Nero, der Alpha - 2

Nero, der Alpha 17. Jan. 2022

Alle Hundeköpfe drehen sich synchron zu ihrem Meister um. Eine Handbewegung von Nero reicht aus, um Fargs widerspenstiges Schnauben zu bändigen. Mit eingezogenem Schwanz trottet er zurück in den Raum, Tuga und Ignar folgen ihm und als sie an meinem Zwinger vorbeilaufen, wird mir bewusst, wie knapp das gerade war. Farg hätte die Frau ohne zu Zögern getötet, wäre Drae nicht dazwischen gegangen. Die Hündin hat ihr das Leben gerettet. Die Frage ist nur, weshalb? Aus welchem Grund hat sie sich gegen das Wort des Meisters gestellt? Nero sinkt in die Knie und dann werde ich Zeugin einer Szene, die mir den Atem stocken lässt. Drae presst ihre Schnauze gegen Neros Schläfe. Sie schmiegt sich an ihn und gibt das gewohnte Grunzen von sich. Nero erwidert den Laut. Momentmal. Er erwidert den Laut?! Als er dann auch noch wehmütig den Kopf senkt, bleibt mir das Herz für eine Sekunde stehen. Völlig irritiert reibe ich mir mit den Handballen über die Augen und obwohl ich weiß, dass Drae einen anderen Stellenwert hat als die Rüden, habe ich noch nie miterlebt, dass Nero sich seiner Hündin beugt. Zumindest denke ich, dass diese Haltung genau das zu bedeuten hat. Zor kommt an mir vorbei geschlurft und an seinem Gang erkenne ich, dass Drae’s Attacke auf ihn ihm mehr zugesetzt haben muss, als angenommen. Der Hund humpelt. Ehe ich mir auf alles einen Reim bilden kann, lädt der riesige Mann die wimmernde Frau auf seinen Armen auf. Blut tropft von ihren Knöcheln. Obwohl sie verwundet ist, gibt sie nicht auf und schlägt mit ihren Fäusten schwach auf Nero ein. Ihre Befreiungsversuche sind so kläglich, dass er die paar Schläge ohne Gegenwehr in Kauf nimmt. Keine Konsequenzen. Warum folgen keine Konsequenzen? Es folgen doch immer Konsequenzen. Erinnerungen prallen auf mich nieder und kribbeln unangenehm unter meiner Haut. Ich habe mich nur zweimal getraut, nach Nero zu schlagen und in beiden Fällen hat er mich spüren lassen, was es bedeutet, ungehorsam zu sein.

Ich merke erst, wie mir der Mund offen steht, als Nero die Tür meines Zwingers mit dem Fuss aufkickt und mir der Mund vor Schreck wieder zuklappt. “Komm mit”, fordert mich der Mann auf. Eine ungewohnte Sanftheit liegt in seiner Stimme, die mir mehr Angst einjagt, als der gewöhnliche Tonfall, mit dem er mich anspricht. Ist das die Ruhe vor dem Sturm? Oder will er mich gegen diese Frau austauschen? Wird sie sein neues Spielzeug? Darf er das überhaupt? Kann er mich einfach austauschen, obwohl ich 40 Tage ihm gehöre? Wird er sich dann trotzdem an unsere Abmachung halten und die Kosten für die Pflege meiner Mutter übernehmen? Wie viel Bedeutung hat das Wort eines Mannes aus dem Etablissement überhaupt? Ohne abzuwarten, ob ich seiner Forderung nachkomme, geht Nero an meinem Zwinger vorbei. Drae klebt ihm dicht an den Fersen. Ein Pfiff des Alphas und Kyr steht an meiner Seite. Als ich keine Anstalten mache, mich in Bewegung zu setzen, zwickt er mich mit seinen Zähnen in den Unterschenkel. Ich bin wie festgefroren. Kann Nero mich wirklich einfach so austauschen, trotz unserer Abmachung? War alles, was ich durchgestanden habe, vergebens? Tränen drängen sich aus meinen Augen und brennen in meinem Gesicht. Ich habe keine Wahl, denn wenn ich mich weigere, folgen garantiert Konsequenzen und ich weiss, was Kyr tut, wenn Nero ein zweites Mal Pfeifen muss. Also füge ich mich.

Neros Weg führt am roten Zimmer vorbei. Wir ziehen neugierige Blicke auf uns, aber wie so oft schenkt Nero ihnen keine Aufmerksamkeit. Solange die Frauen im roten Zimmer ruhig und gehorsam sind, sind sie dem Mann schlichtweg egal, und keine von ihnen würde auch nur auf den Gedanken kommen, einen Mucks von sich zu geben. Warum? Weil Konsequenzen folgen. Schlimme Konsequenzen. Er hat mich an Tag zwei für ein paar Stunden in dieses Zimmer eingesperrt und seitdem weiß ich, wie sich die Hölle, wäre sie real, anfühlen muss. Und die paar Stunden reichten völlig aus, um nie wieder und unter gar keinen Umständen jemals dort landen zu wollen. Konsequenzen. Das Wort spukt unaufhörlich in meinem Kopf herum, bis Nero die Tür zu den Duschräumen aufstößt und die mittlerweile erschöpfte Frau auf den weißen Fliesen ablegt. Ich bleibe in der Türspalte stehen, nicht sicher, ob ich den Raum betreten darf oder außerhalb warten soll. Kyr bleibt instinktiv hinter mir stehen, ganz klar mit der Absicht, mich zu hindern, würde ich weglaufen laufen.

Als Nero die Frau liegen lässt und einen Schritt von ihr zurück weicht, beginnt Drae an ihr zu schnuppern. Die Situation überfordert mich komplett und auch dass Nero mich hierher mitgenommen hat, gibt mir ein ungutes Gefühl.

Während Drae schnuppert, dreht sich Nero zu mir um und signalisiert mir mit einer Handbewegung, einzutreten. Ich gehorche und übertrete die Schwelle. Kyr folgt mir und als ich vor dem Meister zum Stehen komme, geht mir, wie man so schön sagt, der Arsch auf Grundeis. Ich blicke in eiskalte blaue Augen. Diesem Mann so nah zu sein und direkt von ihm angesehen zu werden, bringt meine Knie zum schlottern und meinen Puls zum rasen. Kalter Angstschweiß unter den Achseln, Pochen im Brustkorb und dieses ungewollte Ziehen zwischen den Beinen, das mir die Schamesröte ins Gesicht treibt und den Drang in mir weckt, im Boden zu versinken. Und meine Gedanken quälen mich, in dem sie das Szenario weiterspinnen. Bilder in meinem Kopf wie Nero seine Finger grob in mir versenkt, um mir weh zu tun. Um mich für irgendetwas zu bestrafen, weil ich bestimmt einen Fehler begangen habe, für den ich bestraft werden muss. Ich weiß nur noch nicht, was ich falsch gemacht haben könnte. Völlig verzweifelt widerstehe ich dem Drang, meinen Kopf zu schütteln, um die widerlichen Gedanken aus meinem Verstand zu verbannen. Neros Finger tief in mir und der Schmerz, den sie auslösen. In den 23 Tagen ist dieses Szenario nicht einmal vorgefallen und obwohl Nero mich noch nie auf diese Art und Weise angefasst hat, ertappe ich mich immer öfters dabei, wie ich mir vorstelle, dass er es tun könnte. Vielleicht liegt es daran, dass die Realität viel schlimmer ist. Viel viel schlimmer. Kyr jault hinter mir. Und ich weiß, was dieses Jaulen zu bedeuten hat. Beschämt drücke ich meine Beine aneinander, als könnte mich das irgendwie retten oder vertuschen, was Nero mir bestimmt andressiert hat. Ich senke den Blick zu Boden, wohlwissend, was gleich kommen wird. Ich spüre Kyrs feuchte Schnauze an meinem Po und das wilde Hecheln lässt mich zusammenfahren. Konsequenzen. Ich will nicht. Ich will es nicht. Ich schlinge meine Arme um meinen nackten Körper und hadere mit mir, aufrecht stehen zu bleiben und es geschehen zu lassen. Ich will weg, weit weit weg. Mich gegen eine Wand drücken. Wegdrehen. Rennen. Um mich schlagen. Irgendwas. Aber ich darf es nicht. Die warme Schnauze presst sich ruppiger gegen meine Pobacken, doch bevor etwas passieren kann, durchbricht ein Zischen die Anspannung und erlöst mich aus der Folter.

Kyr zieht sich zurück und als Kälte meinen Po erfasst, hätte ich am liebsten vor Erleichterung losgeschrien. Drae‘s schrilles Jaulen lenkt Neros Aufmerksamkeit von mir ab. Wieder sinkt der Mann in die Knie und legt den Kopf schief, als Drae mit ihrer Pfote gegen seinen Bauch tippt und ihre Zähne bleckt. Für mich sieht es aus, als würde sie ihn zu einem Kampf herausfordern oder provozieren wollen. Nero hingegen macht keine Anstalten, Drae für ihr Verhalten zu rügen oder großartig darauf einzugehen. Er steht einfach auf und kratzt sich am Kinn. Dann dreht er sich zu mir um und zieht die Stirn in Falten.
„Hast du schon einmal ein Kind in dir getragen?“
Die Frage trifft mich unerwartet und die Art, wie er sich ausdrückt ist ungewöhnlich. Beinahe schon altmodisch. Als Antwort schüttle ich mit dem Kopf und spüre, wie meine Wangen glühen, obwohl es nichts gibt, was mir peinlich sein müsste. Vielleicht liegt es daran, dass ich ihm verschwiegen habe, dass ich bisher nur mit einer Frau geschlafen habe und ich dementsprechend absolut keine Erfahrung in dem Gebiet hätte sammeln können, geschweige denn wollen.
„Mach sie sauber und kümmere dich um ihre Wunden“, fordert er und dreht die Dusche hinter sich auf. Wasser prasselt kurz auf ihn nieder, ehe er aus dem Strahl tritt und Kyr zu sich heran pfeift.

„Kyr, wache.“ Nero zeigt mit einer Handbewegung auf die Frau auf dem Boden und prompt geht der Rüde neben ihr in Wachstellung. Drae platziert sich neben Kyr und funkelt mich mit ihren hellblauen Augen an. „Sollte ihr etwas zu stoßen, bringe ich dich eigenhändig um.“ Mit diesen Worten rauscht Nero mit schweren Schritten an mir vorbei und zieht die Tür hinter sich zu. Beim dumpfen Knall der Tür in der Angel, zucke ich zusammen. Was war das denn bitte? Ist er wütend? Wenn ja, warum folgen dann keine Konsequenzen? Tag 23 und plötzlich verändert eine einzige Frau alles. Ich musterte sie. Kastanienbraunes langes Haar, blaue Augen und so unfassbar dürr. Die nassen Klamotten kleben an ihrem ausgemergelten Körper und unter dem Stoff zeichnet sich ihr Gerippe ab. Hat ihr Meister sie hungern lassen und wenn es so gewesen wäre, woher nimmt sie dann diese Energie? Mein Blick wandert tiefer zu ihren nackten Füßen. Keine Ahnung wieso, aber ich zähle die Zehen und bin erleichtert, dass ihr keiner fehlt. Hinter welcher Tür sie auch immer gewesen war, verstümmelt hat sie ihr vorheriger Meister nicht. Blut vermischt sich mit dem Wasser, das von der Dusche auf die Frau herab tropft und breitet sich auf den weißen Fliesen Richtung Abfluss aus. Die Bisswunden sind nicht tief und nicht schlimm - die Hunde haben sich zurückgehalten, trotzdem könnte sich die Verletzung entzünden oder der Blutverlust zu einem Problem werden. ‚Sollte ihr etwas zustoßen, bringe ich dich eigenhändig um‘ Neros Drohung beginnt wie ein Mantra in meinem Kopf widerzuhallen und als würde das nicht reichen, fängt Drae an zu knurren, ganz klar mit der Absicht mich zum Handeln zu drängen. Wie mechanisch nähere ich mich der Unbekannten und gehe neben ihr auf die Knie.

„Ich bin Erika, aber du kannst Rika zu mir sagen“, stelle ich mich in einem ruhigen Tonfall vor und berühre die Frau sanft an der Schulter. Sie schreckt nicht zurück. Vielleicht ist sie zu schwach, um sich zu wehren oder sie sieht mich schlichtweg nicht als Bedrohung an. Trotzdem mahne ich mich vorsichtig zu sein. Nichts zu überstürzen, auch wenn ihr Zustand vielleicht kritischer sein könnte, als ich denke. Aber würde ich sie jetzt bedrängen, könnte das kontraproduktiv sein. Außerdem weiß ich nicht, was sie bereits alles durchmachen musste. Ich habe nur einen Schnipsel davon mitbekommen.

„Johanna“, antwortet die Frau schwach und als sie versucht, sich aufzurichten und aufzustehen, drücke ich sie vorsichtig wieder auf den Boden.
„Bleib sitzen, du bist verletzt. Ich helfe dir aus den nassen Klamotten und dann kümmern wir uns um die Wunden. Okay? Dir wird nichts passieren“, lüge ich und fühle mich schrecklich dabei. Ich weiß nicht, was Nero mit ihr vorhat, aber andererseits will ich sie auch nicht unnötig verunsichern. Nicht in diesem Zustand.
Johanna nickt träge mit dem Kopf und als sie die Arme hochstreckt, helfe ich ihr aus dem klatschnassen Pulli heraus. Geschockt starre ich auf die unzähligen Blessuren auf ihren Armen und ihrem Oberkörper, die zum Vorschein kommen. Schnitte, Flecken und Kratzspuren überall auf ihrer Haut, Würgemale an ihrem Hals und ihre linke Brust ist ganz blau. Ich muss wohl irgendeinen Ton von mir gegeben haben, denn Johanna lacht kalt auf. „Du wirkst überrascht“, stellt sie trocken fest und sieht mich an. Ihre müden Augen wandern an meinem Körper hinunter, ehe sie wieder in meine blicken. „Fickt er dich etwa nicht? Du hast nur ein paar Kratzer.“

Abermals steigt mir die Röte in die Wangen. Aus Reflex bedecke ich die Kratzspuren an meiner Taille, obwohl sie Johanna schon entdeckt hat. Eigentlich brauche ich mich vor ihr nicht zu schämen, trotzdem tue ich es.
„Er…“, starte ich mutig, aber der Mut verlässt mich so schnell wie er gekommen ist. Vor lauter Scham schüttle ich mit dem Kopf, weil es mir falsch erscheint, gar nicht zu antworten.
„Er fickt dich nicht?“, bohrt Johanna ungläubig nach. Mein Blick huscht zu Kyr, der wachsam jede einzelne Bewegung von mir kontrolliert. Ob der Hund versteht, worüber wir sprechen? Und wenn ja, würde Nero davon erfahren? Würde er mich dafür bestrafen? Ist es absurd, dass ich überhaupt so denke? Dass ich Angst davor habe, ein Hund könnte mich verpetzen? Bin ich bereits so verloren?
„Ich helfe dir aus der Hose“, lenke ich schnell vom Thema ab und greife nach Johannas Hose, die eigentlich eine Leggins ist. Johanna hebt stöhnend ihren Po an, damit ich ihr den Stoff runter ziehen kann. Als sie nur noch einen Slip trägt, hole ich das Shampoo von der Ablage, weil ich ihr das letzte bisschen Privatsphäre lassen möchte. Sie hingegen reißt den Stoff des zarten Spitzenhöschens einfach mit einem Ruck durch und wirft es achtlos in eine Ecke der Dusche. Dann nimmt sie mir, als ich wieder vor ihr knie, das Shampoo aus der Hand und beginnt sich selbst einzuseifen, statt mir das zu überlassen. Woher nimmt sie nur diese Kraft? Immer mehr Blut sammelt sich unter uns und fließt Richtung Abfluss.
„Das ist nicht alles meins“, sagt Johanna kühl, als sie bemerkt, worauf mein Fokus liegt.
„Wie meinst du das?“
„Es ist auch seins. Sein widerliches Blut klebt überall auf mir.“
„Wessen Blut?“, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne. Sie hat ihren Meister abgestochen. Deswegen ist sie hier. Sie hat einen von ihnen ausgeschaltet.

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