Nero, der Alpha - 7

Nero, der Alpha 19. Jan. 2022

Nero ist verschwunden, um alles vorzubereiten. In einer Stunde würde die Liveshow stattfinden. Nicht, dass ich abschätzen könnte, wann genau die Stunde vorbei sein könnte, aber was ich weiß, ist, dass sich Minuten schrecklich lange anfühlen können. Besonders wenn der Kopf auf Hochtouren läuft und einen mit abscheulichen Gedanken Jenseits von Gut und Böse quält. Was könnte mich erwarten und wie schlimm wird es werden? Eine Liveshow, fatale Konsequenzen und eine Anzahl Menschen, die dabei zusehen werden, wie Nero mir Gehorsam einbläut. Ich will sterben. Keine Ahnung wie oft dieser Satz in den ewig langen Minuten durch meinen Kopf geschwirrt ist. Aber je öfters ich ihn höre, desto mehr festigt er sich. Sterben. Kurz und schmerzlos. Ganz einfach. Ja, ein großer Teil von mir wäre lieber tot, als eine diese Liveshows durchstehen zu müssen, in der ich dafür bestraft werde, dass Johanna einen Meister abgestochen hat. Irgendetwas sagt mir, dass das, was Nero mir bisher angetan hat, ein Kinkerlitzchen ist im Gegensatz zu dem, was er mir in dieser Show antun würde. Eine Liveshow, etliche Kamera, die auf mich gerichtet sind und aufnehmen, was er mir antut. Absolute Demütigung und Bloßstellung. Der einzige Trost, der mir bleibt; Nicht jeder könnte zu sehen, man erhält nur in bestimmten Kreisen einen Zugangscode zu den Shows. Ich selbst war nie in diesen Kreisen unterwegs. Aber der Junkiefreund meiner Mutter schon und er war es auch, der mich auf die Idee mit dem Etablissement gebracht und mich schlussendlich auch an einen Mittelsmann vermittelt hat

‚Wenn du schnell verdammt viel Geld brauchst, ist das der einzige Ort, an dem du fündig wirst. Du musst nur ein bisschen zäh sein, das ist alles‘, hat er gesagt. Und ich dachte, ich wäre zäh, ich könnte das durchstehen. Der Junkiefreund meiner Mutter würde mich doch niemals an einen Ort wie diesen lassen, wenn ich wirklich etwas zu befürchten hätte. Oder? Tja. Im Nachhinein weiss man es halt immer besser. Das Einzige, wovor der Mann mich wirklich gewarnt hatte, waren diese Liveshows. Die hätten es echt in sich, der Rest wäre nur halb so schlimm und man müsse halt einfach bei der Wahl der Tür Glück haben. Nicht jede Tür wäre gleich grausam. Es gäbe auch Türen, die machen gar keine Liveshows und maximal dürfe jede Tür höchstens drei Liveshows durchführen. Mehr wäre nicht zumutbar. Aber drei Liveshows könnte ich locker überstehen, meinte der Junkiefreund meiner Mutter. Drei Stück, das würde ich mit links schaffen. Ich sei ja ein zähes Mädchen, hat er gesagt. Ich komme nach meiner Mutter. Sie wäre auch zäh. Ich müsse mich halt einfach durchbeissen. Ja. Durchbeissen. Ich hatte nicht viele Möglichkeiten wirklich schnell an viel Geld zu kommen und Mama war ganz dringend auf Hilfe angewiesen und das wusste ihr Freund. Also hat er seine Trumpfkarte ausgespielt und gesagt, dass man sich im Etablissement nur für eine gewisse Anzahl Tage verkaufen kann und damit hatte er mich überzeugt und ich - naiv und verzweifelt wie ich war - wollte mein ‚Glück‘ versuchen. Da war ich noch der Annahme, dass 40 Tage für so viel Geld nicht so schlimm sein können, wie Prostitution auf eigene Kappe für weniger Geld und auf unabsehbaren Zeitraum. Außerdem ist bei Prostitution das Risiko hoch, dass man nie wieder heraus kommt oder womöglich getötet wird. Die ‘Sicherheit’, die das Etablissement versprach, kam mir da vor wie Segen und Fluch zugleich. 40 Tage, und wenn ich Pech habe drei Liveshows, dafür die Garantie, dass sämtliche Kosten übernommen werden und ich lebendig zuhause abgeliefert werde, sobald die Frist abgelaufen sei. Lebendig. Heute weiss ich, dass “lebendig” Interpretationssache ist und viel Spielraum bietet. Ich spüre, dass mein Herz schlägt und dass ich atme, aber mein Wunsch zu sterben, ist noch nie so präsent gewesen wie jetzt.

“Das ist so unfair“, höre ich mich fluchen und erschrecke mich im selben Augenblick, dass die Worte wirklich meinen Mund verlassen haben, statt in meinem Kopf zu bleiben. Drehe ich jetzt völlig durch? Kyr auf der anderen Seite der Gitterstäben gibt ein Schnauben von sich, als wollte mich das Drecksvieh dafür rügen, nicht die Klappe gehalten zu haben. Das Verlangen den Eimer mit Pisse nach ihm zu werfen, ist noch nie so groß, wie in diesem Moment gewesen. ‚Aber das hätte Konsequenzen, Rika‘, erinnert mich ein eingebauter Mechanismus in mir. Prompt brülle ich zurück: „Ja und? Mir doch egal! Auf mich warten sowieso Konsequenzen!“ Kurz bin ich mir nicht sicher, ob ich die Worte wieder laut ausgesprochen habe, statt sie nur zu denken, da Kyr plötzlich von der Wachstellung in die Angriffsstellung wechselt und die Zähne bleckt. Dann aber fällt mir auf, dass ich doch tatsächlich den Eimer in der Hand halte und sich meine Finger so sehr um den Henkel verkrampft haben, dass die Knöchel weiß hervortreten.

„Du verlierst völlig den Verstand, Rika“, sage ich nun bewusst zu mir selbst und ertappe mich keine Sekunde später dabei, wie ich einen prüfenden Blick über meine Schulter Richtung Flur werfe, in den Nero - vor was weiß ich wievielen Minuten - verschwunden ist. Nichts zu hören oder zu sehen. Nur Kyr und ich, wie so oft. Mein Fokus springt zurück zu dem Hund, den ich überalles verachte. Zu gerne würde ich das Mistvieh mit meiner eigenen Pisse überschütten, nur schon um dem Vieh einen Bruchteil dessen heimzuzahlen, was es mir angetan hat.

„Das ist doch kindisch“, meldet sich eine Stimme zu Wort. Keine Ahnung, ob sie nur in meinem Kopf ist. „Was ist, wenn der Meister dich zwingt, alles wieder sauber zu machen? Womöglich mit der Zunge.“ Ich verziehe das Gesicht. Allein der Gedanke daran lässt mich würgen. Kyr sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank und trotzdem gibt mir die Gier in seinen Augen das Gefühl ein verdammtes Filet Mignon zu sein, über das er liebend gerne herfallen würde, wären da nicht die Gitterstäbe, die uns trennen. Ich weiß nicht wieso, aber der Eimer in meiner Hand wandert urplötzlich etwas höher, fast so als würde eine höhere Macht mich steuern und an einem Faden ziehen. Der Hund hätte es verdient in meiner Pisse zu baden. Er hätte es sowas von verdient und wer weiß, vielleicht würde das Vieh mich danach abstoßend finden. Das wäre eine absolute Win-Win-Situation.

„Das bist nicht du“, wimmert mein Mund. „So etwas würde Johanna tun, aber nicht du.“

Ich schüttle wild mit dem Kopf, als könnte ich damit verhindern, dass mein Mund sich selbstständig macht. Kann ich aber nicht. Die Worte sprudeln aus mir heraus. „Pisse sagt man nicht. Das ist ungehorsam. Sowas tun Mädchen nicht.“ Johanna würde so etwas sagen. Johanna hätte Kyr den Eimer schon längst entgegen geworfen, aber Rika - Rika ist feige. So unendlich feige. Meine Beine werden wacklig unter dem Gewicht des Eimers, der plötzlich ganz schwer wiegt, als hätte sich die Flüssigkeit darin zu Blei verwandelt. Ich komme ins Straucheln und dann passiert es. Ich falle mitsamt Eimer hin und statt den Hund zu treffen, trifft es mich selbst. Kyr kläfft, während erkaltetes Urin über meinen Körper fließt. Ich habe mich vorher schon widerlich gefühlt, aber das ist die Krönung. Das Tüpfelchen auf dem i, mein Tiefpunkt. Feuerheisse Tränen bahnen sich über mein Gesicht, verbrennen meine Haut und bilden einen Kontrast zu dem eiskalten Ekel auf mir. Neros Springerstiefel lassen nicht lange auf sich warten. Das Poltern seiner Schritte mischt sich zu dem alarmierenden Bellen von Kyr. Das gibt Konsequenzen, Rika. Konsequenzen. Mehr Tränen kämpfen sich aus mir heraus. Ich schaffe keine 17 Tage mehr. Ich schaffe keinen einzigen Tag mehr. Ich will sterben. Jetzt sofort.

Als Nero den Hauptraum betritt, krabble ich ohne nachzudenken auf die Gitterstäbe zu und schlinge meine Finger darum. „Bring mich um, bitte, bring mich um!“, jammere ich und höre mich dabei genauso verloren an, wie ich mich fühle. Wie immer schenkt mir Nero keine Beachtung. Seine Aufmerksamkeit liegt nur auf dem verdammten Hund, der völlig außer sich steht. Kyr rennt wild um den Käfig herum und das laute Bellen tut in meinen Ohren weh.

„Kyr, aus“, zischt Nero nach einer Weile. Als hätte man einen Schalter umgelegt, wird der Hund ruhig und geht neben der Zwingertür zurück in die Wachstellung. Nun schwenkt Neros Fokus endlich auf mich über. Seine eiskalten Augen nehmen mich ins Visier und als er von oben herab auf mich nieder blickt, passiert es wieder. Völlig unerwartet und ungewollt. Dieses Ziehen zwischen meinen Beinen und als würde ich mich nicht schon widerlich genug fühlen, jault Kyr, der Verräter, auf.

„Warum?“, fragt mich Nero. Nur ein einfaches Warum. Seine Mimik bleibt wie versteinert. Absolut emotionslos. Kein Kräuseln der Lippen, kein Verziehen der Augenbrauen, kein Rümpfen der Nase. Einfach nichts, obwohl ich von oben bis unten voller Urin bin.

Ich bin so perplex darüber, dass er so überhaupt nicht angeekelt oder überrascht ist, dass ich einen Moment brauche, um seine Frage zu verstehen. Und er gibt mir den Moment. Also überlege ich. Warum was? Warum ich sterben will oder warum ich den Eimer über mich gekippt habe? Auf beide Fragen fällt mir dieselbe Antwort ein.

„Ich kann nicht mehr“, sage ich kleinlaut und lasse die angespannten Schultern sinken.

„Das sehe ich“, erwidert Nero total unbeeindruckt und sieht rüber zu Kyr. Kyr wedelt zufrieden mit dem Schwanz, was mir umso mehr das Gefühl gibt, machtlos zu sein. Dem Hund ist völlig egal, was ich gemacht habe. Es ändert rein gar nichts an der Situation. Es wird mir noch deutlicher, als ich bemerke, dass der Hund nicht nur akustisch sondern auch deutlich sichtbar auf das Ziehen zwischen meinen Beinen reagiert. Die Scham trifft mich wie eine Welle und reißt mich mit. Ertränkt mich. Stiehlt mir die Luft zum Atmen.

„Steh auf. Kinn nach oben.“ Der bedrohliche Unterton in Neros Stimme lässt mich zusammen zucken. Vorsichtig komme ich seiner Forderung nach. Ich taumle bei dem Versuch aufzustehen wie ein Betrunkener. Dabei ist das Aufstehen allein nicht die größte Hürde, ich scheitere dabei, mein Kinn zu erheben, weil die Blöße mich so sehr nach unten zieht, als wären Gewichte an meinem Kopf angebracht, die es unmöglich machen, ihn nicht gesenkt zu halten.

„Es tut mir so leid“, entschuldige ich mich, unfähig dem letzten Teil seines Befehls nachzukommen. „Kinn nach oben“, drängt Nero, dem so etwas wie Mitleid oder Verständnis völlig fremd zu sein scheint. Ich schlucke und schmecke das Salz meiner Tränen auf meinen Lippen. Millimeter um Millimeter leiste ich seiner Forderung Folge und als ich es aller Erwartungen zum Trotz schaffe, das Kinn zu heben und den Meister dabei anzusehen, fällt mir wieder einmal auf, wie groß der Mann ist und wie klein ich mich in seiner Anwesenheit fühle. Und auch erst jetzt fällt mir auf, dass er sich umgezogen hat. Statt der Arbeitshose und dem Pullover, trägt er nun ein schwarzes Tanktop und eine enge Jeans in derselben Farbe. Die Lederarmschienen links und rechts hat er gegen neue ohne Kratzer und Bissabdrücken ersetzt. Um den Hals trägt er eine silberne Kette mit einem Fangzahn als Anhänger, vielleicht der fehlende Fangzahn von Tuga. Nun bleibt mir der Atem aus einem anderen Grund in der Kehle stecken. Neros schlanke und athletische Statur war zuvor schon beeindruckend, aber dieses Outfit verleiht dem Mann mit der eiskalten Aura eine ganz andere Ausstrahlung und setzt zusätzlich all seine Vorzüge perfekt zur Geltung. Hat er sich extra für die Liveshow umgezogen und falls ja, warum? Warum sollte er dafür sein Outfit wechseln? Meine Libido spielt verrückt und spinnt mir Szenarien vor, die niemals eintreffen werden. Nero, der mich zum Essen ausführt, Kerzenlicht, ein Glas Wein, ein Lächeln auf seinen Lippen, wenn er sich zu mir vorlehnt, um mich zu küs...

„Sollte passen“, murmelt Nero vor sich hin und reißt mich aus meinen unwirklichen Gedanken.

„Was?“, rutscht es mir heraus. Meine Wangen fangen Feuer. Diesmal ist es nicht allein die Scham, die das Blut unter meiner Haut zum Kochen bringt, sondern die Kontrolle, die dieser Mann über mich hat. Er dressiert mich. Ich bin sein Spielzeug. Seine Marionette.

Ein Pfiff und Farg sprintet herbei. Er hat etwas in seiner Schnauze und als Nero es an sich nimmt, erkenne ich, was es ist. Es ist ein Halsband. So eines, wie es die Frauen in dem roten Zimmer tragen. Es ist braun und auf ihm ist weißer Schrift mein Name eingraviert. Erika. Das ist alles, was er braucht, um die Angst zu schüren und sie erneut auflodern zu lassen. Das Zittern kehrt zurück und wie automatisch taumle ich ein paar Schritte nach hinten. Bedeutet das, dass ich nun den gleichen Stellenwert wie die Frauen im roten Zimmer besitze? Werde ihr den Rest meiner Tage in diesem Zimmer verbringen?

Nero kommt um den Zwinger herum und öffnet die Tür. Er gibt den Hunden ein Zeichen draußen zu warten, dann tritt er ein und verringert die Distanz zwischen uns. Als er direkt vor mir zum Stillstand kommt, ist er mir so nah, dass er es riechen muss. Ich stinke bestialisch. Nero verzieht keine Miene, aber ich schäme mich.

„Haare nach oben“, verlangt er und sieht mich dabei mit diesen eiskalten Augen an. Ich kann seinen Blick nicht lange standhalten. Er ist so nah. So nah. Irgendetwas in mir sagt mir, dass Johanna die Chance genutzt hätte, um ihm das Knie zwischen die Weichteile zu rammen, aber ich bin Rika und Rika wickelt ihre vor Urin feuchten, stinkenden und zerzausten Haare um die Finger und verfrachtet sie wie angeordnet nach oben. Das Halsband wird angelegt, dabei streifen seine Hände die empfindliche Haut an meinem Hals und als er das Leder eng zieht, jault Kyr auf.

„Sieh mich an.“ Neros Stimme ist so einnehmend, dass ich gehorchen muss. Unsere Blicke treffen sich. Das Ziehen zwischen meinen Beinen wird unerträglich, so schlimm, dass meine Knie weich werden.

„Folge mir.“

Ich nicke und folge ihm, als er meinen Zwinger verlässt. Ein Handzeichen des Meisters und Kyr und Farg heften sich an meine Fersen. Kaum habe ich einen Schritt aus dem Gefängnis heraus gemacht, fängt mein Herz an wie wild in meinem Brustkorb zu pochen. Ich bin nervös. Mir ist schwindlig und vermutlich bin ich auch dehydriert und zu allem Übel habe ich Lampenfieber. Zumindest glaube ich, dass das Lampenfieber ist. Ich mochte es noch nie, im Mittelpunkt zu stehen und es heute zu müssen, überfordert mich komplett. Nasser Schweiß, zittrige Hände, kauen auf der Unterlippe und hätte ich Klamotten an, würde ich an ihnen herumzupfen.

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