Nero, der Alpha - 9

Nero, der Alpha 19. Jan. 2022

Ich spüre eine sanfte Bewegung an meinem Hinterkopf, als der Stoff, der meine Augen bedeckt, gelockert wird.
„Bist du bereit?“, flüstert Nero so leise an meinem Ohr, dass garantiert nur ich die Worte hören kann. Er muss unmittelbar vor mir sein. Auf Augenhöhe. Zögerlich nicke ich, dann er zieht den Stoff von meinem Gesicht herunter. Für eine Sekunde bin ich völlig blind, weil das Licht so grell ist, dass es in meinen Augen schmerzt und ich sie aus Reflex zusammenkneife. Vorsichtig öffne ich sie einen Spalt, um mich langsam an die Helligkeit zu gewöhnen. Doch das, was ich durch den Spalt erst verschwommen und total überbelichtet wahrnehme, ist so unerwartet, dass ich die Augen vorschnell aufreiße und es direkt bereue. Obwohl das Licht auf meiner Netzhaut brennt, sauge ich die Umgebung ungläubig in mich auf. Spiegel. Überall um mich herum sind Spiegel. Die vier Wände bestehen aus Spiegel. An der Decke direkt über mir ist ein großer Spiegel angebracht und selbst der Boden reflektiert den Raum. Ohne, dass es Nero fordern muss, klappt mein Mund auf und als hätte er die Reaktion vorausgeahnt, platziert er einen Hundekeks auf meine Zunge - dann sehe ich es. Zum allerersten Mal. Ein verschmitztes Lächeln auf seinen Lippen. Und es passt zu ihm. Es passt so gut zu ihm und sieht so gut aus, dass das Lächeln in meiner Vorstellung nicht einmal ansatzweise an das Original herankommt.

„Du wirst hier keine Ballettstange finden“, scherzt er und er hat recht. Obwohl der Raum entfernt an ein Ballettstudio erinnert, hat der Raum bis auf eine Spiegelwand dennoch wenig mit dem Studio, in dem ich damals getanzt habe, gemeinsam. Der Raum wirkt kühl und grausam wie sein Besitzer und als ich mich umsehe und das gesamte Hunderudel im Halbkreis um mich herum erblicke, erschaudere ich, als würde ich von innen heraus erfrieren. Alle Augen sind auf mich gerichtet und sie starren mich an, als wäre ich Beute. Und egal wie sehr ich ihren gierigen Blicken versuche auszuweichen, egal wo ich hinsehe, sie verfolgen mich. Durch die Spiegel an den Wänden wirkt es so, als wäre ich gefangen inmitten einer ganzen Armee aus Bestien.

„Sieh dich an“, fordert mich Nero auf und streckt seine Hand nach mir aus. Er hebt mein Kinn hoch und zwingt mich in den Spiegel vor mir zu schauen. Ich will nicht hinsehen. Will den Blick abwenden. Die Augen verschließen, aber die Angst vor den Konsequenzen lässt mir keine andere Wahl, also tue ich, was er von mir will. Braune, gerötete und total verängstigte Augen sehen mich an. Dunkle Schatten haben sich unter ihnen gebildet. Ich sehe krank aus. Meine Lippen sind spröde und aufgerissen. Mein Teint ist bleicher als sonst und selbst die sonst so kräftigen Sommersprossen auf meinen Wangen wirken wie verblasst. Meine Haare hängen kraftlos und nass von meinem Kopf. Meine linke Brust ist geschwollen und rot. Auf dem Boden unter mir ist es nass. Meine ganze Haut glitzert vor Schweiß und Ekel. Meine Hüftknochen stechen mehr heraus, als üblich. Meine Taille wirkt schmaler und es ist deutlich sichtbar, dass ich in der kurzen Zeit, in der ich hier bin, bereits an Gewicht verloren habe. Ich erkenne das Mädchen vor mir nicht wieder. Das bin ich nicht mehr. Das ist nicht mehr Rika. Das ist irgendjemand anderes und ich habe Mitleid mit ihr. So sehr, dass ich weinen muss und widerliche Tränen der Schande über mein kaputtes und müdes Gesicht tropfen.

„Kyr.“ Nero dreht sich zu dem Hund um und gibt ihm ein Zeichen. Prompt kommt der schwarze Rüde mit den stechend gelben Augen angerannt. Als er neben mir steht, leckt sich das Vieh bereits genüsslich über die Schnauze. Ich will kotzen und schreien gleichzeitig. Doch ich weiß, dass wenn ich jetzt ein falsches Geräusch von mir gebe oder eine falsche Bewegung mache, hätte das Konsequenzen. Schlimme Konsequenzen.

„Weil du gehorsam warst, Erika, werde ich dir verraten, was dich gleich erwarten wird.“ Nero kommt mir ganz nah, so nah, dass unsere Gesichter sich beinahe berühren. Wieder streckt er seine Hand nach mir aus, hält mit zwei Fingern mein Kinn fest und raubt mir damit den Atem. Ich verliere mich regelrecht in seinen eisblauen Augen. Sein animalischer Geruch schmiegt sich in meine Nase und löst ein angenehmes Kribbeln an der Stelle aus, die zuvor so rücksichtslos missbraucht worden ist. Ich begehre Nero. Ich begehre ihn so sehr, obwohl ich ihn verabscheuen und hassen will.

„Kyr wird dich besteigen und du wirst es zulassen, Erika. Du wirst es brav zulassen und dich von ihm nehmen lassen. Ich werde dich nicht zwingen zu kommen, aber ich werde dich zwingen hinzusehen.“

Neros Worte donnern wie Hagelsteine auf mich nieder und die Eiseskälte, mit der er mein Schicksal ausspricht, gibt mir den Rest. Ich schüttle energisch mit dem Kopf und presse die Lippen aufeinander. Nein. Nein. Nein! Ich will aufstehen und wegrennen, aber da hat er den Befehl bereits ausgesprochen.

„Kyr, auf.“
Der Hund stellt sich auf die Hinterpfoten auf und befördert seine Vorderpfoten unsanft auf meine Hüfte. Krallen bohren sich tief in meine Haut und kratzen mich wund, als das Tier beim Versuch mich zu besteigen, mehr als einmal abrutscht und dann, als die Bestie Halt gefunden hat, spüre ich dichten und ekelhaft warmen Pelz an meinem Po. Ich kneife die Augen zusammen. Kneife sie so fest zusammen wie es nur geht. Will irgendwo anders sein, egal wo, nur nicht hier.

„Sieh hin, Erika“, herrscht mich Nero rau an. „Sieh hin und ertrage es oder ich muss dich bestrafen.“

‚Ist das nicht schon Strafe genug?!‘, brüllt eine Stimme in meinem Kopf ihm entgegen und sie hat recht. Was kann schlimmer sein, als das, was der Hund gleich mit mir anstellen wird? Widerwillig öffne ich die Augen, obwohl sich jede Zelle in mir sträubt. Nero nickt zufrieden und rückt etwas zur Seite, um mir vollen Blick auf mein Ebenbild im Spiegel zu gewähren. Ich bin vollkommen zerbrochen. Sehe den Ekel und die Angst in meinem Gesicht, sehe wie mein Körper vor Anspannung vibriert. Sehe den Missbrauch der letzten Tage auf mir kleben. Kyr hechelt. Er hechelt so verflucht laut. Die ekelhafte Rute ist ausgefahren, pulsiert und glänzt. Das Vieh umklammert mich wie eine Zecke, drängt sich an mich, bewegt wie manisch sein Hinterteil vor und zurück. Die Distanz wird immer geringer und ich spüre wie das widerliche Ding mein Bein streift und in mich rein will. Die Zeit läuft plötzlich viel langsamer, als wollte sie mich verhöhnen. Als würde sie genießen, was mir widerfährt undes in die Länge ziehen wollen. Der Spiegel kennt kein Erbarmen, der Spiegel malt nichts schön, der Spiegel ist grausam; egal in welche Richtung ich blicke und wie sehr ich versuche mir selbst auszuweichen, ich sehe aus jedem Winkel Kyr auf mir und sein ekelerregendes Ding bald in mir. Ich will nicht, ich will nicht. Ich will nicht. Das ist nicht richtig. Das ist nicht richtig. Das ist falsch. So falsch. Ein Tier sollte einen Mensch nicht auf diese Art und Weise nehmen. Auf keine absolut keine Art und Weise. Und dann festigen sich unerwartet ganz andere Gedanken in mir. Gedanken, die nicht von mir sein können. Ich höre Johannas Stimme in meinem Kopf. ‚Die Meister langweilen sich. Das, was sie uns antun, haben sie schon vielen anderen angetan.‘ Ich muss an die Frauen im roten Zimmer denken. Hat Nero ihnen das ebenfalls angetan? Bin ich nur eine von vielen und nach mir kommt die Nächste dran? Johannas Worte prasseln wie abertausende Regentropfen auf mich nieder, tränken meinen Verstand, ich sauge sie auf wie ein Schwamm. ‚Du reagierst genau so, wie er es von dir erwartet, Rika. Diese Angst, diesen Ekel, er hat ihn schon auf so vielen Gesichter gesehen. Die Meister lechzen nach etwas Unerwarteten. Überrasch ihn! Tu etwas! Wehre dich! Sei keine Nummer, sei nicht eine von vielen. Sei wie Johanna. Reiss dich zusammen, Rika! Strecke ihn nieder! Sei verflucht nochmal wie Johanna!’ Aber wie?

„Bitte“, japse ich leise und schaue Nero verzweifelt an. Tränen drängen sich aus meinen Augen wie Kyrs widerliche Rute sich an mich. Neros Blick ruht auf mir. So unberührt und desinteressiert wie eh und je. Selbst das Lächeln ist verschwunden. Langweilt ihn das? Langweilt er sich wirklich? Ja. Denk doch mal nach, Rika! Alle betteln ihn an aufzuhören. Absolut jede will, dass er den Befehl abbricht. Aber er wird es nicht tun. Er wird es geschehen lassen. Weil es ihm egal ist. Weil es ihn nicht kümmert. Eine von vielen. Eine von vielen.

„Bitte.. fick mich, Nero“, presse ich mühsam aus meinen Mund heraus und erschrecke mich ab mir selbst, dass ich es wirklich getan habe. Ich habe ihn gebeten, mich zu... ficken und ihn dabei auch noch angesehen. Und da ist es. Nur eine Millisekunde ist es sichtbar. Ein Flackern in den eiskalten Augen. Keine Ahnung, ob ich es mir in nur eingebildet habe. Ich muss es noch einmal sehen. Nur um ganz sicher zu gehen.

„Fick mich, Nero“, sage ich eine Spur lauter und selbstsicherer. Die Mundwinkel des Alphas zucken. Nur ganz kurz. Aber ich bin mir sicher! Sie haben gezuckt!

„Warum solltest du das wollen?“, erwidert er endlich und verstärkt den Druck seiner Finger an meinem Kinn. In seiner Mimik liegt aufrichtige Verwirrung, die er nicht mehr zu verbergen vermag. Ich habe ihn überrascht. Ich bin keine Nummer mehr! Ich habe mein Ziel erreicht. Trotzdem überrumpelt mich Neros Frage komplett. Ich habe keine Antwort darauf, keine die ich laut aussprechen kann und will. Selbst die Johanna in meinem Kopf ist still und die Zeit, die Zeit läuft mir plötzlich davon. Bald hat die Bestie mich, bald ist sie in mir und dann… dann ist es zu spät, dann hat er mich. Dann bin ich verloren.

„Warum willst du mich nicht?“, sprudelt es aus mir heraus. Es schwingt so viel Traurigkeit und Wut in meiner Stimme mit, dass ich für eine Sekunde die Lage, in der ich mich befinde komplett vergesse und Nero meinen geballten Zorn entgegen speie. „Warum willst du mich nicht ficken?! Warum? Fick mich endlich! Tu es, lass es nicht den Drecksköter für dich tun. Ich will dich… du weißt, dass ich dich will!“

„Ich habe noch nie mit einer Frau geschlafen“, ist seine leise Antwort darauf, die wirkt, als wäre sie ihm aus versehen heraus gerutscht. Dann passiert etwas, das jede Kamera einfängt und jeder Zuschauer zu Gesicht bekommt. Nero errötet. Er errötet. Der eiskalte und emotionslose Mann wird knallrot und der Griff um mein Kinn weicher. Aus einem Impuls heraus ergreife ich die Chance. Warum? Wieso? Weshalb ich es tue, ich weiß es nicht, aber ich küsse ihn. Ich schieße mit einem Ruck nach vorne und presse meine Lippen auf seine. Der Kuss ist so rau, wie das Wesen des Mannes, den ich küsse. Und im ersten Moment will er sich lösen und mich wegstoßen, doch dann wird nicht nur sein Griff um mein Kinn weich sondern auch sein Mund. Meine Libido schreit vor Verlangen nach mehr auf, als der Alpha den Kuss unbeholfen erwidert, als hätte er so etwas wie Küssen vorher noch nie getan. Jetzt bin nicht nur ich verzweifelt, sondern er auch. Er weiß nicht, was er tun soll. In seinem Kopf muss es rattern. Das hat er nicht kommen sehen. Diese Situation kennt er nicht. Die ist neu. Unerwartet. Ein Fehler in der Matrix. Farg prescht schützend an Neros Seite, Tuga und Ignar und Zor folgen ihm. Alle Hunde fletschen die Zähne und lautes, bedrohliches Knurren erfüllt den Raum. Selbst Kyr ist von mir runtergesprungen. Innerhalb eines Augenblicks hat sich die Show gewendet. Aber nicht zu meinen Gunsten. Und ein Augenblick später hat sich Nero gefangen. Er schleudert mich grob von sich weg und alle Hunde stürzen sich wie eine Einheit auf mich. Doch bevor auch nur einer dazu kommt, mich ernsthaft zu verletzen, schrillt ein Pfiff durch meine Ohren.

Die Hunde richten ihre Köpfe zu Nero, der mit einem gequälten Gesichtsausdruck auf mich hinab sieht. So viel Emotionen habe ich noch nie in seinem Gesicht gesehen. Er hält die Hand hoch, mit der Absicht ein Kommando zu erteilen, doch dann senkt er sie wieder und verlässt kurz darauf ohne ein Befehl oder ein Wort das Zimmer. Die Bestien lassen von mir ab und folgen ihm. Als ich allein zusammengekauert auf dem Boden zurück bleibe, weiß ich, dass das, was ich getan habe, schreckliche Konsequenzen haben wird. Ich habe ihn bloßgestellt. Live. Vor etlichen Zuschauern. Das hätte ich nicht tun sollen. Und auch erst jetzt wird mir etwas klar. Nero hat mich nicht darauf abgerichtet, ihn zu begehren. Er wusste gar nicht, dass ich es tue. Die Überraschung war echt, nicht gespielt. Der Einzige, der es wusste, war Kyr, aber der Alpha hat sein darauf hinweisendes Jaulen stets missinterpretiert.

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