Skinwalker 1-7
Kapitel 1 - Rucksack
Die Welt braucht mich! Ja, sie braucht mich, denn ich werde sie bald von einem Skinwalker befreien, der angeblich hier in dieser Gegend sein Unwesen treibt. Ich habe genug Tomb Raider gespielt, um zu wissen, wie ich unter schwierigen Bedingungen überleben kann. Outlast habe ich mir reingezogen, um mit Hexen und Co. klarzukommen und Resident Evil für den ganzen anderen Kram, den man braucht, wenn einem ein Monster ordentlich auf die Pelle rücken will. Ich habe sozusagen meine komplette Freizeit in Videospiele investiert, um der Bestie den Garaus machen zu können, sobald ich ihr begegne. Oder ich fange die Kreatur lebend und stelle sie der Wissenschaft zu Forschungszwecken zur Verfügung. So oder so, ich bin bestens vorbereitet und bereit zu tun, was nötig ist..
Zumindest denke ich das, als ich mit meinem Rucksack und meinen neuen Wander-Tretern inmitten der Wandergruppe herumstehe und darauf warte, dass es endlich losgeht. Der Skinwalker hat sich nämlich irgendwo auf diesem Berg oben verschanzt, den wir gleich zusammen besteigen werden.
Ich falle in der Gruppe auf wie ein bunter Hund in meinem Lara Croft Outfit und meinem viel zu schweren Gepäck. Aber wenn ich mir schon extra für diese Mission eine Knarre illegal aus dem Internet besorgt habe, will ich diese für die Jagd nach dem Ungeheuer selbstverständlich dabei haben und wie jeder weiss, der schon einmal einen Shooter gespielt hat, braucht man immer genug Munition, wenn man vorhat, mit dem Pistölchen auch ordentlich herum zu ballern. Doch hätte man einen auch vorwarnen können, dass so ein bisschen Blei echt viel wiegt.
Der Leiter der Gruppe erzählt irgendetwas über den Berg, was mich nur minder interessiert und was ich ohnehin schon längst aus dem Internet weiss. Vorbereitung ist wichtig, ganz besonders dann, wenn man die einzige aus der Truppe ist, die sich dessen bewusst ist, was dort oben auf uns lauert. Genau genommen habe ich diese Information aus dem Internet, besser gesagt aus diversen Zeitungsartikel, die von mysteriösen Todesfällen hier in der Gegend berichten. Kinder, die verschwinden. Leichen, die plötzlich nach Jahren auftauchen und andere Abscheulichkeiten, die nie aufgeklärt werden konnten. Natürlich schön über Jahre verteilt, damit es nicht zu auffällig ist, dass im stillen Örtchen Calm River East das Böse lauert und sein Zuhause gefunden hat.
Zu Zeiten der KI ist es aber kein Problem mehr, herauszufinden, wo die Kacke am Dampfen ist, egal, wie viele Zeiger-Umdrehungen man dazwischen verstreichen lässt. Den Menschen kann man vielleicht überlisten, nicht so eine künstliche Intelligenz. Die lässt sich nichts vormachen. Die findet alles für einen heraus.
Und ich gehe schwer davon aus, dass wir es hier mit einem waschechten Skinwalker zu tun haben? Warum? Tja. Wie es scheint, hat es dieses süße, kleine Örtchen Calm River East mehr als nur faustdick hinter den Ohren. Erinnern wir uns an die Vielzahl von Hexenverbrennungen vor vielen, vielen Jahren, hat es so eine auch in Calm River East gegeben. Genau genommen im Jahre 1651, als ein Zwillings-Geschwisterpärchen der Hexerei bezichtigt worden ist. Jedoch haben sie nur das Mädchen in die Finger gekriegt und der Junge gilt bis zum heutigen Stand nach wie vor als vermisst, gar verschollen - wie vom Erdboden verschluckt. Ich habe nichts zu ihm finden können, weder wo er abgeblieben noch was mit ihm passiert ist. Die Geschwister Morgan sind wohl damals der Hexerei angeklagt worden, aufgrund von inzestuösen Handlungen untereinander. Wobei Junge und Mädchen relativ ist, die beiden sollen das achtzehnte Lebensjahr bereits erreicht haben, als es ihnen an den Kragen gegangen ist und den Überlieferungen zufolge, ja, das Wort klingt so schön dramatisch, sollen beide rothaarig und grünäugig gewesen sein. Voll das Klischee, ich weiss, aber vielleicht ist etwas dran. An diesem Mythos, dass alle Hexen rote Haare und Sommersprossen haben, selbst wenn das Internet diesen Mythos als bösen Irrtum schimpft. Man muss ja nicht alles glauben, was einem das große WWW weismachen will. Ich bin jedenfalls felsenfest davon überzeugt, dass der Junge hier immer noch sein Unwesen treibt und dem stillen Örtchen Calm River East nie verziehen hat, was es seiner Schwester angetan hat. Rache schmeckt ja bekanntlich süß, und wer weiss, vielleicht sucht er immer noch nach einem Weg, seine Schwester zurückzubringen und was würde sich besser eignen für dieses Unterfangen als ein Menschenopfer?.
Ich werde der Sache auf den Grund gehen, doch zuerst werde ich mit diesen Wander-Heinis diesen Gipfel erklimmen.
Kapitel 2 - Entdecken
Für mich als Computernerd und auserkorener Couchpotatoe gibt es auf dieser Wandertour viel zu entdecken, wie zum Beispiel, dass Spinnen in der freien Natur genauso eklig sind wie in meinen vier Wänden, dass Smalltalk überhaupt nicht mein Ding ist und dass meine nigelnagelneuen Wander-Treter fiese Blasen an den Füssen machen. Zu meinem Glück haben wir zwar Oktober, doch das Wetter meint es gut mit uns. Es ist frisch, aber nicht kalt, sondern angenehm kühl und nicht zu warm. Laut unserem Leiter ist das das ideale Wetter für so eine Tour. Ganz ehrlich? Das Wetter ist mir sowas von Latte. Vielmehr suche ich nach einer Gelegenheit, mich von der Gruppe loszueisen und abzuhauen, um mich auf eigene Faust auf die Suche nach dem Monster, dem Skinwalker, zu begeben!
Bloss sind die Teilnehmer ziemlich hartnäckig, wenn es darum geht, zusammen zu bleiben und acht zu geben, dass keiner zurück bleibt. Was echt lästig ist. Auffällig ist vor allem Wilma, die an mir klebt wie ein Hund, der Schinken gerochen hat. Fehlt nur noch, dass sie ihre Zähne in mir versenkt und mich aussagt wie ein Vampir. Wobei… vielleicht ist sie ein Vampir und ich befinde mich in unmittelbarer Gefahr!
Wilma, mit ihren lästigen Smalltalk-Versuchen ist jedoch nicht die einzige Absurdität in dieser Wandergruppe, nein, denn da gibt es noch den viel zu schönen Jacob, auf den die Bezeichnung Vampir viel besser zutreffen würde. Aristokratische Gesichtszüge, eine Statur, als wäre er direkt aus den Seiten eines Dark Romance Roman entsprungen und würde er in der Sonne noch anfangen zu glitzern, hätte ich Gewissheit, dass dieser Mann viel zu gut aussieht, um ein Mensch sein zu können. Seine Schönheit ist schon ziemlich übernatürlich, ich kann nur einen einzigen Makel an ihm ausmachen und der hängt wie ein ekliges Geschwür an seinem Arm, sieht mich bereits die ganze Zeit biestig an. Vanessa, bei der es mich nicht wundern würde, wenn sich unter der überschminkten und zurechtgemachten Schale ein fieser Goblin versteckt, dem es nur nach einer Gelegenheit dürstet, mir die Augen auszustechen und unflätige Dinge damit anzustellen.
Macht aber nichts, dieser Wunsch beruht auf Gegenseitigkeit und irgendetwas sagt mir, dass wenn ich nicht bald die Biege mache, dieses Ereignis durchaus eintreffen könnte. Apropos Biege machen: Ich sollte mir lieber Gedanken über ein gutes Ablenkungsmanöver machen. Bloss will mir nichts einfallen. Vielleicht Wilma einfach vom Berg schubsen und hoffen, die anderen springen beim Versuch, sie zu retten wie Lemminge hinterher? Keine schlechte Idee, die Umsetzung eher schwierig.
Semi motiviert stampfe ich weiter den Berg hoch, neben mir blüht ein undefinierbares Gewächs, ein paar Wurzeln erschweren mir den Weg - doch ich komme meinem Ziel näher. Das habe ich im Gefühl.
“Ich glaube, dort vorne liegt etwas?”, meint die nervige Wilma plötzlich und hält dafür sogar mit ihrem Gequatsche eine Millisekunde inne. Der Ausruf kommt so überraschend, dass ich beinahe eine Bruchlandung hingelegt hätte, wäre da nicht Jacob, der statt hinter mir nun vor mir steht, respektive meinen Sturz mit seinen Muckis abgefangen hat. Hinter mir spuckt derweil Vanessa imaginäres Feuer aus ihrem erstaunten Rachen. Lediglich der Leiter der Truppe scheint die Lage noch im Griff zu haben.
Zielstrebig steuert er Wilmas Fund an und hält ihn vor sich hoch.
Kapitel 3 - Stiefel
“Ein Stiefel! Guckt! Dort liegt ein Stiefel!”, jauchzt es neben mir. Der Stiefel hallt auch in meinem Kopf nach. Dort rattert es wie in einem Uhrwerk los.
Doch ehe ich dazu komme, wilde Theorien zu spinnen, warum dort verwahrloste Beinkleidung herum liegt, schält mich Jacob von seinem Bodybuilder Brustkorb runter und ich gleite wohlbehütet in die kuscheligen Arme von Wilma, die sich zu meiner neuen besten Freundin gemausert hat. Schließlich hat sie das Schuhwerk unter der Tanne erspäht.
“Wusstest du, dass der dort liegt?”, erkundigt sich der Leiter, dem der Argwohn ins Gesicht gemeißelt steht.
Wilma schüttelt den Kopf und gibt ein: “Ich habe gute Augen” als Erklärung von sich. Lars, einer vom älteren Kaliber, kommt neben dem Leiter zu stehen und nimmt nun ebenfalls den Stiefel in sein Visier.
“Der liegt noch nicht lange dort”, stellt der Mann fest und sieht zu uns herüber. Jetzt starren uns zwei von Zweifel zerfressene Visagen skeptisch an und bringen die sonst so gesprächige Wilma in Erklärungsnot.
“Ich wusste nicht, dass der dort liegt”, stammelt sie los und guckt hilfesuchend zu ihrer Armbeuge hinunter, in der ich festhänge wie etwas, das nicht auf eigenen Beinen stehen kann. Ich kämpfe mich aus der Schwitzhöhle frei und rappele mich auf. Klopfe imaginären Staub von meiner Kleidung.
“Das ist doch nur ein oller Stiefel”, mischt sich Vanessa ein und klingt dabei so gelangweilt wie der Ausdruck auf ihrem Gesicht aussieht. Achtung, der Goblin versucht, unseren Fund als harmlos zu deklarieren. Vielleicht hat sie den Insassen des Stiefels einen Tag zuvor gefressen! Und das ist ihre Masche! Ahnungslose Wandergruppen zu infiltrieren und eine arme Sau davon zu schnabulieren.
Ich sehe Jacob an, doch Jacob hebt nur eine seiner perfekt gestutzten Augenbrauen an - so nach dem Motto “was will die jetzt von mir?!”.
Mit einem “Naja”, ergreift der Leiter wieder das Wort. “Es kommt hin und wieder vor, dass Wanderer auf diesem Berg von wilden Tieren angefallen werden und…”
“Moment, wollen sie uns etwa weismachen, dass es hier auf dem Berg Berg-Alligatoren gibt?!”, zischt Vanessa, die die Weisheit allem Anschein nach nicht mit Löffeln gefressen hat. “Wölfe, Schatz. Er meint Wölfe”, korrigiert Jacob seinen Goblin. Dieser zieht eine beleidigte Schnute.
“Warum regen wir uns überhaupt über einen verloren gegangenen Stiefel auf?”, hakt Sweeney nach, der zum ersten Mal seit Beginn der Wanderung überhaupt seinen Mund aufreißt. Prompt mustere ich ihn und stelle fest, dass er der Kobold oder der Leprechaun in unserer Gruppe sein muss. Hauptsächlich weil er überdurchschnittlich viel Grün trägt und grüne Augen hat.
Lars und der Leiter glotzen sich an, zwischen ihnen der verhängnisvolle Stiefel. Wilma neben mir tritt nervös von einem Fuss auf den anderen, der Goblin und der Vampir kleben wieder aneinander und ich komme vor Spannung fast um.
Dann ringt sich einer der beiden Älteren endlich zu einer Erklärung durch.
“Das Problem ist nicht der Stiefel, das Problem ist eher im Stiefel”, redet der Leiter um den heißen Brei herum. Lars ist es, der die Bombe schlussendlich platzen lässt.
“Da stecken noch die Überreste des Besitzers drin.”
Kapitel 4 - exotisch
Der Gipfel stellt sich allmählich als regelrechten Krisengipfel heraus. Während bei Wilma die Schnappatmung einsetzt und sie mittlerweile dank ihres Ausbruchs gar nicht mehr so verdächtig scheint, hat selbst der überschminkte Goblin zu Farbe im Gesicht gefunden. Die Wangen leuchten rot, der bemalte Kiefer ist eine Etage tiefer gesackt und wird vermutlich nur von seiner zuvor initiierten Botox-Behandlung davon abgehalten, zur Gänze auf den Boden zu krachen. Jacob macht wieder das Ding mit seiner Augenbraue und Sweeney, unser Kobold, wirkt nun passend zu seinem Outfit auch ein bisschen grünlich um die Nase. Ich hingegen bin Feuer und Flamme und sehe das als einen Beweis an, dass ich vollkommen richtig liege und hier auf diesem Berg ein Skinwalker sein Unwesen treibt und dieser desaströse Stiefel bloss der Anfang eines richtig krassen Abenteuers ist, auf das nur ich großartig Bock habe. Irgendwo zwischen meinen Hirnwindungen brettert der berühmt berüchtigte Song von Harry Potter los und in meinen Fingern juckt es.
“Also heißt das, wir befinden uns in Gefahr, dasselbe Schicksal wie der arme Tropf zu erleiden?”, erkundigt sich Jacob in einem Slang, als wäre er geistig bereits achtzig Jahre alt. Fast so, als wäre an meiner Vampir-Theorie wirklich etwas dran.
“Nein, nein. Die Wanderwege sind nur gefährlich, wenn man alleine auf Wanderungen geht. In der Gruppe wird man meiner Erfahrung nach nie angegriffen”, versichert uns der Leiter.
“Und wie lange machen sie schon diesen Job?”, bohrt Jacob nach.
“Schon viele, viele Jahre”, druckst der Leiter herum und blickt hilfesuchend zu Lars, der das olle Schuhwerk noch immer fest in der Hand hält, beinahe so, als hätte er Angst, er könnte uns sonst weglaufen oder abhanden kommen.
“Ja also”, startet dieser. “Ich schlage wir, wir wickeln den Stiefel in einen Plastiksack ein und nehmen ihn mit. Nach der Wanderung werde ich ihn dann bei der Stadtwache abgeben, damit der Besitzer ausgemacht werden kann.”
“Der Besitzer des Stiefels”, krötet der Goblin leicht pikiert herum.
“Wäre es nicht sinnvoller, erstmal den Rest des Besitzers zu suchen? Vielleicht lebt er noch und braucht Hilfe”, erwidert Jacob, nicht nur Vampir, sondern direkt Batman. Die Augen des Goblins leuchten vor Liebe und Bewunderung. Die von Lars hingegen nicht. Der scheint von Jacobs Vorschlag so viel zu halten wie von Fusspilz.
“Ja, also ich finde Jacobs Vorschlag toll”, schleudert Wilma heraus, als hätte sie jemand nach ihrer Meinung gefragt. Selbst der Kobold nickt. Ich finde, dass die anderen ihre blöde Wanderung gerne alleine zu Ende bringen sollen, während ich mich auf die Suche nach dem Berg-Alligator begebe. Was ich auch sogleich zur Ansprache bringe.
“Ich könnte ihn suchen gehen!”, bresche ich los wie aus der Kanone geschossen. Alle Glubscher richten sich auf mich. Der Goblin lacht los.
“Schätzchen, du siehst ja echt exotisch aus, aber übertreiben solltest du es nicht”, säuselt die blöde Kuh herum.
“Was soll denn das heissen?”, mucke ich zurück und gehe in Angriffsstellung.
“Dass du lächerlich aussiehst”, wagt es die Kröte zu behaupten. Wilma neben mir wird unruhig, bloss Jacob macht wieder dieses Ding mit der Augenbraue.
“Ich geb’ dir gleich lächerlich auf die Zwölf”, raune ich erbost, bereit, meine neu erlangten Monster-Verdresch-Fähigkeiten am Goblin auszuprobieren. Kaum habe ich die Fäuste erhoben und sie die Zähne gefletscht, schiebt sich der Kobold zwischen uns und macht einen auf beschwichtigende Blumenwiese. “Ladies, das lohnt sich doch gar nicht”, behauptet er und hat wohl den Schuss nicht gehört.
“Der Tomb-Raider für Arme-Verschnitt spannt mir meinen Freund aus”, plärrt das Mistvieh von einem Goblin los.
“Ich tue was?!”, kläffe ich zurück.
“Meinen Freund ausspannen!”
“Gar nicht!”
“Doch.”
Der Schlagabtausch könnte von mir aus noch ewig so weitergehen, wäre da nicht Jacob, der sein Weibchen am Schlafittchen packt und sie wild zappelnd aus der Gefahrenzone bugsiert.
“Okay, nachdem das geklärt ist”, stöhnt Lars los. “Wäre einer so lieb und könnte einen Plastiksack entbehren?”
Kapitel 5 - Fernglas
Nachdem sich die Gemüter einigermaßen beruhigt haben und das makabere Überbleibsel in einer Tüte verstaut ist, geht das elendige herum stiefeln weiter. Wilma sabbelt mir wieder die Ohren Wund, Jacob und sein Goblin turteln herum, der Kobold macht einen auf unsichtbar, obwohl er grün ist, nur der Leiter und Lars verhalten sich nach unserem schrägen Fund mehr als merkwürdig. Sie stecken immer mal wieder die Köpfe zusammen und scheinen irgendetwas miteinander zu bereden, von dem niemand von uns was mitbekommen soll. Ganz bizarr wird es, als einer der beiden, Lars, ein Fernglas herausholt und sich in regelmäßigen Abständen von der Gruppe absondert, um was weiß ich was damit zu machen. Die Gegend auskundschaften? Ja vielleicht, doch warum wird sich dafür in den Inkognito Modus begeben und schamlos weggeschlichen?!
Ich wäre ihm echt gerne gefolgt, doch die nervige Wilma ist wie eine Geschlechtskrankheit, einmal eingefangen, wird man sie so schnell nicht mehr los. Selbst als ich versucht habe, sie mit einem Toilettengang abzuwimmeln, ist sie mir hinter die Büsche gefolgt und seitdem kann ich auch synchron-pinkeln von meiner Liste an Erfahrungen, die ich niemals machen wollte, gepflegt abhaken. Vielen Dank, Wilma. Schön ist’s zwar nicht gewesen, aber ich habe es mir wesentlich schlimmer vorgestellt.
Irgendwann geht mir Wilmas Gequake jedoch so auf die Nüsse, dass ich kurzerhand beschließe, sie von meiner Feindin zur Komplizin zu machen.
Ich meine, alle guten Helden haben doch ihren Sidekick, also ist Wilma nun meiner. So wie bei Scooby Doo. Wobei die Wilma wenigstens ordentlich was auf dem Kasten hat, was ich bei meiner Wilma eher bezweifle. Dennoch, viel mehr als in die Hose gehen kann es nicht und da mir dank kurzer Hosen schon niemand ans Hosenbein pinkeln kann, kann ich zumindest den Sprung ins kalte Wasser einmal wagen.
„Sag mal, Wilma“, beginne ich und begebe mich in Tuschel-Position.
Von Wilma kommt bloß ein überraschtes „Hä!?“ ehe sie blickt, dass ich ihr etwas im Vertrauen sagen möchte und sie ihr Ohr mit einem „Ah!“ näher an meinen Mund heran bringt. Na geht doch, zwar erst beim zweiten Anlauf, aber wie heißt es so schön? Gut Ding will Weile haben oder Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.
„Findest du nicht auch, dass sich die beiden da vorne mehr als verdächtig verhalten?“, flüstere ich los und zeige mit meinem anklagenden Zeigefinger unauffällig heimlich auf den Leiter und Lars, die just in dem Augenblick losquieken vor Freude wie suizidale Schweine auf der Schlachtbank.
Bei Wilma rattern erst die Schrauben, bevor sie mit ihrer Antwort um die Ecke schießt und mindestens eine meiner Nerven mit diesem rücksichtslosen Manöver killt. Sie spricht nämlich in so einer Lautstärke, dass selbst der wortkarge Sweeney so aussieht, als hätte er einen ganzen Duden verschluckt, denn der Mund steht ihm so sperrangelweit offen, es hätte mich nicht verwundert, hätte ein Vogel auf Durchreise sein Ende in diesem verhängnisvollen, aber zugegebenermaßen attraktiven Schlund gefunden.
„Ich finde die nicht verdächtig, die sind doch voll nett!“, posaunt Wilma los.
Ich kann gar nicht zählen, wie viele Augenpaare sich auf uns richten, die der Wildtiere um uns herum und die sich zwischen den Bäumen verstecken, einmal ausgelassen. Ich bilde mir selbst ein, die Ameisen unter unseren Füßen vor Empörung hecheln zu hören.
Es dauert auch nicht lange, da steht das erste Selbstmord-Schwein breitbeinig vor mir und statt auf den Bolzenschuss auf Erklärung wartend.
„Hast du uns etwas zu sagen, Fiona?“, plustert sich ein Lars auf, dessen Fernglas-Alleingänge erst für Unbehagen, zumindest bei mir, gesorgt haben.
Ich räuspere mich und mache mich größer als ich in dem Moment bin. „Du könntest uns ja einmal erklären, wonach du genau Ausschau hältst? So oft wie du mit dem Ding da verschwindest, kann schon der Verdacht aufkommen, dass hier etwas nicht ganz stimmt“, sage ich und tippe mit meinem Finger auf das kleine Fernglas um Lars Hals. Dieser guckt mich an, als hätte ich ihm mit voller Absicht und mit Anlauf ins Gesicht gekotzt. Dann kriegt er sich widererwarten einigermaßen wieder ein, lockert die angespannten Kaumuskeln, aber nicht ohne die Arme vor der Brust zu verschränken, als hätte er einen Grund, nun in die Abwehrhaltung zu gehen.
„Ich sehe mir bloß die schöne Gegend an“, meint er mit einer Nebensächlichkeit in seiner Stimme, die mich zur Weißglut bringt. Der Mann besitzt auch noch die Frechheit und deutet mit seinem Kinn ins Irgendwo so a la „guck doch mal, wie schön es hier ist, du dumme Pute“ - Ja ist es, keine Frage, aber deswegen muss man hier nicht im Alleingang die Postkarte mit seinem Ferngucker aufsaugen und dabei einen auf FBI-Sonderkommission machen.
Der Leiter etwas weiter vorne schüttelt bloß den Kopf. Der Goblin und Jacob glotzen mich an. Sweeney kaut noch auf seinem Duden rum und ich fühle mich wie im falschen Film, als Wilma einen Schritt von mir weg und nach rechts macht, um zum zweiten Mal mit ihrer quietschigen Stimme die ganze Gruppe in Aufruhr zu bringen..
„Ich glaube, die Brücke ist kaputt.“
Kapitel 6 - strapaziöse Reise
Dass diese strapaziöse Reise, dieser Trek, uns alle an unsere Grenzen bringen wird, hätte ich zwar erahnen müssen, aber nicht wissen können. Das Einzige, was ich aktuell mit voller Gewissheit sagen kann, ist die Tatsache, dass Wilmas Augen außergewöhnlich sind. Sie hat zwar nicht unbedingt den Durchblick, dafür definitiv den Weitblick, nicht im übertragenen Sinne, sondern im Wesentlichen. Sie braucht jedenfalls keine Brille und was ihre graublauen Glubscher so drauf haben, ist mehr als beängstigend, weshalb ich sie kurzerhand von einem Menschen zu einem Alien erkläre. Ein Außerirdischer, der definitiv ein paar Gehirne zu wenig weggeschlürft hat. Da hätte sie sich deutlich mehr einverleiben sollen. Ungefähr hundert oder so.
Der Leiter ist der Erste, der im Galopp zur Brücke voraus eilt und mit bleicher Visage feststellt, was der Alf in unserer Gruppe unlängst festgestellt hat. Die Holzbrücke, die uns eigentlich auf die andere Seite des Berges hätte bringen sollen, ist eingestürzt wie ein Kartenhaus nach einem Wirbelsturm. Nur dass in unserem Fall der Wirbelsturm ein perfider Skinwalker ist, der Schabernack mit uns treibt.
“Das ist nicht gut”, stellt nun auch Lars fest und ich bin mir sicher, alle anderen der Gruppe stimmen ihm zu. Ich hingegen bin hocherfreut. Mein Riecher hat mich nicht getäuscht. Nein, jetzt ist es amtlich. Hier ist Hexenwerk im Gange und rein zufällig, hust hust, habe ich alles dabei um einer Hexe respektive einem Skinwalker das Leben nicht nur schwer zu machen, sondern auch auszuhauchen.
Grinsend komme ich neben Sweeney zu stehen, der mit starrer Miene in den Abgrund gafft.
“Das ist kein Problem”, sage ich selbstsicher und klopfe meinem Wander-Kameraden zuversichtlich auf die breite Schulter. Die ist tatsächlich so breit, würde ein Flugzeug gerade landen wollen, hätte es dort die perfekte Landebahn gefunden.
“Warum, kannst du etwa fliegen?”, blafft mich Sweeney an, dessen Laune wohl just in dem Moment einen Bungee-Jumping Sprung Richtung Abgrund hingelegt hat. Ich ziehe meine Mundwinkel noch ein Stück höher und gebe ein “Das klingt nun etwas abgehoben” von mir, und füge sogleich ein “aber ich bin ein wahrer Überflieger” hinzu. Der Kobold sieht mich daraufhin nur verwirrt an. Ehe wir uns über meinen flotten Spruch noch weiter Gedanken machen können, taucht der Vampir hinter mir auf, um auch einen Blick auf das Problem zu werfen.
“Wir sind im Arsch”, ist seine Feststellung und ohne hinzusehen, weiss ich, dass sein Goblin ihm mit einem stummen Nicken zustimmt. Auch schön, dass die Bratze einmal ihre Fresse hält, denke ich noch, und werde glatt von Lars unterbrochen, der meint: “Dann nehmen wir halt den Umweg” und sich mit dieser Aussage eine Horde ausdruckslose Gesichter einheimst.
“Was denn? Das sind nur zwei Stunden mehr”, versucht er die Gruppe zu beschwichtigen, wenig erfolgreich. “Wir sind doch zum Wandern hier, dann wandern wir halt ein bisschen länger, das wird schön”, schiebt er noch hinterher. Nun gibt der kürzlich verstummt geglaubte Goblin doch einen Laut von sich. Besser gesagt ein Schnauben der Sorte “Willst du mich eigentlich verarschen?”
Ich bin mir ziemlich sicher, das will er nicht. Wenn Lars was im Schilde führt, dann ist es etwas ganz anderes. Wieder nehme ich den Typen in mein Visier. Verbirgt sich unter dem lässigen Trekking Outfit und der komischen aalglatt Frisur etwa doch unser Skinwalker?
Kapitel 7 - Reisepass
“Was ist, wenn wir einfach wieder zurückgehen?”, erkundigt sich die schrille Wilma beim Leiter, als die Stimmung auch dann nicht besser wird, als wir die ersten hundert Meter hinter uns gebracht haben. Eigentlich beschwert sich nur der Goblin lautstark, alle anderen machen ihre Schritte mit zusammengepressten Lippen und mürrisch gesenkten Augenbrauen.
“Wir wollen doch alle unser Ziel erreichen”, meint der Leiter nur und winkt Wilmas Vorschlag ab. Somit wäre die Sache beschlossen. Wir setzen unseren Weg fort, koste es, was es wolle, abgetrennten Gliedmaßen und eingefallenen Brücken zum Trotz. Da die Stimmung sowieso im Keller ist und ich die Einzige bin, womöglich anwesende Hexen einmal ausgeschlossen, die sich bewusst ist, welches Spielchen hier gespielt wird, lege ich einen Zahn zu. Und damit meine ich nicht nur meinen Gang, nein, ich schließe zu Lars auf und tue das, wofür ich gekommen bin. Wie bei Cluedo packe ich meinen Scharfsinn heraus und versuche das Rätsel zu lösen, indem ich meinen Rucksack vom Rücken hieve und etwas heraushole, das nur Menschen besitzen.
Siegessicher halte ich Lars meinen Reisepass unter die Nase. “Ich musste den für den Trip ja extra erneuern lassen”, lüge ich und tippe mit meinem Finger auf das Passfoto. “Sieht total bescheuert aus”, lache ich, um meinen Gesprächspartner ein lockeres Gespräch vorzugaukeln. Lars hingegen schielt bloß für eine Millisekunde auf das hinunter, was ich unter seinem Zinken hin und her schwenke, als würde ihn mein ulkiges Passfoto nur minder interessieren.
Sein Mund verformt sich zu einem wenig überzeugenden Lächeln, so ein Anstandslächeln, mit dem keiner etwas anfangen kann. Also muss ich einen oben drauf setzen und mache mit meinem eine Grimasse.
“Versuchst du gerade etwa zu flirten?”, zieht mich der Goblin im Hintergrund wenig geistreich auf. Ich ignoriere sie geflissentlich, lasse es mir aber dennoch nicht nehmen, ihr heimlich einen meiner zwei schönen Stinkefinger zu demonstrieren, in dem ich ihn so langsam hinter meinem Rücken ausfahre, dass selbst Wilmas träger Verstand im Vergleich dazu wie ein Marathonläufer daherkommt.
“Das ist aber nicht nett”, flüstert mir Sweeney zu, der wie plötzlich neben mir aufgetaucht ist und seine Schnute so verdächtig nah und unbemerkt an mein Ohr herangeführt hat, dass ich im ersten Augenblick erstarre. Ich bleibe auch stehen und muss blinzeln. Einzig allein das biestige Gelächter des Goblins holt mich zurück ins hier und jetzt.
“Na, ist’s nass im Schlüppi geworden?”, brettert die blöde Kuh mir an den Kopf und wäre sie in unmittelbarer Reichweite gewesen, hätte ich ihr irgendetwas gebrochen, einfach aus Prinzip und weil ich es kann. Für irgendetwas habe ich als Kind Kampfsport gelernt und wenn es nur dafür ist, vorlaute Goblins zu Brei zu verhauen.
“Nimm es ihr nicht übel”, meint Jacob und zwinkert mir im Vorbeigehen zu. Tja, toll gemacht, Vampir: Mit diesem unverschämten Manöver hast du nun zwei Frauen gegen dich aufgebracht, die dir nun am liebsten jede Wimper einzeln ausreißen und woanders wieder ankleben wollen. Doch der Goblin muss das allein für uns übernehmen, denn wider erwarten zieht Lars meine Aufmerksamkeit auf sich.
“Meins sieht auch nicht besser aus”, sagt er und hält mir seinen Reisepass hin. Perplex und mit offener Fressluke nehme ich das eingeschweißte Kärtchen an mich und glotze es an, wie etwas, das unwirklich scheint und doch real ist. Somit wären zumindest zwei Sachen geklärt und zwar, dass Lars Passfoto wahrhaftig abscheulich ist und dieser Mann leider nicht unser Skinwalker sein kann, denn der Pass sieht viel zu echt aus, um eine Fälschung zu sein.