Rubinrot - 2

Später am Tag

Nachdem ich alle meine Sachen in den kaputten Schrank verstaut und Nora sowie Sandy versichert habe, dass ich meine Medizin genommen habe, finde ich mich im Garten wieder, der - Überraschung - sich in den sieben Jahren wie der Rest des Hauses kaum verändert hat. Irgendwie wirkt alles so surreal. Die Kulisse ist dieselbe, aber die Schauspieler darin sind gealtert. Oder haben mal eben das Geschlecht gewechselt. Ich setze mich auf die Hollywoodschaukel und krame mein Handy aus der Hose heraus. Natürlich habe ich keine neuen Nachrichten, wie auch, wer sieben Jahre von der Bildfläche verschwunden ist, der hat keine Kontakte mehr. Ja, es hatte anfangs Menschen respektive Freunde gegeben, die versucht haben, den Kontakt mühselig aufrechtzuerhalten. Aber in zwischenmenschlichen Dingen war ich nie sonderlich gut gewesen. Besonders dann nicht, wenn alle einen für verrückt halten und man ständig das Gefühl hat, sie kommen nur zu Besuch vorbei, weil sie den Irren in der Klapsen begaffen wollen. Wie so ein Zootier mit der Aufschrift „Füttern verboten, aber Anstarren erlaubt.“ Genau genommen hatte ich in meinem gesamten Leben sowieso nur zwei Freunde. Zwei sind genug, es kommt schließlich auf die Qualität und nicht auf die Quantität an. Vielleicht ist das auch einfach so eine Standardausrede für Menschen wie mich, die keine Lust haben, Zeit und Energie in das Kennenlernen von neuen Leuten zu stecken. Keine Lust und vielleicht zusätzlich auch eine Prise Muffensausen. Aber nur eine ganz kleine Prise.
Wie aus Gewohnheit gehe ich meine spärlichen Kontakte durch und bleibe wie so oft an demselben Namen hängen. Ruby. Sie ist eine der beiden Freunde, besser gesagt, sie ist und war schon immer meine Nummer Eins und selbst zu ihr habe ich den Kontakt verloren, oder besser gesagt nach einem Jahr Irrenanstalt komplett eingestellt. Ruby… Wie auf Knopfdruck fängt mein Herz an verrückt zu spielen. Das tut es ausnahmslos immer, wenn ich an sie denke. Bum, Bumbum, Bum, Bum, bumbumbum. Nervös hole ich aus der anderen Hosentasche meine „Notfall-Pillen“ heraus und schiebe mir eine davon in den Mund. Schlucken. Erledigt. Bin wieder normal.
„Na Bruderherz, genießt du die Sonne?“ Sandy tritt in den Garten hinaus. Mein Blick fällt auf ihn. Oder sie. Das hellblaue Sommerkleidchen flattert in der warmen Sommerbrise. Die spitzen Absätze versinken im frisch gemähten Gras und plötzlich fällt mir hinter meinem Bruder etwas auf, das nicht da sein sollte. Das definitiv nicht da sein sollte. Okay. Nicht gut. Besser noch eine hinterher. Pille Nummer Zwei verschwindet in meinem Rachen. Okay alles gut, bin wieder normal.
„Ist da was?“, Sandy dreht sich um und schaut in die richtige Richtung, doch der schwarze Schatten hinter ihm, ich meine natürlich ihr, verblasst bereits allmählich, bis er komplett mit dem Hintergrund verschmilzt. Besser. Das ist gut. Fantastisch. Sind ja auch „Zauberpillen“, die machen sowas, wie Dr. Walrus zu sagen pflegen vermochte.
„Maik?“ Sandys blassblaue Augen richten sich wieder auf mich. Ich bemühe mich normal zu wirken, denn in Sandys zuvor entspannte Miene ist Besorgnis eingekehrt.
„Da war ein Eichhörnchen“, lüge ich mit einem halbwegs anständigen Lächeln auf den Lippen - hey so langsam werde ich darin richtig gut - und deute mit meiner Hand auf den freien Platz neben mich. „Lust ein bisschen mit deinem bekloppten Bruder abzuhängen?“