Schmerz 2.1 (2016)

Creepypasta 15. Juni 2022

„Wo bin ich hier?“

Das Mädchen sieht sich im Raum um. Ich beobachte sie. Sie sieht wunderschön aus. Kein Wunder, schließlich habe ich sie genau aus diesem Grund ausgewählt. Ja. Sie ist die Richtige für dieses Unterfangen. Der Kaffee in meiner Porzellantasse ist bereits kühl geworden, trotzdem nehme ich einen weiteren Schluck von der schwarzen Brühe und lecke mir anschließend genüsslich den Rest von den Lippen. Mmhh, bitter. Genauso bitter wie das, was ich im Sinn habe. Los, sieh mich endlich an, du bezauberndes Mädchen.

Sie richtet sich langsam auf, dann torkelt sie auf wackeligen und schlanken Beinen unbeholfen durch den kleinen Raum, in dem ich uns beide eingeschlossen habe. Wie es scheint, ist die Betäubung noch nicht ganz verflogen, denn die schönen Beine des Mädchens geben irgendwann unter ihrem zarten Gewicht nach und das Mädchen fällt hin. Schmerz. Süßer, verlockender Schmerz zuckt durch ihren zierlichen Körper.

Das Mädchen stöhnt leise auf und hält sich mit zusammengekniffenen Augen die Knie. Es folgt ein weiterer, schüchterner Blick durch den Raum. Die Pupillen weiten sich, als sie mich bemerkt. Ich lächle sie an. Braves Mädchen. Endlich hast du mich entdeckt.

„Nein! Wer bist du… Was...“, dringt es aus ihrem niedlichen Prinzessinenmund.

„Pssst“, zische ich leise, stehe von meinem klapprigen Stuhl auf und gehe mit langsamen Schritten auf sie zu. Sie starrt mich angsterfüllt an, zittert sichtlich am ganzen Leib und als ich immer näher komme, versucht sie doch tatsächlich vor mir weg zu kriechen. Mit wenig Erfolg – der Raum ist zu klein, um mir zu entkommen, trotzdem drängt sich das zierliche Ding in eine Ecke, als könnten die beiden Wände sie vor mir erretten. Falsch gedacht,  meine Süsse, aber klammere dich ruhig an die Hoffnung, wenn sie dich tröstet. Ich bleibe mit etwas Abstand vor dem Mädchen stehen und gehe in die Hocke.

„Du musst keine Angst haben“, flüstere ich. Tränen fliessen über die geröteten Wangen der Schönheit. Ein Schluchzen dringt an mein Ohr. Oh, hübsches Mädchen, weine nicht. Es ist doch noch gar nichts passiert, wofür es sich zu weinen lohnt.

„Werden sie mich vergewaltigen?, erkundigt sie sich mit zaghafter Stimme.

„Nein, werde ich nicht“, beantworte ich ihre Frage. Ein niedliches, erleichtertes Wimmern verlässt ihren Mund, doch die Erleichterung weicht ganz schnell einem anderen Gefühl. Und dieses Gefühl spiegelt sich in ihrem jungen Gesicht wider. Es ist die Erkenntnis gepaart mit einem leichten Anflug von Panik.

„Oh scheisse, sie werden mich umbringen!“

„Nein, aber einer von uns wird heute Nacht sterben“, sage ich grinsend und rühre mit dem Löffel gemächlich meinen Kaffee um. Das Mädchen drückt sich fester in ihre Ecke hinein. Ach wie süss, das kleine Mäuschen will sich verstecken, verschwinden durch ein Mauseloch, das gar nicht existiert.

„Keine Angst, dir wird nichts passieren“, versichere ich dem Mäuschen und bemühe mich, langsam und ruhig zu sprechen. Vergebens, die Ruhe wird durch einen schrillen Schrei durchbrochen.

„Hilfe! Verdammt, kann mich denn niemand hören? Hilfe!“

Nun bricht die Panik wie eine Sintflut aus meinem Mädchen heraus. Es hämmert mit der Faust gegen die Wand, immer und immer wieder und so verzweifelt und verbissen bis die Knöchel blutig und wund sind. Eigentlich ein unterhaltsames Spektakel und ich hätte dieses Schauspiel liebend gerne weiter beobachtet, aber diese Hände wird das Mädchen später noch brauchen. Seufzend packe ich, nach ein paar weiteren nutzlosen Schlägen ihrerseits, nach ihren Handgelenken und halte sie fest. „Wehr dich nicht“, herrsche ich das Mädchen an. Sie, ganz uneinsichtig, gehorcht mir nicht und strampelt wie ein unbändiges Wildpferd mit ihren Beinen gegen die meinen.  

Als Resultat davon verliere ich das Gleichgewicht und kippe um, besser gesagt mit meinem Körper auf das Mädchen drauf. Die Tasse zerbricht an der Wand und unzählige Scherben rieseln auf uns nieder. Prompt erstarrt das Mädchen unter mir wie ein Reh, das auf Scheinwerferlicht trifft.
„Lassen sie mich gehen, bitte“, fleht sie und bringt das Adrenalin in meinen Adern zum Kochen. Dieses Mädchen, sie ist perfekt. Einfach perfekt. Unsere Blicke begegnen sich und als sie die Tränen der Ehrfurcht und Glückseligkeit in meinen Augen bemerkt, blinzelt das junge Ding verwirrt. Scheint sich aber nicht zu trauen etwas zu sagen oder die Frage, die in ihrem Gesicht aufblitzt, zu stellen..

Ich lasse das Mädchen los, richte mich auf, schüttle den Staub von meiner Kleidung und schlendere gelassen zurück zu meinem Stuhl, als wäre nie was gewesen. Ehe ich mich hinsetze, blicke ich über meine Schulter und muss grinsen. Die Angst ist wohl vollkommen der Verwirrung gewichen. Gut. Du sollst keine Angst haben, mein Mäuschen, dir wird nichts Schlimmes widerfahren.

„Wer sind sie?, piepst es leise aus der Ecke.
„Tom.“
„Tom? Warum bin ich hier, Tom?“
„Du bist hier, um mich umzubringen.”
Die Offenbarung malt Fassungslosigkeit in das Gesicht des Mädchens.
„Was? Ich soll ...sie umbringen? Ich verstehe nicht...“
„Ja, du bist hier um mich umzubringen. Sobald mein Herz aufhört zu schlagen, öffnet sich diese Tür hinter mir” - ich verweise mit meiner Hand auf die Tür hinter meinem Stuhl - “und du bist frei.“
„Ich... ich... ich kann das nicht, ich werde Sie nicht töten. Lassen Sie mich einfach gehen, bitte“, jammert mein Mädchen und wirkt in ihrer Ecke noch kleiner und zerbrechlicher als zuvor. Ich schüttle den Kopf. „Die Tür öffnet sich, sobald mein Herz nicht mehr schlägt. Es führt kein Weg daran vorbei, du wirst mir weh tun und mich umbringen müssen, um diesen putzigen Raum verlassen zu können“, ich lächle,  falle vor meinem Stuhl demütig auf die Knie und präsentiere der Kleinen endlich die Kiste, die neben mir auf dem Boden liegt und viele tolle und tödliche Dinge in sich birgt.
„Du musst es nicht mit bloßen Händen tun, aber du wirst es tun, weil ich dich darum bitte und weil es der einzige Weg ist, deine Familie wiederzusehen, so wie es für mich der einzige Weg ist, für mein Vergehen Busse zu tun.“

Das Mädchen sieht mich lange Zeit nur an, abertausende Tränen fließen über ihre Wangen, bis sie die angespannte Stille zwischen uns mit schüchternen Worten durchbricht. „Bitte nicht, ich will niemanden töten. Warum tun Sie es nicht einfach selbst?“
Ich schließe die Augen und grinse in mich hinein. „Weil ich wissen will, nein, weil ich wissen muss, wie es sich anfühlt, getötet zu werden. Bestialisch abgeschlachtet zu werden. Sich unter Schmerzen zu winden und zu spüren, nein, mit jeder Faser zu fühlen wie sich mein Körper langsam und unter endlosen Qualen Stück für Stück immer mehr dem ach so verlockenden Tod hingibt. Ich will leiden. Ich will abgöttisch leiden! Und du wirst es sein, der ich mein Leben in die Hand gebe und du musst es sein, die mir das Leben aushauchen wird.“
Wimmern. Schluchzen.
„Sie sind doch krank“, winselt das Mädchen in ihrer Verzweiflung.

Ich schiebe die Kiste vor mir her und rutsche auf Knien die paar Meter, die uns trennen, zu ihr herüber. Als ich ihre Hände greifen will, zuckt das junge Ding zusammen, aber beim zweiten Versuch meinerseits lässt sie die Berührung schlussendlich zu. Meine Finger schlingen sich sogleich um ihre und führen sie ungeduldig hinab zu der Kiste, die vom Sensenmann höchstpersönlich zusammengestellt hätte sein können.
„Ich verstehe nicht, warum Sie das wollen...“, piepst das Mädchen, als sie die mörderischen Utensilien darin entdeckt. Messer, Nadeln, Klammern, Scheren, Sägen, Feuerzeug, Bunsenbrenner und sogar eine Pistole.

„Sie wollen das wirklich?“, flüstert das Mädchen und lässt ihre Fingerkuppen zögerlich über die Klinge eines Messers gleiten, von dem sie ganz besonders angetan zu sein scheint. Oder zumindest neugierig, was gut ist. Das gefällt mir. Sie klimatisiert sich langsam an. Gewöhnt sich an die Vorstellung mir weh zu tun. Und das schneller als erwartet.

„Ja, ich will es“, raune ich in ihr Ohr, erhebe mich und helfe meinem Mädchen auf die Beine. Als wir beide stehen, ziehe ich ohne Vorwarnung mein Oberteil aus und prompt lenken meine unzähligen Narben die Aufmerksamkeit auf sich, doch nicht genug, um dem Mädchen die auf der Zunge liegende Frage zu entlocken.

Auf dem Weg zurück zu meinem Stuhl fällt auch noch die Hose, bis ich nackt Platz nehme und sehnsüchtig auf mein Ende warte. Es ist kühl und die Vorfreude lässt mich leicht erschaudern. Bald. Bald ist es soweit.

Das Mädchen bückt sich derweil zu der Kiste hinunter, fällt ihre Wahl und sieht sich dann ein letztes Mal unsicher im Raum um, als hege sie immer noch die Hoffnung, eine andere Möglichkeit zur Flucht zu finden. Doch Hoffnung ist wie ein wildes Tier, sperrt man es erstmal in einen Käfig ein, geht es zugrunde wie ein zartes Pflänzchen ohne Wasser an der brühwarmen Sonne.
Wenig später taucht das Mädchen, an den Fingernägel kauend, vor mir auf und sieht mich traurig an. „Warum ich?“
„Du bist perfekt. Du erinnerst mich an die eine, die ich geliebt habe.”

Wieder sehe ich eine ganz bestimmte Frage in ihrem Gesicht aufblitzen, doch stellen tut mein Mädchen eine ganz andere.

“Und sie wollen leiden?“
“Ja, quäle mich. Ich flehe dich an.”
“Soll ich das hier benutzen?”, sie deutet auf den kleinen, unscheinbaren Gegenstand in ihrer Hand hinunter. Ich grinse zufrieden. “Wenn das deine Wahl ist, ich vertraue dir voll und ganz.”
“Woher weiss ich, dass die Tür auch wirklich aufgehen wird, wenn sie… wenn sie tot sind.”
“Du wirst mir vertrauen müssen, so wie ich dir.”
Ich schließe die Augen. Erwartungsvoll. Zuversichtlich. Die Sekunden rinnen endlos dahin. Fühlen sich an wie Minuten. Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre und dann spüre ich ihn. Den stechenden Schmerz, als die Nadel durch meine Unterlippe dringt und sich mein Mund mit frischem Blut füllt. Mit der Zungenspitze tippe ich lachend dagegen. Schmecke das Metall. Es fühlt sich unglaublich an. Dieser sanfte, prickelnde Schmerz.
„Mehr, mehr, tu mir weh!“, bettle ich und reiße begeistert die Augen auf, als die Nadel daraufhin ruckartig wieder aus mir herausgezogen wird. So gut und so schön, wie mein Mädchen, das dort steht mit der Nadel in ihrer Hand, völlig entsetzt über meine Reaktion. “Das ist doch krank. Sie sind total krank.”
Ja, krank vor Liebe. Müde vor Sehnsucht. Wahnsinnig ungeduldig und gespannt auf mehr. Mehr von diesem Schmerz. Ich beobachte mein Mädchen, wie sie zurück zur Kiste läuft und ein Messer herausholt. Das Messer, mit dem sie zuvor bereits geliebäugelt hat. Ich halte ihr meine Handgelenke hin, als sie zurückkehrt. Sie sucht nach Zweifeln in meinem Gesicht, doch da sind keine, also lässt sie die kühle Klinge über die feine Haut über meinen Pulsadern gleiten. Pochend. Und brennend, drängt sich das Messer in mein Fleisch, schneidet und durchtrennt, was durchtrennt werden muss. Vollends erregt und benommen von diesem süssen Schmerz stöhne ich auf und verfolge mit irrsinniger Faszination wie mein Blut auf dem Boden aufkommt.
Das Mädchen muss sich abwenden. Ihre Finger zittern so stark, dass ihr das Messer aus der Hand rutscht. Sie will sich schon danach bücken, aber ich halte sie ab.
„Lass es liegen.“
Sie zuckt kurz zusammen und nickt dann zögerlich. Ich bemerke, wie meine Sicht durch die etlichen Freudentränen, die ich weine, anfängt zu verschwimmen und begrüsse das sich allmählich heranschleichende Schwindelgefühl. Es fühlt sich fantastisch an, wenn das Leben Tropfen um Tropfen aus einem entweicht. So unfassbar gut und befreiend wie Fesseln, die einen festhalten und sich endlich lösen.
„Nimm den Bunsenbrenner!“, flüstere ich, vollkommen in Wonne versunken.  
„Den Bunsenbrenner?“, wiederholt mein Mädchen, unsicher, ob sie sich nicht doch verhört habe. Hat sie nicht, denn ich will…ich will… oh ja…  
„Ich will brennen!“, schreie ich heraus. Mein Mädchen weicht vor Schreck zurück. Muss sich erst fangen, bis sie sich meinem Wunsch fügt und den Bunsenbrenner aus der Kiste holt. Ihre Hände sind schweißnass, ihr Atem geht flach. Sie scheint zu zögern, zu hadern, zu zweifeln. Ich packe sie am Arm, ziehe ungeduldig an ihm, kann es kaum abwarten in Flammen zu stehen. Zu brennen, zu lodern.
“Ich will das Feuer auf meiner Haut spüren, verbrenne mich. Oh bitte, ich flehe dich an, verbrenne mich.“  
Mein Blut tränkt das wunderschöne Blumenkleid des Mädchens, als ich hektischer an ihrem Arm rupfe und sie zur Vernunft schütteln will. Was ein Anfang hat, muss auch ein Ende haben - man kann nicht mittendrin aufhören. Nicht jetzt, wenn es doch so schön ist und der Tod so nah, dass man ihn riechen, gar auf der Zunge schmecken kann.
Mein Mädchen schluckt, schluckt, schluckt, schluckt, schluckt  wieder und wieder und dann fügt sie sich. Feuer trifft auf Haut und der alles überragende Schmerz erfasst mich bis ins Mark. In mir drin und überall auf mir drauf kribbelt es. Ich schmelze unter dem Feuerstrahl hinweg, sauge all die Qualen wie ein Schwamm in mich auf. Dieses berauschende Gefühl muss ein Vorgeschmack auf den Garten Eden sein, denn das, was ich spüre, ist einfach paradiesisch.

Mein Mädchen jedoch wird ganz bleich um ihr hübsches Näschen. Ihr Gesicht schockverzerrt. „Ich kann das nicht...“, stammelt sie und will ihn weglegen. Den Bunsenbrenner, mein Elixier. Meinen Weg hier raus und woanders hin.
„Mach weiter, mach weiter! Ich will mehr! Ich will meine Haut brennen sehen!“, dränge ich sie, will nochmals nach ihr greifen, bin zu langsam, bin zu träge, so nah am Tod und doch so fern von ihr.
Das Mädchen schüttelt entschlossen mit dem Kopf, weint und fleht. „Nein, bitte...“

“Bitte mehr”, beende ich ihren Satz und sammle all meine Kraft. Ich hechte vor und ziehe mein Mädchen mit dem Brenner in ihrer Hand zu mir heran. Zwinge sie auf meinen Schoss. Führe ihre Finger an die genau richtige Stelle, presse und drücke, bis die Flamme ungezügelt auf mich nieder peitscht. Feuer brennt auf meiner Brust. Ich kann die Hitze in meinem Herzen spüren. Wie sie mich wärmt, wie sie den Schmerz in mir drin mit viel mehr und besseren, so viel besseren Schmerz betäubt und endlich lindert.

„Jaaaa, ich will brennen, ich will brennen, lichterloh in Flammen stehen..“ meine Stimme bricht. Meine Lider flattern. Der Geruch ist beißend. Der Raum löst sich immer mehr auf. Verschwindet im Rauch. Und sogar dieser Schmerz, dieser schöne Schmerz, er lässt allmählich nach, lässt mich im Stich,…nein, ich will mehr, ich brauche mehr! Nicht aufhören. Nicht jetzt! Ich will mein Mädchen anflehen, weiterzumachen. Mich anzuzünden wie ein Haus, eine Kerze, einen Scheiterhaufen. Aber die Worte bleiben in meiner Kehle stecken und plötzlich spüre ich kaum noch was. Wie hinfort ist dieses Gefühl, dieses verlockende Eden, nach dem ich mich sehne. Da ist immer mehr von diesem Rauch um mich herum. So viel Rauch. Ich sehe verschwommen wie sich Hände meinem Gesicht nähern. Ein Mund, der sich inmitten all dieser Rauchschwaden bewegt. Etwas zu mir sagt. Ich horche, doch ich höre nichts. Nichts. Nur Stille. Und dieser Rauch, diese Schwärze. Und dann, eine Tür, die sich öffnet. Ein Licht, das durch den Nebel dringt. Eine Vergebung. Ein erfüllter Schwur. Madeleine, es ist so weit,…ich komme, ich komme endlich zu dir.

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