Nero, der Alpha - 8
Unser Weg führt wieder vorbei am roten Zimmer. Vorbei und nicht hinein. Ich wäre am liebsten vor Erleichterung in Jubel ausgebrochen, aber als wir vor den Duschräumen ankommen, bleibt der Jubel - vermutlich ist es auch besser so - in meinem Hals stecken. Nero öffnet die Tür und das Erste, was ich wahrnehme, ist Johanna, die total selig auf einer Matratze liegt, die vorher bestimmt noch nicht da war und die Nero wohl extra für sie besorgt haben muss. Drae liegt neben der Frau und hat sich dicht an sie gekuschelt. Die Beiden sind bereits so vertraut wie ein sehr gute Freunde oder wie Mutter und Kind. Johanna wirkt, als ob sie schlafen würde, nur Drae hebt kurz den Kopf und blickt in unsere Richtung. Ich bin überrascht, dass Johanna jetzt einen von Neros Pullovern trägt und untenrum eine Boxershorts, vermutlich auch seine. Aber die Überraschung weicht ganz schnell einen viel giftigerem Gefühl. Und obwohl ich nicht so fühlen will, tue ich es. Ich bin eifersüchtig. Ich bin total eifersüchtig darauf, dass sie Neros Sachen trägt und ich weiß nicht einmal wieso. Ich sollte nicht eifersüchtig sein. Nicht auf sowas. Und ich bin doch sonst nicht so. War ich noch nie. Trotzdem spüre ich es klar und deutlich und der total irrationale Hass auf diese Frau schmeckt fad auf meiner Zunge. Ich habe zwar die Berechtigung auf Johanna wütend zu sein, weil ich ihre Konsequenzen übernehmen muss und auch weil sie sich mit voller Absicht Neros Befehle widersetzt hat. Ja, aus diesen Gründen darf ich sauer sein. Sie hier zu sehen, in den Klamotten von Nero, auf einer gemütlichen Matratze, friedlich schlafend, frei von jeglichen Konsequenzen, obwohl sie total ungehorsam war, gibt mir den Rest. Wie kann sie es wagen und wie kann Nero mir das nur antun? Ich muss mir auf die Lippen beißen, um nicht loszuschreien oder auf Johanna loszugehen und ich verachte mich für meine Missgunst. Die Frau ist schwanger. Sie muss umsorgt werden. Das hat nichts mit mir zu tun. Ich sollte mich freuen oder zumindest Verständnis zeigen. Der Meister kümmert sich lediglich um sie, wie von der Ärztin aufgetragen. Urplötzlich kommt mir ein ganz absurder Gedanke. Was ist, wenn Johanna das alles von Anfang an geplant hat? Was ist, wenn das alles eine Intrige ist? Eine Inszenierung, um mich zu quälen? Vielleicht steckt sie mit dem Etablissement unter einer Decke? Und was ist mit den Frauen im roten Zimmer? Empfinden diese genauso wie ich, weil Nero mich anders behandelt als sie? Hassen sie mich? Verachten sie mich dafür? Bin ich eine Verräterin?
Bevor mich der Hass weiter Richtung Abgrund ziehen kann, ist es Nero, der mich zurück auf den Boden der Tatsachen holt.
„Mach dich sauber“, befiehlt er und spricht tatsächlich leiser als sonst, als wollte er die Prinzessin auf der Matratze nicht wecken. ‚Mein Gott, das ist so lächerlich Rika, zügle deine Eifersucht!‘, mahne ich mich lautlos selbst und merke, wie ich mir das auch hätte sparen können. Der giftgrüne Neid sitzt auf meiner Schulter, als ich zur Dusche schlurfe. Am liebsten wäre ich mit Steppschuhen auf den Fliesen herumgetrampelt oder hätte sonst irgendwie Radau gemacht, um Johanna zu wecken, damit sie zumindest den bitterbösen Todesblick wahrnimmt, den ich ihr dann zuwerfen würde, was total kindisch und gemein ist. Was ist nur los mit mir?
Frustriert drehe ich die Dusche auf und sollte eigentlich dankbar sein, mir das ekelhafte Urin vom Körper waschen zu dürfen. Bin ich aber nicht. Zu wissen, dass Johanna hier umsorgt wird und ich in der Liveshow für ihre Taten büßen muss, macht mich rasend. Ob er das mit Absicht macht? Nero, der Mann, der mir nicht einmal dabei zusieht, wie ich dusche. Nein, er steht total desinteressiert in der Türschwelle und zu allem Überfluss tippt er auf seinem Handy herum, was er sonst nie tut. Die einzigen Beiden, die mich mit gierigen Stielaugen begaffen sind Kyr und Farg, die neben dem Alpha in Wachstellung gegangen sind. Kurzerhand drehe ich allen den Rücken zu und starre auf die Duschwand, während lauwarmes Wasser meinen Körper herunter prasselt. Warum interessiert sich Nero nicht für mich, aber dressiert mich dazu, dass ich ihn auf eine abstrakte Art und Weise begehre? Diese ständige Ablehnung und das andauernde Ignorieren, ist das alles nur, um mich zu brechen? Um mich fertig zu machen? Um mich zu züchtigen, damit ich alles tue, um ein bisschen Aufmerksamkeit von ihm zu bekommen? Oder liegt es an mir? Bin ich ihm zu hässlich? Findet er mich abstoßend? Fasst er mich deshalb nie selbst an und überlässt das stattdessen seinen Hunden? Trauer mischt sich unter die Wut und bringt den Gefühlscocktail in mir zum Überlaufen. Wieder kämpfen sich Tränen aus mir heraus und ich muss ein Schluchzen unterdrücken. Ich will nach Hause. Ich will mich unter meiner Bettdecke verkriechen und mein Gesicht in mein Kopfkissen drücken. Ich will einen Kübel Eiscreme in mich reinstopfen und dämliche Liebesschnulzen gucken, dabei hundert Packungen Tempos verbrauchen und meiner besten Freundin schreiben, dass alle Männer doof sind. ‚Aber du hast keine Freunde mehr, Rika‘, zieht mich die Stimme in meinem Kopf auf und sie hat recht. Bevor ich ins Etablissement gekommen bin, war mein Leben bereits ein Trümmerhaufen. Mama drogenabhängig, Papa tot. Mein Bruder ist ein Arschloch und meine Freunde… die verstehen nicht, warum ich den Kontakt von einem Tag auf den anderen abgebrochen habe. Sie werden mir das nie verzeihen. Dabei habe ich mich einfach nur geschämt, dass ich beschlossen habe, mich zu verkaufen. Was würden sie von mir denken, wenn sie wüssten, wo ich gerade bin und was ich mir alles freiwillig antun lasse?
Ich reibe mir hektischer mit den Händen über den Körper, um den Ekel, der wieder Besitz von mir ergriffen hat, irgendwie runter zu waschen. Aber egal, wie sehr ich es versuche, dieses widerliche Gefühl bleibt an mir haften. Selbst der Inhalt der Shampooflasche ist machtlos und das obwohl ich mir erlaube, mir zweimal die Haare damit zu waschen. Grade als ich mich ein drittes Mal einseifen will, streifen meine Finger das Halsband. Prompt spüre ich meine Libido aufblühen und bin selbst so überrascht darüber, dass mein erster Impuls daraus besteht, mich umzudrehen und panisch zu überprüfen, ob es irgendjemandem aufgefallen ist. Meine Wangen glühen Ampel Rot, aber zu meinem Glück jault weder Kyr auf noch hat Nero aufgehört auf seinem Handy herumzutippen. Vielleicht kann Kyr meine Erregung durch den blumigen Duft vom Shampoo nicht riechen. Gerade als ich mich erleichtert abwenden will, sieht Nero von seinem Handy auf und blickt mich direkt an. Das Ziehen zwischen meinen Beinen intensiviert sich schlagartig. Beschämt drehe ich mich blitzschnell weg und kneife die Augen zusammen. Aber damit ist es nicht vorbei. Mein Kopf hat ganz andere Pläne und zeigt mir, wie diese Szenerie enden könnte. Nero, wie er sich von hinten an mich presst und mich zwischen seinem Körper und der Duschwand einschließt, dann wie er meine Beine mit seinen auseinander drückt und ich einen Reißverschluss höre, wohl wissend, was das zu bedeuten hat. Er wird es endlich tun. Er wird mich eigenhändig missbrauchen, statt seine Hunde vorzuschicken. Aber es bleibt Fantasie. In Wirklichkeit passiert nichts. Nur lauwarmer Duschregen, der auf meinen erhitzten Körper niederprasselt und das unstillbare Ziehen zwischen meinen Schenkeln nicht löschen kann.
Als ich mit Duschen fertig bin und klatschnass vor dem Meister stehe, deutet dieser mir lediglich mit einer Geste ihm zu folgen. Wir verlassen den Duschraum und passieren diesmal nicht das rote Zimmer. Der Weg führt vorbei an einer geschlossenen Tür, von der ich annehme, dass sich dahinter Neros Zimmer befindet. Direkt daneben ist eine weitere Tür, die offen steht. Neugierig will ich einen Blick hineinwerfen, aber Nero versperrt mir mit seinem Körper die Sicht.
“Du wartest hier, bis ich dich abhole”, verlangt er und zupft aus der Hosentasche seiner Jeans ein schwarzes Tuch hervor. Er schüttelt es aus und testet seine Festigkeit, in dem er es einmal zwischen seinen Händen grob aufspannt und zweimal daran rupft. Der dünne Stoff macht es problemlos mit. Offenbar zufrieden damit zwirbelt er das Tuch zu einem länglichen Streifen.
“Augen zu.”
Ich komme seiner Forderung nach und schließe die Augen. Er bindet mir das Tuch wie eine Augenbinde um und schnürt es an meinem Hinterkopf fest. Als er es straff zieht, tut es kurz weh. Und natürlich hat meine hinterhältige Libido nichts besseres zu tun, als mich schmerzhaft an die Szene aus Fifty Shades of Grey zu erinnern, als Christian Grey Anastasia Steele in das rote Zimmer führt. Irgendein winzig kleiner Teil von mir will kichern wie ein kleines Mädchen, aber die Vernunft hält mich davon ab. Die Parallelen sind auf eine abstrakte Art und Weise beinahe witzig. Augenbinde, rotes Zimmer und trotzdem bezweifle ich, dass einer wie Nero sich an dem Buch oder dem dazugehörigen Film orientieren würde. Wäre es so, wäre er der Dom und ich seine Sub. Lustigerweise haben wir sogar einen Vertrag zusammen, aber in diesem steht nicht einmal ansatzweise das, wie es im Buch dargestellt wird. Wahrscheinlich kennt Nero weder das Buch noch den Film. Was würde ein Mann wie er aus dem Etablissement von einem Buch wie diesem halten? Belächeln vermutlich. Geschweige denn ist es totaler Irrsinn, dass viele Frauen träumen von einem Mann wie Christian Grey dominiert zu werden. Die Realität ist ganz anders. Zumindest die Realität, die ich hinter Tür 16 zu spüren bekomme. Sie ist bitter, rau und gnadenlos. Kein Schickimicki, kein Erbarmen. Kein Safeword, nur gehorsam und selbst Gehorsamkeit schützt dich nicht vor Konsequenzen.
“Kyr, wache.” Neros Springerstiefel entfernen sich, was bedeutet, dass ich alleine mit Kyr und Farg vor der Tür stehe. Farg hat zwar kein Kommando erhalten, aber da ich keine Krallen über den Boden kratzen höre, hat Nero dem weissen Wolfshund womöglich ein Handzeichen gegeben. Mit jeder Sekunde, die verstreicht, wächst die Anspannung in mir. Da ich nichts mit mir anzufangen weiss, vertreibe ich mir die Zeit damit, meine Haare wieder und wieder auswringen. Die Temperatur in den Zimmern ist zwar immer etwas über der gewöhnlichen Raumtemperatur, vermutlich damit sich keine der Frauen eine Unterkühlung holt, aber die nassen Haare tragen ihren Teil dazu bei, dass ich nun aus zwei Gründen zittere. Kälte und Angst. Zusätzlich treibt mich Kyrs wildes Hecheln in den Wahnsinn. Es ist viel lauter und eindringlicher als sonst. Vielleicht liegt es auch daran, dass einer meiner Sinne komplett ausgeschaltet ist und die anderen dadurch geschärft sind. Ob mich der Hund gerade anstarrt und mich bereits mit seinen Augen auffrisst? In diesen Momenten wird mir bewusst, dass es Segen und Fluch zugleich ist, dass Neros Bestien ihm aufs Wort gehorchen. Kyr würde mich niemals in der Wachstellung anrühren, nur dann wenn der Meister es ausdrücklich fordert. Bisher lief es zumindest immer nach diesem Schema ab. Ich weiss nur nicht, ob ich wirklich darauf vertrauen darf. Die Hunde sind unberechenbar. Nero ist unberechenbar und seit dem Johanna hier ist, kann ich überhaupt nichts mehr einschätzen. Es ist, als hätte die Frau das Chaos mit sich hierher gebracht.
Als ich leise Clubmusik aus dem Zimmer vor mir wahrnehme, schlinge ich instinktiv meine Arme um mich, als könnte mich das vor dem Unvermeidbaren schützen. Die harten Technobeats kribbeln in meinen Ohren und sind total asynchron zu Kyrs Hecheln. Das Donnern von Neros Springerstiefeln mischt sich unter die Geräuschkulisse. Die Schritte kommen näher, bis sie direkt vor mir verstummen.
“Die Musik ist Vorschrift, blende sie einfach aus. Ich will, dass du weisst, dass ich mich immer noch an unsere Abmachung halte und dir, sofern du gehorsam bist, nichts zustoßen wird, was sich nicht wieder reparieren lässt. Gehorche mir und du wirst diese Show überleben. Verstanden, Erika?”
Neros Worte klingen wie eine Drohung und der kühle Unterton in seiner Stimme wirkt alles andere als beruhigend auf mich. Ungeachtet dessen ringe ich mich zu einem Nicken durch und merke, wie mein Puls in die Höhe schießt. Ich werde diese Show überleben. Überleben - aber nur sofern ich gehorsam bin. Das heisst, es gibt mehr als nur eine Option. Überleben oder sterben. Ich könnte heute auch sterben. Und obwohl ich zuvor noch sterben wollte, treibt mir diese Erkenntnis die Tränen in die Augen.
“Mund auf und schlucken.”
Ich füge mich und öffne den Mund, als ich was Kaltes an den Lippen spüre und als kurz darauf geschmacklose Flüssigkeit in meinen Mund hineinläuft, schlucke ich wie angeordnet alles widerstandslos herunter und hinterfrage nicht, was der Mann mir gerade verabreicht hat. Es könnte Wasser sein aber es könnte genauso gut eine andere Substanz sein. Überleben. Ich habe die Option zu überleben. Innerlich lache ich kalt auf, amüsiert darüber, wie schnell die Meinung sich ändern kann, wenn man plötzlich wirklich mit dem Tod konfrontiert ist.
“Genauso will ich dich haben”, lobt mich Nero, zieht das kalte Etwas zurück, vermutlich ein Glas, dann tippt er mir mit einem Finger gegen das Kinn.
“Mund zu und auf die Knie.”
Wieder komme ich seiner Forderung ohne zu Zögern nach und gehe vor ihm in die Knie. Obwohl ich den Mann nicht sehen kann, kann ich seinen eiskalten Blick auf mir spüren. In meinem Kopf male ich mir seine Silhouette aus. Stelle mir vor, wie er mich mit seiner imposanten Statur überragt. Allein die Vorstellung reicht aus, um zu wissen, dass dieser Mann seine Hunde nicht braucht, um mich zu töten, würde er es wollen.
“Fass dich an.”
Der Befehl kommt so unerwartet und trifft mich wie ein Blitzschlag. Ich zucke zusammen. “Was?”, fiepe ich völlig erstarrt. Kyr fängt unmittelbar neben mir an zu knurren, was mir nur mehr als deutlich signalisiert, dass Nero seine Forderung nicht wiederholen wird. Also korrigiere ich meine Aussage und schiebe ein leises “Wo?” hinterher.
„Scheint so, als hättest du es verstanden“, erwidert Nero zufrieden und lässt mein ‚Wo‘ einfach achtlos in im Raum stehen, als hätte er von Anfang an kein Interesse daran gehabt, mir dabei zuzusehen wie ich mich anfasse. Knallhart wird mir bewusst, dass das lediglich ein Test gewesen ist und ich schäme mich, dass ich enttäuscht darüber bin. Ach Rika, du bist so naiv. Du musst aufhören, diesem Mann gefallen zu wollen. Er hat dir dieses Verlangen eingetrichtert. Das bist nicht du. Du darfst nichts fühlen, nichts empfinden. Stell das ab! Sofort! Er ist der Alpha, er will, dass du ihn begehrst, damit du dich schrecklich fühlst, weil du es tust, obwohl du es nicht tun solltest. Du bist nichts weiter als ein Spielzeug. Ein Spielzeug, mit dem er überhaupt nicht spielen will. Ein Kauknochen, den er seinen Hunden zum Frass vorwirft. Das plötzliche Ziehen um meinen Hals lässt mich aufschrecken, dann spüre ich kurz darauf Neros warme Finger, die an meinem Halsband herum hantieren. Die ungewohnt sanfte Berührung löst an einer ganz anderen Stelle ebenfalls das altbekannte verhasste Ziehen aus, für das ich mich so sehr verachte. Kyr jault auf. Auf das ohrenbetäubende Jaulen folgt ein metallisches Klicken.
„Ich werde dich jetzt an der Leine in das weiße Zimmer führen. Sobald du die Schwelle übertreten hast, beginnt die Show. Das Zimmer ist mit vier Kameras ausgestattet, zusätzlich gibt es zwei, die ich beliebig einsetzen kann, um Nahaufnahmen zu drehen. Die Show ist live, ein Fehler von dir und ich lasse dich die Konsequenzen direkt spüren. Hast du das verstanden, Erika?“, klärt mich Nero auf.
Das blanke Entsetzen ergreift Besitz von mir. Er wird mich wie ein Hündchen in das Zimmer führen. Eigentlich hätte ich damit rechnen sollen, aber es bestätigt zu bekommen, hat einen völlig anderen Effekt. Er degradiert mich. In diesem Zimmer verliere ich meine Menschlichkeit. In diesem Zimmer bin ich nicht mehr Erika.
„Wie viele Zuschauer…“, stammele ich und verkrampfe die Finger zu Fäusten.
„Das willst du nicht wissen“, erwidert Nero so emotionslos, dass er mir auch einen Eiszapfen ins Herz hätte rammen können. „Hast du es verstanden, Erika?“, drängt er und mir bleibt nichts anderen übrig, als zu nicken.
„Folge mir.“ Nero zieht an der Leine. Mein Halsband wird enger und drückt mir die Kehle zu. Ich unterdrücke ein Röcheln, füge mich und krabble brav auf allen Vieren hinter ihm her. Der Boden unter meinen Handflächen und Knien fühlt sich kühl und rutschig an. Die Temperatur wird höher, umso mehr Distanz wir zurücklegen, beinahe so, als brennen Sonnenstrahlen von der Decke auf uns herunter, was Blödsinn ist, weil wir uns in einem Zimmer befinden. Vielleicht ist es die Nervosität, die mit mir Streiche spielt. Auch die Musik wird lauter und vibriert in meinen Ohren. Ich höre Kyr oder Farg an mir vorbeilaufen und bleibe vor Schreck eine Sekunde stehen. Prompt rupft der Meister an der Leine und schnürt mir die Luft ab. Ich hole hektisch zu ihm auf und stoße mir Ausversehen den Kopf an seinem Bein an. Ich glaube zumindest, dass es sein Bein war. Ein reißendes Klatschen zischt durch den Raum und ich schreie auf. Irgendetwas hat mich mit Wucht an der Hüfte getroffen. Wahrscheinlich die Leine. Der Schmerz nagt sich wie feuerheiße Säure durch meine Haut in meine Nervenbahnen und brennt dort nach.
„Erika, sitz“, befiehlt Nero in einem herrischen Tonfall. Wimmernd komme ich dem Befehl nach und befördere meinen Po auf meine Unterschenkel. Es ist soweit. Ich bilde mir ein, die Anwesenheit der Kameras und auch die unzähligen Augen, die mich anstarren und sich an meinem Leid ergötzen, zu spüren. Jetzt lassen sich die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie tränken die Augenbinde und kämpfen sich durch den Stoff hindurch. Ein Schluchzen ist unvermeidbar.
„Die heutige Show widme ich Tür 27, dessen Leben immer noch an einem seidenen Faden hängt. Gerechtigkeit hat viele Gesichter und jede Tat ihre Konsequenzen. In diesem Sinne möchte ich ein Zeichen setzen, dass jeder, der sich gegen uns stellt, früher oder später gerichtet werden wird. Das Etablissement ist unantastbar, unverwundbar und verzeiht nie. Die Rache gebührt allein Tür 27, aber in seinem Namen werde ich an einen von meinen ein Exempel statuieren. Ihr Name ist Erika, sie ist 19 Jahre alt und kellnert hin und wieder in einem Kaffee um über die Runden zu kommen. Sie liebt Japan, lange Spaziergänge, Yoga, Nähen und tanzt Ballett. Ihr Lieblingsessen ist Curry und sie ist 40 Tage bei mir, um ihrer Mutter zu helfen. Ein wahrer Sonnenschein.“
Die letzten Worte spricht Nero mit so viel Missachtung aus, dass mir endgültig klar wird, wie wenig der Mann von mir hält. Er findet mich wirklich abstoßend. Die ganze Zeit über hat er nicht nur so getan, als wäre ich Luft für ihn, ich bin es tatsächlich auch. Nur Luft. Luft, die er nicht einmal einatmen wollen würde, nichts weiter. Warum tut diese Tatsache so abscheulich weh? Es sollte mir doch eigentlich egal sein. Er ist ein grausamer Mensch ohne jegliche Empathie. Ich sollte ihn abstoßend finden, nicht er mich. Ich sollte ihn hassen. Ich sollte…. Die Musik ist wird plötzlich leiser und andere Geräusche gewinnen an Intensität. Wildes Hecheln. Pfoten, die über den Boden tapsen. Das Schmatzen von Lefzen. Schlagartig wird mir etwas bewusst und die Erkenntnis lässt meine Unterlippe vor Angst erbeben. Es sind mehr als nur zwei Hunde im Raum und ich habe keine Ahnung, wie viele es wirklich sind.
„Erika, ich bin mir sicher, du weißt, was die Hündchenstellung ist. Hintern nach oben und stütz dich mit den Händen auf dem Boden ab“, mischt sich Nero unter die überladene Geräuschkulisse. Es kostet mich Überwindung dieser Forderung nachzukommen, trotzdem tue ich, was der Mann von mir verlangt und fühle mich schrecklich dabei. Völlig entblößt, völlig schutzlos unter Bestien, die auf mich abgerichtet sind. „Beine weiter auseinander“, kommentiert Nero meine Pose. Seine Stiefel poltern neben meinem Ohr über den Boden. Der Mann ist in Bewegung. Widerwillig komme ich auch der letzten Forderung nach und rutsche mit den Knien etwas weiter auseinander. Prompt spüre ich einen kalten Lufthauch an meiner intimsten Stelle.
„Mehr, Erika.“ Ich höre Neros Stimme plötzlich hinter mir und erschaudere. Jeder Zentimeter meines Körpers zittert, als hätte ich in eine Steckdose gefasst und als würde Strom durch meine Adern fließen und mich von innen heraus verbrutzeln. Scham klebt überall auf mir. So bloßgestellt zu sein, macht mir nicht nur Angst, sondern ist mir auch noch peinlich. Verdammt peinlich. Ganz besonders, weil Nero nun alles von mir sieht und es, als würde es überhaupt nichts bedeuten, mit jedem Zuschauer einfach so teilt. Ich muss an die Kameras denken, die er beliebig für Nahaufnahmen einsetzen kann und muss mich zusammenreißen, in der Position zu verharren und die Beine nicht aneinander zu drücken, um mich vor den Blicken zu schützen.
„Erika, die meisten Frauen in deinem Alter schließen bei einer Vergewaltigung die Augen. Sie sehen nicht hin. Sie schauen weg, wollen ausblenden, was mit ihnen geschieht. Sie weigern sich konsequent sämtliche Sinneseindrücke wahrzunehmen. Erinnern sich am Schluss nur noch an Geräusche und Gerüche und an das Gefühl, wenn er gegen ihren Willen in sie eindringt. An den Schmerz, an die Angst, an den Ekel währenddessen und danach. Aber es wird nicht weniger real, wenn man die Augen vor der Realität verschließt. Nein, im Gegenteil. Wenn sich Opfer weigern hinzusehen, schleppen sie diese eine Tat ein Leben lang mit sich herum und unterbewusst versucht das Erinnerungsvermögen ganz verzweifelt die fehlenden Teilchen zu sammeln, die Lücken zu füllen und die Tat zu rekonstruieren, um verarbeiten zu können, was einem widerfahren ist. Der Kopf formt ein Monster ohne Gesicht. Ein Monster, hinter dem sich jeder verstecken könnte. Frauen, die nicht hinsehen, haben kein konkretes Feindbild. Nichts, woran sie festhalten können. Nur Geräusche, Gerüche und Gefühle. So werden unbewusst Punkte erschaffen, mit denen man sie kontrollieren und lenken kann. Viele sagen Trigger dazu, für mich sind es Möglichkeiten.“
Neros Stiefel gleiten wieder über den Boden. „Der Gefahr ins Auge zu blicken, erfordert Mut“, erzählt Nero weiter. Ich höre einen Reißverschluss, der grob aufgerissen wird und sehe die enge Jeanshose vor meinem inneren Auge aufblitzen. „Dein Kopf wird dir nun etwas vorgaukeln und dein Körper bereitet sich instinktiv darauf vor“, fährt Nero fort, dann spüre ich ein leichtes Tippen gegen Kinn. Ein Finger.
„Mund auf, Erika.“
Er wird doch nicht etwa…? Bevor ich den Gedanken zu Ende denken kann, klappt mein Mund automatisch auf, als hätte er nur darauf gewartet, dass Nero endlich sein wahres kaltes Wesen zeigt. Doch statt dass etwas in meinen Mund hineingestoßen wird, spüre ich etwas an meiner Taille vorbeirauschen, begleitet von Pfoten, die über den Boden tapsen. Ein Hund hat mich gestreift. Dann spüre ich auf der anderen Seite ebenfalls eine Bewegung. Aus Reflex will ich meine Beine aneinander drücken, um mich zu schützen, doch da ist es bereits zu spät. Erst ist es kalt, dann widerlich warm. Die Hundeschnauze presst sich blitzschnell zwischen meine Schenkel, keine Chance rechtzeitig zu reagieren.
„Lass es zu oder ich lasse ihn zubeißen“, droht Nero leise und hält mein Kinn dabei so grob zwischen seinen Fingern fest, dass mein Kiefer anfängt weh zu tun. Das ekelhafte Schmatzen kriecht in meine Ohren, als die raue Zunge der Bestie sich immer wieder gegen mein Geschlecht drängt und mich ausleckt, wie ein Napf, aus dem man das letzte bisschen Futter herauskratzen will. Es ist so unangenehm und es tut weh, besonders wenn die spitzen Zähne sich in mein Fleisch drücken. Mir wird schlecht und schwindelig gleichzeitig. Ich bin mir sicher, hätte ich etwas gegessen, hätte ich mich vor Nero auf den Boden übergeben, ganz egal, ob es dafür Konsequenzen gibt oder nicht. Wieder streift mich etwas an der Seite. Zwickt mich an der Taille, kratzt mich an der Schulter. Ich will mich entwinden, aber eine innere Stimme sagt mir, dass ich gehorsam sein muss. Lass es zu, lass es einfach zu. Erneut nehme ich den Reissverschluss wahr und kurz darauf lautes Hecheln von allen Seiten. Vor Schock hätte ich beinahe einen Schrei von mir gegeben, als sich ohne Vorwarnung etwas Warmes um meine linke Brustwarze schließt. Nicht Nero. Nein, einer seiner Hunde. Fangzähne reiben an meiner Haut, pieksen in mich und als die lange, glitschige Zunge zum Einsatz kommt und so grob über meine Brust leckt, dass ein stechender Schmerz durch meine Nervenbahnen schießt, kann ich nicht mehr.
„Bitte, hör auf, nimm die Hunde weg von mir“, wimmere ich kaum hörbar, während ich innerlich sterbe. Nero schiebt mir was zwischen die Lippen. Erst will ich es direkt wieder ausspucken, doch dann nehme ich den Geschmack wahr. Ein Hundekuchen.
„Braves Hündchen. Ich will, dass du kommst. Erst dann hören sie auf.“ Die pure Grausamkeit schwingt in jedem einzelnen Wort mit. Er muss das genießen. Eine andere Erklärung gibt es dafür nicht, eine andere Erklärung will ich dafür nicht finden. Irgendetwas muss das rechtfertigen, was er mir antut und wenn es nur die Befriedigung seiner eigenen Abartigkeit ist.
„Ich kann so nicht..“, stammle ich, aber Nero lässt mich nicht aussprechen. „Du willst es härter?“ Kaum hat die Frage, die nicht wirklich eine Frage ist, seinen Mund verlassen, reißt der Hund an meiner Brustwarze wie ein Junges an einer Zitze und ich quieke vor Qual und Ekel auf. Auch zwischen meinen Beinen drängt sich die Schnauze tiefer und fester dazwischen. Das Tempo beschleunigt sich und ich kann den lauwarmen Sabber an meinen Beinen herablaufen spüren. Verzweifelt versuche ich die abartigen Geräusche auszublenden. Mich einfach nur auf das Gefühl zu konzentrieren. ‚Du musst dir vorstellen, du wärst gerade ganz woanders und das wären nicht Hunde sondern… würde der Alpha es merken, wenn ich den Orgasmus nur vorspiele? Ich habe noch nie einen Orgasmus vorgespielt. Es gab nicht viele Situationen, in denen das hätte nötig sein sollen. Mit meiner Exfreundin habe ich nur dreimal geschlafen. Wir haben uns gestreichelt. Ein bisschen mit dem Mund verwöhnt, mehr nicht. Sie wollte es auch mal mit dem Finger versuchen oder einem Vibrator, aber das war mir damals viel zu früh und es war mir peinlich. Ich wollte das noch nicht. Und sieh dich jetzt an, Rika. Sieh an, was du mit dir machen lässt. Du lässt zu, dass dieser Mann sowas mit dir macht. Was ist nur aus dem Mädchen von damals geworden? Frustriert schlucke ich den Keks hinunter. Mir bleibt keine andere Wahl. Ich rufe die Erinnerung an Daria zurück. Denke daran, wie wir zusammen an der Ballettstange getanzt haben und wie ihre Finger über die Innenseite meines Oberschenkels gestreichelt hat, als sie mir bei einer Position zur Hand gegangen ist. Die Berührung war zart und zaghaft. Wir waren beide so schüchtern und trotzdem hat sie nicht aufgehört und wollte unbedingt einen Schritt weiter gehen. In der Dusche ist es dann passiert. Ich hatte mein Duschgel zuhause vergessen und ich hatte sie gefragt, ob ich ihres mitbenutzen darf. Sie sagte ja, aber nur wenn sie mich einseifen dürfte. Sie hatte mit den Armen angefangen und ging schnell tiefer zu den Beinen. Sie hatte sich dafür vor mich gekniet und… Daria Silhouette verblasst und statt grüne Augen, die zu mir aufblicken, sehe ich Neros eisig blaue. Ich höre aus der Entfernung ein Jaulen, aber ich blende es aus, klammere mich verzweifelt an die Fantasie. Nero, der vor mir kniet. Wasser prasselt auf ihn nieder. Seine Haare sind ganz nass und wirken noch wilder als ohnehin. Ein Lächeln bildet sich auf seinen bösen Lippen, als er die Distanz zwischen uns verringert und dann spüre ich sie auf mir. Seine Zunge, die sanft über meine Schamlippen fährt, so sanft, dass es niemals Wirklichkeit sein könnte. Seine starken Hände halten sich an meinem Po fest, als er mich enger an sein bildschönes und fieses Gesicht drückt. Von weit weg erklingt ein Stöhnen, dass sich wie mein eigenes anhört, aber das ist mir egal. Ich will die Fantasie nicht loslassen. Will sie behalten, will sie…
„Komm für mich, Erika.“ Sein Befehl dringt zu mir durch und ist alles, was ich brauche. Ich gehorche und während der Orgasmus unaufhaltsam von meinem Körper Besitz nimmt, zerspringt die Illusion in Tausend Splitter und alles was zurückbleibt, ist wildes Hecheln und eine raue Hundezunge, die gierig verschlingt, was ich ihr anbiete.
Nero hält Wort. Als mein Orgasmus verebbt ist, zieht er die Hunde zurück. Ich fühle mich grausam. Missbraucht. Geschändet. Widerlich. Ich schluchze, weine, wimmere, heule. Meine Brust schmerzt, meine Scham brennt und wieder spüre ich dieses elendige Jucken überall auf mir.
„War doch gar nicht so schlimm, hm?“ In Neros Stimme liegt etwas Neckisches, was ganz ungewohnt für ihn ist und da ich ihn sonst nur ganz anders kenne, keimt in mir der Gedanke auf, dass der sonst so emotionslose, eiskalte und unberechenbare Mann extra für die Show in eine andere Rolle schlüpft. Entweder das, oder er hat sich 23 Tage lang verstellt und mir etwas vorgespielt.
Ich schüttle mit dem Kopf und bin mir im ersten Moment nicht sicher, ob ich dem Mann nun zugestimmt habe oder das Gegenteil.
„Ich mache dir gleich die Augenbinde ab und dann will ich, dass du hinsiehst, Erika. Ich will, dass du dir alles ganz genau einprägst.“