Kittykat671 - 6
(Nagetier / entwischen)
“Ich wäre jedenfalls für die Schlampe nicht in die Knie gegangen.” Charon reckt das Kinn und befördert mit ein bisschen hin- und herziehen den Wurfspeer aus Naomis Kopf.
“Hat dir aber wohl den Arsch gerettet. Naja das, mein Speer und wahrscheinlich der Schandfleck auf deiner Brust”, provoziert er weiter und als Höhepunkt befummelt er mit einem seiner wurstigen Finger meine Narbe. Das reicht. Die Grenze ist überschritten. Ich umfasse Charons Handgelenk und kugle ihm mit einem geübten Griff die Schulter aus. Es dauert einen kurzen Moment, bis der Schmerz einsetzt und Charon anfängt lauthals zu fluchen.
“Du verdammter Hurensohn! Fuck. Scheisse. Verdammte Scheisse!”
“Wag es nie wieder, mich anzufassen”, drohe ich und lasse ihn los, dann schlurfe ich mit der Anmut einer überfahrenen Katze ins Freie und zünde mir eine Kippe an. Darwin taucht nach ein paar Minuten neben mir auf.
“Hab sie ihm wieder eingekugelt”, verkündet er, mopst die Zigarette und nimmt einen Zug bevor er sie unter seinen Turnschuhen zermalmt.
“Ich soll dir sagen, dass er dir das nicht übel nimmt, du aber trotzdem ein Vollidiot bist.”
“Nett.”
Zu zweit machen wir uns auf den Weg zu Tür 32. Darwins Reich. Anders als ich, der eher spartanisch eingerichtet ist, legt Darwin Wert auf ein Ambiente, abgestimmt auf sein Angebot. Prunkvolle antike Schränke und Vitrinen in der Farbe schwarz umrahmen die rotgestrichnenen Wände. Diverse Kerzenständer und Kerzenhalter dienen als Lichtquelle. Links befindet sich ein riesiges Himmelbett mit samtigen Vorhängen, rechts die ganzen BDSM-Utensilien und Gerätschaften. Mittig laden vier rote Ledersofas zum Verweilen ein und neben der Tür, die zu Küche und Bad führt, ragen Gitterstäbe aus dem Boden in die Decke, die in einem Halbkreis einen Käfig in der Größe XXL bilden. Für gewöhnlich sitzt Zeus darin, aber da Zeus von Extravaganza heute Abend ein One-Way-Ticket direkt in die Hölle spendiert bekommen hat ist der Käfig natürlich leer. Kaum haben wir Darwins ‘Gruft’ betreten, kommt uns auch schon Kiki entgegen. Darwins Hausratte. Es werden Küsschen ausgetauscht und weil mir das eine Spur zu kitschig ist, steuere ich eines der roten Ledersofas an. Ich lasse mich davor nieder, um es nicht unnötig voll zu bluten, aber dennoch eine Stütze im Rücken zu haben. Unweigerlich muss ich an das letzte Mal denken, als ich blutend vor diesem Sofa gekauert habe und kurz davor war zu krepieren. Scheint fast so, als würde sich dieses Sofa als mein neuer morbider Stammplatz herauskristallisieren.
“Du denkst an sie, oder?” Darwins Gesicht taucht vor meinem auf. Er hält eine Flasche Vodka in der linken und Nadel und Faden in der rechten Hand. Gierig greife ich nach dem Alkohol und nehme einen großzügigen Schluck. Das Zeug brennt so sehr in der Kehle, dass ich mir sicher bin, dass in dieser Flasche definitiv nicht das drin ist, was das Etikett verspricht. Aber brennen ist gut. Hauptsache das Gebräu betäubt den Schmerz oder meinen Kopf. Oder am Besten beides.
“An wen?”, frage ich und höre mich kratziger an, als erwartet. Darwin schüttelt resigniert mit dem Kopf und erinnert mich dabei ein bisschen an Susan, die bestimmt bereits über alle Berge entwischt ist. Die Flasche wandert zurück zu ihrem Besitzer, dieser schüttet erbarmungslos einen Teil des Inhalts über Nadel und Faden und zu guter Letzt über meine Wunde. Der Schmerz frisst sich wie Säure in mein Fleisch, was mehr als unangenehm ist. Ich spiele mit dem Gedanken, Darwin die verdammte Flasche über den Kopf zu ziehen, mahne mich jedoch zur Vernunft. Als der Schmerz gerade dabei ist ab zu ebben, zieht Darwin sein Oberteil aus und stopft mir den Ärmel davon unsanft in den Mund.
“Draufbeissen”, befiehlt er. Ich werfe ihm einen Todesblick zu, auch wenn ich weiss, dass er es nur gut meint, trotzdem ist der Lumpen absolut nicht nötig. Ohne Umschweife fängt er an zu nähen. Schnell und geübt. Weil es mehr weh tut, als es eigentlich sollte, liegt die Vermutung nahe, dass die Entzündung bereits vorangeschritten sein muss. Entweder das oder ich bin plötzlich zu den Weicheiern übergesiedelt und eigentlich ist meine Toleranz, was Schmerz angeht, ziemlich hoch.
“Du brauchst dringend Antibiotika”, bestätigt Darwin meine Vermutung und schüttet erneut ein bisschen Fake-Vodka über den Schnitt.
“Zufälligerweise habe ich immer eine Packung auf Vorrat.”
Ein Lächeln schleicht sich auf Darwins Mundwinkel und irgendetwas sagt mir, wäre er nicht im Etablissement gestrandet hätte der Kerl eine verdammt gute Krankenschwester abgegeben.
Ein paar letzte Stiche und die ‘Tortur’ ist vorerst überstanden. Ich kippe den Rest des widerlichen ‘Vodkas’ hinunter und begrüsse die Hitze, die von innen nach außen strahlt und sich wie ein Mäntelchen um mich legt.