Nero, der Alpha - 18
Etage 5. Die Lifttüren geben die Sicht auf einen Konferenzraum frei. Die Wände sind aus stahlgrauen Beton. An der Decke ist eine schmale Neonröhre angebracht, die den Raum schwach beleuchtet. In der Mitte des Raumes zieht sich ein riesiger Metalltisch. Sieben Stühle säumen den Tisch. Drei jeweils an den Seiten und einer am Tischende. An der einen Betonwand hängt eine grosse Leinwand von der Decke. Auf einem kleinen Beistelltisch, ebenfalls ein Metalltisch, befindet sich ein Beamer, an dem ein Kabel herunterhängt und zu einem Laptop führt, der statt auf dem Beistelltisch auf dem großen Tisch steht und zugeklappt ist.
Als ich keine Anstalten mache, aus dem Lift zu gehen, schubst mich Nero sanft heraus und zwängt sich an mir vorbei. Er geht einmal um den Tisch herum auf den Laptop zu und klappt ihn wie selbstverständlich auf. Dann holt er etwas aus seiner Jogginghose und steckt es in den Laptop. Ein USB Stick. Ich beobachte den Alpha, wie er den Beamer zum Laufen bringt und kurze Zeit später die Kameraaufnahmen aus dem weißen Zimmer auf die Leinwand projiziert werden.
Plötzlich dringt eine Stimme von Irgendwoher und verpasst mir so einen Schock, dass ich prompt zusammenfahre.
„16, schön, dass du gekommen bist“, begrüßt die Stimme Nero in einem blechernen und süffisanten Tonfall. Verwirrt lasse ich meinen Blick nochmals durch den Raum schweifen und entdecke den Übeltäter. In der linken Ecke ist ein Lautsprecher angebracht und neben dem Lautsprecher befindet sich auch eine Kamera. Genauso wie über dem Lift.
Nero erwidert nichts auf die Begrüßung. Er lässt sich bloss auf den Stuhl hinter dem Laptop nieder und blickt ziellos geradeaus. Ich stehe derweil wie versteinert vor den verschlossenen Lifttüren.
„Wortkarg wie immer. Na gut. Spiel das Video ab, wir sind gespannt, was du uns zu bieten hast.“ Die Stimme klingt merkwürdig, weder richtig männlich noch weiblich und so, als wäre sie mit sowas wie einem Programm oder einem Stimmverzerrer bearbeitet oder verzerrt worden. Nero gehorcht und spielt die Aufnahme ab. Es ist mir unangenehm, mich so verloren auf der Leinwand zu sehen und die Szene im weissen Zimmer diesmal aus der Zuschauerperspektive zu erleben. Auch Nero scheint nicht viel Lust darauf zu haben, sich die Aufnahmen anzusehen. Er fixiert mit seinen Augen irgendeinen Punkt auf dem Tisch. Die Stimme meldet sich erst wieder zu Wort, als wir zu der Stelle kommen, an der ich Neros Hand in mein Höschen führe und ihn herausfordere. “Stop”, herrscht die Stimme aus dem Lautsprecher uns an und Nero hält die Aufnahme an. Sein Blick heftet sich auf die Leinwand und als er sieht, was dort abgebildet wird, werden seine Wangen schlagartig rot. Dieser Moment zwischen uns ist ihm ganz eindeutig peinlich.
“War das deine Idee, 16?”, erkundigt sich die Stimme aus dem Lautsprecher. Nero antwortet mit einem einfachen “Nein.”
“Also ging das von der Ware aus?”
“Ja.”
“Interessant. Weitermachen.”
Nero spielt das Video weiter ab. Es gibt keine weiteren Unterbrechungen. Erst bei der Stelle als ich pfeife und die Hunde sich auf mein Kommando auf Will stürzen, dröhnt ein weiteres “Stop” durch die Lautsprecherboxen.
“Die Ware kann deine Hunde kontrollieren?”
“Sieht so aus”, kommentiert Nero unbeeindruckt die Szene auf der Leinwand.
“Wie kommts?”
“Versagen meinerseits.”
“Du räumst also ein, dass du bei der Ware komplett versagt hast?”
“Ja.”
“Wir übernehmen die Steuerung. Bitte akzeptieren und wegtreten vom Tisch.” Nero fügt sich, steht auf und macht einen Schritt vom Tisch weg. Die Aufnahme wird zurückgespult zu der Stelle, an der ich Neros Hand in mein Höschen stecke.
“Pflegt ihr eine sexuelle Beziehung zueinander?”, bohrt die Stimme nach. Nero taxiert mich mit seinem eisigen Blick und irgendetwas sagt mir, dass er stinksauer auf mich ist und mir an allem die Schuld gibt.
“Nein”, antwortet er entgegen dem Lodern in seinen Augen in einem ruhigen Tonfall, als wäre alles total in Ordnung, was es ganz offensichtlich nicht ist. Nicht für ihn. Nicht für mich.
“Dir ist bewusst, dass dieses Bild einen ganz anderen Eindruck vermittelt? Seid ihr euch emotional näher gekommen?”
“Nein.”
“Die Ware bedeutet dir also rein gar nichts?”
“Sie bedeutet mir nichts.”
Die Stimme fängt lauthals loslachen, als würde sie Neros Aussage für einen Witz halten. Die Aufnahme verschwindet von der Leinwand und man sieht kurz einen blauen Desktop-Hintergrund. Ein Screenshot aus der Liveshow wird eingeblendet. Darauf sieht man mich auf allen Vieren und Nero, der vor mir in der Hocke ist und mein Kinn hochhebt. Das Bild wird von einem weiteren Screenshot abgelöst. Ich, wie ich Nero küsse und er für einen kurzen Augenblick den Kuss erwidert. Bei der Erinnerung spüre ich wieder Neros sanfte Lippen auf meinen und obwohl die Situation gänzlich ungeeignet ist, fängt es zwischen meinen Beinen an leicht zu kribbeln. Ich presse sie leicht beschämt und schuldbewusst zusammen und versuche das kribbelnde Gefühl dort zu unterdrücken oder irgendwie zu verbannen. Leider mit wenig Erfolg.
“Sie bedeutet dir also nichts?”, triezt die Stimme aus dem Lautsprecher Nero weiter. Nero erwidert nichts darauf. Die beiden Screenshots werden hintereinander abgespielt. Einmal, zweimal, dreimal, viermal, als wollte, wer auch immer die Kontrolle über den Laptop übernommen hat, Nero damit verhöhnen.
“Ihr beide”, raunt eine weitere verzerrte Stimme durch die Lautsprecherboxen. “Diese perfekte Haltung, diese Chemie zwischen euch, dieses Verlangen, dieses Dominante und dennoch Unterwürfige. Alleine diese einzelne Szene, als die Ware dich geküsst hat und du für eine Sekunde schwach geworden bist, hat uns so viel Geld eingebracht. Dieses Mädchen.. hat was.”
“Richtig, sie hat uns viel Geld eingebracht, aber andererseits ist so ein Patzer nicht gut fürs Geschäft. Wenn einer unserer Ranghöchsten sich von Ware auf der Nase herumtanzen lässt, schadet das unserem Image enorm”, erwidert die andere Stimme. Offenbar nehmen mehrere Leute an diesem bizarren Meeting teil.
“Natürlich ist es nicht gut für unser Ansehen, da stimme ich dir vollkommen zu”, pflichtet Stimme 2 Stimme 1 bei. “16, ist es korrekt, was du in der Show gesagt? Du hast noch nie mit einer Frau gefickt?”
“Ja.”
“Und einem Mann?”
“Weder noch.”
“Gibt es dafür Gründe?”
“An sowas habe ich kein Interesse”, antwortet Nero kühl und lehnt sich gegen die Wand. Wieder lacht Stimme 1 los, während auf der Leinwand die Szene abgespielt wird, an der Tuga auf meinen Pfiff hin, auf Will losgeht.
“Schon beeindruckend, wie sie deine Hunde so skrupellos auf unseren armen, lieben Will hetzt, wohlwissend, dass die Hunde kurzen Prozess mit ihm machen werden”, schwärmt Stimme 2 und missinterpretiert das Geschehen auf der Leinwand völlig. Ich wusste nicht, dass Tuga und die anderen beiden Hunde auf meinen Pfiff reagieren würden und es war auch gar nicht meine Intention Will zu Dosenfutter verarbeiten zu lassen. Ich wollte nur weg. Einfach weg. Ich wollte nicht, dass dieser Mann mit seinem widerlichen Schwanz in mich eindringt. Mich vergewaltigt.
“Wir haben uns mit den anderen Meistern kurzgeschlossen, die vor Ort waren, als 14 dir einen Besuch abgestattet hatte. Uns ist zu Ohren gekommen, dass 14 einen deiner Hunde mit ihrer Peitsche angegriffen hatte. Dieses Fehlverhalten wird selbstverständlich Konsequenzen für sie haben.”
Da ist es wieder, dieses verabscheuungswürdige Wort - Konsequenzen. Aber diesmal bin ich froh es zu hören. Diese Hexe in ihrem Dominakostüm hat es verdient, dafür bestraft zu werden, dass sie Ignar beinahe umgebracht hätte.
“Uns ist aber auch zu Ohren gekommen, dass die Ware dir zur Hilfe gekommen ist und dir beigestanden hat bei dem unglücklichen Vorfall. Uns wurde sogar gesagt, sie hätte versucht dem Hund zu helfen und auch, dass ein weiterer Hund mit ihr interagiert hat, was uns in der Annahme bestätigt, dass die Ware eine enge Bindung entweder zu dir oder deinem Rudel ausgebaut hat und deine Hunde dementsprechend nach Belieben kontrollieren kann. Was ist schiefgelaufen, 16? Kannst du uns das erklären?”
“Versagen meinerseits”, wiederholt Nero träge seine Aussage vom Anfang und hört sich dabei an, als würde ihn dieses Gespräch tatsächlich anfangen unheimlich zu langweilen. Ich schlucke, als ein weiterer Lachanfall von Stimme 1 durch die Lautsprecherboxen trollt.
“Du hast noch 16 Tage übrig, richtig, Erika?” Stimme 2 meinen Namen aussprechen zu hören, überrascht mich, da mich die beiden Stimmen bisher nur als “Ware” betitelt haben.
“Ja”, antworte ich nach kurzem Zögern.
“Nun Erika, wie hast du es geschafft, dass die Hunde auf dich hören?”
“Ich weiss es nicht.”
“Pflegst du eine emotionale oder sexuelle Bindung zu 16?”, erkundigt sich Stimme 2 plötzlich bei mir, als wollte sie Neros Aussagen überprüfen - was irgendwie keinen Sinn ergibt, wenn er dabei anwesend ist, außer sie gehen davon aus, dass ich ihm eins auswischen möchte und seine Aussage widerlege.
“Nein”, sage ich und verschweige, dass zumindest ich mich…sexuell zu ihm hingezogen fühle. Dieses Interesse ist sowieso einseitig und spielt keine Rolle.
“Und warum hast du 16 beigestanden, als 14 ihn attackiert hat?, bohrt Stimme 2 nach.
Die Frage überrumpelt mich, weil ich die Antwort darauf selbst noch nicht wirklich herausgefunden habe. Stockholmsyndrom? Naivität? Verknalltheit? Helfersyndrom? Dummheit? Ich schaue Nero an, der angefangen hat, am Saum seines Pullovers herum zu spielen. Ihm muss offenbar echt verdammt langweilig sein. Wie kann ihn das alles so wenig interessieren, wenn seine Karriere im Etablissement hiervon abhängig sein könnte?
„Ich weiß es nicht“, beantworte ich die Frage wahrheitsgemäß.
„Ich würde sagen, sie hat Potenzial. Ich sehe eine gewisse Skrupellosigkeit in ihren Taten. Mir gefällt die Kombination zwischen den beiden. Der Wolf und das Lämmchen. Sie harmonieren auf eine gewisse Art, die mir irgendwie einen Ständer verpasst. Wir sollten das für unsere Zwecke nutzen“, schlägt Stimme 2 wahrscheinlich Stimme 1 vor. „Wie stellst du dir das vor, Green?“, erkundigt sich Stimme 1 bei 2, der dann vermutlich Green heisst. Klingt nach einem Decknamen. Allgemein sieht es so aus, als würde die Chefetage viel wert auf ihre Anonymität legen und den Meistern im Etablissement nicht über den Weg trauen. Wozu sonst die Decknamen oder den Stimmverzerrer? Und selbst anwesend sind sie ebenfalls nicht sondern nur via.. wie nennt man das eigentlich? Virtuelle Zuschaltung?
„Nun,“ beginnt Green. „Sie hat noch 16 Tage, wir könnten die Frist erhöhen auf… sagen wir drei Monate. Drei Monaten sollten genügen, um zu testen, ob sie das Zeug hat, für uns zu arbeiten. Nero könnte sie als Lehrling aufnehmen. Sozusagen unser erstes Meister Pärchen. Der Wolf und das Lämmchen. Ich hätte dazu schon das passende Konzept im Kopf. Sie würde als gute Seele hier fungieren. Als Freundin der Ware. Sich das Vertrauen erschleichen, Hoffnung oder sogar Angst schüren. Ich habe tausend Ideen im Kopf und ich glaube, das wäre genau das Richtige, um das beste aus der misslichen Situation herauszuholen. Stellen wir sie nun als Lehrling ein, könnten wir sagen, dass der Patzer in der Liveshow kein Patzer war, sondern gewollt. Teil der Show. Die Schlange im Garten Eden. Der Apfel in den Schneewittchen beißt..“
„Meister Pärchen“, unterbricht Stimme 1 Greens Ausführung schroff. „Das ist nicht Regelkonform. Romanzen machen uns schwach, Green. Ja, zugegeben. Der Kuss hat uns viel Kohle eingebracht, aber nur weil sich die Kunden darüber lustig machen, dass gleich zwei Meister hintereinander schwach werden und einknicken. Wir sind zu einer Lachnummer geworden. Und ehrlich gesagt, sehe ich diese Skrupellosigkeit von der du da sprichst nicht in diesem Blondchen. Das ist reines Versagen von 16. Lassen wir sie bei 16 wird es so enden wie bei 27. Wir brauchen einen Meister für sie, der sich nicht von ein bisschen Küsschen hier, Küsschen da aus der Bahn werfen lässt. Einer, der ihren Blendereien gewachsen ist und drüber stehen kann. Einer, der ihr zeigt, wo’s lang geht. Und was 16 betrifft, ich kaufe ihm die Nummer nicht ab, dass da nichts läuft zwischen den beiden. Die Bilder sprechen eine andere Sprache. Ich schlage vor, wir bereinigen das Problem mit seiner angeblichen ‘Jungfräulichkeit’ gleich hier und jetzt. Von wegen kein Interesse, 16. Du bist seit sage und schreibe zwölf Jahren hier. Bisher gab es nie Probleme. Keine Regelverstöße. Und dieses Mädchen schafft es nach 23 Tagen das Eis zu brechen? Ich frage mich wieso und mir fällt nur eine einzige Antwort ein. Du musst ficken, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die Hörner abstoßen. Tun, was ein Mann tun muss.“
„Also ist dein Vorschlag, dass 16 sie hier und jetzt vor unseren Augen rammelt und all unsere Probleme sind plötzlich gelöst und vom Damm?“, kontert Green empört.
„Vielleicht bringen wir ihn so auf den Geschmack oder zumindest wieder zur Vernunft. Was meinst du, Red?“, knurrt Stimme 1.
„Ich stimme zu, dass es ein Jammer wäre, 16 nach zwölf Jahren der Zusammenarbeit fallen zu lassen“, meldet sich eine dritte Stimme nun zu Wort. Wahrscheinlich der angesprochene Red. „Ich muss Green zustimmen, dass auch ich eine gewisse Skrupellosigkeit in ihren Taten sehe. Für mich ist nicht ganz schlüssig, wie ich das alles beurteilen soll. Die Idee, sie als Lehrling aufzunehmen, finde ich interessant, andererseits schließe ich mich Blue an, dass auch ich sehe, dass 16 ungewollt eine Bindung zu der Ware aufgebaut hat und dass wir die Sache mit seiner Jungfräulichkeit dringend bereinigen müssen, wenn wir weiterhin mit ihm zusammenarbeiten wollen. Vielleicht wäre ein weiterer Test sinnvoll? Was meint ihr?“
Tausend Fragen prasseln auf mich nieder und die Information, dass Nero bereits seit zwölf Jahren hier festsitzt, erschüttert und überrascht mich gleichermaßen. Zwölf Jahre. Das ist eine ganz schön lange Zeit. Er muss verdammt jung gewesen sein, als er angefangen hat, fürs Etablissement zu arbeiten. Überhaupt schockiert mich die Tatsache, dass hier Lehrlinge eingestellt werden. Das hört sich fast so an, als wäre dieser Ort ein normaler Betrieb, was er ganz und gar nicht ist. Geschweige denn bin ich nicht skrupellos und schon gar nicht in der Lage, anderen, die so sind wie ich, schändliche Dinge anzutun. Niemals. Das mit Will war eine Ausnahme. Das war Notwehr, keine Skrupellosigkeit.
„Erika“, startet Green und blendet die Aufnahme von Will ein, der gerade von Tuga angegriffen wird. „Wärst du bereit dazu, deine restlichen 16 Tage auf 60 Tage zu erweitern und als Lehrling bei uns anzufangen? Wir haben hier die Information vorliegen, dass du freiwillig bei uns bist und wir aktuell die Kosten für die Unterbringung deiner Mutter in einem Pflegeheim übernehmen. Das würden wir weiterhin tun, darüber hinaus würden wir Dir und deiner Mutter unseren Schutz auf Dauer der Arbeitszeit hier bei uns anbieten; plus sämtliche andere Kosten, die entstehen, würden wir übernehmen. Du arbeitest, wir bezahlen.“
Ehe ich überhaupt über das Angebot nachdenken kann, löst sich Nero von der Wand. „Ich bilde keine Lehrlinge aus.“
Wieder erklingt das Lachen von Blue aus den Lautsprecherboxen. „Bedeutet das, dass du deine Aussage von vorhin revidieren möchtest und gestehst, dass du eine Bindung zu der Ware aufgebaut hast?“
„Nein.“
„Sie bedeutet dir also weiterhin nichts.“
„Ja.“
„Gut, gut. Beweis es. Fick sie“, herrscht Blue Nero an. Nero’s Blick fällt auf mich und ist eiskalt. Dieselbe Eiseskälte, mit der er mich schon so oft angesehen hat.
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Kein Interesse.“
Erneut schallt Blue‘s Gelächter durch die Lautsprecherboxen. „Du hast keine andere Wahl. Entweder du fickst sie jetzt oder wir sparen uns das und gehen direkt zu den Konsequenzen über.“
„Was sind die Konsequenzen?“, platzt es aus mir heraus. Nun ist es Green, dessen Lachen erklingt. „Sie tut es schon wieder. Sie setzt sich für ihn ein.“
„Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen, Erika. Es sind nicht deine Konsequenzen, sondern seine“, schaltet sich Red unvermittelt ein.
„Und wenn ich zustimme? Ein Lehrling zu werden? Dann übernehmt ihr sämtliche Kosten und Nero und mir wird nichts passieren?“, schieße ich hervor und höre mich total verzweifelt an. Von wegen skrupellos. Ich habe Angst. Verdammt viel Angst, dass das hier gleich eskalieren wird, wenn sich Nero weiterhin so quer stellt. Und ich will meine restlichen 16 nicht bei einem anderen Meister verbringen, den ich überhaupt nicht einschätzen kann und der meine Schamlippen irgendwo anders annähen könnte. Unter keinen Umständen und schon gar nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt.
„Wenn du dich bereit erklärst, Teil des Etablissements zu werden, werden dir alle Dienstleistungen zu Teil, die wir so anbieten“, erklärt Green in einem triumphalen Tonfall, als hätte ich den Vertrag bereits unterzeichnet. “Aber die Sache mit der Jungfräulichkeit müssen wir natürlich erst bereinigen.”
Nero’s Augen formen sich Schlitzen. Offenbar ist es wirklich nicht von der Idee angetan, mich als Lehrling auszubilden oder seine Jungfräulichkeit einzubüßen. Seine und meine, von der er nichts weiss. Aber haben wir überhaupt eine andere Wahl? Was will Nero überhaupt? Will er wirklich die Konsequenzen für sein ‘Versagen’ tragen? Warum wird sowas überhaupt als Versagen gewertet? Menschen machen Fehler und Menschen haben schwache Momente. Daran ist nichts verwerflich! Und schlussendlich bin ich die, die schuld daran ist, dass wir jetzt hier sind. Ich ganz allein, weil ich Will zu Gulasch gemacht habe. Ich fühle mich schrecklich. Ich will das alles nicht. Ich hätte niemals hierher kommen sollen. Aus purer Verzweiflung streife ich mir die Wolldecke von der Schulter, bereit zu tun, was die Chefetage verlangt. Ich suche verzweifelt nach einer Reaktion in Neros Gesicht. Nichts. Da ist nichts. Absolut keine Emotion. Rein gar nichts. Er will mich nicht. Er findet mich unattraktiv. Er mag mich nicht einmal. Warum macht er nicht einfach, was die von ihm wollen, dann würden sie vielleicht auch von den blöden Konsequenzen absehen. Findet er mich wirklich so ekelhaft und abstoßend, dass er lieber untergeht als mich zu… Die Wolldecke landet auf den Boden und ich stehe nur noch bekleidet mit Wills widerlichen Geschenk an meinem Körper verloren im Raum herum, bereit dazu, diese Widerlinge in der Chefetage irgendwie zufriedenzustellen. Nero muss nur mitmachen. Aber er bleibt an Ort und Stelle stehen, völlig desinteressiert.
„Siehst du? Genau das liebe ich an ihr“, schnurrt Green. „Sie blamiert ihn schon wieder, in dem sie die Führung übernimmt und handelt.“
„Ich sehe, was du meinst“, stimmt Red zu. „Gefällt mir.“
„Mir reicht‘s, letzte Chance 16.“ Blue‘s Stimmung hat deutlich hörbar den Tiefpunkt erreicht.
Statt zu antworten, verharrt Nero regungslos in seiner Position. Vielleicht ist er auch einfach zu stolz, um den Anweisungen von Blue Folge zu leisten und geht lieber mit hoch erhobenem Kopf unter, als klein beizugeben. Am liebsten würde ich ihn wach rütteln, doch ich bekomme erst gar keine Gelegenheit dazu. Hinter mir gehen die Lifttüren auf und ein Mann taucht dahinter auf. Er ist riesig. Breit und trägt über seinem Kopf eine Sturmhaube, was ihn wie einen Einbrecher oder einen Wrestler aussehen lässt. Wobei das Outfit eher zu einem Wrestler als zu einem Einbrecher passt. Enges Tanktop, dass die Muskeln betont, enge Lederhose, das was ganz anderes betont und die Größe davon lässt mich schlagartig nach Luft schnappen. Ist der Kerl da etwa Blue? Instinktiv weiche ich von ihm zurück und werfe einen hilfesuchenden Blick zu Nero, der noch immer desinteressiert und gelangweilt an Ort und Stelle Gras ansetzt.
Als der Mann auch noch ein Messer aus seinem Stiefel herausholt, sind alle Zweifel weggefegt. Die Chefetage macht jetzt ernst. Verdammt ernst. Entweder Nero gehorcht oder das Messer landet in einem von uns beiden.
„16, jetzt fick die verdammte Schlampe oder ich.., ach weißt du was? Lass dich einfach überraschen, ist mir scheissegal“, zischt Blue durch die Lautsprecherboxen. Das heißt, wer auch immer der Hüne mit uns im Raum ist, er ist weder Blue, Red noch Green, sondern nur der Vollstrecker der Konsequenzen. Womöglich ein anderer Meister, oder so einer wie Will.
Nero lässt es natürlich drauf ankommen und macht keinen Wank, als der Hüne auf mich zu stürmt und mich an der Schulter packt. Ich bin so paralysiert von seiner massiven Gestalt und der Gewalt, dass ich ihn einfach nur entsetzt anstarre. Ich könnte ihn treten, um mich schlagen, schreien. Aber der Schrei bleibt mir in der Kehle stecken. Meine Arme baumeln an mir herunter und meine Beine? Meine Beine sind pampig wie Pudding. Der Mann schneidet mit vier gezielten Schnitten den pinken Stoff von Will’s Geschenk durch und reißt mir die pinke Abscheulichkeit vom Leib. Völlig entblößt und ohne Tuga an meiner Seite weiß ich nicht, wie ich mich aus der Situation alleine befreien könnte. Was ich tun kann. Was ich tun soll. Es geschehen lassen?!
„Bitte…“, flehe ich, obwohl ich weiß, dass Flehen nichts bringt. Prompt holt der Mann mit seiner Linken aus und pfeffert mir eine. Mein Kopf schießt zur Seite. Der Schmerz flammt auf meiner rechten Gesichtshälfte auf und Tränen preschen sich aus meinen Augen. Der Schlag kam so unerwartet, dass ich mir auf die Zunge gebissen habe und nun Blut in meinem Mund schmecke. Direkt folgt ein weiterer Schlag. Trifft dieselbe Stelle. Jetzt löst sich endlich ein Schrei. Kommt aus mir heraus. Er ist schrill und erbärmlich. Genauso erbärmlich wie ich mich fühle. Ich bin komplett wehrlos und würde mich der Mann nicht festhalten, würde ich auf den Boden fallen. Mein Blick schnellt zu Nero, der gelangweilt die Szenerie beobachtet. In seinem Gesicht herrscht die absolute Gleichgültigkeit.
Als der Mann ein drittes Mal ausholen will, schaltet sich Blue dazwischen. „Stop. Leg sie auf den Tisch und fick sie einfach in den Arsch. Mal sehen, wie ihm das schmeckt.“
Der Mann tut wie ihm geheissen und schleift mich an den Haaren hinter sich her. Nimmt keine Rücksicht darauf, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann und als wir beim Tisch ankommen, drückt er meinen Oberkörper wie befohlen grob auf die Tischplatte und positioniert sich bereitwillig hinter mich. Ich weiß, dass dieser Kerl nicht zögern wird. Ich weiß, dass er es tun wird. Und in diesem Moment der puren Verzweiflung höre ich Johannas Stimme in meinem Kopf. „Tue etwas, was sie nicht erwarten.“ Nur was? Schnell Rika, schnell. Tu etwas. Einfach Irgendetwas. Bevor es zu spät ist.
„Jetzt muss er es tun, weil du es nicht kannst?“, brülle ich Nero an aus voller Kehle an. In meiner Stimme schwingt so viel Wut mit. Wut auf mich selbst, auf Nero, auf die ganze Situation. Sogar auf meine Mutter, die nichts von all dem weiss. Und ich fühle ich mich schrecklich. Hundeelend. Ganz besonders als ich Blues Lachen aus den Lautsprecherboxen höre und Nero sehe, der plötzlich ganz und gar nicht mehr gelangweilt wirkt. Sondern wütend. So richtig wütend.
Du hast wirklich Power, Erika“, lobt mich Blue. „Was ist das zwischen euch?“
Der Kerl hinter mir lässt sich davon aber nicht stören oder aufhalten. Ich spüre, wie sich etwas Warmes und Dickes zwischen meine Pobacken drängen will. Ich will das nicht. Ich will das nicht. Ich will mich wehren, aber der Mann verlagert sein ganzes Gewicht auf meinen Rücken und fixiert mich auf dem Tisch. Macht mich komplett kampfunfähig.
„Nichts“, erwidert Nero giftig mit etwas Verzögerung auf Blues Frage. Dieser fängt wieder an zu lachen.
„Nichts also.“
„Nichts, verdammte Scheisse“, knurrt Nero jetzt völlig geladen. Ich höre seine Stiefel über den Boden donnern. An an mir vorbei. Und auch vorbei an dem Kerl hinter mir und auf den Lift zu. Ist das sein ernst? Will der Alpha wieder abhauen? Flüchten, so wie er es immer tut? Offenbar, denn seine Fäuste hämmern mit voller Kraft gegen die Lifttüren.
„Lasst mich raus. Ich bin fertig hier.“
„Wir bestimmen, wann du fertig hier bist“, antwortet Red gelassen. Blue und Green lachen. Der Hüne hinter mir verringert den Druck. Besser gesagt, ich bekomme mehr Freiraum und Im ersten Moment bin ich überrascht, beinahe hoffnungsvoll, doch dann bemerke ich den Grund dafür. Nero hat ihn von hinten gepackt und in den Schwitzkasten genommen. Hält dem Mann das eigenes Messer an den Hals.
„Ich mache ihn kalt“, droht der Alpha und zerrt den Mann, als würde er nichts wiegen, mit sich Richtung Lift und weg von mir. Ich ergreife die Gelegenheit und sinke zitternd in die Knie. Krabble unter den Tisch. In Sicherheit und weg von den sehenden Augen der Kameras.
„Nun überzeugt?“, flötet Green fröhlich durch die Lautsprecherboxen. Ich starre Nero an, der den doppelt so breiten und gleich großen Mann mühelos unter Kontrolle behält, obwohl der Mann versucht sich mit allen Mitteln freizukämpfen, aber er erreicht nicht mehr, als sich dabei selbst an dem Messer verletzen und sich den Hals an dem Messer aufzuschlitzen.
„Oh ja. Ich will sie. Ich will diese Frau in unseren Reihen haben. Nimm sie als Lehrling, 16 und wir sind quitt“, bietet Blue an. „Zumindest vorerst.“
„Nein“, erwidert Nero, ändert seine Strategie und benutzt den Kopf des Vollstreckers nun als Rammbock. Ungläubig beobachte ich das Spektakel und kann nicht glauben, dass Nero so aus seiner Haut fahren kann, wenn man ihn genug lange provoziert.
Entweder du machst, was wir von dir fordern oder wir bringen dich dazu.“ Red‘s Stimme klingt selbst durch den Stimmenverzerrer total selbstgefällig. Nero denkt nicht einmal daran, sich zu fügen. Unbeirrt knallt er den Kopf des mittlerweile ziemlich mitgenommenen Mannes gegen die Lifttüren, solange bis die Chefetage ihre letzte Trumpfkarte ausspielt. Lautes Hundejaulen dringt durch die Lautsprecherboxen. Schlagartig hält der Alpha inne und lässt den Mann wie ein Sack Kartoffeln auf den Boden plumpsen.
Wir beide erkennen das Jaulen. Es ist einzigartig und schrill. Es ist das von Drae, was soviel bedeutet, dass die Chefetage irgendwie an die Hündin rangekommen sein muss. Und wenn sie Drae haben, dann haben sie vielleicht auch Johanna. Doch wie? Die Chefetage muss irgendwie an den vier Rüden vorbeigekommen sein, die vor der Tür Wache gehalten haben. Nero ist das bewusst, mir ist das bewusst und viel mehr brauchen diese Widerlinge aus der Chefetage nicht mehr, um den total außer Kontrolle geratenen Alpha wieder unter Kontrolle zu bringen und zu bändigen.