Nero, der Alpha - 22

Nero, der Alpha 11. Apr. 2022

Am nächsten Morgen werde ich von einer warmen Zunge geweckt, die quer über mein Gesicht leckt und auch nicht damit aufhört, als ich bereits die Augen einen Spalt breit aufschlagen habe und gegen den feuchten Eindringling ankämpfe. Tuga hat sich zu mir ins Bett gesellt und nimmt seinen Job als mein persönlicher Weckdienst ziemlich ernst. Eine Spur zu ernst.
“Hey, aufhören”, murmle ich verschlafen und drücke den riesigen Hundekopf mit etwas mehr Nachdruck von mir weg. Zwecklos. “Hast du irgendwo einen Knopf, wo man dich ausschalten kann?”
“Tuga, aus”, Nero taucht in meinem Sichtfeld auf und kaum hat er das Kommando ausgesprochen, hört der riesige, graue Wolfshund damit auf, mich als überdimensionales “Lutschbonbon” zu betrachten und legt sich brav neben mich hin. Müde gucke ich Nero an und bin erstaunt, ein verschmitztes Lächeln auf seinen Lippen vorzufinden.
“Was denn?”, frage ich aus einem Reflex heraus. Nero zuckt lediglich mit den Schultern.
“Ach, im Gesicht gefällt es dir wohl mehr als weiter unten und das obwohl du dich gerade so anbietest.”
“Was?” Ich brauch einen Moment, um zu begreifen, worauf Nero anspielt. Und es macht erst endgültig Klick, als ich seinem Blick folge und feststelle, dass ich im Schlaf die Wolldecke herunter gestrampelt habe und das blöde T-Shirt bis über meinen Bauchnabel hochgerutscht ist und ich untenrum nun völlig entblösst daliege. Meine Wangen laufen schneller rot an, als ich die Decke über mich drüber ziehen kann. Keine Ahnung, warum ich überhaupt so beschämt reagiere. Der Mann sieht mich schließlich nicht zum ersten Mal nackt. Vielleicht liegt es daran, dass er mich noch nie so bewusst angesehen hat. Dort unten.
“Süß”, kommentiert Nero mein Verhalten und das Lächeln verschwindet, als wäre es nie dagewesen. Der gewohnte gelangweilte Ausdruck kehrt auf seine Gesichtszüge zurück. “Steh auf und mach dich fertig. Ich warte Draußen auf dich, Erika.”
Mit diesen Worten öffnet er die Tür, die nach Draußen führt und Farg, Zor und Kyr rauschen voller Elan an ihm vorbei und folgen ihrem Alpha ins Freie. Ich muss blinzeln. Tageslicht dringt von der offenen Tür in das Zimmer hinein. Keine Ahnung, wie spät es ist, aber das Vogelzwitschern hört sich wie Musik in meinen Ohren an. Eine lange nicht mehr gehörte Melodie und auch die kühle Luft plötzlich auf meinem Gesicht zu spüren, ist wie von Mutter Natur wachgeküsst und empfangen zu werden.
“Willst du nicht auch raus?”, frage ich Tuga leise. Der Hund sieht mich verwirrt an und legt den Kopf schief, als hätte er mich nicht verstanden. Doch dann beginnt er zu hecheln und mit dem Schwanz freudig zu wedeln.
“Raus?”, probiere ich es noch einmal und zeige mit meiner Hand Richtung Tür, um ihm zu verdeutlichen, was ich meine. Tuga glotzt mich weiterhin nur doof an und wackelt fröhlich mit dem Hinterteil. Irgendwie funktioniert das mit der Kommunikation zwischen uns noch nicht so richtig. So von wegen ich könnte Neros Hunde kontrollieren, ich bin weit davon entfernt sowas zu können. Ich stupse Tuga auf die feuchte Nase und krabble anschließend aus dem Bett heraus. Tuga tapst mir auf dem Weg zum Bad hinterher, bleibt aber vor der Tür stehen und setzt sich sogar hin. Okay. Gut. Brav. Ich lobe ihn, in dem ich ihm kurz die grossen, wuscheligen Ohren streichle, dann ziehe ich die Tür zum Bad hinter mir zu und greife nach der Zahnbürste. Als ich in den Spiegel blicke, sieht mein Gesicht noch schlimmer aus, als gestern und man sieht mir deutlich an, dass ich eine Abreibung bekommen habe. Ich habe zwar kein blaues Veilchen, aber meine rechte Gesichtshälfte sieht minimal geschwollen und rot aus. Ich tippe mit dem Finger vorsichtig gegen meine Wange und kneife vor Schmerz die Augen zusammen. Aua. Mein Blick fällt auf Neros Haarbürste. Kurzerhand schnappe ich sie mir von der Ablage, befeuchte meine Haare mit etwas Wasser und fange an, die Haare von links nach rechts zu bürsten, in der Hoffnung die Misere hinter einem Haarschleier notdürftig verstecken zu können. Dabei fällt mir auf, dass an der Handtuchhalterung hinter mir mein Höschen sowie mein BH aufgehängt sind. Momentmal. Hat Nero etwa… Ich greife nach dem weissen Baumwollhöschen und hole es von der Halterung. Es ist warm. Verwundert fasse ich mit der Hand vorsichtig an die Halterung. Und ja, sie ist tatsächlich beheizt. Ich inspiziere das Höschen und schnuppere zögerlich daran..., Nero hat es tatsächlich für mich gewaschen und auch der BH duftet nach einem blumigen Waschmittel. Prompt fangen meine Wangen Feuer. Oh Gott. Hat er extra meine Unterwäsche gewaschen, damit ich heute etwas Frisches zum Anziehen habe? Eigentlich wollte ich das selbst machen, habe es aber vergessen. Wie zuvorkommend von ihm. Wie kann dieser Mann gleichzeitig so ein Fiesling und doch so ein… Gentleman sein? Nein… Gentleman passt nicht zu einem Mann wie Nero. Keine Ahnung, wer oder was dieser Mann vorgibt zu sein. Er ist wohl einfach nur Nero. Ein Unikat. Und Sternzeichen Skorpion. Da fällt mir ein... Ich habe doch jetzt ein Handy mit Internetzugang und könnte nun googlen, was es mit Neros Sternzeichen auf sich hat. Peyton meinte, ich sollte das einmal machen. Also werde ich das nun tun.

Ich schleiche mich aus dem Badezimmer, hole das Handy und verbarrikadiere mich wieder im Bad. Dann setze ich mich auf den Toilettendeckel und öffne den Internetbrowser auf meinem neuen Smartphone, das zwar überwacht wird, aber das ist mir egal. Sternzeichen googlen sollte nicht verboten sein. Also gebe ich in das Suchfeld “Sternzeichen Skorpion” ein und lande sogleich auf einer esoterischen Seite. Die Erste, was mir ins Auge sticht, ist die Überschrift: ‘Wie tickt der typische Skorpion Mann’ - und oh ja, das würde ich liebend gerne wissen, blitzschnell tippe ich auf den Link und werde weitergeleitet zu der Beschreibung des typischen Skorpion-Mannes. Neugieriger als ich vielleicht sein sollte, verschlinge ich die Zeilen:

“Ein Skorpion-Mann mag es nicht, wenn er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Er zieht lieber die Fäden im Hintergrund. Sollen sich doch die anderen ins Rampenlicht drängen und mit ihren Erfolgen prahlen. Er weiss, dass er die wahre Macht hat, und das genügt ihm vollkommen.

Er lässt sich nicht gern in die Karten schauen und ist ein grosser Taktiker. Manchmal stellt er sich aber selbst ein Bein, da er auch einfache Dinge unnötig verkompliziert. Er möchte eben stets gefordert werden, sonst langweilt er sich schnell. Das macht den Umgang mit ihm nicht immer leicht, dafür aber sehr spannend. Zumal man nie so ganz weiss, woran man bei ihm ist.

Er liebt es geheimnisvoll. Umgekehrt mag auch er es gern, wenn er an seiner Liebsten immer wieder neue Seiten entdecken kann. Das hält sein Interesse wach und stachelt seine Leidenschaft an. Und diese sucht ihresgleichen. Er wirkt zwar äusserlich oft sehr cool. Doch das täuscht. In ihm brodelt es heftig. Man muss nur wissen, wie man das Feuer erwecken kann und seine harte Schale knackt. Und das ist gar nicht so einfach, ist der Skorpion doch ein wahrer Meister der Selbstbeherrschung. Er schätzt es auch an anderen, wenn sie nicht aus der Rolle fallen. Denn dafür hat er überhaupt kein Verständnis.

Zur wahren Höchstform läuft der ehrgeizige Skorpion-Herr auf, wenn es darum geht, knifflige Probleme zu lösen, an denen sich andere die Zähne ausgebissen haben. Erst dann kann er schliesslich zeigen, zu welch grossen Leistungen er in der Lage ist. Seine tiefgründige Art macht sich auch in seiner Lieblingsfarbe bemerkbar. Diese ist, wie könnte es anders sein, Schwarz.”

Okay. Peyton hat recht. Diese Beschreibung passt definitiv auf Nero. Und die Website weiss, wie sie mich locken kann, denn unter dem Artikel wird auf einen anderen verwiesen mit dem Titel: ‘Wie liebt der Skorpion Mann?’ Ich kann gar nicht anders, als auch diesen Artikel zu lesen. Wer auch immer dieses Handy überwacht, wird sich fragen, was zum Teufel ich hier eigentlich mache. Recherche, natürlich. Die skrupellose Rika muss doch wissen, mit wem sie es 60 Tage lang zu tun hat, also ist es nur gerechtfertigt, auch zu wissen, wie ein Skorpion-Mann so liebt. Nicht, dass zwischen Nero und mir jemals etwas laufen könnte. Schließlich ist Liebe keine Einbahnstraße. Liebe. “Rika, du solltest dringend aufhören, diesen Mann so anzuschmachten. Er hat deine Gefühle gar nicht verdient”, mahnt mich eine Stimme in meinem Kopf, während mich eine andere, viel lautere Stimme, dazu antreibt diesen blöden Artikel endlich zu verschlingen.

“Der Skorpion ist eine starke Persönlichkeit und strahlt Kraft und Dominanz aus. Er will den Dingen auf den Grund gehen und lässt sich nicht mit Oberflächlichkeiten abspeisen. Nein, er ist kompromisslos ehrlich, würde aber niemals und für niemanden sein tiefstes Inneres preisgeben.”

Oh ja! Peyton hat sowas von recht. Auch das trifft erschreckend gut auf Nero zu. Zumindest der Teil mit der starken Persönlichkeit, der Kraft und der Dominanz und auch, dass er sein tiefstes Inneres niemals preisgeben würde. Andererseits steht auch weiter unten im Artikel, dass der Skorpion-Mann sein männliches Selbstbewusstsein versucht mit Sex zu stärken und dass er dabei ausgesprochen intensiv, phantasievoll und tabulos sein soll. Sex ist ja eher so gar nicht Neros Ding, ausser man möchte die “Sache” mit seinen Hunden, die er auf Frauen abrichtet, als intensiv, phantasievoll und tabulos bezeichnen. Da steht auch noch, dass der Skorpion-Mann für die richtige Frau ein treuer und aufmerksamer Partner sein soll. Wieder muss ich an Drae denken und an das sonderbare Verhältnis zwischen Nero und ihr. Der Kloß in meinem Hals meldet sich wieder zu Wort und schwillt auf Melonen Grösse an. Frustriert scrolle ich weiter runter und bleibe bei einem ganz bestimmten Absatz hängen:

“Der Skorpion-Mann trägt häufig ein Macho-Gehabe zur Schau. Im Grunde ist er sich der vorbehaltlosen Liebe seiner Auserwählten nie ganz sicher. Aufgrund dieser Unsicherheit verlangt er von seiner Partnerin bedingungslosen Respekt, ja gar Unterwerfung. Sie sollte sich unbedingt hüten, seine Eifersucht zu erregen.”

Unterwerfung und Eifersucht. Ja. Nero verlangt von uns Frauen sich ihm zu unterwerfen und zu gehorchen und aufgrund der immensen Dominanz, die er ausstrahlt, hat man auch automatisch den dafür notwendigen Respekt vor ihm. Trotzdem muss ich an den Moment denken, als Drae sich schützend vor Johanna gestellt und schlussendlich Nero nachgegeben hat. Klar, er hat versucht, gegen seine Hündin anzukommen, aber am Ende hat sie gewonnen und er hat Johanna in Ruhe gelassen. Und auch bei unserem Kuss hat er die Flucht ergriffen, oder als ich seine Hand in mein Höschen gesteckt habe, habe ich ihn völlig aus der Fassung gebracht. Und eifersüchtig? Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Nero eifersüchtig sein soll.
Seufzend lege ich das Handy zur Seite und mache mich fertig, während die Eigenschaften des Skorpion-Manns unaufhörlich in meinem Kopf herumspuken.

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