Schmutziger Oktober - leer

Schmutziger Oktober 30. Okt. 2022

Im Jetzt

Eigentlich will ich den Kuss kurz halten, doch die Erinnerungen prallen auf mich nieder wie Hagelkörner. Ich muss an das Spiel denken, an die Lady und an den Mann. Ich sehe Hoku vor mir in seinen Kleidern. Und ich sehe mich selbst im Spiegel.

Ich habe diesen Jungen gehasst und doch spüre ich ihn nun wieder in mir und er ist schwach. So schwach, dass ich ihn aus mir herausreißen will. Aber ich weiß nicht wie, alles was ich weiß, ist, dass dieser Kuss weder belanglos noch blöd ist. Er ist mehr und wäre Küssen wie Schach, könnte man sagen, dass Rachel den König mit ihrem Zug ins Schach gesetzt hat. So oder so ähnlich, denn obwohl mir mein Verstand sonst so heilig ist, kommt er mir abhanden und anstelle dessen tritt mein Trieb in den Vordergrund.

Ich habe noch nie jemanden geküsst und wurde nur einmal geküsst. Die Liebesschnulzen, die Rachel so gerne guckt, haben alle unrecht. Küssen ist, wie in ein Haifischbecken zu springen und zu hoffen, heil wieder rauszukommen. Küssen ist nicht schön. Küssen tut weh. Küssen ist elektrisch aufgeladen und es kitzelt in den Zehen. In den Knien. Im Schritt. Ich bin machtlos gegen dieses Gefühl. Es ist nun in mir und es fühlt sich leer an. Schwerelos. Treibend. Irgendwohin, sonstwohin. Ich will weg und gleichzeitig bleiben. Für immer.

Irgendwann liege ich auf Rachel drauf, während um uns herum der ganze Raum in Flammen steht. Nicht wirklich, nur metaphorisch. Plötzlich verfluche ich diesen cremefarbenen Schlafanzug, weil ich nicht nur Küssen, sondern auch ficken will. Und das ist schlecht. Eigentlich ist schon schlecht, dass die Kamera in der linken Ecke aufzeichnet, wie ich über diesem Mädchen rage und sie in die Kissen drücke, weil ich Blut geleckt habe. Oder besser: den Nektar ihrer Lippen gekostet habe und wie eine Biene bin. Ich will zwischen diese Blüten krabbeln und… Dinge tun.

„Nael“, wispert Rachel an meinen Mund und ich halte inne. Gebe ein „Hm?“ von mir ohne von ihr zurück zu weichen.

„Küssen ist fantastisch“, flüstert sie. Ich spüre ihr Lächeln auf meinem. Ja. Ist es. Mit ihr ist Küssen fantastisch, weil kein Haus brennt oder Schreie zu hören sind. Es ist erstaunlich still und niemand geht drauf, während wir es tun. Es klatscht auch keiner Beifall oder sieht zu. Außer natürlich die Kamera in der linken oberen Ecke. Was tue ich eigentlich? Es ist kitschig, was ich hier tue. Wie in einem dieser Liebesschnulzen, die sich Rachel so gerne ansieht. Vielleicht mag sie deshalb das Küssen so sehr. Nicht wegen mir, sondern weil es sie an diese Filme erinnert, die nicht echt sind. Das, was wir tun, ist echt und es macht mir Angst.

Ich löse mich von ihrem Mund und sehe das Mädchen an. Ihre Wangen sind gerötet und überall sind diese Sommersprossen, die ich an Hoku so sehr mag. Vielleicht mag ich dieses Mädchen deshalb. Weil Rachel so ist, wie Hoku damals war, bevor wir angefangen haben, das Spiel zu spielen. Unschuldig, so voller Wünsche und Hoffnung und mit Sommersprossen im Gesicht. Die Sommersprossen hat Hoku immer noch, nur der Rest ist gestorben. Wenn man das Spiel spielt, gibt es keine Wünsche und keine Hoffnung mehr. Und auch die Unschuld ist weg.

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