Schmutziger Oktober - Nest
Im Jetzt
Ich sitze am Computer, als Rachel hinter mir allmählich wieder zu sich kommt und leise Geräusche von sich gibt. Die neuen Fotos von ihr sind bereits online, besonders auf der Plattform „Onlyfans“ kommen die Aufnahmen sehr gut an, auch auf Twitter steigen die Likes. Doch auf Twitter bekommen die Follower nur die zensierte Version der Aufnahmen zu sehen. Wer mehr sehen will, muss bezahlen. Schließlich tun wir das nicht für Aufmerksamkeit, sondern für Geld. Das Witzige an der Sache ist, dass keiner jemals Verdacht schöpfen wird, dass hinter dem Profil von Cherrypie_Kisses nicht Rachel selbst, sondern ihre Entführer stecken. Außerdem spielt es uns in die Karten, dass es mittlerweile normal geworden ist, dass sich junge Mädchen für Geld und Aufmerksamkeit im Internet ausziehen. Und es ist so verdammt einfach, sich im Internet als eine andere Person auszugeben. Keiner hinterfragt ein Onlyfans- oder Twitterprofil von einem Mädchen, das sich lasziv vor der Kamera räkelt und sich freizügig im Internet präsentiert. Es ist sozusagen so einfach wie einem Kind einen Lutscher zu stehlen, wenn man erstmal den Teil mit der Entführung hinter sich gebracht hat.
„Nael?“, Rachel‘s Stimme klingt schläfrig und leicht kratzig. Ich drehe mich auf meinem Bürostuhl zu den Mädchen um, das eingekuschelt wie ein Burrito in einer dicken Wolldecke auf dem Bett liegt. Das Vögelchen in seinem Nest, ach wie süß. Rachel liebt ihre pinke Kuscheldecke, ganz besonders weil sie an den Enden Fransen hat, meinte sie einmal zu mir. Manchmal schenke ich Rachel Dinge, die sie haben will, aber diese bekommt sie nur von mir, wenn sie gut mitmacht. Die Decke ist eines dieser Geschenke. Allgemein ist Rachel eigentlich ein sehr dankbares Mädchen und freut sich über viele Dinge, über die sich Mädchen in ihrer Situation vielleicht nicht unbedingt freuen sollten. Über die rote Spitzenwäsche von Hoku hat sie sich zum Beispiel auch gefreut, weil sie die Spitze so hübsch an sich selbst gefunden hat. Ziemlich verworren, wenn man bedenkt, wofür diese Wäsche gedacht und gut ist.
„Guckst du mit mir einen Film?“, piepst es aus Rachel heraus. Auch das tun wir manchmal. Uns Filme ansehen. Spiele spielen. Die Zeit totschlagen. Ich habe dem Mädchen auch Bücher besorgt - diese lässt sie in der Regel links liegen, sie macht lieber Dinge mit mir. Wahrscheinlich weil sie sich oft einsam fühlt. So eingesperrt in diesem Verlies.
„Was für einen Film willst du dir denn ansehen?", frage ich, wohlwissend, dass Rachel wenn es um Filme geht, Liebesfilme bevorzugt, die ich so gar nicht leiden kann und die ich nur mit ihr gucke, weil ich es tun muss und wir eine Bindung zueinander aufbauen und pflegen müssen. Das ist auch Teil des Plans. Ich muss das Mädchen an mich heranlassen. Ihr das Gefühl geben, dass ich sie wieder gehen lasse, wenn wir das Geld beisammen haben. Ihr ständig verklickern und zeigen, dass ihr hier nichts passieren wird, wenn sie brav ist und macht, was wir von ihr wollen. Und natürlich dass sie mir vertrauen kann. Rachel braucht eine Bezugsperson und mangels Alternativen bin ich diese. Hoku trägt schließlich immer seine Gargoyle Maske in Rachel's Gegenwart, um anonym zu bleiben. Ich hingegen verzichte auf eine Maske.
Ich habe auch Kameras angebracht. Überall. In jedem Raum, in dem sich Rachel aufhält. Und sie sind immer aktiv. Nicht nur, um das Mädchen zu überwachen, nein, die Kameras erfüllen auch einen anderen Zweck. Sie zeichnen auf und diese Videoaufnahmen sind dafür da, dass wir uns, im Falle einer Festnahme, verteidigen können. Rachel kann uns also nichts anhängen, was wir ihr nicht explizit angetan haben. Das heißt, solange diese Videoaufnahmen existieren, werden wir nur für das belangt werden können, was wir auch wirklich getan haben. Und sollte dieser Fall jemals eintreten, wird uns das womöglich den Arsch retten. Zumindest mir, denn ich hoffe, dass nur einer von uns beiden gefasst werden wird und das werde ich sein. Schließlich muss einer mit dem Geld verschwinden, sonst ist alles für die Katz gewesen.