Schmutziger Oktober - Jakobsmuscheln

Schmutziger Oktober 4. Okt. 2022


Drei Jahre zuvor

„Ich habe nie verstanden, warum alle so auf das Zeugs abfahren“, schmatzt Hoku und deutet mit seiner Hand auf die Jakobsmuscheln auf seinem Teller. „Sie schmecken zwar, aber wenn ich zwischen Pizza und Muscheln entscheiden müsste, würde meine Wahl eindeutig auf Pizza fallen.“

Ich stochere in meinen Muscheln herum und frage mich wie so oft, warum ich den Kerl mir gegenüber so gut leiden kann, obwohl er absolut keine Etikette und keinen Geschmack besitzt. Vielleicht liegt‘s an seinen Haaren. Sie sind etwas länger, als sie Männer üblich tragen, gehen ihm sogar bis knapp über die Schultern. Und sie sind orange. So ein Möhren-orange. Nicht gefärbt, sondern natürlich. Zu den Haaren gibt’s passend Sommersprossen, die sich fleckig auf Hoku‘s bleichem Gesicht verteilen. Auch auf den Schultern und den Armen hat er die. Die Augen sind hellblau und die Augenbrauen schmal und genauso Möhren-orange wie die Haare auf seinem Kopf. Aufgrund seiner Haare haben ihn damals alle im Heim als Hexe beschimpft und eher gemieden. Da waren die Haare auch noch länger und Hoku trug Kleider, statt Hosen. Heute trägt er Hosen. Meistens knalleng und dazu seine schräge Lederjacke in der so viele Pins stecken, dass ich irgendwann aufgegeben habe, sie zu zählen. Obwohl ich es liebe zu Zählen und alles zähle, was mir unterkommt. Ist so ein Tick von mir.
„Du stehst auch nicht so auf Muscheln, hm?“, neckt mich Hoku und verpasst mir einen Tritt unter dem Tisch. Ich verziehe das Gesicht und schiebe mir eine von diesen gottbegnadeten Jakobsmuscheln in den Mund. Kauen. Schlucken.

„Erinnere mich daran, dass ich dich nie wieder zum Essen einlade“, sage ich zwar knurrend, meine es aber nicht so. Hoku grinst, lehnt sich über den Tisch und schmiegt seine Hand an meine Wange. „Nie wieder, weil wir bald beide in Geld schwimmen werden“, schnurrt er zuversichtlich, dass unser Plan klappen wird, dann stupst er meine Nase, zieht sich zurück und lehnt sich so lässig und breitbeinig in seinen Stuhl hinein, als wäre er ein Rockstar.
„Also, morgen färbe ich meine Haare und melde mich im Fitnessstudio an. Dann wird erstmal das Süßholz geraspelt. Und wenn ich sie am Haken habe, geht’s los, richtig?“, erkundigt sich Hoku und meint mit „sie“ Cleopatra, Rachel‘s Schwester
„Dann geht’s los“, bestätige ich, hole mein Smartphone heraus und lege es auf den Tisch. Rachel ist meine „Internet-Freundin“. Eine von vielen potentiellen Kandidatinnen, um reich zu werden. Sie ist fünfzehn Jahre alt. Unbeliebt in der Schule. Hat keine Freunde, ist nicht besonders hübsch, hauptsächlich weil sie nichts aus sich macht und hat wie Hoku Sommersprossen und natürlich rote Haare. Weshalb meine Wahl auf sie gefallen ist. Wahrscheinlich weil ich wirklich ein Faible für diese Attribute habe.
„Hoku?“
„Ja, Nael?“
„Ich stehe auf Muscheln.“
Hoku sieht mich verdattert an, ehe er anfängt laut loszuprusten. „Aber zu einer Pizza sagst du auch nicht nein, oder?“

Tags