Nero, der Alpha - 17

Nero, der Alpha 25. Jan. 2022

“Was passiert jetzt?”, höre ich mich fragen. Meine Stimme klingt krächzig und irgendwie verbraucht. Tuga kommt auf mich zu und drückt seinen Kopf gegen meinen. Ich spüre eine warme Hundezunge über meine Wange lecken.

“Jetzt schaue ich mir an, was die Kamera aufgezeichnet hat und bringe anschließend die Aufnahme zum Vorstand. Ich gehe schwer davon aus, dass du hinter einer anderen Tür landen wirst, bei jemanden, der fähig ist, sich um dich zu kümmern.” Nero seufzt, hebt die Hand und signalisiert Farg und Kyr Abstand zu nehmen. Die beiden Rüden weichen zurück. “Ich will aber nicht, dass sich jemand anderes um mich kümmert”, sage ich wie ein kleines Mädchen und hätte mich am liebsten an Neros Beine geklammert, um ihn am Gehen zu hindern. Der Mann blickt auf mich herab. Ich merke, wie er etwas erwidern will, aber sich stattdessen dagegen entschließt. Wie er es in letzter Zeit so oft getan hat, verlässt er das Zimmer, ohne sich nochmal umzudrehen. Farg und Kyr folgen ihm, nur Tuga bleibt an meiner Seite.


Ohne Nero in meiner unmittelbaren Nähe nehme ich plötzlich mehr wahr als zuvor. Der Geruch von Blut steigt mir in die Nase und mir wird das volle Ausmass meiner Tat umso bewusster. Auf dem Bett, auf dem ich eigentlich hätte einen Freier zufriedenstellen sollen, liegt nun ein toter Mann. Ich habe zwar schon tote Menschen gesehen, sei es im Fernsehen, in der Zeitung oder auf Beerdigungen, aber Wills Anblick, zumindest das, was von ihm noch übrig ist, ist ein ganz anderes Kaliber und die Tatsache, dass dieser Mensch wegen mir gestorben ist, lässt mich alles andere es kalt. Es macht mich fertig. Die ganze Situation macht mich fertig. Tuga drängt sich in mein Sichtfeld. Sein graues Fell ist klebrig und blutüberströmt und trotzdem kann ich in dem Hund keine Bestie sehen. Er ist mein Retter. Er hat mich vor diesem Mistkerl gerettet. Zusammen mit Farg und Kyr. Das Rudel hat sich für mich entschieden. Hat mich beschützt, als wäre ich eine von ihnen.

“Wir haben einen Fehler gemacht”, schluchze ich leise und schaue in Tugas hellblaue Augen, die mich aufmerksam beobachten, als wollte der Hund anhand meiner Reaktion ablesen, was er tun soll. Anders als Nero beherrsche ich diese nonverbale Kommunikation nicht, die er mit seinen Hunden pflegt. Geschweige denn, weiss ich selbst nicht, was ich tun soll. Oder was wir tun sollen. Was passiert mit Nero, wenn er seine Tür verliert? Wird er einfach entlassen? Werden sie ihn töten? Ich kenne mich mit dem Etablissement nicht aus, habe keine Ahnung, wie das hier abläuft. Die einzige Person, die mir - ausgenommen von Nero -  einfällt, die etwas wissen könnte, ist Johanna. Aber Johanna hat erreicht, was sie erreichen wollte. Sie hat einem Meister das Handwerk gelegt. Schon wieder. Könnte Nero nicht einfach zusammen mit uns abhauen? Wir alle drei und seine Hunde? Verschwinden von hier?

“Willst du hier weg?”, frage ich Tuga in meiner Verzweiflung. Er guckt mich nur an und legt den Kopf schief. Ich gucke zurück und strecke meine Hand nach ihm aus. Das versteht er. Er schmiegt sich an meine Handfläche und lässt sich von mir streicheln. Nun sehe ich ebenfalls wie eine Mörderin aus - mit dem ganzen Blut an meiner Hand. Etwas angeekelt verziehe ich das Gesicht, höre aber nicht auf, Tuga zu streicheln.

“Du würdest Nero beschützen, wenn die ihm etwas antun wollen, stimmt’s? Das würdest du tun…”



Ich weiß, ich hätte zu Johanna in den Duschraum zurück gehen und ihr Bericht erstatten können, aber ihr so unter die Augen zu treten und zu sagen, dass ihr Plan - zwar anders als erwartet - aufging, dazu fehlt mir die Kraft und die Lust. Allgemein weiß ich nichts mit mir anzufangen und wie so oft geht mir die Warterei irgendwann auf die Nerven. Ich kann nichts tun. Absolut nichts, um an der Situation etwas zu ändern und ich hasse es. Irgendwann erlöst mich Nero aus meiner Paralyse in dem er in der Tür auftaucht und mich bittet mit ihm mitzukommen. Er reicht mir sogar in Wolldecke, in die ich mich einwickeln kann. Dann beordert er seine Hunde im Hauptraum, veranlasst sie dazu in Wachstellung zu gehen und verlässt zusammen mit mir Tür 16. Draußen ist es bereits dunkel. Das Gelände wird nur von ein paar Lampen beleuchtet, die am Gebäude an der Außenfassade angebracht sind. Das Gebäude hat von außen betrachtet Ähnlichkeit mit einem Motel wie man es aus amerikanischen Filmen kennt. Jeder Meister hat hier eine eigene Tür und dahinter verbergen sich seine Räumlichkeiten. Erst jetzt fällt mir auf, wie wenig Fenster der ganze Komplex überhaupt besitzt. Fast gar keine.

Wir gehen an mehreren Türen vorbei und als ich einen Blick auf die Nummernschilde werfe, bemerke ich, dass sie nicht alle in der richtigen Reihenfolge sind. 16, 17, 23, 4, 25, 26, 27, 30, 31, 32. Vor Tür 32 bleibt Nero kurz stehen und holt einen gefalteten Zettel aus seiner sauberen Jogginghose - anders als ich, hat er sich nochmal neu angezogen und sauber gemacht. Er geht vor der Tür in die Hocke und schiebt den Zettel unter der Tür durch. Ich will nachfragen, was auf dem Zettel steht und wieso er ihn bei Tür 32 unten durchschiebt, aber ich bringe keinen Pieps raus. Stumm folge ich Nero weiter und während wir von Tür zu Tür gehen, schweift mein Blick in den Nachthimmel hinauf. Das Etablissement ist so abgeschieden von jeglicher Zivilisation, dass der Nachthimmel von hier aus betrachtet wunderschön ist. Man sieht die Sterne, den Mond und man hört auch das Zirpen der Grillen sowie andere Geräusche der Natur. Ich kann in der Ferne nicht viel erkennen, weil es dunkel ist, aber irgendwo in der Nähe muss ein Wald sein.

Als wir Tür 1 passieren, die nach Tür 36 folgt, dreht Nero sich zu mir um.

„Falls sie dir die Wahl lassen, hinter welche Tür du kommen sollst, dann wähle die 7. Auf keinen Fall Tür 36 und 20 ist auch tabu. Nimm die 7.“

„Was ist hinter Tür 7?“, frage ich nach. Oder besser gesagt, WER ist hinter Tür 7? Nero wirkt plötzlich angespannt. Beinahe schon nervös. Ihn so.. emotional zu sehen, ist einfach so ungewohnt, dass sich seine Stimmung automatisch auf mich überträgt und die Angst in mir um das Doppelte heranwachsen lässt.

„Hmmm“, antwortet Nero, als wüsste er nicht so richtig, was er auf meine Frage antworten soll. Nun blickt er ebenfalls in den Nachthimmel hinauf und ich liebe es, wie sich das Licht der Sterne in seinen eisblauen Augen reflektiert und sie zum Leuchten bringt. Nero ist auf seine ganz eigene Art wunderschön. Ein Wolf in Menschengestalt und einer der schönsten Männer, die ich jemals gesehen habe. Schön und grausam. Zumindest dachte ich das am Anfang. Jetzt in diesem Moment - unter diesem Nachthimmel - ist von der Grausamkeit nur noch wenig übrig.

„Hat dir jemals jemand gesagt, dass du wahnsinnig schön bist?“ Meine Frage lässt Nero zusammenzucken, als hätte er mit vielem gerechnet, aber nicht damit ein Kompliment von mir zu bekommen. Ich auch nicht, es ist einfach so aus mir herausgeplatzt. Wollte nicht in meinem Mund und in meinen Gedanken bleiben.

„Du hast bekommen, was du willst. Du kannst damit aufhören.“ Sein Tonfall ist schroff und als sein Blick vom Nachthimmel auf mich fällt, sehe ich wieder diese Wut in ihm auflodern. Jetzt wird mir klar, was sein Problem mit mir ist. Er denkt, meine Reaktionen auf ihn sind alle nur gespielt. Er glaubt wirklich, dass ich nur so tue, als würde ich ihn attraktiv finden, um ihn zu verunsichern und ihn davon abzuhalten, mich zu brechen. Vielleicht hat wirklich noch nie jemand zu ihm gesagt, dass er schön ist. Das muss neu für ihn sein und irgendwie kann ich mir sogar vorstellen, dass alle Frauen, die hinter seiner Tür landen, so eingeschüchtert von seiner kühlen und emotionslosen Art sind, dass man sich gar keine Gedanken darüber machen will oder kann, wie unglaublich gut dieser Mann aussieht. Man blendet es aus. Man will ihn nicht attraktiv finden. Man will ihn hassen. Man schämt sich. Oder wie bei mir, man denkt, es ist das verflixte Stockholm Syndrom und die Psyche spielt einem einen bösen Streich oder dass Nero einem dieses Verlangen nach ihm antrainiert hat so wie er seine Hunde dressiert, dressiert er auch die Frauen.

Ich ziehe meine Wolldecke enger um mich. Wie lange Nero wohl schon hier ist? Im Etablissement? Und gab es für ihn überhaupt ein Leben vor dem Etablissement?

„Ich wollte nicht, dass du deine Tür verlierst. Ich wollte nur nicht mehr…“, ich stoppe und starre beschämt auf den Boden. „Ich wollte, dass du aufhörst deine Hunde auf mich zu hetzen.“

„Das ist mein Job, Erika. Du hast dich freiwillig verkauft. Was hast du denn erwartet, was dir an einem Ort wie diesem widerfährt? Hm?“

„Keine Ahnung, was ich erwartet habe. Ich wollte nur meiner Mutter helfen. Es war nie meine Intention mehr als das zu wollen.“

Hinter uns geht unerwartet eine Tür auf und prompt erlischt das boshafte Flackern in Neros kühlen Augen. Er setzt seine übliche versteinerte Miene auf und wirkt wie ausgewechselt. Wie schnell dieser Mann von Feuer zu Eis wechseln kann. Als hätte er einen Schalter, den er einfach umlegen kann wie es ihm beliebt.

„Störe ich?“, erkundigt sich eine tiefe, männliche Stimme. Schritte mischen sich unter das Zirpen der Grillen. Schritte, die näher kommen und als ein großer Schatten hinter mir auftaucht, hätte ich mich am liebsten bei Nero in Sicherheit gebracht.

„Hab gehört, die haben dich auf dem Kieker. Zigarette?“ Ein Mann taucht neben mir auf. Er ist genauso groß wie Nero, aber etwas breiter gebaut. Er trägt einen tiefschwarzen Ganzkörper-Lederanzug mit silbernen, spitzen Nieten, die an den Schulterpolstern des Anzugs angebracht sind. Wie Nero hat er Springerstiefel an den Füßen und strahlt auch dieselbe Dominanz aus wie er. Die Haare sind an den Seiten abrasiert und die übrig gebliebenen Haare sind zu einem feuerroten Irokesen aufgestellt. Drei Piercings glitzern mir an seiner linken Augenbraue entgegen. Das Gesicht ist kantig und die Nase schief, als wäre sie mindestens einmal gebrochen worden und unschön geheilt. An der Lippe hat der Mann eine kleine Narbe sowie eine weitere über der Nase, die sich bis unter sein rechtes Auge zieht. Sieht aus, als würde sie von einem Schnitt mit einem Messer herrühren. Am Hals entdecke ich dasselbe Tattoo, wie Nero es an der Stelle hat. Ein Totenschädel mit Hörnern. Ich weiß nicht, ob Nero noch weitere Tattoos hat, aber der Mann neben mir hat noch eins auf dem linken Handrücken. Ein trauriges Smiley-Gesicht, bestehend aus einem schwarzen Kreis, zwei Punkten für die Augen und einem Bogen für den Mund. Minimalistisch und trotzdem aussagekräftig.

Das Tattoo befindet sich auf derselben Hand, in der der Mann die Zigarette hält, die er Nero entgegenstreckt. Zu meinem Erstaunen nimmt Nero die Zigarette an und lässt sie sich anzünden. Keine Ahnung wieso, aber irgendwie hätte ich nicht gedacht, dass Nero raucht. Ich habe ihn nie Rauchen gesehen und auch nie Rauch an ihm wahrgenommen. Er nimmt einen Zug und pustet den grauen Nebel in die Atmosphäre hinaus.

„Auch eine meine Kleine?“ Der Mann hält lächelnd mir die Zigarettenschachtel unter die Nase. Ich schüttle mit dem Kopf und fühle mich unwohl. Total unwohl. Und fehl am Platz.

„Das war’s“, sagt Nero leise und nimmt noch einen Zug von der Zigarette. Der Mann mit dem Irokesen nickt und steckt sich ebenfalls einen Glimmstängel zwischen die Lippen.

„Mhm…  ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass ein Blondchen dir mal zum Verhängnis werden könnte”, erwidert der Mann grinsend, aber es wirkt nicht so, als wollte er Nero mit der Aussage provozieren, eher als hätten die beiden ein freundschaftliches Verhältnis. Nero wendet den Blick ab und sieht wieder hinauf zum Sternenhimmel.

„Wir sind einfach zu lange hier, schätze ich”, der Mann seufzt.. „Erika, richtig?“ Er streckt mir die freie Hand hin und obwohl ein Schutzmechanismus in mir mich davon abhalten will, die Hand zu ergreifen, tue ich es trotzdem.

„Rika“, stelle ich mich vor und höre mich nur halb so selbstbewusst an, wie ich es gewollt hätte.

„Peyton, Tür 7“, stellt sich der Mann seinerseits vor. Tür 7. Die Tür, die mir Nero empfohlen hat. Die Frage ist nur, wieso? Weil er mit dem Mann von Tür 7, diesem Peyton,  befreundet ist oder steckt irgendwas anderes dahinter? Ich versuche in Neros Mimik etwas herauslesen zu können, aber er verzieht keine Miene und betrachtet weiterhin den Nachthimmel, fast so, als würde er es zum letzten Mal tun. Allein der Gedanke schnürt mir die Kehle zu und tut dort weh, wo es wie wild in meinem Brustkorb hämmert.

„Sieh zu, dass du nicht hinter Tür 36 kommst. Die Scheisse, die die dort durchziehen, wirst du nicht überleben, Süße. Die sind nicht umsonst auf den ersten Rängen, die zwei Mistkerle.“ Peyton lacht und… wuschelt mir durch die Haare. „Fuck bist du niedlich.“

Mehr aus Gewohnheit will ich seine Hand wegschlagen, aber als ich es tue und mir bewusst wird, was ich soeben getan habe, halte ich direkt inne und mache mich ganz klein. Gott Rika, du bist immer noch im Etablissement. Die Männer hier sind gefährlich. Der Mann ist ein Meister des Etablissements. Konsequenzen… vielleicht hat das Konsequenzen?

„Sorry“, piepse ich entschuldigend. Aber der Mann lacht nur unbeirrt weiter.

„Ich glaube, bei dir hätte ich auch Mühe gehabt meinen Mist durchzuziehen“, gibt Peyton zu und wuschelt mir einfach nochmals durch die Haare, trotzdem entgeht mir nicht, wie er Nero dabei etwas besorgt mustert, als würde er sich sorgen um den Alpha machen.

„Es gibt mehrere Meister hinter einer Tür?“, frage ich unsicher nach, um von Nero abzulenken. Es klappt, Peyton richtet seinen Fokus wieder auf mich. „Selten, aber 36 bildet gerade einen neuen Lehrling aus und die beiden in Kombination sprengen den Rahmen. Letztens haben sie einem Mädchen die Schamlippen abgeschnitten und woanders wieder angenäht, ach ja und während der ganzen Prozedur hat sie der eine die ganze Zeit in den Arsch gefickt. Ich meine… ist jetzt nicht so, als könnte ich so eine Nummer nicht auch bringen, aber meiner Meinung nach sind Verstümmelung ein bisschen over the top. Verstehst du? Klar, genau genommen ist es keine irreparable Schädigung, die Pussy funktioniert ja auch ohne Schamlippen weiterhin, aber come on.“ Peyton schnippt empört die Asche seiner Zigarette weg, während aus meinem Gesicht bestimmt jegliche Farbe entweicht. Schamlippen woanders annähen?! Oh Gott…

„Oder die Nummer mit dem Stier… die wäre fast daneben gegangen“, erzählt Peyton ungeniert weiter. „Irgendwann wird eine bei so einer Aktion draufgehen und dann bin ich der Erste, der kurz vorbei schneit, um die Wichser ordentlich auszulachen.“

„Die Nummer mit dem Stier?“, bohre ich schüchtern nach, obwohl ich mir sicher bin, dass ich lieber im Ungewissen bleiben sollte.

„Ach. Die haben ein Mädchen mit diesen Pheromonen eingesprüht, du weisst schon, die die Bullen unglaublich geil werden lässt, und dann haben sie das arme Ding über eine eingezäunte Wiese mit drei oder vier sehr potenten Jungbullen gehetzt. Mann. Du hättest sie sehen müssen. Die Kleine ist gerannt wie eine Athletin, hat sich am Ende auch einen ordentlichen Stromschlag eingefangen, als sie über den Zaun gesprungen ist, aber hey, immerhin besser als die Alternative.“ Peyton kratzt sich nachdenklich über das Kinn und betrachtet skeptisch die Zigarette in seiner Hand. „Da fällt mir ein, dass ich mal wieder meine Tochter besuchen sollte. Wird schon bald fünf, meine Kleine.“

„Was?“, fiepe ich und hoffe inständig, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat.

„Stier vom Sternzeichen“, hilft mir Peyton auf die Sprünge und grinst mich dabei an. In meinem Kopf macht es klick. Wir haben Anfang Mai. Frühling. Die Blumen erwachen zum Leben und die Kirschbäume blühen. Ich liebe den Frühling und obwohl der Nachthimmel wunderschön ist, ersehne ich mir plötzlich die wärmende Sonne herbei. Es ich gefühlt ewig her, seit ich sie auf meiner Haut gespürt habe.

„Wann hast du Geburtstag, Rika?“ Die Frage von Peyton kommt überraschend. Allgemein ist es bizarr mit einem anderen Meister sowas wie Smalltalk zu führen, während der eigene Meister stillschweigend seine Zigarette zu Ende raucht.

„Am 26. Juni“, antworte ich.

„Emotional und gefühlsbetont und ein bisschen verspielt, kümmerst dich gerne um andere, bist ein Familienmensch und hast manchmal Mühe dich zu etwas aufzuraffen, wenn dich niemand dazu anspornt“, zählt Peyton auf und trifft damit voll ins Schwarze. Ich sehe ihn etwas verdattert an und bringe ihn mit meinem verpeilten Gesichtsausdruck zum Lachen. „Und ständig auf der Suche nach der großen Liebe“, fügt er glucksend hinzu. Jetzt werde ich rot. Zum Glück ist es so dunkel, dass man es vielleicht im schwachen Licht der Lampe über unseren Köpfen nicht erkennen kann.

„Nero ist übrigens Skorpion, nur so am Rande. Ihr beide passt perfekt zueinander.“ Peyton zwinkert mir zu. Okay. Nun bin ich wirklich ein Tomatenauflauf.

„Fang du nicht auch noch damit an“, knurrt Nero genervt und wirft die Zigarette auf den Boden, um sie mit seinen Stiefeln zu zertreten und seinen Groll an ihr auszulassen.

„Was denn?“ Peyton hält abwehrend die Hände vor sich und schmunzelt. „Sternzeichen-technisch seid ihr beide für einander geschaffen.“ Und als hätte er Nero nicht schon genug mit der Aussage geärgert, bückt sich der Mann mit dem feuerroten Irokesen zu mir herunter und flüstert leise, aber so, dass Nero es bestimmt mitbekommt, in mein Ohr: „Google mal bei Gelegenheit die Eigenschaften des Skorpion-Mannes. Du wirst überrascht sein, wie gut es zu ihm passt.“

„Lass das.“ Neros leicht säuerliche Miene spricht Bände. Peyton rappelt sich neben mir wieder auf und zuckt mit den Schultern. „Du kannst immer noch abhauen, meine Maschine steht jederzeit für dich bereit. Das weißt du. Nimm sie mit und hau ab. Verschwinde von hier.“

Ich verstehe nur Bahnhof. Was genau meint Peyton? Dass Nero mit mir etwa durchbrennen soll?

„Erika, wir gehen”, blafft Nero mich an. Als er mich dann auch noch grob am Handgelenk packt und von Peyton wegzieht, verstehe ich überhaupt nichts mehr. Ohne ein Tschüss oder sonst was, schleift er mich hinter sich her, lässt Peyton einfach dort stehen. Im Augenwinkel kann ich nur noch erkennen, wie Peyton mit dem Kopf schüttelt, sich umdreht und in die andere Richtung geht. Nero schleift mich noch ein paar Meter weiter, bis er mein Handgelenk loslässt und vorausgeht, ohne mich weiter hinter sich her zu ziehen. Kommentarlos folge ich ihm über einen Trampelpfad, der vom Etablissement weg und in einen dichten Wald führt. Es ist so düster, dass Nero mir irgendwann wieder die Hand gegeben muss, damit ich nicht verloren gehe. In der Ferne flackert ein kleines Licht auf, auf das wir uns zu bewegen. Das Licht endet bei einer Treppe, bei der Nero kurz stehen bleibt und einen Schalter betätigt. Jetzt kann ich erkennen, zu was diese Treppe uns führen. Eine Art Bunker. Ein Bunker mitten in der Pampa. Ich spüre wie mir den Mund offen steht, als wir die Treppenstufen hinunter steigen, durch einen schmalen Tunnel gehen und vor einer weiteren Tür stehen. Diese Tür ist mit einem Zahlencode gesichert, den Nero so schnell eintippt, dass meine Augen seinen Bewegungen kaum folgen können. Das Kästchen neben der Tür gibt ein Piep Geräusch von sich und das Schloss springt auf. Wir treten hindurch und landen vor einem Lift. Ein Lift? Wo zur Hölle sind wir hier?

Irgendwie fühlt sich das an, wie in einem Spionagefilm, wenn der Held in das Versteck des Antagonisten vordringt. Nur das in meinem Fall der ‘Antagonist’ gerade auf die Ziffer 5 drückt, um wohl in die 5. Etage zu gelangen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich Nero wirklich als Antagonisten bezeichnen kann. Held wirkt genauso unpassend. Vielleicht so etwas wie ein Antiheld? Je näher wir Etage 5  kommen, desto mehr steigt mein Unbehagen an. Ich ziehe die Decke so eng um mich, als wollte ich darunter verschwinden, aber selbst blöde Decke vermag es nicht, das eisige Zittern zu unterdrücken. Nero sagt kein Wort, er sieht mich auch nicht an. Sein Blick ist stets geradeaus gerichtet, als würde ich nicht existieren und als wäre er alleine. Peytons Worte schwirren stetig in meinem Kopf umher. ‚Sternzeichen-technisch seid ihr beide füreinander geschaffen.‘ Ich habe mich nie sonderlich für Sternzeichen oder Esoterik im Allgemeinen interessiert. Aber Nero zeigt mir mehr als deutlich, dass es zwischen uns niemals sowas wie ein ‚füreinander‘ geben wird und die Erkenntnis ist zwar nicht unbedingt neu, aber tut trotzdem irgendwie weh. Blödes Stockholmsyndrom. Blöde Rika, warum verliebst du dich auch in einen Mann, den du nicht lieben solltest, nicht einmal mögen solltest und der dich auch absolut nicht leiden kann? Und dann noch an einem Ort wie diesem, an einem Ort, wo man Schamlippen abtrennt und Frauen über Kuhweiden hetzt.

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