Kittykat671 - 25

Kittykat671 13. Juni 2022

Buddy / naked

Erst lügt mich dieses Mädchen pausenlos an und jetzt lässt sie mich einfach so mir nichts dir nichts in ihrem Privatleben stöbern. Bittet mich sogar darum und wieder einmal frage ich mich, was mit diesem Mädchen nicht stimmt. Nun ist es amtlich. Irgendetwas muss bei ihr dort oben im Kopf tatsächlich nicht ganz richtig gehen, anders kann ich mir dieses Verhalten nicht erklären. Außerdem geht es mir gegen den Strich, dass ich wirklich in Erwägung ziehe, ihrer Bitte Folge zu leisten und dass mein Hinterteil tatsächlich wenig später entgegen aller Erwartungen mit Edgars gepolsterten Thron schmust. Zugegeben der Stuhl ist verdammt komfortabel, aber auf dem selben Sitzleder zu sitzen wie Edgar, der Wurm, und es auch noch zu genießen ist ein totales Versagen meinerseits und inakzeptabel, selbst wenn mein Ego seit geraumer Zeit einen auf Friedhof macht. Erst will ich Susans Facebook Account den Rücken zukehren und mich vom Acker machen, doch dann erwische ich mich, wie ich mir die erste Nachricht reinziehe und dann direkt Susans Antwort darauf und mit jeder weiteren Nachricht verabschiedet sich meine Kinnlade auf die Höhe meines Egos und meiner Laune und driftet irgendwann so weit ab, dass mir der Mund bis zur Hölle hinunter offen steht und mir vermutlich ein paar Dämonen in die Fresse latschen, denn das, was ich dort lese, bringt mich vollends zur Weißglut.

Extravaganza: Der wirkliche Grund, weshalb ich dich angeschrieben habe, ist der, dass ich weiss, wo sich deine Schwester befindet und wie wir sie daraus holen können.

Susan: Du weisst, wo Johanna ist?!

Extravaganza: Ich weiss, wo sie ist, aber ich brauche deine Hilfe, um sie zu retten.

Susan: Was muss ich tun? Wo ist sie? Und bitte, sag mir, dass du nicht einer von denen bist, die mir nur schreiben, um sich daran aufzugeilen. Das könnte ich nicht verkraften. Nicht schon wieder. Bitte sag mir, dass das zwischen uns echt ist und du mich nicht nur verarscht hast.

Extravaganza: Nein, Sue. Ich meine es ernst. Mir war es wichtig, dass wir uns zuerst ein bisschen kennenlernen, damit du mir vertraust, denn das, was ich dir jetzt sagen werde, wird nicht leicht für dich werden. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass ich mich in dich verlieben würde, umso schwerer ist es für mich, dich mit der Wahrheit zu konfrontieren. Aber es muss sein. Wir müssen Johanna retten. Es kann nicht mehr warten. Der Zeitpunkt ist gekommen.

Susan: Du machst mir Angst….

Extravaganza: Deine Angst ist berechtigt. Deine Schwester befindet sich an einem Ort, der sich das Etablissement nennt und bei einem Mann, der den Namen Fynn Trachtenberg trägt. Du darfst diese beiden Namen nicht googlen, meine Süsse. Das ist gefährlich. Die Menschen dort sind gefährlich und wir müssen genauso vorgehen, wie ich es geplant habe, damit wir eine Chance haben, Johanna heil dort rauszubekommen.

Susan: Was ist denn dieses Etablissement?

Extravaganza: Ein Menschenhändlerring und dieser Fynn Trachtenberg ist einer ihrer Zuhälter.

Menschenhändlerring? Zuhälter? Ist das sein verfluchter Scheiss-Ernst?!

Susan: Oh nein! :-( Bitte sag mir, dass du mich gerade anlügst. Bitte.

Extravaganza: Nein, Süße, das würde ich niemals wagen. Dafür bist du mir viel zu wichtig. Du musst jetzt stark sein. Für deine Schwester. Wir können sie da rausholen. Du musst mir einfach vertrauen. Und damit du mir glaubst, wirst du dir ein paar Videos ansehen müssen und bereit dafür sein, dich in die Höhle des Löwens zu begeben. Dir wird nichts passieren, das verspreche ich dir und dafür werde ich sorgen. Bist du bereit dafür? Vertraust du mir?

Susan: Ja. Ja. Ich vertraue dir!

Und da kommen sie. Videoausschnitte aus meinen Livestreams mit Johanna. Und jedes Einzelne davon hat sich Susan angesehen. Ich scrolle fluchend weiter runter und verstehe nun auch, warum das vermeintlich schüchterne Reh dem Hurensohn Aufnahmen von sich völlig entblösst geschickt hat sowie ein Video, in dem sich die Kleine anfasst, was ich mir aber nicht bis zum Ende ansehe, weil es traurig ist, wie der Mistkerl das Mädchen dazu gebracht hat, überhaupt sich bei sowas zu filmen. Bla bla, es wäre notwendig, weil er mich mit diesen Videos und Aufnahmen angeblich auf sie heiß machen und mein Interesse an ihr wecken will. Was für ein absoluter Schwachsinn ist das eigentlich? Als ob er sie auf mich heiß machen müsste. So läuft das im Etablissement nicht. So läuft das bei mir nicht. Der Wichser hat Susan einfach nur verarscht, mit ihr gespielt, sie mithilfe von Lenny zu mir verfrachtet und macht dann auch noch einen auf heiliger Samariter. Von wegen es wird dir nichts passieren, solange ich über dich wache, Süße, bla, bla. Und das Aller Beste vom Besten:

Extravaganza: Ich werde Zweihunderttausend Euro dafür bezahlen, dass er sich nicht an dir vergehen wird. Du gehörst mir. Wir gehören zusammen. Ich will nicht, dass dich ein anderer anfasst. Aber es ist notwendig, dass du dort bist, anders bekommen wir Johanna nicht da raus. Verstehst du das, Süße? Ich muss dich leider dorthin schicken. Anders geht es nicht.

Und egal wie weit und intensiv ich durch die Nachrichten scrolle, ich finde zum verfickten Teufel nochmal nicht heraus, wie er denn Johanna aus meinen Klauen befreien wollte. Da steht nur immer wieder, wir holen sie da raus, zusammen, bla bla und wenn du erstmal drin bist, kümmere ich mich um alles, bla bla. Das ist für den Hurensohn von Wichser einfach nur ein abgefucktes Spiel gewesen, auf das er sich gepflegt von seinem Rechner aus einen runtergeholt hat. Er spielt mit dem Mädchen, mit mir, mit dem Etablissement und Johanna hat ihn vermutlich kein Stück interessiert. Der Wichser hat einen Gottkomplex und wir alle fressen ihm wie die Schweine aus der Hand, weil wir uns lenken lassen wie hirnlose Schachfiguren und als wäre das nicht schon erbärmlich genug, hätte mich das Dreckschwein auch noch beinahe mit Johanna und Susan Schachmatt gesetzt. Jetzt ist Endzeit. Bevor ich abtrete, bringe ich ihn um. Und ich bringe meinen Puma um. Die Zwei müssen sterben, ehe ich von irgendeiner Brücke springe.

Zurück im Gästezimmer finde ich das Reh auf dem Bett sitzend vor. Immer noch in ihrem Schulmädchen Outfit, bloß der tragische Gesichtsausdruck passt nicht so ganz zur sexy Aufmachung. Ich lasse mich neben ihr aufs Bett fallen und schaue zu ihr rüber. Ihr Blick trifft auf meinen und keine Ahnung, ob ich's mir nur einbilde, wie so vieles, aber irgendetwas ist da zwischen uns. Und wenn's nur ein gemeinsamer Feind ist.

“Du weisst, dass der Typ dich verarscht hat, oder?”, frage ich Susan und sie nickt. Wackeldackel-Susan.
“Hm”, sage ich und fühle mich unwohl in meiner Rolle, als der Typ, der die Schwester dieses Mädchens gefickt hat und von dieser abgestochen worden ist. Wäre einfacher einfach nur irgendein Typ zu sein. Es ist nicht so, als dass ich mich für das, was ich getan habe, schämen würde - es ist eher so, dass ich es in diesem Moment schlichtweg bereue und diese Erkenntnis ist wie einen endlosen Strom an Galle schlucken zu müssen und nicht wieder ausspucken zu können. Es brennt dir die Kehle weg und schwillt dir den Hals zu - und der Magen, der tanzt dabei irgendeinen sehr leidenschaftlichen, orientalischen Tanz und macht gleichzeitig auf Waschmaschine, bloss statt Wäsche werden Organe gewaschen.
Ich würde jetzt gerne so etwas sagen wie “Du hättest mit mir reden können”, aber dass man mit mir nicht gut reden kann, weiss ich selbst. Geschweige denn hätte ich dieses Mädchen niemals ernst genommen und sie vermutlich einfach ausgelacht, wäre sie mit sowas gleich bei ihrer Ankunft bei mir angekommen. Vielleicht musste sie wirklich den richtigen Zeitpunkt abwarten, um mit der beschissenen Wahrheit heraus zu rücken. Bullshit. Das alles ist Bullshit.

“Und wann ist dir klar geworden, dass die Topffrisur dich verarscht hat?”, bohre ich nach. Das Reh zieht die Beine an und schlingt die Arme um ihre Knie.
“In der Dusche, als du vor mir zusammengebrochen bist. Du hast da Dinge gesagt, die..”
“Was habe ich gesagt?”, unterbreche ich das Mädchen schroff und merke, wie mein Magen bereits den Waschgang für Kochwäsche einlegt.

Susan’s grüne Augen taxieren mich und als sich ihre Lippen teilen, weiss ich, dass es mit meinem Ego gleich noch mehr als ohnehin vorbei sein und es in seinem Grab eine Etage tiefer gesetzt wird.
“Du hast gesagt, dass es dir leid tut. Dass du es nie wieder tun wirst. Du hast mich angebettelt, dich nicht abzustechen und du hast mich für meine Schwester gehalten. Da wusste ich es, dass er mich verarscht und nicht ganz die Wahrheit gesagt hat.”

“Warum?”

Susan seufzt leise und legt ihren Kopf auf ihren Armen ab. “Weil man sowas wie es tut mir leid oder ich werde es nie wieder tun, nur zu jemanden sagt, der einem etwas bedeutet und einem nicht egal ist.“

Wie bitte, was? Ist das ein schlechter Scherz? Habe ich gerade etwas verpasst oder einfach nur die Hälfte der Diskussion verschlafen? Ich mustere das Reh, runzle die Stirn und weiß jetzt schon, dass ich meine nächste Frage garantiert bereuen werde. „Wie zum Teufel meinst du das?“

Das Reh schielt zu mir herüber. „Papa hat sich bei meiner Schwester auch immer entschuldigt und gesagt, dass es ihm leid tut und der Ausdruck in deinem Gesicht war der gleiche wie seiner damals.“

„Und wofür hat er sich entschuldigt?“, hake ich mit einer gewissen Skepsis im Nacken sitzend nach und habe absolut keinen Schimmer, welchen Bären mir das Reh nun wieder aufbinden möchte. Entweder sie spinnt wieder eine ihrer vielen Lügen zusammen oder mindestens ein Elefant steht auf meiner Leitung. Wahrscheinlich ein ganzer Zoo, denn auf das, was gleich folgt, bin ich nicht gewappnet, weil ich Johanna stets für eine Raubkatze und nicht für erbärmliches, kleines Miezekätzchen, das sich nicht wehren kann, gehalten habe.

“Dafür, dass er sie missbraucht hat. Jedes Mal direkt danach hat er sich entschuldigt und gesagt, dass es ihm leid tut“, sagt das Reh leise, aber die Worte schlagen mit so einer Wucht ein, dass es mir beinahe den Teppich unter den Füßen weggezogen hätte, hätte das Reh nach dieser Bombe einfach die Klappe gehalten. Was sie nicht tut. Nein, nicht mein Reh, das plappert weiter und stiehlt den gesagten Worten damit die Würze.

„Und ich habe mir im Vorfeld zur Vorbereitung auf das, was mich alles im Etablissement erwarten könnte, ein paar Dokus angesehen, und naja... Zuhälter verspüren in der Regel keine Reue oder tun so etwas wie zum Beispiel sich unter Tränen bei ihrer Ware zu entschuldigen nicht. Sowas machen die nicht. Das tun nur Menschen, die etwas für einen empfinden. Denen es wirklich leid tut. Wie Papa bei Johanna. Oder wie du bei mir unter der Dusche, als du mich ganz kurz für meine Schwester gehalten hast.“

Dokus. Zuhälter. Lachhaft.

„Bitte was?“, platzt es aus mir heraus und ehe ich mich versehe, ist meine Hand zum Schlag ausgeholt und es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich hätte Susan völlig grundlos eine gedonnert, wäre da nicht irgendein Mechanismus in mir, der mich in letzter Sekunde davon abhält, genau das zu tun. Nun hängt meine Faust in der Luft. Mein Puls rast und Susan sieht mich an, wie ich zuvor sie, nur mit dem Unterschied, dass ihre grünen Rehaugen weit aufgerissen sind, weil sie mit so einer Reaktion von mir genauso wenig gerechnet hat wie ich. Und als meine Faust in der Luft auch noch anfängt zu zittern, sind alle Voraussetzungen für mein Armutszeugnis wieder einmal bestens erfüllt. Fehlt nur noch der Typ, der es mir endlich ausstellt.

„Ich…“, krächze ich und merke gleichzeitig, wie das mit dem regelmäßig Atem nicht mehr so hinhauen will, denn mir fehlt ganz eindeutig ausreichend Sauerstoff in der Lunge, um weiterzusprechen. Oder meine Faust zu lösen. Es ist, als hätte jemand den Sauerstoff-Hahn zugedreht und einen soliden Knoten um meine Kehle gebunden. Da kommt nichts mehr aus mir heraus, aber in mir drin, da ist viel. Und es implodiert. Mal davon abgesehen, dass mich das Reh auf die gleiche Schiene wie ihren widerwärtigen Vater stellt, hat sich dieser widerlicher Hurensohn als Spitze des Eisbergs auch noch erlaubt, sich an einer seiner Töchter zu vergehen. Wie mein beschissener Puma sich an meinem Sohn und ich soll jetzt wirklich im gleichen Becken rumschwimmen wie die beiden? Im gleichen ekelhaften Inzest-Tümpel? Ernsthaft? Ist das ein Witz, über den ich lachen sollte? Und es ausnahmsweise nicht kann, obwohl dieses Dilemma echt lächerlich ist?!

„Normalerweise entschuldige ich mich auch nicht bei meiner Ware“, schreie ich das Reh an und habe wohl meine Stimme wieder gefunden. Das Reh zuckt kurz zusammen, fängt sich aber gleich wieder und kontert mit einem: „Weil Johanna für dich nicht nur Ware war, sondern mehr als das!“

Damit macht sie mich nur noch wütender. Als ob die kleine Neunmalkluge nun alle über einen Kamm scheren kann. Dass ich nicht lache! Zuhälter. Dokus. Fuck, die Kleine denkt wirklich, dass sie nach ein paar lächerlichen Dokus den vollen Überblick hat? Susan hat absolut keine Ahnung vom Milieu. Von dieser Szene. Von abgefuckten Menschen wie mir.

„Selbst wenn es so gewesen wäre, ist es jetzt vorbei! Johanna bedeutet mir nichts. Rein gar nichts mehr. Und es ist mir scheiss egal, wo sie ist oder wer sie alles gefickt hat“, ich lache und schaffe es endlich meine Faust zu lösen. „Und zum allerletzten Mal, ich bin auch nicht scharf darauf, sie jemals wiederzusehen. Johanna und ich, wir sind quitt. Ich habe sie gefickt, sie hat mich gefickt“, ich deute auf meine Narbe und weiß, dass ich gar nicht sauer auf das Reh oder ihren affigen Konter bin, sondern auf etwas ganz anderes. Ich bin sauer auf mich selbst, weil mir klar wird, wie schlimm ich tatsächlich geworden und wie sehr ich abgedriftet bin. Einer, der sich bei seiner Ware für den Bullshit entschuldigt, den er mit ihr anstellt, obwohl es sein beschissener Job ist, genau solche Dinge zu tun und dann, um den ganzen noch das Krönchen der Schande aufzusetzen, wird man verglichen mit Abschaum, der sich an der eigenen Familie vergeht. Scheisse, wie erbärmlich und falsch das ist. Das, was ich getan habe, ist verdammt nochmal nicht auf derselben Stufe der Erbärmlichkeit wie ein Vater oder eine Mutter, die sich an ihren eigenen Kindern vergehen. Das ist Bullshit, das ist der WAHRE Bullshit für den es keine Entschuldigung gibt. Mein Bullshit ist ein ganz anderer Bullshit. Ich bin nicht wie der beschissene Vater dieser beiden Frauen. Ich bin nicht so. Nein. Das ist nicht zu vergleichen. Das kann man nicht miteinander vergleichen. Es gibt absolut keine Parallelen!

„Du weinst, Fynn“, das Reh taucht in meinem Sichtfeld auf und als hätte sie es mit ihrer Aussage verschworen, sehe ich tatsächlich alles nur noch verschwommen.

„Na und? Dann heule ich halt“, knurre ich sie wie ein Pitbull an, aber statt zu zuschnappen, stoße ich das Mädchen von mir weg. Doch das Reh lässt sich nicht so einfach wegschieben. Sie drängt sich mir auf. „Geh verdammt nochmal von mir runter oder ich bringe dich um“, drohe ich ihr und meine es todernst, aber das Mädchen bleibt unbeirrt auf meinem Schoß sitzen, spielt mit ihrem Leben und werkelt dabei mit ihren Händen in meinem Gesicht rum. Jeder Zentimeter meines Körpers bebt vor Wut und es würde mich nicht überraschen, wenn gleich überall meine Organe in der Luft herumfliegen und Edgar, der hässliche Versager, später meine blutigen Überreste mit seinem heißgeliebten Staubsauger wegmachen muss. Ich kann mir das zufriedene Grinsen in seinem Gesicht lebhaft vorstellen, wenn er meinen Eingeweiden an den Kragen gehen kann und wahrscheinlich geht ihm dabei sogar einer ab.

„Warum ist es für dich so verdammt schwer zuzugeben, dass du Gefühle hier drin hast?“, missinterpretiert Susan die Lage und tippt mit ihren kleinen Händen auf meiner ekelhaften Narbe herum. Ihr Gesicht sieht dabei durch meine tränenden Augen aus wie ein verlaufenes Aquarellgemälde. Eine Fratze und irgendwo in diesem hautfarbenem Gemisch finde ich den roten Disneymund. Ich küsse ihn. Presse meine Lippen auf diesen unschuldigen Mund einer unberührten Prinzessin, die keiner bisher gefickt hat und habe die Nase voll von Zurückhaltung und Anstand. Mitleid. Erbarmen. Und davon im gleichen Tümpel herum zu schwimmen wie die Monster, die sich für ihre Taten entschuldigen und so tun, als würde ihnen das, was sie getan haben, auch nur ansatzweise irgendwie leid tun. Tut es nicht. Tut es nie. Und mir wird es auch nicht leid tun. Mir wird es nie wieder leid tun. Es ist nicht so, als hätte mein Schwanz nun Bock auf die Nummer hier, die sich in meinem Kopf zu einem Plan manifestiert, also greife ich auf andere Mittel zurück. Ich bin ein Mann aus dem Etablissement. Ich brauche meinen Schwanz nicht, um ein Mädchen kaputt zu machen und eine gute Show hinzulegen. Alles, was ich brauche, ist ein williges oder unwilliges Stück Fleisch und das sitzt auf mir und denkt, ich ziehe nochmals die Softynummer mit ihr ab. Von wegen. Gefühle. Susan will Gefühle sehen. Bekommt sie. All meine Gefühle auf einen Haufen, den ich auf ihr platzieren werde und sie wird unter der Scheisse ersticken, die ich ihr antun werde.

Ich beende den Kuss und schaue das Mädchen an. Da ist irgendwo ein Lächeln auf meinen Lippen. Eins dieser Sorte, dass Mädchen bei mir nie so richtig deuten können und auch Susan sieht verwirrt aus. Ihr Atem geht schnell. Die Wangen sind gerötet.

„Sag mal, Kleine. Hast du den Mund deines Daddys auch so geküsst, nachdem er fiesen Bullshit mit deiner Schwester angestellt hat? Und hast du ihn dann genauso verträumt angesehen, wie du jetzt mich ansiehst? Oder bin ich eine Ausnahme? Hm?“, frage ich und wische mir zeitgleich mit dem Handrücken die beschissenen Tränen aus den Augen.

„Fynn“, sagt sie und ich sehe ihr an, wie sie bei sich selbst versucht zurückzuhalten, was ich mir gerade aus dem Gesicht gewischt habe. Und da beben die schönen Disneylippen vor Empörung, vibrieren verführerisch wie ein Sexspielzeug.

„Warum hat er dich eigentlich nie gefickt, Susan? Hm? Warum hat dich dein Daddy nie gefickt?“, schiebe ich hinterher und streichle mit meiner Hand sanft, ach so sanft, über die roten, süßen Honigbäckchen. „Schon mal darüber nachgedacht, warum er dich nicht nehmen wollte, Susan? Bist du Daddys kleine Prinzessin? Daddys Liebling? Etwas, was man nicht kaputt machen darf?“

Susans Wangen blähen sich plötzlich empört auf und ihre Disneylippen kräuseln sich. Oho! Gefährlich! Nun habe ich die kleine Prinzessin sauer gemacht. Wie böse von mir. Ich unsagbarer Unhold!

„Er ist in Therapie. Er hat sich gebessert. Er arbeitet kontinuierlich an sich“, pfeffert mir das Reh entgegen, doch bevor noch mehr von dem Bullshit aus ihrem Disneymund kommen kann, verschließe ich ihn mit meinem. Küsse sie wieder, auch wenn sie den Kuss nicht erwidert und sich mir entziehen will. Therapie, dass ich nicht lache. Ha. Ha. Haha.
„Na, na, na, Daddy braucht das jetzt, Kleine. Komm schon, hab deinen Daddy ein bisschen lieb, Daddy hatte echt einen Scheisstag“, säusle ich und halte das Mädchen an ihren Handgelenken fest. Sie windet sich auf mir wie eine kleine Rodeoreiterin bei dem Versuch sich zu befreien und würde der Hass nicht unter meiner Haut wie kochend heisses Blut zirkulieren, hätte mich das vielleicht angemacht.
„Oh ja, komm, reib deinen sexy Babypo auf mir, oh ja, das gefällt deinem Daddy“, sporne ich sie weiter an und siehe da, ihre Bemühungen werden mehr. Und ich gebe ihr mehr, wogegen sie sich wehren kann - denn die beschissene Scheiss Nummer hier, habe ich einstudiert. Ist sozusagen ein Klassiker.
„Daddy will in dein kleines hübsches Löchlein da unten und dich ganz doll lieb haben“, schnurre ich und packe dafür extra meine tiefe Dirtytalk Stimme aus. „Hör auf!“, flennt Susan, der meine Gefühle wohl allmählich zu viel werden. Ich lache innerlich, während ich äußerlich nur ein wohliges Stöhnen von mir gebe. „Fynn, bitte hör auf damit“, fleht sie und will zum gefühlt hundertsten Mal von mir herunter rutschen, obwohl ich sie nicht lasse. Ich verfrachte ihre Handgelenke in eine Hand, die zittert als wäre Zittern eine olympische Disziplin und als wollte sie darin Gold abstauben. Egal. Zittern hin oder her, ich habe deutlich mehr Kraft, als das zierliche Reh und das merkt sie auch.

„Und, wo hast du gestanden, als dein Daddy sowas hier mit deiner Schwester gemacht hat, die du so unbedingt wiederfinden willst? Hm? Dort drüben?“, frage ich und deute mit meinem Kinn Richtung Tür, die…. im gleichen Moment aufschwingt. Fuck. Ich lasse Susan so schnell los, dass das Mädchen das Gleichgewicht verliert und nach hinten wegkippt. Und auch mein Puma wäre fast umgekippt, als ihre Smokey-Eyes erfassen, was sich gerade auf dem Bett des Gästezimmers abspielt. Susan total verheult halb auf mir, halb auf der Matratze. Ich ebenso verheult irgendwo in der Horizontalen.

Erst liegt mir ein „Ich kann das erklären“ auf den Lippen, doch dann fällt mir ein, dass ich hier rein gar nichts erklären muss. Also lache ich stattdessen und komme nicht darauf klar, dass mein Puma dort drüben in ihrem Morgenmantel steht und mich so ansieht, als hätte ich etwas wirklich Schlimmes und Unverzeihliches getan.

„Ich wollte nicht reinplatzen“, platzt es nach etlichen Minuten des Glotzens und Realisierens aus der Frau heraus. Doch, genau das wolltest du, Puma. Sonst hättest du brav angeklopft und darauf gewartet, dass man dich herein bittet. Wie ein normaler Mensch. Aber du bist kein normaler Mensch. Du bist ein Puma. Eine Raubkatze.

„Ach das macht doch nichts“, sagt Susan unerwartet ruhig und in einem so freundlichen Tonfall, dass sie für diese Darbietung doch gleich einen Oscar verdient hätte. Das Mädchen setzt sich auf der Matratze auf und richtet sich ihren Pferdeschwanz, als wäre hübsch und ordentlich auszusehen jetzt das Wichtigste auf der Welt. Dann lächelt sie erst den Puma an und dann mich, als wäre nie was zwischen uns passiert. Einzig alleine ihre Finger verraten sie ein wenig, die nestlen nämlich nervös an ihrer Bluse herum und sehen dabei so verkrampft aus, als hätte das Mädchen gerade einen Schlaganfall.

„Ist alles in Ordnung bei euch?, erkundigt sich mein Puma scheinheilig besorgt und zieht dabei ihren Morgenmantel straffer um ihren kurvigen Körper, damit ihre vollen Brüste noch besser zur Geltung kommen.
„Ja klar, wir haben nur…“, erklärt mein Reh stockend und lächelt mich wieder an. Dann meinen Puma. „Tut mir leid, ich wollte mich nicht einfach ungefragt hier einquartieren.“

Mein Puma wirkt sichtlich erstaunt. Die Smokey-Eyes werden groß, der violette Mund sackt ein bisschen nach unten. Doch ehe ich mich versehe, finde ich das gleiche Lächeln nun auch auf dem Gesicht meines Pumas wieder, als wäre sie ebenfalls scharf darauf, sich einen dieser heiß begehrten Oscars für steile Nummern mit falschen Schlangen zu verdienen. Nah dran, Puma, nah dran. Aber der Königin, nein warte, korrigiere, der Prinzessin der Lügerei kannst du einfach nicht das Wasser reichen.

„Ach das macht doch nichts. Du kannst gerne bleiben“, mein Puma winkt ab und zieht die Mundwinkel noch eine Spur höher. „Ich wollte euch eigentlich nur bitten etwas Schönes anzuziehen und mitzukommen. Ich habe eine kleine Überraschung für Fynn vorbereitet, über die er sich garantiert freuen wird.“

Garantiert.

„Witzig, ich habe gar keine Sirenen gehört“, blaffe ich und lache wieder los. Mein Puma verdreht theatralisch die Augen und lächelt dabei ihr Lächeln unverblümt weiter. „Du Witzbold!“, erwidert sie und tut so, als hätte ich einen Witz gerissen, doch eigentlich habe ich das todernst gemeint und das weiß sie auch. Ist ihr aber egal. Ihr Blick huscht von mir zu meinem Reh. „Meine Hübsche, magst du dir vielleicht ein paar Klamotten von mir leihen? Draußen schüttet es in Strömen und es ist furchtbar kalt.“

Ich will gerade sagen, dass wir nirgendwo hingehen, da ist Susan schon vom Bett aufgesprungen. Hat es wohl kaum abwarten können, endlich von mir wegzukommen. Und ich kann es ihr nicht einmal verübeln.
„Ja, gerne!“, das Reh dackelt voller Elan auf meinen Puma zu und zieht dabei ihr Miniröckchen, das hochgerutscht ist, wieder etwas herunter. „Aber nur wenn es keine Umstände macht“, fügt sie hinzu, als sie ihr Ziel erreicht und lächelt mich dann aus der Ferne an, ehe sie wieder meinen Puma anlächelt. Offenbar bin ich nun endgültig im Irrenhaus angekommen.

„Fynn? Für dich liegen ein paar neue Klamotten im Bad. Wärst du so lieb und ziehst die an? Ja?“, bittet mich mein Puma. „Und kommst dann nach unten? Wir fahren in zehn Minuten los.“

Ui, ein Ausflug. Wie toll.

Bei den neuen Klamotten handelt es sich um eine Jeans sowie einen Pullover. Dazu Sneakers und ein paar neue Socken. Farblich alles in verschiedenen Grautönen gehalten, herrlich abgestimmt auf meine Laune, die kontinuierlich von Hölle Richtung Magma Erdkern driftet und den maximalen Tiefpunkt erreicht hat, als wir zu dritt - Puma, Reh und ich - vor dem Ort parken, an dem meine Misere damals seinen Anfang gefunden hat. Das Kinderheim, in dem ich aufgewachsen bin. Unverändert hässlich und genauso grau wie mein neues Outfit.
Auch das Reh wurde von meinem Puma in ein paar neue Klamotten gesteckt, weshalb sie nun kein Schulmädchen mehr ist, und auch kein Reh, nein, sondern ein Mauerblümchen oder besser gesagt ein graues Mäuschen. Pullover grau. Leggins grau und sogar Stiefel in einem etwas dunkleren Grau. Die Haare, immer noch braun, zu einem unordentlichen Dutt auf dem Kopf frisiert. Mein Puma hingegen sticht mit ihrem korallfarbenem Kleid und den dazu passenden Stiefeletten aus der grauen Masse heraus. Böse Zungen würden behaupten, das wäre Absicht von ihr, doch eigentlich ist es mir egal. Ob Absicht oder nicht. Sie könnte sich ein Plakat umhängen, mit Leuchtbuchstaben versehen und doch liegt meine Aufmerksamkeit auf diesem grauen Kasten, in dem aus Kindern die Kindheit heraus gequetscht wird. Was für eine Überraschung, ich könnte vor Begeisterung applaudieren, wäre mir nicht mehr danach meine Hände um die Kehle meines Pumas zu legen und zuzudrücken bis diese Frau in meinen Armen elendig verreckt.

„Hier ist Fynn aufgewachsen“, sagt das Monster im korallfarbenen Fummel auch noch, als wir alle im Regen vor diesem überdimensional großen Käfig für Kinder, die keiner haben will, stehen. Die Dreistigkeit, dass mein Puma dazu ein Lächeln aufsetzt, als wäre es etwas Großartiges in einem Heim aufwachsen zu dürfen, gibt mir den Rest. Wobei von diesem Rest zuvor schon nichts mehr übrig war. Ich sehe mich bereits wegrennen, irgendwohin, keine Ahnung wohin, einfach weg. Weg von diesem Klotz, weg von meinem Puma, weg von meinem Reh. Doch Wegrennen ist keine Option, denn überall anders würden mich die Erinnerungen sowie die üblen Gedanken dennoch verfolgen. Denen gefällt es unfassbar gut in meinem Kopf. Haben sich dort eingenistet. Eine Festung erbaut. Einzige Lösung, gut gezielter Kopfschuss. Aber selbst ein Kopfschuss würde nicht alle Probleme lösen. Schließlich bin ich nun Vater und habe Verantwortung. Zumindest versucht sich ein Teil von mir das einzureden, seit ich in dieses Auto gestiegen und wir zu meiner ach so tollen „Überraschung“ gefahren sind.
Erst muss ich Ari retten, dann kann ich mir eine Knarre besorgen und den Rest erledigen. Die Sache mit dem abknallen. Scheiss auf Johanna. Und das Reh. Und als hätte dieses Mädchen geahnt, was in meinem Kopf abgeht, finden ihre Hände zu meinen. Ihre Hand hält meine fest und dann sieht sie mit ihren grünen Augen zu mir hoch und lächelt dieses bescheuerte Lächeln, was mein Puma auch immer lächelt. Hallo Mitleid, lang nicht mehr gesehen. Kommentarlos lasse ich mich von den zwei Frauen zum Eingang meines persönlichen Fegefeuers schleifen.

Das Ding mit zurück zum Ursprung ist, dass Orte, an denen schreckliche Dinge passiert sind, in einer sogenannten Zeitschleife feststecken. Alles um den Ort herum verändert sich, doch der Ort selbst bleibt davon unberührt, weshalb der Geruch, die Innenausstattung sowie die Atmosphäre der- und die gleichen geblieben sind. Wie eine Erinnerung, die verdammt real geworden ist. Der Eingangsbereich sieht aus wie damals. Rechts neben dem Eingang ein Kasten aus Glas, dahinter die Rezeption und dann kommt ein endlos langer Flur, der zum Krankenflügel und in die Kantine führt. Es gibt auch noch einen Besucherraum, ein Wartezimmer für Angehörige wie Familie, Verwandte, manchmal auch Freunde oder Sozialpädagogen und andere Menschen mit einem zu stark ausgeprägten Helfersyndrom. Der Besucherraum hat für mich nie eine Rolle gespielt, mich wollte keiner besuchen. Allgemein war Besuch eher rar gesät in einem Heim mit schwierigen Kindern wie diesem.

„Mathilda, meine Liebe, ich habe heute Besuch mitgebracht. Das ist Fynn, ein ehemaliger Schüler von mir und seine Freundin Susan. Kannst du mir für sie bitte zwei Besucherausweise ausstellen? Ja? Wärst du so lieb?“, begrüßt mein Puma mit ihrer zuckersüßen Stimme die andere alte Schachtel, die an der Rezeption hinter Maus und Tastatur sitzt und dabei aussieht wie die klassische untervögelte Hausfrau. Das zweite Indiz dafür, neben ihrem Aussehen, hält sie in der Hand. „Mein gefährlicher Beschützer“ von Janet Chapman, ein Buch, dessen Cover vermutlich schon einiges über den Inhalt aussagt. Ein Typ oben ohne, der eine Frau umgarnt, die sich sichtlich Mühe gibt, nicht angetan zu sein und gleichzeitig angetan zu sein. Ein klassischer Fickifickibumsibumsi Roman, wie Andriel, mein Exmentor, sagen würde. Und sowas liest die Schachtel an der Rezeption eines Kinderheims. Großartig. Wer weiß, vielleicht ist Mathilda genauso eine Raubkatze wie mein Puma und sie beide gehen gemeinsam hier drin auf die Jagd nach jungen, geilen Schwänzen, die ihre gierigen Mäuler stopfen können.

Mathilda, die Liebe, beäugt mich einmal von oben bis unten und irgendetwas in ihrem Blick sagt mir, dass sie absolut nichts dagegen hätte, sich einmal so richtig von einem Badboy wie mir nehmen zu lassen, weil ihr alter Kerl zuhause, sofern sie überhaupt einen hat, es ihr nicht besorgen kann und sie seit Jahren nicht mehr auf ihre Kosten gekommen ist. Ich würde ihr diesen Gefallen sogar machen. Nicht, weil Mathilda, die Liebe, mich anmacht, nein, sondern weil die Wut in mir aufkocht und ich ein Ventil brauche. Und Mathilda wäre ein geeignetes Ventil, um all meine Wut hinein zu pumpen. Alleine bei dem Gedanken werde ich hart und als es neben mir leise fiept, merke ich, dass ich die zarte Hand meines Reh‘s in meiner wohl etwas zu fest gedrückt habe. Regelrecht zermalmt wahrscheinlich, also lasse ich widerwillig locker und beiße mir stattdessen auf die Lippen. Auf meine zwei Ringe, die in meiner Unterlippe stecken und bringe Mathilda, die Liebe, dazu ihren Blick genau auf diese Stelle zu lenken. Ein bisschen Röte steigt in ihre prallen Wangen, denn offensichtlich liest die gute Frau nicht nur Fickifickibumsibumsi Romane, sondern genehmigt sich gerne dazu auch mal etwas Süßes, was ihrer Linie nicht sonderlich schmeichelt. Sie ist dick. Nein, fett sogar. Hat krauses, rot gefärbtes Haar mit einer platinblonden Strähne, um vermutlich hip und cool zu wirken. Dazu eine Brille mit viel zu großen Gläsern auf der knolligen Nase im runden Gesicht, pinke Schminke um die Augen, eine Bluse mit Brosche, beides in der gleichen Farbe, die Brosche zusätzlich mit Blingbling geschmückt. Untenrum einen Bleistiftrock in schwarz und um Hals eine Perlenkette. Ach und um den Finger natürlich einen Ehering. Fazit: hat also einen Kerl zuhause, der es im Bett nicht mehr bringt.

„Zwei Besucherausweise, kommen sofort“, Mathilda verzieht ihren rosa bemalten Mund zu einem Lächeln und legt den Fickifickibumsibumsi Roman zur Seite, mit dem Cover nach oben, als wäre ihr das Buch so gar nicht peinlich, im Gegenteil, als wollte sie, dass alle wissen, was sie für einen perversen Kram am Arbeitsplatz liest. Als würde sie förmlich darum betteln, von jemanden endlich bestiegen zu werden.

„Es hat übrigens jemand für dich angerufen und sich auf die freie Stelle beworben“, plappert Mathilda weiter, während sie mit ihren dicken Fingern auf die Tastatur eintrommelt. „Sollen wir ihn heute noch empfangen oder passt es dir gar nicht, wenn du Besuch hast?“

„Ein Mann?“, erkundigt sich mein Puma bei Mathilda und als diese daraufhin nickt, schürzt mein Puma entzückt ihre violetten Lippen. „Ach, eine Stunde kann ich bestimmt freiräumen.“

„Dann rufe ich den Herren an und lade ihn ein“, meint Mathilda, immer noch lächelnd, macht ein paar Mausklicks und mustert mich dabei abermals, als könnte sie sich nicht an mir sattsehen. Weil ich ein Arschloch bin, ringe ich mich zu einem finsteren Grinsen durch. Nun klebt ihr Blick an mir wie flüssiges Harz, also lecke ich mir über die Lippen und geniesse förmlich unseren kleinen, intimen Porno, während das Reh neben mir weiterhin meine Hand hält und mein Puma abgelenkt auf ihrem Smartphone herum drückt. Mathilda’s füllige Wangen werden feuerrot und ihre Finger tippen plötzlich ein paar Mal auf der Tastatur daneben. Wer weiss, vielleicht haben wir sie gerade bei einer ganz spritzigen Stelle in ihrem Buch unterbrochen und zwischen ihren Schenkeln ist es noch feucht und willig oder meine plumpe Anmache ist einfach zu viel für sie.

“Okay, hier sind sie, zwei Besucherausweise”, Mathilda schiebt zwei Karten in Plastikfolie eingeschweißt zu uns unter der Glasscheibe herüber, die mein Puma dankend entgegennimmt und sie sogleich an Susan und mich verteilt.

“Wir müssen ungefähr noch eine Viertelstunde auf deine Überraschung warten, Fynn, wie wäre es, wenn wir in der Zwischenzeit in der Kantine etwas trinken gehen?”, erkundigt sich mein Puma bei mir. Da keine Einwände folgen, steuert sie die Richtung an und das Reh und ich folgen ihr brav wie zwei gut dressierte Hündchen, die keine eigene Meinung und keinen eigenen Willen haben. Ich habe weder Lust auf die Überraschung, noch darauf hier zu sein. Aber da mir bisher immer noch keine zündende Idee gekommen ist, wie ich Ari aus den Klauen meines Pumas befreien könnte, füge ich mich und mime die Marionette einer erwachsenen Frau, die an so vielen Dingen, die in meinem Leben schief gelaufen sind, die schuld trägt. Schließlich spielen wir sowieso Zeitreise, also ist es nur passend, dass ich wieder tue, was sie von mir will und wenn das bedeutet, mich an einen Tisch zu setzen und Kaffee zu trinken, dann ist es eben so.
Auch die Kantine sieht noch genauso aus, wie ich sie in Erinnerung habe. Mehrere lange, rechteckige Tische, an denen viele Kinder platz haben. Eine altmodische Essenausgabe. Geschmacklose Kinderbilder an den Wänden und der Geruch von frittiertem Essen liegt in der Luft. Selbst der Boden ist derselbe wie damals. Gelbes Linoleum, dass damals schon die besten Jahre hinter sich hatte und offenbar in der Zwischenzeit noch mehr in Mitleidenschaft geraten ist.

Mein Puma spaziert wie eine Königin zwischen den Tischen herum und kommt mit einem Tablett, auf dem drei Tassen stehen, zurück zu uns an den Tisch. Sie trinkt ihren Kaffee wie immer, das Reh bekommt einen Cappuccino serviert und in meiner Tasse schwappt irgendeine schwarze, undefinierbare Brühe. Riecht zwar ansatzweise wie Kaffee, schmeckt aber so bitter wie Mathilda’s Wunsch wieder einmal ordentlich durchgefickt zu werden.

„Ich weiß, du hast vermutlich viele Fragen, Fynn“, startet mein Puma ein Gespräch, auf das ich keine Lust habe und dass sie sich liebend gerne in ihren schönen Arsch schieben kann. Mir wäre sogar mehr danach, Mathilda‘s Fantasien auf der Damentoilette lebendig werden zu lassen, als ein Frage-und-Antwortspiel vor den neugierigen Ohren des Rehs mit meinem Puma zu spielen. Also schiebe ich demonstrativ den Löffel in meinen Kaffee und rühre so lustlos darin herum, dass das Geräusch von billigen Besteck gegen billige Tasse die einkehrende Stille mit unangenehmen Kratzen und Schaben übertüncht. Ich sehe meinen Puma zwar nicht an, aber ich merke, wie sie angestrengt das Gesicht verzieht, obwohl Frauen in ihrem Alter wissen sollten, dass die Haut einem so eine Aktion nicht mehr so schnell verzeihen wird und man danach so zerknittert aussieht, als müsste man mal wieder ordentlich gebügelt werden. Obwohl mein Puma selbst mit Falten immer noch mein Puma ist. Eine Frau, die mich schwach werden lässt. Keine Ahnung, wie sie das anstellt, nach allem was passiert ist und den vielen Jahren, die zwischen uns liegen. Diese Frau ist mein Anfang und mein Untergang.

„Wie hätte ich es dir denn sagen sollen?“, stimmt mein Puma einen vorwurfsvollen Ton an und senkt gleichzeitig die Lautstärke, als könnte sie irgendjemand außer Susan und mir noch hören. Was nicht der Fall ist. Die Kantine ist leer, was vermutlich an der Uhrzeit liegt. Alle Kinder sind in den Unterrichtsräumen. Außer die, die schwänzen und wer schwänzt, hängt in der Regel nicht in der Kantine ab. Sondern irgendwo anders.

Ich schaue von meiner Tasse auf und direkt in die Smokey-Eyes von meinem Puma. Sie schluckt angestrengt, mein Gesichtsausdruck spricht wohl Bände. Gut so. Dann kann ich mir die Worte sparen. Susan neben mir spielt derweil Pingpong mit ihren Augen, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie lieber mich oder die Frau ihr gegenüber anstarren möchte. Neugieriges, kleines Reh. Das muss für sie sein wie Kino. Fernab der Realität und doch will man wissen, wie es weitergeht und vor allem wie es ausgeht.

„Du machst es schwerer, als es sein muss. Ich will wirklich, dass wir das gemeinsam meistern. Zusammen. Wir alle drei. An einem Strang ziehen. Für Ari.“

Es gab nie ein gemeinsam und auch kein zusammen und mit wir alle drei sind nicht die Anwesenden am Tisch gemeint, sondern sie, Edgar und ich. Happy Family. Dass ich nicht lache.

Eigentlich ist mir nach stumpfen Schweigen, doch eine Sache lässt mich dennoch nicht los. Eine Sache, die ich plötzlich wissen muss. Als wäre sie essentiell. Als würde es irgendetwas ändern.

„Wen hast du als Vater eintragen lassen?“, frage ich also und die Frage kratzt in meinem Hals, als wäre sie eine Krankheit, die sich durch meine Luft- und Speiseröhre frisst.

Mein Puma atmet erleichtert aus. Eine Reaktion, die ich nicht nachempfinden kann. Wahrscheinlich ist sie froh, dass ich überhaupt irgendetwas von mir gebe, was keine Beleidigung ist. Ich bin selbst überrascht. Dabei liegt mir das Wort „Fotze“ schon auf der Zunge. Wobei Fotze zu harmlos ist für eine Frau wie sie, die ihren eigenen Sohn fickt. Oder noch nicht fickt, aber bald fickt. Es sei denn, ich kann es verhindern. Irgendwie.

„Du. Du bist als Vater eingetragen“, sagt sie doch ernsthaft und ein Teil von mir hofft inständig, dass das, was sie sagt, eine Lüge ist. Ich suche die Lüge in ihren Smokey-Eyes. Ich suche sie auf ihrem violettfarbenen Mund. Überall. Aber ihre Mimik bleibt eisern. Überzeugt von dem, was sie da von sich gibt. Sogar ansatzweise aufrichtig. Am liebsten hätte ich mit meiner Faust nachgeholfen, um ihr zu demonstrieren, was ich davon halte. Beide Hände sind anderweitig beschäftigt. Die eine mit dem Löffel, die andere, die hält das Reh fest. Als hätte das Mädchen Angst, dass ich ihr nochmal davonlaufen könnte, wenn sie es nicht tut. Mich festhalten. Entweder das, oder sie will dieses Pärchen Getue zwanghaft aufrecht erhalten. Warum auch immer. Ich weiß nicht einmal, warum ich mitspiele. Vermutlich weil ich den Halt gerade irgendwie brauche. Was lächerlich ist. Ich bin lächerlich. Das hier ist lächerlich.

Mehr als ein einfaches „Warum“ bringe ich nicht über die Lippen.

„Weil ich es so wollte.“

Toll.

„Und du hast Rechte, Fynn. Deswegen sind wir hier. Ich will dir helfen, dein Leben wieder in Griff zu bekommen. Dir einen Platz geben, an dem du sein kannst. Eine Perspektive und die Chance, Ari kennenzulernen.“

„Will Edgar das auch?“, frage ich. In meiner Stimme liegt Spott. Irgendwo auch eine Spur Schmerz, den hoffentlich niemand heraus hört.

„Es geht nicht darum, was er will. Er wird sich damit arrangieren“, behauptet mein Puma, so als wollte sie sich selbst von dieser Aussage gleich mit überzeugen.

Ich sage nichts. Ich spüre nur, wie das Reh neben mir meine Hand drückt und als ich sie ansehe, ist irgendetwas in diesen grünen Augen, was ich nicht ganz deuten kann. Sie hilft mir auf die Sprünge, in dem sie einmal wie ein Wackeldackel nickt, und so tut, als hätten wir telepathisch miteinander irgendeinen Gedanken geteilt, der offensichtlich mein Hirn nicht erreicht hat.

„Das klingt doch gut“, antwortet Susan schlussendlich, obwohl sie keiner gefragt hat und auch keine Frage im Raum stand, die man hätte kommentieren müssen. „Was für eine Perspektive wäre das denn?“

Der Fokus meines Pumas springt auf das Reh über und obwohl sie versucht es zu verbergen, sehe ich ihr an, dass sie von Susan‘s forscher Art so wenig hält, wie von einer Geschlechtskrankheit nach einem schlechten Fick.

„Wir suchen gerade einen neuen Hausmeister. Die Stelle ist offen”, der Fokus springt zurück auf mich. “Sie wäre ideal für dich, Fynn. Du kennst dieses Gebäude in- und auswendig. Du weißt, wie es hier abläuft und worauf es ankommt. Ich denke, du könntest unser Team ideal ergänzen und du könntest hier auch wohnen, solltest du keine feste Bleibe haben. Gratis natürlich. Erinnerst du dich noch an Gunther?“

Wie könnte ich den vergessen.

„Gunther?“, schießt das Reh neugierig dazwischen und heimst sich mit der Aktion ein paar Funken von meinen Puma ein. Aber weil mein Puma den Schein wahren möchte, richtet sie ihre Aufmerksamkeit erneut auf die kleine Susan und lächelt dabei ein falsches Lächeln. „Gunther war zu der Zeit Hausmeister, in der Fynn hier untergebracht war. Die Kids haben ihn alle Günni genannt, doch leider ist er dieses Jahr in seine wohlverdiente Rente gegangen und wir konnten uns noch nicht um einen Ersatz kümmern. Es ist immer so schwer, gutes Personal zu finden, wenn man mit Kindern zu tun hat.“

Wohlverdient. Garantiert. Günni war die Sorte Hausmeister, die man nicht in die Nähe von Kindern hätte lassen sollen. Ein Dreckskerl. Ranzig, pervers. Widerlich. Mochte Kinder eine Spur zu sehr, ganz besonders, wenn sie ihm in seinem Keller unten einen Besuch abgestattet hatten. Dann mochte er sie am liebsten.

Vielleicht wäre nun der ideale Zeitpunkt gekommen, um meinen Puma auf die Nase zu binden, zu was und zu wem sie mich gemacht hat und womit ich mein Geld verdiene, doch die Offenbarung steckt wie die Kotze in meinem Hals fest. Dabei hätte ich liebend gerne auf den Tisch gekotzt, weil Erinnerungen auf mich nieder rieseln wie lauwarmer Sommerregen. Und ich hasse lauwarmer Sommerregen. Und Gefühle. Die ganz besonders, und besonders dann, wenn sie allesamt gleichzeitig in mir um die Vorherrschaft kämpfen. Ich will nicht fühlen. Nicht mehr. Nie wieder. Also tue ich das, was ich für richtig halte in so einer Situation. Ich ergreife einfach die Flucht.

„Ich bin mich mal eben übergeben“, sage ich und stehe von meinem Stuhl auf. Das Reh will mir folgen, doch ich halte mahnend einen Finger in die Höhe. „Keine Angst, ich komme wieder. Ich brauche nur ein paar Minuten für mich“, lüge ich. So überzeugend, dass das Reh ihren süßen Hintern wieder auf den Stuhl verfrachtet und mich genauso bedröppelt ansieht, wie mein Puma. Vielleicht liegts auch daran, dass ich mich nicht mehr wie ich selbst anhöre. Da spricht irgendein anderer Kerl aus mir heraus.

Als ich im Flur stehe, führt mein Weg vorbei an Mathilda, die Liebe, die ihre Nase zurück und tief in ihren Fickifickibumsibumsi Roman gesteckt hat. In mir herrscht so ein Chaos, dass ich mich an irgendetwas abreagieren muss und mangels Alternativen finde ich mich vor der Rezeption wieder. Angelehnt, gegen den Tresen und es dauert keine Sekunde und Mathilda blickt von ihrem Buch hoch und in meine Augen. Die Röte kehrt genauso schnell in ihr Gesicht zurück, wie sie das Buch zugeklappt und wieder mit dem Cover nach oben neben ihre Tastatur gelegt hat. Als würde sie wirklich darum betteln, dass jemand endlich ihre sinnlichsten Wünsche in Erfüllung gehen lässt, wenn sie doch nur genug darauf aufmerksam macht, was sie sich denn so vergeblich wünscht.

„Und, wie ist das Buch so?“, frage ich plump und ziehe den rechten Mundwinkel nur leicht nach oben, um genug Spielraum zu lassen. Falls sie den Badboy will, liefere ich ihr diesen. Falls sie den Gentleman will, kann ich mich immer noch zu einem anständigen Bitte-fick-mich-Lächeln durchringen. Denn mittlerweile bin ich so tief unten, dass ich mich selbst auf so eine Nummer herablassen würde. Für einen Fick den netten Kerl spielen, obwohl an mir so gar nichts nett ist.

„Oh, ganz gut. Lesen sie auch?“, erkundigt sich Mathilda bei mir. Nervosität schwingt in ihrer Stimme mit und kitzelt in meinen Ohren. Ich schiebe meine Hände in die Hosentaschen, weil sie das tun, was ich zu Tode verabscheue. Sie zittern. Mal wieder. Nein andauernd. Nicht, weil ich genauso nervös und aufgeregt wie Mathilda bin, nein, weil ich kaputter Abschaum bin, Brodelnd wie ein Kochtopf kurz vor dem überkochen.

„Ja, aber das Buch kenne ich noch nicht“, erwidere ich und lehne mich etwas vor. „Was passiert denn gerade so?“

Mathilda will den Mund öffnen und zum Sprechen ansetzen, da komme ich ihr zuvor. „Lass mich raten, der hübsche Kerl versucht bei der hübschen Frau zu landen und sie will ihn, aber sie will ihn auch nicht so richtig ranlassen, weil er es sich erst verdienen muss? Hm? Denn das kommt mir irgendwie bekannt vor“, schnurre ich und lasse meinen Blick über sie schweifen, als wäre sie Beute und als würde ich sie in meinem Kopf gerade ausziehen.
“Wie kann man es sich denn bei dir verdienen?”, reize ich das Ganze noch mehr aus und mache das, worauf sie schon beim ersten Mal abgefahren ist. Ich knabbere an meiner Unterlippe.

Mathilda sieht mich mit grossen, überraschten Augen an, blinzelt ein paar Mal, will wieder den Mund öffnen, doch diesmal wird sie nicht von mir unterbrochen, sondern von einem lautstarken „Hey, du Punk“.
Synchron wenden wir uns der Quelle der Unterbrechung zu und als ich einen hochgewachsenen und blonden Kerl ungefähr in meinem Alter erblicke, bin ich es, der nun mit offenen Mund da steht, seinen Augen nicht traut und allmählich wirklich anfängt zu glauben, dass wir hier eine verdammt abgefuckte Zeitreise in meine Vergangenheit machen. Bloß dass der blonde Kerl nicht der sein kann, für den ich ihn halte, das kann einfach nicht sein, denn dieser Kerl trägt eine Krawatte, ein Hemd, eine schicke Hose, dazu glänzende Treter und eine Armbanduhr ums Handgelenk, die regelrecht nach Geld stinkt. Und als wäre das nicht genug, strahlt dieser Typ eine so versnobte Attitüde aus, dass es unmöglich sein kann, dass dieser Snob auf den Namen Luke hört. Nein. Niemals. Der Kerl kann nicht Luke sein.
“Wolltest du dich gerade wirklich über unsere Mathilda hermachen? Da hat wohl jemand immer noch eine Schwäche für alte Schachteln”, zieht mich der Snob auf, als würde er mich kennen. Besser gesagt, als würden wir uns kennen. Wie selbstverständlich kommt er auf mich zu und breitet seine Arme aus. Ich weiss nicht, wer irritierter über den Vogel ist, Mathilda oder ich, aber ich bin der, der in einer Umarmung landet und irgendwie den Zeitpunkt verpasst, dem Kerl eine reinzuhauen.
“Das klingt jetzt n’bisschen schwul, aber ich hab’ dich und deine Matte irgendwie vermisst. Hab’ mich ein paar mal gefragt, was aus dir geworden ist, Kumpel”, flüstert der Kerl an meinem Ohr. Selbst seine Stimme erinnert an Luke. Aber der Luke, den ich kenne, würde niemals wie ein Snob rumlaufen und mich schon gar nicht in den Arm nehmen. Der Luke, den ich kenne, der würde sich eher ein Bein abreissen und mir damit eins überziehen, laut lachen und mir nochmal eins überziehen, sich eine Kippe anstecken und mich fragen, ob ich Bock habe heute Abend mit den anderen Jungs ein paar Mädchen aufreissen zu gehen. Wir hatten damals eine Clique. Luke war Teil davon. Einer, der sich gerne als Anführer aufgespielt hatte und einer, der wie ich, einer von den Jungs war, die ins Beuteschema meines Pumas gefallen waren. Ein böser Junge. Ein richtiger Badboy, den sie ein paar Mal auf ihre Art und Weise züchtigen musste. Und er hatte es geliebt. Wie ich. Weil wir nichts anderes hatten, was wir lieben konnten. Ausser er seine geklauten Markenklamotten und ich meine Bücher. Wir waren unterschiedlich und doch irgendwie gleich. Alle Heimkinder sind irgendwie gleich. Verloren. Heimatlos. Perspektivlos.

“Immer noch so schweigsam wie eh und je”, meint der Snob zu mir und drückt mich noch einmal fester gegen seine Brust, ehe er mich endlich aus seiner Umarmung entlässt und lediglich noch sein teures Aftershave auf meinen geliehenen Klamotten anhaftet.

Ich will gerade irgendetwas sagen, keine Ahnung was, da taucht neben dem Snob ein kleinerer Snob auf. Einer mit Schlitzaugen und zurückgegelten schwarzen Haaren, den ich auf Anhieb wieder erkenne. Kim. Der Hardcore-Asiate, der nicht mehr ganz so mini ist wie damals, aber trotzdem kleiner als ich. Vielleicht einen Kopf kleiner oder eineinhalb Köpfe kleiner. Wie der blonde Snob trägt er Hemd und Stoffhose, dazu glänzende Treter, als hätten sich die beiden heute bei ihren Outfits abgesprochen. Bloss statt Krawatte trägt die erwachsene Variante von Kim eine Fliege. Doch egal, in was für Klamotten man Kim steckt, die längliche Narbe, die von einem Schnitt herführt und sich von seinem linken Auge bis zu seinem linken Mundwinkel zieht, ist ein eindeutiges Erkennungsmerkmal. Die Narbe und die Augen, bei denen man nie so richtig erkennen kann, ob sie offen oder zu sind und weshalb wir ihn alle damals als Hardcore-Asiaten betitelt und abgestempelt hatten. Deswegen und weil er, wie der klassische Asiate eben, verdammt gut in Videospielen, ein Ass in Mathe und ein Profi am Klavier war. Und eigentlich auch viel mehr Talente vorzuweisen hatte, als wir alle anderen zusammen. Ein wahrer Alleskönner, außer es ging ums Körperliche - da war er eine Niete und zog immer den Kürzeren. Auch jetzt scheint sich nicht viel an seiner Muskelmasse respektive seiner Statur getan zu haben. Er ist immer noch so dünn wie ein Hering und so drahtig wie ein Klappergestell. Und das Klappergestell kommt auf mich zu. Nicht so selbstverständlich wie der andere Snob, doch als ich diesmal als Erster meine Arme ausbreite, tut er es mir gleich.
Mein Vorhaben nie wieder fühlen zu wollen, erstickt im Keim. Scheitert kläglich und ergießt sich auf Kim‘s Rücken in Form von Tränen, die mir selbst in einem Moment wie diesem mehr als peinlich sind. Denn ich hatte nie eine Familie, doch dieser kleine Asiate in meinen Armen war so was ähnliches wie ein Bruder für mich. Zumindest damals. Das wird mir erst jetzt klar. Früher war es eher unklar. Es war mehr wie ein Abkommen, eines, das entstanden war, weil Kim mich einmal mit einer Gartenschere davon bewahrt hatte, Günni‘s “Nachtisch” zu werden. Damals wollte ich es nicht so nah an mich ranlassen, habe einfach mitgespielt, überlebt aber heute, in diesem Augenblick, hat der Puma bereits meinen Panzer mit einer Bombe zerfetzt und durch die etlichen Risse hindurch sprudeln sie heraus. Diese elendigen Gefühle. Und ich bin wieder 14 Jahre alt, kurz vor meiner ersten ernst zu nehmenden Haftstrafe, weil ich meinen Puma…

„Hätte nicht gedacht, dass ich dich jemals wiedersehe“, flüstert Kim gegen meinen Brustkorb. Meine Reaktion? Total untypisch für mich. Ich drücke ihn noch fester, als könnte es sich bei Kim nur eine Illusion handeln, die gleich wieder verschwindet. Doch der Asiate bleibt. Ist echt. Aus Fleisch und Blut.

„Ich auch nicht“, flüstere ich zurück und dann passiert etwas, womit ich nicht rechne. So ganz und gar nicht rechne. Der andere Snob drückt sich von hinten an mich ran und plötzlich machen wir Drei das Sandwich. Für einen wie mich, der nie viel Nähe zugelassen hat, ist das der absolute Overkill.

„Du bist zuhause, Mann“, meint der Snob zu mir und der Asiate schließt sich an. „Du bist zuhause.“

Irgendwie klingen wir nun alle drei weinerlich und das vor Mathilda, der Lieben, die ihren Fick schon wieder nicht bekommt und vermutlich mit der dramatischen Szene, die sich vor ihr abspielt, überhaupt nichts anfangen kann. Wäre mehr so das Ding vom Reh. Die würde auf sowas abfahren.

Irgendwann löst sich das Sandwich auf und die Zutaten reiben sich allesamt die Handrücken über die Augen, um die nasse Schande im Gesicht irgendwie loszuwerden. Was für wahre Badboys wir doch sind. Nicht. Nicht mehr.

„Ich dachte, der Puma verarscht mich, als sie gesagt hat, dass du herkommst. Aber jetzt stehst du hier und ich schwör‘s dir, hab‘ mir ein paar Mal heimlich in den Arsch gekniffen, weil ich es nicht glauben konnte. Also kann ich immer noch nicht, aber hey, du bist hier“, der Snob mustert mich einmal von oben bis unten, als wäre er wirklich noch nicht davon überzeugt, dass ich hier rumstehe. Vielleicht ist er doch Luke. Zukunftsluke. Oder nein. Gegenwartsluke. Ein Luke, der nicht so abgedriftet ist wie ich. Der wohl die Kurve gekriegt hat. Genauso wie Kim. Aber bei Kim war‘s zu erwarten gewesen. Er war nie so wie wir. Eher ein Mitläufer. Einer, der einfach dazu gehören wollte und wahrscheinlich nur deshalb mit uns rumgehangen war und Blödsinn angestellt hatte. Besser Badboy sein, als alleine sein.

„Und du siehst… krass aus. Ich meine, du hattest schon damals diesen komischen Hang zu Tattoos und Piercings und natürlich diese Matte auf dem Kopf, aber…“, Luke hält die Luft an und pfeift durch die kleine Zahnlücke, die er noch immer hat. „Wow“, meint er nur und zeigt mit beiden Händen auf mich, als würde er mich einem imaginären Publikum präsentieren. „Mir fehlen die Worte.“

„Und du siehst aus wie ein Snob“, kontere ich schroff. Luke verzieht sein Lächeln zu einem selbstgefälligen Grinsen. „Ich muss doch was hermachen, wenn ich die Kids hier unterrichte. Aus mir ist ein verdammter Geschichtslehrer geworden. Na? Überrascht? Hättest du nicht von mir erwartet, was?“

Bin ich. Überrascht. Überrascht von der Überraschung, die mein Puma eingefädelt hat.

„Und ich unterrichte Mathe“, ergänzt Kim und zupft sich dabei die Fliege zurecht. Er wirkt nervös. Beinahe schon unruhig. Unsicher. Was ich ihm nicht einmal übel nehmen kann, er war schon immer feige. Nicht so wie Luke. Oder ich. Die so getan hatten, als hätten wir vor rein gar nichts Angst. Wie so richtige Badboys eben. Knallhart und böse. Von wegen.

„Und womit verdienst du dir so die Brötchen? Hätte eigentlich gedacht, du würdest irgendwann mal wieder ein Lebenszeichen von dir geben. Dich melden. Zurückkehren. Doch, da kam nix. Du warst einfach weg. Verschwunden“, Luke‘s linke Augenbraue schiebt sich fragend nach oben. „Waren dir wohl nicht mehr krass genug, nachdem du mit den wirklich bösen Jungs hinter schwedischen Gardinen abgehangen hast. Ist das eigentlich ein Knast-Tattoo?“, sein Finger zeigt auf den kleinen tätowierten Halbmond unter meinem Auge.

Ich will schon sagen „nein, ein Armutszeugnis“, weil ich mir den Halbmond für Abigail von Tür 3 stechen lassen habe, um sie immer bei mir zu haben, selbst wenn sie nicht da ist. Doch da kommt was ganz anderes aus meinem Mund. „Warum seid ihr hier? Was zur verfickten Hölle macht ihr hier?“

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