nicht, also beruht es auf Gegenseitigkeit.

„Ich ramm dir den gleich in deinen schwulen Arsch und nehm ich Doggy“, Luke lacht und Kim stimmt mit ein. Als Luke dann auch noch anfängt, die Luft zu bumsen, stecke ich meine Nase wieder in Edgars behindertes Buch, nur um heimlich den Zettel von meinem Puma noch ein bisschen anzuglotzen und mich zu fragen, wann zum Teufel endlich später ist.


Irgendwann später

Nach dem Duschen verziehen wir uns zu fünft in das Gemeinschaftszimmer von Tarkan. Wir haben sogar Kim mitgeschleppt, einfach so, weil er klein ist und praktisch sein könnte. Tarkan und Dave teilen sich ein Zimmer zusammen mit Jules und Rob. Aber Jules und Rob haben morgen Küchendienst, was soviel bedeutet, dass die beiden nach dem Duschen sich noch von der Kantinentussi vollquatschen lassen müssen, was soviel heißt wie, dass wir ungefähr 15 Minuten haben, um unsere Flucht zu planen.

„Also, entweder einer von uns lutscht Günni's Schniedel und besorgt den Schlüssel oder wir schleichen uns ohne raus. Dafür brauchen wir aber die Gartenschere. Am besten besorgen wir beides, um auf Nummer sicher zu gehen“, beginnt Luke. Alle Augen richten sich synchron auf Kim.

„Warum guckt ihr mich alle so an?“ Kim blickt einmal verdattert in die Runde so als könnte er 1 und 1 nicht zusammenzählen, was Blödsinn ist, weil wenn Asiaten etwas können, dann ist es rechnen.

„Schwanz lutschen oder Gartenschere besorgen?“, hilft ihm Luke auf die Sprünge, aber Kims Gesichtsausdruck nach zu deuten, ist der Groschen noch nicht gefallen.

„Willst du lieber Günni's Schniedel lutschen oder die beschissene Gartenschere besorgen?“, Tarkan's Nasenflügel blähen sich auf, was ihn noch mehr wie ein Gorilla aussehen lässt, als ohnehin schon. Tarkan ist so alt wie Luke, moccafarben, breit und haarig. Wirklich haarig. Keine Ahnung wieso, aber der Kerl hat mehr Brusthaar als ein ranziger Typ Mitte 50, der mit einer Dose Bier auf dem Bauch, auf einem abgeranzten Sofa Fußball glotzt und seit einem halben Jahrhundert keine Dusche mehr von innen gesehen hat. Er ist auch der Einzige von uns, der wirklich Haare auf Brust und am Sack hat. Und natürlich ist er beschissen stolz auf seinen Pelz. Er sagt immer, er wäre mehr Mann als wir alle. Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Boxen wir uns, zieht er immer den kürzeren, weil er durch seine breite Masse mehr Angriffsfläche bietet und im Gegensatz zu Luke und mir keine Ausdauer hat. Ich gebe zu, ich kämpfe auch teilweise hinterhältig, aber wenn man einen Fleischberg auf sich drauf hat, bleibt einem manchmal nichts anderes übrig, als den Angreifer an den Sackhaaren zu packen und ihm eine etwas andere Art der Rasur zu verpassen.

„Warum ich?“, krächzt Kim empört und alle lachen.

„Warum nicht?“, entgegnet Luke. „Du wolltest doch so unbedingt mit, also tu auch was dafür.“

„Außerdem haben Asiaten doch flinke Finger“, schaltet sich nun auch Dave ein, den ich nicht mehr ansehen kann, seit Luke und Tarkan uns beide beim Flaschendrehen in den Kleiderschrank gesteckt haben und der Hund mich wirklich küssen wollte, statt nur so zu tun als ob. Dave ist 14 wie ich. Rothaarig, hat Sommersprossen, die ihn niedlicher und unschuldiger aussehen lassen, als er ist. Aber niedlich und unschuldig sind zwei Begriffe, die so gar nicht zu dem Kerl passen. Hat einmal aus Langeweile eine Scheune angezündet und zweihundert Rinder sind dabei draufgegangen. Seitdem nennen wir ihn die Hexe. Zumindest wenn wir daran denken. Was nicht oft der Fall ist. Meistens ist er einfach nur Dave.

„Ja aber“, stammelt Kim, der immer noch nicht begriffen hat, das er auf verlorenem Posten kämpft.

„Du gehst runter in den Keller“, fällt ihm Tarkan ins Wort, „suchst Günni und lenkst den Trottel genug lange ab, damit Fynn sich die Schüssel greifen kann. Verstanden?“

Jetzt wäre ich an der Reihe zu fragen „Warum ich?“, aber ich halte die Klappe und akzeptiere mein Schicksal. Klauen hab ich einfach drauf. Ich bin der geborene Langfinger. Das liegt wahrscheinlich an den Genen, die mir mein Vater mitgegeben hat. Ja, ich sollte mir abgewöhnen ihn Vater zu nennen, aber Erzeuger klingt total bescheuert und im Gegensatz zu vielen anderen, bewundere ich den Typ. Zieht einfach sein Ding durch. Nimmt sich, was er will. Scheißt auf alles und jeden und da ich ihm sowieso, sagen jedenfalls alle, wie aus dem Gesicht geschnitten bin, würde es mir so gar nichts ausmachen, mir eine Scheibe von seiner Attitüde abzuschneiden. Auf alles und jeden scheissen, das habe ich sowieso schon an den meisten Tagen ziemlich gut drauf.

„Zieh einfach n’bisschen deine Hose runter und halt ihn genug lange hin“, sage ich und kann förmlich sehen, wie Kim die Pumpe geht. Was für eine Jungfrau.

„Das ist voll schwul“, startet er einen allerletzten Versuch. Ein Akt der Verzweiflung. Alle lachen, ich inklusive.

Luke funkelt den Asiaten in unserer Runde an. „Willst du Teil des Teams werden oder nicht?“ Da liegt irgendwas abgrundtief Böses in diesen blauen Augen. Fast so, als hätte der blonde Mistkerl einen Dämon oder sowas ähnliches in sich drin. Was wahrscheinlich auch der Grund dafür ist, dass mein Puma so gerne das Ding mit ihrem Mund bei ihm macht. Sie hat eine Schwäche für die ganz bösen Jungs. Die bekommen bei ihr eine Sonderbehandlung und natürlich ganz besonders viel Aufmerksamkeit und Liebe. Das letzte Mal, als ich wirklich so richtig üblen Bullshit angestellt habe - habe Louis, einer der Jüngeren, krankenhausreif geprügelt - hat sie mich in ihr Büro beordert und es war das erste Mal, dass ich vor ihr auf die Knie gehen musste.

„Sag mal, Fynn, bist du noch anwesend?“ Luke schnippt mit seinen Fingern vor meinem Gesicht rum.

„Hä? Was?“ Ich blinzle ein paar Mal und frage mich, warum jetzt alle mich angaffen.

„Voll weggetreten“, lacht Luke und boxt mir in den Bauch. Für eine Sekunde bleibt mir die Luft weg, dann fängt das Brennen an. Scheisse. Tut das weh. Seine Faust hat das beschissene Piercing getroffen. Es kostet mich viel, den Schrei, der in meiner Kehle um Freigang bettelt, herunterzuschlucken und statt zu flennen, dämlich zu grinsen. Hätte ich geheult, hätte er mir noch eine verpasst und zwar auf dieselbe Stelle und irgendwie glaube ich, das hätte ich nicht überlebt.

„Kann‘s losgehen?“ Luke sieht mich erwartungsvoll an. Spontan tippe ich darauf, dass Kim die Sache mit Günni durchziehen wird, also nicke ich, statt nachzufragen. Fuck. Ich muss wirklich zu Lissy, das Teil in meinem Bauch bringt mich sonst noch um.


Wieder etwas später

Luke, Kim und ich haben uns zurück in unser eigenes Zimmer verzogen. Die Zimmer im Heim bestehen jeweils immer aus vier Betten, einem Kleiderschrank, einem Waschbecken und jeder hat seinen eigenen Nachttisch. Das war‘s. Für sämtlichen anderen Quatsch, wie Hausaufgaben oder sowas, gibt es Gemeinschaftsräume mit ‚Wachpersonal‘. Die Gemeinschaftsräume sind nur bis 21 Uhr geöffnet und bewacht, weil wir wohl sonst zu viel Unsinn anstellen. Was wir ohnehin tun, aber hey, wenn jemand dabei zu schauen will, bin ich keiner, der sich davon abschrecken lässt. Ab 21 Uhr gilt auch Ausgangssperre. Günni, der Hausmeister, so ein perverser alter Sack, der nichts in seinem Leben erreicht hat als hier als Hausmeister anzufangen, sperrt um die Zeit die Türen zur Außenwelt mit seinem Generalschlüssel ab. Eigentlich ist das Heimleben wie eine andere Art von Knast. Selbst Wochenenden sind hier beschissen, außer man hat das Glück, dass man von seiner behinderten Familie abgeholt wird und zwei Tage das Privileg bekommt, einmal richtig leben zu können. Die Wenigsten hier haben Glück. Vale ist einer von den Glücklichen. Jeden Freitagabend holt ihn sein Dad ab. Die Mutter ist auf Koks, aber sein Dad, tja, der schert sich wenigstens noch um ihn. Für Vale ist es gut zwei Tage lang nicht geschlagen zu werden. Nicht, dass ich Mitleid hätte, aber rein gesundheitlich betrachtet sind Prügel nichts, was man auf Langzeit ertragen oder jemanden empfehlen sollte.

„Und wie sehe ich aus?“ Luke streckt die Hände aus und deutet mit seinem Kinn auf sein neues Shirt. Schwarz und von Gucci. Dazu trägt er einen billigen grauen Hoodie und eine zerschlissene Jeans. Plus Turnschuhe von Nike.

„Ist das Fake?“, frage ich und mustere skeptisch Luke‘s neue Errungenschaft. Ich stehe nicht so auf Gucci, aber Markenklamotten sind bei unseres Gleichen eher eine Seltenheit. Kann sich keiner leisten. Spielt auch keine Rolle. Im Heim tragen wir Uniformen. Eine für den Unterricht und einen langweiligen blauen Pyjama zum schlafen. Ich selbst trage nur selten Freizeitklamotten. Wenn dann irgendwas Schwarzes oben rum und irgendwas Schwarzes untenrum. Meine Schuhe sind von Converse und genauso geklaut wie vermutlich Lukes neues Shirt.

„Neee, hab ich mitgehen lassen.“

„Aha.“

„Und?“

„Nett“, erwidere ich, obwohl es mir so ziemlich am Arsch vorbei geht, was Luke anhat. Luke grinst zufrieden und betrachtet nun mich einmal von oben bis unten. Ich kann seiner Mimik ablesen, dass er nicht viel von meiner Aufmachung hält. Ist mir aber so ziemlich egal.

„Schneid dir mal die Haare, du Punk“, ist sein einziger Kommentar, dann widmet er sich Kim und unterzieht ihn ebenfalls einer Inspektion. Kim‘s Outfit ist genauso unspektakulär wie meins. Kapuzenpullover und Jeans. Im Gegensatz zu mir hat er sich ein bisschen Gel in die kurze, schwarze Haarpracht geklatscht. Ich habe meine lediglich zusammengebunden. Mittlerweile sind meine Haare beinahe schulterlang und ich überlege, sie mir blau zu färben. Blau oder Violett. Einfach so, um Luke noch ein bisschen mehr auf den Sack zu gehen. Vielleicht sogar im gleichen Violettton wie der Lippenstift von meinem Puma. Tattoos wären auch schick und noch mehr Piercings. Bisher sind nur die Ohren und der Bauch gepierct und wer weiß, wie lange mir der Ring in meinem Bauchnabel noch erhalten bleibt.

„Du siehst aus wie 12“, kommentiert Luke nachdem er mit seiner Inspektion fertig ist und sorgt dafür, dass Kim, der ohnehin schon winzig ist, noch winziger wird. Ungefähr so Ameisengröße groß.

„Ich bin 13“, murmelt er leise und glotzt beschämt auf den Boden.

„Mir doch egal.“ Luke reckt das Kinn. So viel dazu, dass der Teufel Prada trägt, offenbar trägt er Gucci. Mein Blick fällt auf das Buch auf meinem Nachttisch. Ich muss an den Zettel von meinem Puma denken und daran, dass es später ist, doch offensichtlich noch nicht spät genug und jetzt haue ich ab, also werde ich sie heute nicht mehr sehen. Das Scheissding in meiner Brust fängt wie auf Knopfdruck an zu schmerzen, was gut ist, denn wenn‘s weh tut, mache ich Dinge, die den Schmerz betäuben, so wie Abhauen. Zum Beispiel.

„Können wir?“ Luke sieht mich erwartungsvoll an. Wieder nicke ich. Wir können.


Noch später

Der Plan sieht vor, dass ich mich zusammen mit Kim in den Keller schleiche und mich, während Kim Günni ablenkt, um die Besorgung von Schüssel oder Gartenschere kümmere. Je nachdem, was ich in die Finger kriege. Normalerweise hängt der Schlüsselbund an einem Haken über Günni's Bett - ja, der Kerl wohnt dort unten im Keller - es ist aber auch schon vorgekommen, dass er die Schlüssel in seiner Hose behält. Aus zwei Gründen. 1. Wir kommen schwerer an die Schlüssel ran. 2. Wenn wir an die Schlüssel ran wollen, müssen wir ihm dazu in die Hose greifen und der beschissene Mistkerl schläft notfalls auch in seiner Hose. Ach und 3. Greifen wir in seine Hose, ist das ein Tauschgeschäft, wir verpetzen ihn nicht, er verpetzt uns nicht. Er bekommt, was er will - wir bekommen, was wir wollen. Ist widerlich, aber wenn man etwas haben will, muss man was dafür tun und das lernt man im Heim schnell.

Wir liefern Luke bei Tarkan und Dave ab und dann geht’s los. Ich muss vorlaufen, weil Kim die Hosen voll hat, ehe es überhaupt erst richtig losgeht. Der kleine Scheisser klammert sich sogar an meinem Pulli fest, was ziemlich nervig ist, aber da ich keine Lust auf eine Diskussion habe und wir still sein müssen, lasse ich ihn gewähren und ziehe ihn mit mir mit durch den Flur bis hin zur Treppe. Bei der Treppe angekommen, signalisiere ich Kim mit einem Handzeichen, mich loszulassen und oben zu warten, damit ich die Lage weiter unten auschecken kann. Unsere Zimmer befinden sich im zweiten Stock. Im ersten Stock sind nur Gemeinschaftsräume und im Erdgeschoss ist der Empfangssaal sowie Kantine und ein paar Klassenzimmer. Auf leisen Sohlen tapse ich die Treppenstufen hinunter. Der erste Stock ist wie ausgestorben. Das Licht ist aus, kein Pieps ist zu hören. Ich trickse den Bewegungsmelder der Beleuchtung aus, in dem ich mich flach gegen die Wand presse und mich um die Ecke schlängle. Keine Ahnung wieso, aber so kapiert der Melder nicht, dass er anspringen sollte, was ziemlich praktisch ist, wenn man den Trick kennt. Im Erdgeschoss hingegen ist Betrieb. Das Licht ist an und ich höre leise Stimmen. Wahrscheinlich die Tussi vom Empfang und Sissy, die Bereitschaftsdienst hat. Ich spitze die Ohren, um herauszufinden, woher die Stimmen kommen. Von Rechts. Also halten die Weiber ihr Kaffeekränzchen vermutlich vorne beim Empfang. Gut für mich. Die Treppe runter zum Keller liegt in der anderen Richtung. Genauer gesagt hinter der Tür mit der Aufschrift ‚Betreten verboten‘. Verbote haben eine wahnsinnige Anziehungskraft auf mich. Das war schon immer so. Eigentlich schon seit ich denken kann. ‚Fynn, fass die Herdplatte nicht an‘ - natürlich fasse ich die Herdplatte an. Ja, das ist nichts besonderes. Das machen viele Kinder, aber ich gehe gerne noch ein bisschen weiter. Wie weit, das hängt von meiner Laune ab. Ich habe also damals - keine Ahnung, ich war 6 oder so und für ein paar Wochen bei Pflegeeltern untergebracht - nicht nur die Herdplatte angefasst, sondern auch beinahe und mit voller Absicht die Küche abgefackelt, nachdem ich festgestellt habe, dass die blöde Herdplatte ja tatsächlich ziemlich heiß ist. Kristin und Bert haben mich schneller wieder abgegeben als ihre Vorgänger und ehrlich gesagt, kann ich ihnen das nicht einmal verübeln.

Ich linse einmal um die Ecke zur verbotenen Tür und horche ein letztes Mal. Luft sollte rein sein. Schneller als beim Abstieg schleiche ich die Treppen wieder hinauf zu Kim, der zusammengekauert auf einer Treppenstufe sitzt und den Eindruck macht, als würde er lieber einen Rückzieher machen.

„Luft ist rein“, sage ich leise und winke ihn zu mir. Kim hebt den Kopf und nickt. Jetzt nochmal das gleiche, aber zu zweit. Wir schleichen die Treppen hinunter und tricksen den Bewegungsmelder aus. Im Erdgeschoss deute ich Kim mit einem Handzeichen an, nochmal kurz innezuhalten, ehe wir die verbotene Tür ansteuern. Die Tussi vom Empfang und Sissy scheinen immer noch vertieft in irgendeinen alten Weibertratsch zu sein.

„Komm.“ Ich deute Kim mir zu folgen und gehe auf leisen Sohlen voran. Kim hängt sich dicht an mich dran und es ihm deutlich anzusehen, dass er die Hosen noch voller hat, als zuvor. Witzig, dabei liegt der schwierige Teil noch vor uns. Als wir vor der Tür stehen, drücke ich die Klinke so langsam und so leise wie möglich herunter. Dann schiebe ich den bibbernden Kim hinein und schließe hinter uns die Tür genauso vorsichtig wieder zu. Es ist dunkel. Stockfinster sogar. Kein Problem für mich. Ich hole das alte Zippo, das ich Edgar einmal abgeluchst habe, aus meiner Hosentasche heraus und entfache eine Mini-Lichtquelle, damit wir die Treppe nicht blind bewältigen müssen. Im schmalen Licht des Feuers sieht Kim aus, als hätte er einen Geist gesehen. Oder wahrscheinlich eine ganze Horde Geister, denn seine Augen sind so weit aufgesperrt, dass es für seine Verhältnisse echt bemerkenswert ist. Ich wusste gar nicht, dass er die so weit aufbekommen kann.

„Was ist, wenn die uns erwischen?“

„Halt die Klappe und komm.“

Ich gehe voraus und stoppe nach ein paar Schritten. Geräusche dringen an mein Ohr und so wie es sich anhört, guckt sich Günni gerade einen Porno an. Entweder das oder er legt dort unten gerade eine meisterlich flach. Da Option zwei total fernab jeglicher Realität sein kann - keine Frau mit Verstand würde so einen wie Günni ficken, nicht einmal für Geld - wird wohl ersteres der Fall sein. Ich überlege, ob ich das Feuerzeug lieber ausmachen soll, komme aber zu dem Entschluss, dass der Wichser wahrscheinlich zu abgelenkt ist, um den schwachen Lichtkegel überhaupt wahrzunehmen, während er sich einen von der Palme wedelt. Komischerweise bin ich immer davon ausgegangen, dass Günni schwul ist und auf Kinder steht, aber dem Stöhnen nach zu urteilen, habe ich mich wohl geirrt oder der Kerl nimmt, was er kriegen kann. Ich merke, wie Kim hinter mir nervöser wird und auch ich bekomme so langsam Probleme. Das lustvolle Stöhnen, von wem auch immer, verpasst mir eine Beule. Ja. Fuck. Eine gewaltige Beule.

„Hörst du das auch?“, krächzt Kim und bleibt abrupt stehen.

„Ja, ich bin doch nicht taub.“

Ich drehe mich zu Kim um und halte mir das Feuerzeug vors Gesicht. „Warst du schon mal da unten?“

Der kleine Asiate schüttelt mit dem Kopf. Na großartig.

„Der Typ lebt dort unten. Der Schlüssel hängt über dem Bett oder ist in seiner Hose. Lenk ihn einfach ab und ich erledige den Rest.“

„Wie denn?“ Kim‘s Schlitzaugen spreizen sich noch mehr. Der Kleine ist wirklich eine Jungfrau.

Ich deute mit meinem Kopf nach unten und als Kim mir brav zwischen die Beine guckt, mache ich den Reissverschluss meiner Hose auf und lasse meine Hand hineingleiten.

„Mach das. Wenn er dir zu nahe kommt, heul ein bisschen. Ich mach schnell.“

Kim blickt von meinem Schritt auf und statt zu Nicken, schüttelt der Penner den Kopf. „Ich kann das nicht.“

„Dir an den Pimmel fassen?“

Keine Antwort. Ich wette Luke hat das kommen sehen. Ich wette, die haben das alle kommen sehen, weshalb ich nun hier unten mit dem Asiaten bin. Echt toll. Ich rolle genervt mit den Augen.

„Kannst du klauen?“

Kim nickt. „Ja.“

Als ob. Ich glaube ihm kein Wort.

„Okay. Ich lenke ihn ab. Du klaust den Schlüssel. Gartenschere ist auf der Werkbank. Die ist weiter hinten. Kannst du nicht übersehen. Und wehe du machst ein Geräusch. Dann fickt er uns beide. Verstanden?“

Wieder nickt Kim, diesmal mit Krokodilstränen in den schmalen Augen. Nicht sein Ernst. Am liebsten hätte ich ihm auf der Stelle eine verpasst. Stattdessen drücke ich ihm mein Feuerzeug in die kleine Hand und gehe die letzten Stufen nach unten.

Genau genommen bin ich ein Vollidiot. Im Grunde habe ich gar kein Bock auf die Party und die Mädels und hätte viel lieber den Abend in meinem Bett mit Edgars dummen Buch verbracht und mich gefragt, wann endlich dieses später sein wird. Wäre vielleicht auch vernünftiger gewesen, aber vernünftig bin ich nie.

Vor der letzten Stufe bleibe ich stehen und schiele um die Ecke. Dort sitzt der Wichser. Günni vor seiner Glotze und auf der Flimmerkiste läuft tatsächlich ein Porno. Die Frau macht gerade das Ding mit dem Mund und mein mit Hormonen überladener Körper findet das verdammt gut. Ganz besonders mein Schwanz findet das gut. Jetzt bin auch ich nervös, aber aus einem anderen Grund wie Kim. Im Heim bekommt man selten die Gelegenheit sich sowas wie ein Porno reinzuziehen. Wir haben nicht einmal einen Fernseher auf dem Zimmer. Auch keinen Computer und in den Gemeinschaftsräumen sind solche Filmchen natürlich tabu, was uns nicht davon abgehalten hat, es trotzdem hin und wieder zu versuchen. Tarkan hatte mal von einem Wochenendtrip zuhause eine Porno-DVD mitgebracht für uns alle zum gucken. Ging keine fünf Minuten, die haben sich noch nicht mal richtig ausgezogen, da hat uns Herr Span, einer unserer Lehrer, so ein richtiger Volltrottel, das Filmchen auch schon wieder abgenommen. Shit Happens. Vermutlich hat der alte Sack sich den Streifen dann zuhause heimlich selbst angesehen. Zutrauen würde ich es ihm. Ich hätte es zumindest an seiner Stelle getan.

Ich werfe einen letzten Blick über meine Schulter zu Kim und kann nicht glauben, dass ich mich wirklich auf den kleinen Pisser verlasse.

„Kann ich mitgucken?“

Ich trete aus meiner Ecke heraus und stehle der Frau im Porno kurzzeitig die Show. Günni dreht sich so schnell zu mir um, als wäre ich ein ganzes S.W.A.T-Team und hätte ihn beim Kinderpornos gucken oder so auf frischer Tat ertappt. Erst ist der Mann geschockt, doch als er mich erkennt, schleicht sich ein widerliches Grinsen auf seinen Mund und bringt die buschige Raupe darüber zum tanzen. Der Typ trägt einen klassischen Pornoschnauzer in der Farbe silbergrau. Die Haare auf seinem Kopf sind schulterlang und genauso grau, wie der Rest seiner ausgeprägten Körperbehaarung. Der Kerl muss in den 50ern sein und wie so oft trägt er eine ausgebeulte Jeans und dazu ein verschwitztes Tanktop in der Farbe weiß. Weiß mit undefinierbaren Flecken. Günni sieht so ein bisschen aus wie der klassische Strassenpenner nur mit dem Unterschied, dass er im Gegensatz zu denen für das Bier in seiner Hand arbeiten statt betteln geht. Er stinkt auch wie ein Straßenpenner und als die gelben Zähne mich so erfreut anlächeln, bin ich froh, dass die im Heim uns zwingen, auf Mundhygiene zu achten. Jetzt wäre der Moment gekommen, in dem ich meine Hand in meine Hose schieben sollte, aber als die Frau in der Flimmerkiste gerade sich dazu entschließt, ihre nasse Muschi in die Kamera zu halten, muss ich schlucken und vergesse, in Sekundenschnelle was ich machen wollte.

„Gefällt dir wohl, die Kleine, was?“, stellt Günni mit feuchter Aussprache fest.

„Ja“, sage ich und muss nicht einmal lügen. Günni lacht sein typisches Perverser-Kerl-Lachen, was sich anhört wie eine Mischung aus Keuchen, Gluckern und Prusten.

„Solltest du nicht im Bett liegen?“

Bett. Gutes Stichwort. Automatisch wandert mein Blick zu Günni's Bett, das links an der Wand neben der kleinen Küchenzeile steht. Günni's Reich besteht aus einem Zimmer in dem Küche, Tisch, Sofa, Fernseher und ein Bett untergebracht sind, dann führt ein kleiner Durchgang zum Technikraum, in dem auch die Werkbank vorzufinden ist und die Putzutensilien herumstehen. Über dem Bett entdecke ich die besagten Haken, an denen Günni normalerweise die Schlüssel aufhängt, bloß hängt da heute keiner. Bullshit. Günni's Blick scheint meinem gefolgt zu sein, denn als ich ihn wieder ansehe, liegt sein Fokus noch immer auf dem Bett und wie nicht anders zu erwarten missinterpretiert er die Lage komplett. Das Grinsen unter der buschigen Raupe nimmt eine ekelerregende Form an.

„Oder willst du in meins?“

Die Schlüssel müssen in seiner Hose sein. Und passend zu dem Gedanken in meinem Kopf, gibt die Frau im Porno ein leises „Bitte nicht“ von sich. Du sagst es, Lady und als ich realisiere, zu was die Frau soeben bitte nicht gesagt hat, bin jetzt auch in an der Reihe, die Augen zu spreizen, so wie der Kerl im Film es gerade mit ihrem Arsch tut.

Günni taucht in meinem Sichtfeld auf und hält mir eine Zigarette hin. Besser gesagt, er steckt sie mir zwischen die Lippen und zündet sie an.

„Weißt du Fynn, ich mag dich.“

Er mag uns alle. Manchmal etwas zu sehr, das ist ja das Problem. Wäre es anders, könnten wir nicht so oft ausbüxen.
“Setz dich, Junge”, fordert mich Günni auf und deutet mit seiner schmierigen Hand auf das abgewetzte Sofa. Ich ziehe an der Zigarette und komme seiner Forderung nach ohne den Blick von dem Arsch in der Flimmerkiste zu lösen. Irgendwo weit hinten im Sektor gesunder Menschenverstand sagt mir etwas, dass ich nicht mit einem Mann wie Günni Pornos gucken sollte und schon gar nicht, wenn mich das, was da in der Flimmerkiste läuft, so richtig anturnt. Aber wer braucht schon gesunden Menschenverstand.
Als ich sitze, drückt mir Günni eine der Bierdosen in die Hand und öffnet sie für mich. Bier, Kippe und Pornos. Klingt für mich wie ein Jackpot, wäre da nicht Günni, der statt die Tussi im Fernseher anzuglotzen, mich mit seinen feuchten Stielaugen ins Visier genommen hat. Ich nippe kurz am Bier, ehe ich die Dose als Sichtschutz über meinen Schritt halte und mich um die Zigarette kümmere. Was würde wohl mein Puma hierzu sagen?

“Magst du es dir nicht vielleicht noch ein bisschen bequemer machen? Ist doch ungemütlich so mit Hose auf’m Sofa rumzuhocken, zieh die doch aus”, schlägt mir Günni in einem Flüsterton vor, obwohl er selbst noch mit Hose da sitzt. Genau genommen die ausgebeulte Jeans mit dem Schlüssel in der Tasche.
“Du hast doch selbst noch eine an”, erinnere ich ihn und setze eine Unschuldsmiene auf, so als wüsste ich nicht, was Günni hier mit mir vorhat. Wäre ich normal aufgewachsen, könnte das vielleicht auch durchaus der Fall sein. Keine Ahnung, wie normale Kids in meinem Alter so drauf sind, ich kenne nur das Heim und im Heim laufen die Dinge eben so, wie sie sind. Man wird früh erwachsen und viele gehen dabei drauf. Ich wollte draufgehen. Lieber draufgehen, als erwachsen werden. Eigentlich habe ich schon mehrmals versucht draufzugehen, aber Draufgehen ist gar nicht so leicht. Da ist immer irgendetwas im Weg, das verhindert, dass man draufgeht.
Günni's Hand wandert zum Reißverschluss seiner Jeans. Wenig später sitzt der Hausmeister mit offenem Hosenstall neben mir. Dicht neben mir. So nah, dass ich die Bierfahne und den Schweiß unter den Achseln riechen kann. Just in diesem Moment schreit die Frau im Porno laut auf und obwohl ich kein Profi bin, was Sex angeht, merke ich, dass das, was dort in der Flimmerkiste abgeht, nicht in Ordnung ist. Und eigentlich ist es auch nicht okay, dass genau das mich so anmacht. Gewalt war schon immer ein fester Bestandteil meines Leben. Aber die Gewalt im Porno ist neu, aufregend und fasziniert mich. Das ist wie wenn man ein Buch mittendrin aufschlägt. Der Anfang und das Ende sind irrelevant, nur der Moment zählt. Das sogenannte Highlight. Wie es dazu kam? Egal. Wer die Leute sind? Schnuppe. Wie es ausgeht? Juckt mich nicht. Alles, was zählt, ist was der Kerl jetzt gerade der Tussi antut und fuck, das turnt mich an.

Günnis Hand auf meinem Oberschenkel lässt mich kurz Blinzeln. Irgendein eingebauter Mechanismus in mir sagt mir, dass ich handeln sollte, aber wenn ich jetzt handle, dann verpasse ich, was der Mann im Porno der Tussi als Nächstes antun könnte. Das ist das Einzige, was mich davon ablenkt, dass die Idee heute Nacht abzuhauen scheisse ist. Ich kann nicht denken, wenn ich hart bin. Konnte ich noch nie. Deswegen sitze ich hier und vergeige die Nummer komplett. Ja. Luke und die anderen verlassen sich auf mich und Kim wartet bestimmt schon auf den perfekten Augenblick, um wie ein Ninja die Gartenschere an sich zu reissen und sich damit zu verdünnisieren. In meinem Kopf malt sich ein Bild. Ich, wie ich die Gartenschere halte, und Günnis Hand in der sie drin steckt und dann ganz viel Blut. Wie gerne würde ich diesem Scheisskerl die Schere in seine beschissene Pranke rammen, die soeben in meinen Hosenstall gefunden hat. Seine ranzigen Finger fummeln an mir herum. Wehr dich. Komm schon. Wehr dich, brüllt der Mechanismus, doch ich bin wie erstarrt. Aber wozu sollte ich mich wehren? Der Tussi im Porno bringt all das Herumgestrample und um sich schlagen doch auch nichts. Der Kerl hält sie einfach fest, während er mit dem weitermacht, was sie nicht will. Und auch Günni macht etwas, dass ich nicht will. Er kommt mir nah, viel zu nah. Das geht mir zu schnell. Eine Spur zu schnell. Dicke Männerhände drücken auf meinem Schwanz herum, der steht wie eine Eins. Durch die Boxershorts beginnt er ihn zu reiben. Zu massieren. Mein Mund klappt auf, dann wieder zu. Wieder auf, als wäre ich ein verdammter Goldfisch gefangen in einem Goldfischglas. Die Kippe landet auf meinem Schoss. Es brennt, tut weh. Egal.

“Der ist ja schon richtig gross”, keucht Günni erregt und schnippt die Zigarette einfach weg. Die Bierfahne kriecht in meine Nase. Ich denke daran, dass Kim alles mit anhören muss. Dass er hören kann, was zwischen Günni und mir passiert. Er könnte es Luke erzählen und wenn es Luke weiß, weiss es absolut jeder. Auch mein Puma. Im Augenwinkel nehme ich wahr, dass Günni seinen eigenen Schwanz mit der anderen Hand herausholt. Das Ding reibt ekelhaft an seinem fleckigen Tanktop, während er mit seinen widerlichen Pfoten an mir herumspielt. Mich antreibt. Fuck. Ich sollte irgendeinen Spruch von mir geben. Irgendetwas, um nicht wie ein Vollversager dazustehen. Irgendetwas, was Kim Luke erzählen könnte, so dass es nicht so wirkt, als wäre ich ein Weichei, dass sich vom Hausmeister ohne Gegenwehr ficken lässt. Doch mir fällt nichts ein. Also tue ich nichts, ausser auf die Glotze zu starren und Günni machen zu lassen. Ich weiss, dass ich irgendwann kommen würde. Das tue ich immer, egal wie scheisse es ist. Ich spritze immer ab, weil ich weiss, dass es vorbei ist, wenn ich gekommen bin. Dann wird's langweilig für die. Dann hören sie auf. Lassen von dir ab. Lassen dich in Ruhe.

“Magst du meinen ein bisschen in deinen Mund nehmen?”, fragt mich Günni und deutet auf seinen widerlichen Pimmel, als wüsste ich nicht, wo der ist. Wenn ich das tun soll, brauche ich mehr Bier. Tue ich's, komme ich bestimmt an den Schlüssel ran. Also kippe ich mir das billige Dosenbier herunter, als wäre das die Lösung für mein Problem und als die Dose leer ist, spüre ich Günni's Hand an meinem Hinterkopf. Er spielt an meinen Haaren rum. Zieht am Haargummi, behandelt mich wie ein Mädchen. Vielleicht sollte ich sie mir doch abschneiden. Kurzhaar wie Luke. Die Tussi im Porno heult wie eine Sirene. Blut tropft von ihrem Kinn hinunter auf ihre Brüste. Der Kerl packt sie an den Haaren und hält ihr verprügeltes Gesicht frontal in die Kamera. Instinktiv zucke ich zusammen und drücke meinen Rücken fester gegen das Polster des abgeranzten Sofas, als könnte mich das Scheissteil irgendwie retten oder verschlucken. Günni beschleunigt das Tempo, wahrscheinlich hat er Angst, dass mein Schwanz bald nicht mehr mitmacht. Aber er macht mit. Und wie. Keine Ahnung wieso, warum, weshalb.
“Dir gefällt das, hm?” Günni's Kichern ist wie Asbest in der Wand. Einmal da, setzt es sich fest und nistet sich dort ein. “Und jetzt revanchierst du dich ein bisschen bei mir”, kichert er weiter und packt mich grob von hinten am Schopf. Vielleicht würde später auch Blut von meinem Kinn tropfen. Die Haarwurzeln kämpfen gegen den Eindringling an, aber ich bin mir sicher, mache ich nicht, was der Mistkerl will, verlieren ein paar davon den Kampf und enden als Büschel auf Günnis dreckigem Boden. Nicht, dass ich eitel wäre. Eigentlich ist es mir egal. Eigentlich ist mir absolut alles scheissegal.
“Okay”, sage ich also und werde es tun. Sollen die anderen doch lachen, aber ich lasse mir die Gelegenheit nicht nehmen, diesem Drecksack beim Lutschen in den Sack zu beissen. Ich lasse zu, dass Günni meinen Kopf zu seinem hässlichen Schwanz führt. Ich will kotzen, als das Ding immer näher kommt. Ich muss die Luft anhalten, will es nicht riechen. Über eine Minute schaffe ich locker, danach wird’s kritisch. Dann muss ich Luft holen. Das Gute ist, seine Hand löst sich von meinem eigenen Schwanz und zieht sich zurück. Frei. Aber nur eine kurze Freiheit. Wie jedes Mal wenn wir abhauen. Kurz Frei, danach gleich wieder eingesperrt.
“Lass ihn sofort los oder ich ramm dir die in deinen verschissenen Hals!”, brüllt es unerwartet aus der Ecke. Günni schreckt auf und ich ebenso. In meiner Welt gibt es keine Helden. Dachte ich. Davon war ich immer überzeugt und plötzlich steht da einer. Ohne Umhang, ohne Superkräfte aber mit einer Waffe. Mein Held ist winzig, Asiate und bibbert von Kopf bis Fuß und auch die Gartenschere in seiner Hand bibbert mit. Die verdammte Gartenschere. Er hat sie. Jetzt bin ich dran. Dafür brauche ich nicht einmal einen Taschenspielertrick. Ich greife Günni einfach in die Hose und ziehe ihn raus. Den Schlüssel. Das Klimpern von Metall holt der Dreckskerl aber leider zurück in die Gegenwart. Seine Hand packt die meine. Immerhin nicht wieder meinen Schwanz. Trotzdem Scheissgefühl. Ich versuche mich loszureißen, doch der Hurensohn hat mehr Kraft als ich. Hätte vielleicht doch einen Taschenspielertrick anwenden sollen.

„Das gibt Ärger“, faucht Günni wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten ist. Hätte ich gerne getan. Noch immer, aber in der Position schwierig. Kim kommt unsicher näher. Macht Babyschritte, aber die Gartenschere immer noch hoch erhoben über seinen Kopf.

„Ja, für dich, du perverser alter Sack“, zische ich und deute mit meinem Kinn auf meinen Schritt, um ihn daran zu erinnern, was er gemacht hat. „Lass mich lieber los oder ich schreie“, drohe ich. Ich würde nicht schreien. Niemals. Lieber ertrage ich alles. Wortlos. Still. Außer mir fällt ein cooler Spruch ein. Dann benutze ich den. Klappt nur nicht immer. So wie vorhin.

Ehe Günni zu einem Entschluss kommt, ist Kim in Reichweite. Ich ziehe ihn mit der freien Hand an mich ran und nehme die Gartenschere an mich. Jetzt lässt Günni mich los und sogar noch besser. Der Hurensohn weicht zurück. Er kennt meine Akte. Er weiß, dass ich dazu in der Lage wäre, ihm das Ding in sein Ding zu rammen.

Günni kapituliert. Besser für ihn. Falls uns jemand mit offenen Hosen erwischt, bekommt er mehr Probleme als ich, ausser die glauben mir nicht. Sie glauben mir eigentlich nie. Trotzdem. Ich mache im Gehen den Reißverschluss von meiner Hose zu und verschwinde mit Kim, dem Schlüssel und der Schere um die Ecke. Wir nehmen denselben Weg zurück. Treppe hinauf. Schleichen. Weitere Treppen, bis wir oben sind. Oben angekommen, macht Kim schlapp. Er bleibt auf der zwei obersten Stufe stehen und klappt zusammen wie ein Klappmesser. Ich lasse mich neben ihm nieder. Atme schwer. Spüre das Adrenalin, den Druck in meinem Kopf und das Herz in meiner Brust. Bumbum. Bumbum. Bumbum.

„A-a-a-lles….. i-n…. O-o-ordnung?“, stammelt Kim und sieht mich an. Zumindest glaube ich, dass er mich ansieht. Seine Augen sind so schmal, dass ich nie so richtig sicher bin, wo Kim genau hinsieht.

„Klar, warum sollte irgendetwas nicht in Ordnung sein. Hat doch alles geklappt“, gebe ich mich cool. Wäre er nicht gewesen, hätte ich nun Günni's Sackhaare im Mund und wer weiß, was noch. Eigentlich will ich mich bedanken, doch da kommt nichts aus mir raus.

„Sah nicht so aus“, entgegnet Kim leise und dreht den Kopf von mir weg. Jetzt sehe ich sie. Die Tränen, die aus seinen schmalen Augen heraustreten. Der Anblick lässt meine Unterlippe beben und auch meine Augen werden feucht. Ich hasse das. Zeigt jemand Mitgefühl, fange ich an zu heulen, weil ich merke, dass es mir wirklich etwas ausmacht und dass es mir beschissen geht. Solange niemand etwas dergleichen tut, tue ich auch nichts dergleichen. Dann ist einfach nie etwas passiert oder es ist halt einfach nicht schlimm genug, um dem, was passiert ist, eine Träne hinterher zu heulen. Ich drücke mir unauffällig den Ärmel von meinem Pulli gegen das Gesicht und wische weg, was keiner sehen soll. Dann zupfe ich mir das Haargummi wieder zurecht und stehe auf. „Kein Wort zu Luke“, sage ich nur und als Kim nickt, gehen wir zusammen zu den anderen.

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