Kittykat671 - 18
(Trap / Toys)
Das Loveland ist wie die meisten Puffs, aussen Pfui innen Hui. Von aussen sieht der Komplex aus wie ein Industriegebäude. Potthässlich und quadratisch und umsäumt von einem riesigen Parkplatz. Anders als die meisten Puffs befindet sich das Loveland ziemlich abgeschieden, nicht ganz so abgeschieden wie das Etablissement, aber halt abgeschieden, damit das Klientel sich maximal wohl und Inkognito fühlen kann. Das Gute am Loveland ist, dass das Etablissement ein Übereinkommen mit dem Schuppen hat und jeder, der Teil des Etablissements ist, jederzeit willkommen ist und so gut wie alles, ausser die Nutten, aufs Haus geht. Das Loveland ist also der Ort, wo man sich umsonst die Birne wegsaufen oder sich dumm und dämlich vögeln kann, sofern man es sich leisten will. Der perfekte Ort, um das Reh zu quälen und sowas wie Nachdenken erstmal hinten anzustellen. Susans Begeisterung hält sich in Grenzen, als sie mit meinem Auto auf den Parkplatz abbiegt und die hässliche olivgrüne Fassade des Komplexes nun aus der Nähe bewundern kann. Ihrem Gesichtsausdruck kann man praktisch ablesen, dass sie überall anders ausser hier sein will. Mein altes Ich war hier auch nur ab und zu einmal, hauptsächlich aber nur wegen der hübschen Saunaanlage.
“Und das ist ein Puff?” Susan wirft mir einen skeptischen Blick zu. “Das ist ein Puff”, bestätige ich und steige aus. Susan tut es mir gleich, nur mit weniger Elan. Ihre Schulter hängen herunter wie nasse Laken an einer Wäscheleine und ihre Mundwinkel tun es ihren Schultern gleich. Alles in allem sieht sie sehr unglücklich aus. Also so, wie sie es die meiste Zeit über tut. Ich gehe voraus und das Reh dackelt mir lustlos hinterher. Um die Uhrzeit ist der Parkplatz noch relativ leer, aber das spielt keine Rolle, ich nehme sowieso immer den Hintereingang ganz egal, wie viel Kundschaft gerade vor Ort ist. Am Hintereingang erwartet uns Betty, eine der Nutten, bei der man sich nicht ganz sicher sein kann, was unten rum los ist. Entweder handelt es sich bei Betty um eine sehr maskuline Frau oder um einen sehr femininen Mann - und dem, was sich wirklich unter ihrem kurzen Röckchen befindet, wollte ich bisher nie genauer auf den Grund gehen. Betty begrüsst uns mit einem schiefen Lächeln und zu meinem Erstaunen trägt sie oder er immer noch dieselbe pinke Zahnspange wie vor einem Jahr. Passend zur Zahnspange hat sich Betty mit knallpinken Lidschatten die Augen angemalt und ihrem Mund den gleichen Anstrich verpasst. Das knappe Röckchen sowie das enge bauchfreie Top sind schwarz wie die Nacht und die Stiefeletten mit Monsterabsatz schneeweiss.
“Fynn, lange nicht mehr gesehen”, schnurrt Betty mit tiefer und kratziger Stimme. Susan ist genauso irritiert wie alle anderen, die Betty zum ersten Mal begegnen und wie so oft, fällt mir nichts besseres ein, als zu lachen. So viel gelacht wie die letzten Tage, habe ich mein ganzes Leben nicht und allmählich wäre es echt praktisch einen Ausschalt-Knopf dafür zu finden, da ich es schon längst nicht mehr auf den Alkohol schieben kann. “Und du immer noch so schön wie am ersten Tag”, rasple ich das Süßholz und entlocke Betty ein sehr männliches Gluckern.
“Wie kann ich dienen?”
“Hast du noch ein Zimmer mit Jacuzzi frei?”, frage ich und merke, wie das Reh neben mir angespannt ist wie eine Hochspannungsleitung. Ich ziehe sie mit einer geschmeidigen Bewegung näher zu mir ran. “Für uns beide”, füge ich hinzu und schenke dem Mädchen neben mir einen gespielt verträumten Wimpernaufschlag. Nun ist das Reh gänzlich verwirrt. Betty hingegen gefällt meine kleine Showeinlage . “Nur für euch beide?” Die Frau oder Mann, respektive Mannsweib legt den Kopf schief und flattert ebenfalls mit ihrem Wimpernkranz. Hat ein bisschen was von einem Schmetterling. “Sie ist noch etwas schüchtern”, sage ich.
“Schüchtern also, noch ganz frisch bei dir?”
“Kann man wohl so sagen.”
“Du scheinst auch ein bisschen nervös zu sein, mein Lieber.” Betty mustert mich interessiert. Natürlich zwängt sich mein bescheuertes Zittern mal wieder in den Fokus. “Schmerzmittelentzug”, lüge ich und versuche dabei weniger genervt zu klingen als ich bin. “Ach ja, du hattest ja diesen Unfall. Ganz tragische Geschichte”, sülzt Betty weiter und geht mir allmählich auf die Nerven. “Schön, dass du wieder auf den Beinen bist.”
“Und, ist noch ein Zimmer mit Jacuzzi frei?”, dränge ich und komme mir vor wie ein alter, verschrumpelter Sack mit Samenstau, der dringend einen wegstecken muss und die Polizei im Nacken sitzen hat. Nur das mein Reh ja, wie sie sagt, bereits 20 Jahre alt ist, also wäre Vögeln legal, und einen wegzustecken ist sowieso nicht mein Hauptanliegen. Und das mir noch ein paar Jährchen bis zum alten verschrumpelten Sack fehlen, es sei denn mit dem Zittern beschleunigt sich auch mein Alterungsprozess. Gut, dass ich beschlossen habe ab sofort wieder zu den Kettenrauchern überzusiedeln, so bleibt mir das Alt-werden wenigstens erspart. Und hätte ich meinen ursprünglichen Plan weiter verfolgt - was nicht heisst, dass ich das nicht doch noch tun werde - wäre ich sowieso bald Geschichte. Es sind die Momente, in denen einem auffällt, dass man sich bisher keine Gedanken über den Tod und dessen Folgen gemacht hat. Hätte ich mich wirklich wie geplant von dieser Brücke geworfen, wäre Susan nicht vorher unverhofft in mein Leben getreten, was wäre wohl mit meiner Leiche passiert? Ein namenloses Grab? Oder hätte sich das Etablissement um meine Überreste gekümmert? Hätte mich überhaupt irgendjemand vermisst oder nach mir gesucht? Wäre ich ein weiterer John Doe von vielen? Wobei, hätte man meine Leiche aus dem Fluss gezogen und obduziert, hätte zumindest meine Strafakte dafür gesorgt, dass sie mich identifizieren können. Fynn Trachtenberg. Serienvergewaltiger und unter anderem auch eingesessen wegen Diebstahl, Freiheitsberaubung, Entführung und so weiter und so fort. Wenn ich genauer darüber nachdenke, fällt mir nur eine Person ein, die garantiert wissen wollen würde, dass ich abgetreten bin. Die Heimleiterin, die sich so gerne von jungen, geilen Schwänzen ficken lassen hat, unter anderem auch von meinem. Olga Nowak, oder wie ich sie gerne nenne ‘Puma’. Die einzige Frau, die ich wirklich abgrundtief verachte und hätte töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Aber ich hab’s nicht auf die Reihe gekriegt, so wie ich mein Leben nie auf die Reihe bekommen habe. Fing ja alles schon verdammt beschissen an und sich selbst aus diesem Haufen Scheisse heraus zu buddeln, tja eher schwierig, wenn man als Kind in einem Käfig mit einem Puma gestopft wird aus dem und von dem es kein Entkommen gibt.
“Fynn?”, meldet sich Susan zu Wort und reißt mich aus meiner zurück-in-die-Vergangenheit-Schleife. “Bitte?”, erwidere ich schroff und erschrecke das Mädchen. Mein Tonfall war vielleicht ein bisschen zu schroff. “Was denn?”, versuche ich es geringfügig freundlicher.
“Du tust mir weh”, jammert das Reh und deutet auf ihre Hand, die in meiner liegt. Wie zur Hölle? Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass ich ihre Hand ergriffen habe, geschweige denn, dass ich sie als Antistressball missbrauche. Überrascht lasse ich Susan los und widme meine Aufmerksamkeit wieder Betty, die auf ihrem Smartphone herumtippt und hoffentlich gerade abcheckt, ob noch ein Zimmer mit Jacuzzi frei ist.
“Und wirklich nur ihre beide? Katja wäre gerade frei oder Kimberly. Wie wäre es zu viert?” Bettys überschminkte Augen glitzern, als sie mich erwartungsvoll ansieht.
“Nur wir zwei, sie reicht mir völlig aus”, zische ich. Sehe ich etwa so untervögelt aus, dass ich gleich drei Frauen brauche, um mich wieder wie ein Mann zu fühlen? Ich hätte doch den Vordereingang benutzen sollen, aber im Nachhinein weiss man es immer besser. Oder es liegt an der Uhrzeit.
“Wie du willst, aber die Saunaanlage und die Bar sowie die Relax-Zone ist noch geschlossen, dafür seid ihr zu früh dran. Macht erst in ein paar Stunden auf. Generell bist du früh dran. Schlaflose Nacht hinter dir, Hübscher?”
“Wirst du dafür bezahlt, mir auf die Nerven zu gehen oder macht es dir einfach Spass?” Ich schenke Betty ein freudloses Lächeln. Sie erwidert das Lächeln und schürzt die Lippen. “Beides, so irgendwie. Bin mit dem falschen Bein aufgestanden, verzeih.”
Merkt man, antworte ich im Stillen und rufe mir in Erinnerung, dass es im Loveland zu meinem Nachteil verboten ist handgreiflich zu werden. Schade, sonst hätte ich liebend gerne Betty das falsche Bein ausgerissen und ihr geholfen, sich selbst ins Knie zu ficken. “Weisst du, was ich nicht verstehe, 27?”, fährt Betty fort und nennt mich bei der Nummer meiner Tür im Etablissement. Das ist selten. Die meisten nennen mich beim Vornamen, obwohl es Gang und Gäbe ist, die Käufer nur mit ihrer Türnummer anzusprechen. Davon habe ich ich aber nie viel gehalten, weshalb ich bei den meisten darauf bestehe, dass sie mich beim Vornamen nennen.
“Wahrscheinlich so einiges, sonst hättest du dir einen vernünftigen Job gesucht”, entgegne ich. Neben mir scheint das Reh allmählich die Welt nicht mehr zu verstehen. Ich kann es ihr nicht einmal verübeln, normalerweise ist es auch nicht so schwer an ein beschissenes Zimmer zu kommen, aber Betty hier, die treibt es auf die Spitze.
“Da hast du vermutlich recht. Aber wieso hatten wir beide nie das Vergnügen miteinander? Wir kennen uns jetzt schon solange und immer lässt du mich links liegen. Wie wäre es mit einem Dreier? Du, ich und dein… Spielzeug.” Der abfällige Unterton in Bettys Stimme gefällt mir so gar nicht, aber immerhin weiss ich nun, woher der Wind weht. Betty ist eifersüchtig auf mein Reh. Heute muss definitiv etwas in der Luft liegen, denn alle und wirklich alle Frauen inklusive Betty, was auch immer bei ihr zwischen den Beinen lauert, spielen verrückt.
“Ich spiele aber lieber alleine mit ihr.” Ich funkle Betty an, während Susan neben mir auf Tomate macht. Betty zieht einen Schmollmund, dann scheint sie einen Geistesblitz zu haben, denn der Schmollmund weicht einem Grinsen. Einem ziemlich selbstgefälligen Grinsen.
“Kann ich ihren Ausweis einmal sehen?”, spielt Betty ihre oder seine Trumpfkarte aus. Fuck, damit hätte ich rechnen müssen, trotzdem kann ich meiner Kinnlade dabei zusehen, wie sie voll Karacho auf den Boden brettert und erstmal beschließt dort liegen zu bleiben.
“Dein ernst jetzt?”
“Sie sieht schon etwas jung aus.”
“Ich bin 20”, schiesst es wieder einmal aus dem Reh heraus, als hätte sie irgendjemand darum gebeten, Teil dieses Gefechts zu werden.
“Ja, sie ist 20”, echoe ich und kann mich selbst dabei nicht ernst nehmen. In mir brodelt ein weiterer Lachanfall, bereit sich wie Lava in das Gespräch zu ergiessen. Im letzten Moment schaffe ich es, die heiße Lava herunterzuschlucken und mich am Riemen zu reissen. Nicht jetzt. Ganz und gar ein ungeeigneter Zeitpunkt, um loszulachen.
“Davon würde ich mich gerne selbst überzeugen. Wir wollen ja schließlich nicht unseren guten Ruf verlieren.” Betty lächelt ihr selbstgefälliges Lächeln und tut auf zuckersüss. Ich kotze innerlich im Strahl und verliere gleich etwas ganz anderes als meinen Ruf, der noch nie sonderlich gut war. Und zwar meine Geduld. Ich könnte auch einfach Susan packen und gehen. Aber mein Ego gönnt Betty den Sieg nicht. So ganz und gar nicht.
„Gibt es ein Problem?“, meldet sich eine weitere verdammt männliche Stimme aus dem Hintergrund. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer gerade aufgetaucht ist. Susans Reaktion spricht sowieso Bände und auch Bettys ich-hab-dich-ausgetrickst-Grinsen kommt ins Wanken. Darwin stellt sich neben mir auf wie eine Mauer. Es gab mal eine Zeit, da habe ich ähnliche Reaktionen bei Frauen ausgelöst wie er, aber seit dem Koma habe ich definitiv an Muskelmasse oder zumindest an Ausstrahlung verloren. Ich bin längst nicht mehr so durchtrainiert wie früher, mir fehlen immer noch 15 von den 25 Kilos, um an das alte Gewicht ranzukommen. Nennen wir das Kind beim Namen, ich bin zu dünn, zu kaputt und das dauerhafte Zittern unterstreicht meinen erbärmlichen Zustand. Einzig allein mein Schwanz ist nicht geschrumpft, alles andere hat Johanna mit einem Messerstich vernichtet. Mein ganzes Ich. Innen sowie außen. Es ist weg, einfach gestorben an diesem Tag.
„Ich möchte den Ausweis von dem Mädchen sehen“, beharrt Betty weiter, aber längst nicht mehr so selbstsicher wie vorher. „Ist mir so ziemlich scheissegal, was du willst.“ Darwin tut das, was er immer tut. Er ist groß, breit und standhaft und sieht dabei aus wie der feuchte Traum jeder Frau, die auf den klassischen Adonis steht. Nur sein Mundwerk passt nicht so ganz zum perfekten Schwiegersohn-Dasein.
„Hier gibt es Regeln“, verteidigt sich Betty und stemmt ihre rosa rot lackierten Nägel in ihre dürre Hüfte. Egal ob Frau oder Mann, sie oder er sollte mal mehr essen und weniger rauchen. Und ich darf das sagen, schließlich sitzen wir zumindest was das anbelangt, aktuell im selben Boot.
„Und mein Mädchen ist 20. Sie ist nur etwas zu niedlich geraten“, sage ich und Susan neben mir schrumpft und ist nun keine Tomate mehr sondern eine Cherrytomate.
„Ich will nur den Ausweis sehen, kann bekommst du dein Zimmer.“ Betty reckt das Kinn, als hätte sie sich heimlich eine Portion Selbstbewusstsein einverleibt, als keiner hingeguckt hat. Darwin richtet seine Aufmerksamkeit auf mich und sein Blick sagt soviel aus wie „Was zur Hölle machen wir hier eigentlich?“
Tja, mein Ego befriedigen, weil ich nicht klein beigeben will. Es geht längst nicht mehr um das dämliche Zimmer mit der bekloppten Jacuzzi, sondern um mein Stolz, oder um das, was davon noch übrig geblieben ist. Darwin seufzt und zückt sein Handy, als wäre es mit Blei geladen, aus der Hose heraus. Erst jetzt bemerke ich, dass seine Frisur nicht ganz so gut sitzt wie sonst und dass er allgemein etwas zerzaust aussieht. Wohl direkt vom Bett in die Karre gestiegen, um mich noch rechtzeitig davon abzuhalten, Zweihunderttausend Euro zu vervögeln. Hat er geschafft. Aber vögeln wollte ich das Reh sowieso nicht. Nur quälen, keine Ahnung wie, aber irgendetwas wäre mir schon eingefallen.
„Was machst du da?“, kläfft Betty wie ein sehr maskuliner Rehpinscher, als Darwin sich das Handy ans Ohr hält. „Deinen Boss anrufen“, erwidert dieser knapp und lächelt sein boshaftes Lächeln. Prompt muss ich an Andriel denken und an die SMS von Abigail. Darwins Schwanz hat meinen ehemaligen Partner direkt auf die Intensivstation befördert. Dasselbe Schicksal würde ich Betty wünschen. Ich hätte ihr natürlich auch liebend gerne selbst den Kiefer gespalten, aber irgendwie habe ich die Befürchtung, dass mein Körper nicht mitspielen würde und sowas ähnliches passieren könnte, wie mit Susan in der Dusche. Ich klappe mittendrin einfach zusammen oder viel schlimmer, ich fange dabei an zu heulen. Das wäre mein Untergang.
„Gottverfickte Fickscheisse. Ja, ist ja gut! Zimmer 4 ist frei. Mit Jacuzzi“, gibt Betty klein bei, hantiert mit ihrem eigenen Handy herum und bucht uns das Zimmer.
„Na geht doch“, lobt sie Darwin und packt seinen Smartphone-Revolver wieder zurück in sein Hosentaschen-Holster. Ein Beweis dafür, dass Drohen in den meisten Fällen völlig ausreicht, man muss nicht immer gleich abfeuern. Hätte mir mal einfallen müssen, die Nummer mit dem Boss.
Zu dritt marschieren wir vorbei an Betty, die uns nur widerwillig die Tür öffnet. Vor uns erstreckt sich ein schwarz-roter Flur. Die Wände sind bordeauxrot sowie die Decke und der Boden ist bestückt mit pechschwarzen Teppich. Über unseren Köpfen schweben prunkvolle goldene Kronleuchter, dazu passend spenden kleine Fackeln an den Seiten warmes Licht, trotzdem wirkt der Flur irgendwie schummrig. Man sieht nur so viel, wie man sehen soll. Äußerst praktisch, wenn es darum geht, Flecken zu verstecken. Die Türen der Zimmer sind wie der Boden schwarz und mit goldenen Nummern verziert. Vereinzelt hört man Musik aus den Räumen wummern, was soviel bedeutet, dass es noch weitere frühe Vögel gibt, die den Wurm fangen respektive einlochen. Im Beckenboden einer Frau. Oder mehreren Frauen, wie es eben beliebt. Anders als in anderen Puffs laufen hier die Nutten nicht wahllos herum sondern befinden sich in diesem Bereich bereits in den Zimmern. Freilaufende Nutten gibt’s nur im Saunabereich, in der Bar und der Relax-Zone. Und dieser Bereich hier ist dafür geeignet, wenn man seine Ruhe haben will, bei dem, was man eben so in einem Puff tut.
Vor Tür 4 bleibt Darwin stehen und mimt erneut die Mauer.
„Was machen wir eigentlich hier?“
„Meinen Deal mit Susan einlösen“, sage ich plump. Darwins Augenbrauen machen einen Köpfler auf seinem Gesicht, was sonderbarerweise ziemlich witzig aussieht. Einmal kurz nach oben und dann ganz tief runter, bis sie ihm beinahe in die Augen fallen.
„Und das musst du ausgerechnet hier machen?“ Darwin deutet mit seinen Pranken auf das Zimmer, den Flur, die Fackel zu seiner rechten, die Fackel zu seiner linken und sogar auf den Teppichboden mit den zahlreichen unsichtbaren Flecken.
„Hier gibt es Jacuzzis“, liefere ich ihm als Totschlagargument. Klar, das Argument ist total bescheuert und diese Erkenntnis spiegelt sich auch in Darwins Mimik wider. „Ich will dir nicht zu nahe treten, aber bist du drauf?“ Der Koloss von Mann verringert die Distanz zwischen uns und versucht wohl die Antwort in meinen Augen zu finden. Die sind tot. Etwas müde, vielleicht ein bisschen verheult wegen der Sache mit Johanna und dem Baby. Vielleicht habe ich Glück und Darwin schiebt die roten Ränder aufs Kiffen. Aber Darwin ist klug. Zu klug. Und siehe da. Da flackert es ganz still und heimlich auf. Das Mitleid in seinen eigenen Augen als er die Antwort auf all seine Fragen in meinen gefunden hat. Ich wende den Blick ab, weil ich Angst habe ihm in die Fresse zu schlagen. Ich hasse Mitleid. Ich will kein Mitleid. Von absolut niemanden. Aber Darwin zu schlagen, könnte mir ein Bett direkt neben Andriel auf der Intensiv einheimsen und ich war bei Gott genug lange im Krankenhaus und an irgendwelchen Schläuchen und Sondern - und der Katheter und ich sind in der gesamten Zeit sowieso keine Freunde geworden und werden es bestimmt auch nie werden.
Da Darwin offenbar nichts einfällt, was er sagen könnte, öffnet er die Tür und schiebt Susan als erstes hinein. Dann ich, dann er. Das Zimmer ist ebenfalls in Schwarz- und Rottönen gehalten. Das Reh bleibt direkt neben der Tür wie eine Salzsäule stehen und begafft kritisch ihr neues Zuhause, in das sie für 30 Minuten einziehen wird. Mir ist das Bett mit den dunkelroten Satinlaken scheissegal, mich interessieren auch nicht die BDSM-Spielzeuge an der feuerroten Wand oder die schwarzen Kerzen, die überall im Raum verteilt sind und mich schmerzhaft an Abigail von Tür 3 erinnern. Mein Gott, wie ich diese Frau vergöttert habe. Vergöttert, nicht geliebt. Zumindest denke ich, dass ich sie lediglich vergöttert habe. Feuerrote Haare, schneeweiße Haut und genauso verdorben wie ich selbst. Eine Rose mit Stacheln, an der man sich nur allzu gerne sticht. Rein sexuell ist oder war diese Frau alles, was ich jemals brauchte und wollte. Ein hübsch verpackter Abklatsch von Olga, der Heimleiterin, dem Puma. Von genau der Frau, die mich auf ihre verquere Art und Weise geliebt und zu dem gemacht hat, was ich heute bin, oder war. Andere nennen die Scheisse, die sie mit meinem kindlichen Ich abgezogen hat ‚Missbrauch‘, für mich war es die reinste Form der Liebe, die ich jemals erfahren habe. Scheissegal, ob‘s weh getan hat, zur Hölle, dass es falsch gewesen ist, es hat keinen gekümmert und schlussendlich hat es mich auch nicht mehr gekümmert. Ich hätte einen ganzen Wald abbrennen können und wäre immer und immer wieder bei ihr und zwischen ihren Beinen gelandet. Sie hat dafür gesorgt, dass ich bei ihr bleibe, bis irgendwann die guten Argumente ausgegangen sind. Wer will schon einen Teenager, der sich an einem vergangen hat, unter demselben Dach wohnen haben? Keiner und hätte sie weiterhin darauf bestanden, dass ich im Heim bleibe, wäre ihr Spiel gnadenlos aufgeflogen. Sie hätte zugeben müssen, was sie getan hat. Sie hätte nicht nur mich, sondern absolut alles verloren, was sie sich mühsam aufgebaut hatte. Und das ist der beschissene Moment, in dem all die verdrängten Erinnerungen wie Teer über mich fließen und mich darunter einschließen.
Nicht jetzt. Einfach nicht jetzt. Ich höre die gespielt mütterliche Stimme von meinem Puma in meinem Kopf, sehe ihr Gesicht, ihre Hände, die in meinen Schritt fassen und mir zeigen, was ich tun soll, wenn ich Angst habe und nicht schlafen kann. „Fass ihn an, siehst du, so und dann machst du das. Fühlt sich doch gut an. Oder?“ und dazu dieses Lächeln, dieses elendige Lächeln, was ich mir immer von meiner Mutter gewünscht und nie auf ihrem Gesicht gesehen habe, wenn sie mich angesehen hat. Zum Kotzen. Das alles ist zum Kotzen.
„Fynn?“ Susans mädchenhafte Stimme mischt sich unter mein Kopfkino. Ich spüre etwas Warmes an meiner Hand. Nicht schon wieder.
„Du tust mir weh“, fiept das Reh und holt mich zurück auf Mutter Erde. Hallo Realität. Ich lasse Susans Hand los und frage mich zum gottverdammt zweiten Mal wie das passieren konnte. Wie hat meine Hand in ihre gefunden? Mein Blick fällt von der weinerlichen Susan zu Darwin, der mich ansieht und sich ganz offensichtlich dieselbe Frage stellt. Sein Mund öffnet sich kurz, als wolle er irgendetwas sagen, aber dann klappt er ihn wieder zu.
„Mir geht’s gut“, sage ich und jeder um mich herum inklusive mir, weiß, dass das eine gottverdammte Lüge ist. „Hast du Kippen?“, höre ich mich fragen. Darwin wirft mir eine Schachtel zu. Ich fange sie auf, aber weil meine Finger zittern wie bei einem Junkie auf Entzug, fällt mir die Schachtel natürlich aus der Hand und auf den Boden. Ich will mich bücken, um sie aufzuheben, aber Susan kommt mir zuvor und übernimmt das Aufheben für mich. Susan. Die kleine Schwester von Johanna. Fuck. Am liebsten hätte ich mir die ganze Schachtel Zigaretten in den Mund gesteckt und sie angezündet, schaffe es aber gerade so es nur bei einer zu belassen.
„Und jetzt? Was machen wir?“, erkundigt sich Darwin, sobald ich den ersten Zug gemacht habe. Jacuzzi. Ohne etwas darauf zu erwidern, stecke ich mir den Sargnagel zwischen die Lippen und beginne mich auszuziehen. Anders als bei einem professionellen Striptease im Loveland scheint mein Publikum nicht so begeistert von meiner Darbietung zu sein. Darwin sieht mir zwar zu, wie ich mich aus meiner Hose kämpfe, aber das Reh steht nur beschämt neben der Tür und weiß nichts mit sich anzufangen.
„Gut, wie du willst“, kapituliert Darwin schlussendlich und beginnt sich ebenfalls auszuziehen, als ich ihm meinen Pullover an den Kopf werfe. Und ich dachte, das funktioniert nur in Pornos.
Nun muss sich das schüchterne Reh mit zwei nackten Männer aus dem Etablissement herumschlagen. Witzigerweise ist Darwin untenrum ähnlich gut ausgestattet wie ich, aber im Gegensatz zu meinem Körper ist sein Adoniskörper total unversehrt und untätowiert und sogar etwas gebräunt. Der Kerl sieht wirklich aus, als hätte man ihn gemeisselt, um Frauen den Kopf zu verdrehen. Und da ihm ein Sixpack offensichtlich nicht genug ist, hat er sich ein Eightpack zugelegt und keine Ahnung wie er das hinbekommt, aber selbst sein Schwanz sieht mächtig aus. Nicht wie irgendetwas, was man zum Ficken braucht, sondern wie eine Waffe für die man einen Waffenschein braucht und das selbst im schlaffen Zustand. Neben Darwin komme ich mir vor wie ein Schrottplatz. Er ist der Schönling und ich das kaputte Etwas daneben und ich hasse es, dass ich ausgerechnet jetzt das letzte bisschen Stolz, was sich irgendwo in mir verkrochen hat, aus seinem Versteck reißen muss und endgültig beerdigen kann. Das war’s. Die Buchstaben, die mir Johanna mit dem Messer in die Brust geritzt hat, fangen an lichterloh zu brennen, obwohl sie längst verheilt sind. Es sind nur vier, aber das Wort ist genauso hässlich, wie das lose Mundwerk der Frau, die mir die vier Buchstaben verpasst hat. C U N T. Als wäre der Stich ins Herz, oder eben beinahe ins Herz, nicht genug gewesen. Nein, sie musste mich auch noch zeichnen. Ich balle die Hand zur Faust und erlaube mir, es als Gerechtigkeit zu sehen, dass Johanna hinter Tür 16 und bei Nero gelandet ist. Alles, was er ihr antut, hat sie sich selbst zuzuschreiben und irgendwie auch verdient. Ja. Sie hat es verdient. Es geschieht ihr recht. Ich nehme meine Wut und meinen Zorn und richte all die negativen Gefühle gegen das jungfräuliche und unschuldige Reh.
“Worauf wartest du? Zieh dich aus”, herrsche ich das junge Ding an. Sie zuckt zusammen und aus der Cherrytomate wird ein klitzekleines und zuckersüßes, rotes Gummibärchen, dass ich auf der Stelle vernaschen sollte. Zweihunderttausend Euro. Was sind Zweihunderttausend Euro gegen ein bisschen wohltuende und bitterböse Rache? Darwin wirft mir wieder diesen Was-hast-du-vor-Blick zu, den ich gekonnt ignoriere. Plötzlich ziehen die BDSM-Spielzeuge an der roten Wand doch meine Aufmerksamkeit auf sich. Eine gute Auswahl für Einsteiger. Ein paar Peitschen, Seile, Zangen, Perlen, Klemmen, Dildos, Analplugs, Handschellen und andere Dinge, die man zum Fesseln brauchen kann, tummeln sich an der Wand. Ich könnte Susans Jungfräulichkeit mit einem Dildo den Gar ausmachen. Sie zwingen, es sich mit dem roten Silikon Ding, das aussieht wie ein Schwanz, zu besorgen oder es ihr direkt persönlich in ihre enge Mitte stoßen. Hart und rücksichtslos, so dass es schön weh tut und sie es noch Stunden oder Tage später spüren wird. Sie einfach mit dem billigen Gegenstand ficken, immer wieder, rein raus, rein raus und am besten filme ich es mit dem Handy und sorge dafür, dass Johanna dieses schöne Filmchen auf irgendeinen Weg erhält, mir scheissegal auf welchem. Oder ich peitsche das Reh aus und verpasse ihr ein paar feuerrote Striemen, passend zu dem Rot in ihrem Gesicht. Ich könnte auch die Klemmen an ihren niedlichen, rosafarbenen Brustwarzen befestigen und sie solange dran lassen, bis die armen Knospen vor Schmerz ganz taub werden. Früher hätte mich allein der Gedanke schon hart gemacht, aber egal, was für ausgefallene Möglichkeiten ich mir einfallen lasse, um meine Rachefantasien bei Susan auszuleben, mein Schwanz baumelt lustlos und desinteressiert zwischen meinen Beinen rum, als würde ihn das, was in meinem Kopf gerade abgeht, so überhaupt gar nicht interessieren. Mieser Verräter.
Im Augenwinkel nehme ich wahr, wie das Reh sich tatsächlich beginnt auszuziehen. Erst der Pulli, dann die Leggins, bis sie schlussendlich nackt und total eingeschüchtert im Raum steht und so viel Sexappael ausstrahlt wie eine Oma, die im Supermarkt einen Einkaufswagen vor sich herschiebt. Ja, das Reh ist hübsch. Aber das war es auch schon. Sie ist mehr wie ein Mädchen und weniger wie eine Frau und vielleicht ist genau das mein Problem. 20 soll sie sein. 20 und so unerfahren, als wäre sie frisch aus einem Ei geschlüpft. Darwin begutachtet mein Reh. Er geht sogar ein paar Schritte auf sie zu und aus einem mir total unerklärlichen Grund klingelt irgendwo in den Weiten meines Unterbewusstsein mein Beschützerinstinkt an der Tür und bittet um Einlass.
“So sehen also Zweihunderttausend Euro aus”, murmelt Darwin und rückt Susan noch mehr auf die Pelle. “Warum sollte einer so viel Geld für dich bezahlen?” Die Frage ist nicht an mich gerichtet, trotzdem verspüre ich das Bedürfnis mich einzumischen.
“Was weiss ich”, sage ich, quetsche mich an Darwin und seinen Muskeln vorbei und packe das Reh am Arm. Ich schleife die Kleine bis zum Whirlpool, der in der Ecke steht und mit seiner dunklen Holzfassade und der schicken Beleuchtung ziemlich edel aussieht. Das Wasser im Innern blubbert bereits. Einzig allein drei Treppenstufen trennen das Reh von dem warmen Nass. Ihre grünen Augen richten sich auf mich und die Angst, die mich aus ihnen heraus anlächelt, lässt den Schmerz in meiner Brust aufheulen wie eine Sirene. Fuck. Tut das weh. Darwin taucht neben mir auf und legt mir eine Pranke auf die Schulter, ehe er mein Reh hochhebt und in den Whirlpool verfrachtet. Dann geht er die drei Stufen hinauf, um selbst in den Whirlpool zu steigen. Ich tue es ihm gleich, während in meiner Brust gerade ein Bürgerkrieg tobt und ich den Fakt ausblende, dass man mit frisch genähter Wunde - verflucht sei Naomi und ihre Messerwerferei - nicht unbedingt baden gehen sollte. Das Wasser hat eine angenehme Temperatur, das Blubbern herrlich und trotzdem sitzen wir Drei alle ungefähr gleich angespannt und überhaupt nicht entspannt herum, als hätten wir alle Drei das Drehbuch nicht gelesen und würden auf Anweisungen der Regie warten, um endlich loslegen zu können.
“Also”, startet Darwin irgendwann und sieht mich dabei an. “Was ist der Plan?”
Keine Ahnung. Ich schiele abermals zu den BDSM-Spielzeugen an der Wand. Denke an den Deal mit Susan. An meine Rache. An Johanna. Das gottverdammte Baby. Theoretisch könnte ich auch einfach auf all das verzichten und das Reh bei Extravaganza abliefern, Zweihunderttausend Euro kassieren und mich von der nächstbesten Brücke werfen. Der Schmerz in meiner Brust stimmt mir nickend zu, hält diese Idee für die Vernünftigste. Wahrscheinlich ist sie das auch. Rache kann mich zwar kurzzeitig befriedigen, aber wiederherstellen oder gutmachen, was Johanna getan hat, kann es nicht. Mein neues Ich gefällt mir nicht. Es ist all das, was ich verachte. Es ist schwach. Es ist weinerlich. Unkontrolliert, ständig am Lachen und es bekommt keinen hoch, wenn es einen hoch bekommen sollte und zum Teufel, keiner nimmt mich mehr ernst und überall lauert dieses verfluchte Mitleid, um mich hinterrücks anzuspringen und mich daran zu erinnern, wie gottverdammt erbärmlich ich bin.
“Susan will ihre Schwester zurück und ich soll ihr dabei helfen, sie aus den Fängen von Nero zu befreien.” Was sonderbarer Weise ziemlich witzig ist, da der Mann die Frauen mit Hilfe seiner Hunde quält. Ich muss grinsen und gleichzeitig auch ein bisschen weinen, bei der Vorstellung wie Johanna auf allen Vieren von einem Hund durchgenommen wird. Und sie dachte, ich wäre schlimm, dabei war das bei mir eher Kuschelkurs als alles andere. Ja, gut, zugegeben, ich habe sie behandelt, wie man Ware eben behandelt. Respektlos. Ein bisschen hart rangenommen, sie entmenschlicht und zu meinem Haustier gemacht, aber dafür bin ich da. Es ist mein beschissener Job, Frauen sowas anzutun. Im Grunde ist der Mistkerl, der sie bei mir abgegeben hat, ist schuld an allem. Er hätte das Messer schlucken sollen, nicht ich. Er. Wie hieß der Typ nochmal? Tobias? Thomas? Irgendwas mit T. Groß, dünn, so eine klassische Topffrisur. Brille im Gesicht. Sah aus, wie einer, der in einem Schachclub ein Vorstandsmitglied sein könnte. Geleckt, streberhaft und eigentlich viel zu klug, um im Milieu zu verkehren. Mit Drogen hatte der Scheisskerl bestimmt nichts am Hut, außer vielleicht leistungsverstärkende Substanzen; so Baby Drogen wie Amphetamine, um noch strebsamer zu sein, als der Rest seines Bücherclubs. Irgendwas mit T hat Johanna nie abgeholt. Was auch immer zwischen den beiden lief, hatte wohl nicht ausgereicht, dass der geleckte Typ seinen Arsch noch einmal ins Etablissement bewegt und Johanna zurück fordert. Rettet. Vor mir und dem, was ich ihr hätte antun können, nachdem die Frist abgelaufen war. Es war ihm egal, so egal wie es einem sein könnte. Er hatte seine Kohle, ich sein Mädchen und damit schien er wohl gut leben zu können.
„Die Sache mit Nero“, Darwins Fokus schwingt zu Susan, die plötzlich spitze Öhrchen bekommen hat. Ganz offensichtlich ist Johanna dem Reh um einiges wichtiger als Irgendwas mit T. Das niedliche Ding traut sich ins Etablissement, obwohl hier lauter böser Männer mit bösen Absichten auf sie warten. Hut ab, Reh. Hut ab. Vielleicht hast du mehr Eier als ich aktuell.
„Was ist mit ihm?“, hake ich nach, als Darwin nicht mit der Sprache rausrückt.
„Nun… ich habe sie bei ihm abgegeben, als du… du weißt schon.“ Darwin zieht eine Grimasse und lenkt seine Aufmerksamkeit wieder auf mich.
„Kurz darauf ging es mit ihm bergab.“
„Wie jetzt?“ Ich spüre, wie meine Augenbrauen meinen Haaransatz einen Besuch abstatten, während mein Herz beschließt ein Trommelsolo zum Besten zu geben. „Sie hat ihn auch abgestochen oder was?“
„Nein, aber… müssen wir das vor ihr besprechen?“ Darwin deutet mit seinem sehr männlichen Kinn auf die neugierige Susan, die sich vor Spannung kaum mehr halten kann. Immerhin vergisst sie so mal für fünf Minuten ihre Brüste zu bedecken und gequält auszusehen, als hätten wir ihr bereits Gott weiß was angetan.
„Soll ich ihr sagen, dass sie sich die Ohren zuhalten soll oder was?“, witzle ich, aber bei Darwin kommt der Witz nicht an. Im Gegenteil, seine Mundwinkel gehen in den Sinkflug.
„Ich kann ihren Kopf solange auch unter Wasser drücken, dann musst du dich einfach etwas beeilen, sonst wird das nichts mehr mit den Zweihunderttausend Euro.“ Auch diese Aussage vermag es nicht, Darwins Laune zu heben. Und auch Susan wirkt nicht begeistert von meiner Idee.
„Ich kann auch einfach durch diese Tür gehen und sie mitnehmen.“ Darwin zeigt auf das Reh und im Gegensatz zu mir, reißt er keinen Witz, sondern meint seine Drohung ernst. Irgendetwas in mir will wieder anfangen zu lachen. Doch mein Mund bleibt einfach offen stehen.
„Also, Nero hat Probleme mit seiner eigenen Ware bekommen und ist ein paar Ränge abgestiegen. Kurz darauf hat er einen Lehrling zugeteilt bekommen und nun… naja worauf ich eigentlich hinaus wollte - Johanna, sie ist nicht mehr bei ihm.“
„Also hast du mich angelogen“, sage ich und verschweige dem einzigen Mann, den ich bis gerade eben als sowas wie einen Freund betitelt habe, dass ich weiß, dass Johanna sich im Außenposten befindet und soeben - beschissenes Wort - ihr Baby verloren hat.
„Zu deinem Schutz. Ich weiß, dass sie dir etwas bedeutet hat und seit der Sache, die dir diese unschöne Narbe eingebrockt hat, bist du nicht mehr der Alte.“
„Und wo ist sie dann?“, frage ich nach, gespannt, ob er mir diesmal die Wahrheit sagt und genervt, dass sich meine Stimme dabei anhört, als hätte man mir in die Eier getreten.
„Weg“, ist seine grandiose Antwort, mit der Susan und ich total viel anfangen können. Ganz besonders Susan wirkt, als hätte sie einen Hieb mit der Peitsche kassiert. So wie es aussieht, übernimmt Darwin das Foltern und Quälen für mich und obwohl er ein Dom ist, braucht er dazu nicht einmal die netten Utensilien an der Wand.
„Weg“, wiederhole ich und spritze mir ein bisschen Wasser ins Gesicht, damit keiner die Tränen sieht, die sich aus meinen Augen herausquetschen wollen. Warum auch immer ich gerade jetzt anfange zu heulen. Vielleicht liegt wirklich etwas in der Luft, was alle dazu bringt, unkontrolliert aus den Augen zu pissen. Akute Augen Inkontinenz oder sowas in der Art.
„Weißt du was? Wie wäre es mit einem Blowjob?“, höre ich mich sagen. Nun kuscheln Darwins Augenbrauen mit seinem Haaransatz.
„Hä?“
„Wir beide im Jacuzzi, zusammen mit ihr und keiner bekommt einen geblasen. Finde den Fehler.“ Mein Mund macht sich selbstständig. Mein Verstand hinkt irgendwo weiter hinten hinterher.
„Was zum Teufel ist los mit dir?!“ Darwin packt mich an der Schulter und fängt an mich zu schütteln.
„Ich sage dir gerade, dass Johanna weg ist und dir fällt nichts besseres ein, als dir von ihrer Schwester einen Blasen zu lassen? Weißt du was? Mir reichts. Ich nehme sie jetzt mit, kassiere die Zweihunderttausend Euro und hol dich danach wieder ab. In der Zwischenzeit denkst du einmal scharf darüber nach, was da oben bei dir nicht ganz richtig ist“, flucht er und verpasst mir mit seinem Kopf eine Kopfnuss. Aua. „Fuck Mann. Komm wieder klar!“
„Ja. Fick dich“, kläffe ich zurück und verpasse ihm einen Hieb mit der Faust in die Bauchhöhle. Kommt für ihn so unerwartet, dass ihm kurz die Luft wegbleibt. Ich nutze den Moment und gehe in Sicherheit. Besser gesagt, ich nehme das Reh als Geißel. Packe sie und stelle sie wie ein Schutzschild vor mir auf, während ich meinen Arm um ihren Hals schlinge und sie an Ort und Stelle vor mir stabilisiere. Ihr nackter Po reibt dabei an mir. Und fuck, irgendein Urinstinkt in mir beschließt darauf zu reagieren. Ich werde hart. Beschissener Zeitpunkt um seine Männlichkeit wiederzufinden. Absolut beschissener Zeitpunkt.
„Johanna ist übrigens nicht ‚weg‘. Die hat einen Abstecher, haha wie lustig, zum Außenposten gemacht und ihr Baby verloren, als Susan ihre tolle Auszeichnung als unberührte Heilige bekommen hat. Dein ‚weg‘ kannst du dir also gerne in den Arsch schieben.“ Susan versteift sich in meinem Griff. Ja. Überraschung. Da ist sie geplatzt. Die Bombe. Eigentlich wollte ich diese Baby-Sache für mich behalten, aber sobald Johanna irgendwie Thema ist, läuft mein gesunder Menschenverstand Amok. Ich kann nicht mehr klar denken. Ich rege mich auf. Ich drehe durch. Diese ganze Aktion hier ist, als hätte irgendeine Tussi das Zepter in die Hand genommen und alles darauf hinauslaufen lassen, dass sich zwei nackte Männer in einer Jacuzzi verprügeln. Ich knurre. Ja, ich knurre Darwin wie ein Köter an. Und zur Hölle ich wedle währenddessen mit meinem Schwanz, besser gesagt, meine Rute ist hoch empor gerichtet. Fuck, manchmal wünschte ich, ich hätte eine Seele, dann könnte ich sie in Momenten wie diesen dem Teufel verkaufen und ihn darum beten verfickt nochmal mein beschissenes Leben endlich zu beenden. Johanna hat es nicht hingekriegt. Ich habe es nicht durchgezogen und Darwin. Darwin starrt mich nur fassungslos an und irgendwie glaube ich, dass selbst er mir heute nicht den Hals umdrehen wird. Schade eigentlich. Das hätte die Sache wesentlich beschleunigt.
„Fynn“, sagt Darwin leise. Ein paar Sekunden Stille verstreichen. „Fynn“, wiederholt er etwas lauter, als wäre ich taub.
„Was?“, zische ich.
„Lass das Mädchen los.“ Darwin hält die Hände hoch und sieht mich an, als würde ich gleich hochgehen und den ganzen Schuppen mit mir mitnehmen. Asche zu Asche, Staub zu Staub.
„Einen Scheiss werde ich“, speie ich ihm entgegen, aber der Kerl denkt nicht einmal daran, sich in Sicherheit zu bringen. Er nähert sich mir wie ein FBI-Team einem Schwerverbrecher, der gerade eine Knarre auf den Kopf seiner Geißel gerichtet hat. Ja, klar. Natürlich. Meine Flinte aus Fleisch und Blut ist Susans Hinterteil auch verdächtig nahe und ziemlich geladen, bereit jederzeit die explosive Ladung in das Reh zu ballern. Zumindest in der Theorie. In der Praxis zittere ich von Kopf bis Fuß und heule wie ein Mädchen. Ein Mädchen mit einer Monsterlatte.
„Du lässt sie jetzt los, sonst….“, droht der Mann und spielt sich wieder einmal als Superheld auf. Aber wir beide wissen, dass es ihm lediglich um die Zweihunderttausend Euro geht, nichts weiter. Susan ist ihm komplett egal. So egal, wie mir Johannas Baby am Arsch vorbei geht. Unser Baby. Fuck, fuck, fuck.
„Du gehst, ich lasse sie los. Einen besseren Deal bekommst du heute nicht mehr“, wimmere ich und hätte mich so gern dafür auf der Stelle erschossen. Wie tief kann ich noch sinken, bis ich das Ende endgültig erreicht habe? Wo hat sich dieser absolute Tiefpunkt versteckt?
„Fynn“, versucht es Darwin schon wieder. Mittlerweile kann ich sogar nachvollziehen, warum alle anderen aus dem Etablissement mit ihrer Nummer statt ihrem Namen angesprochen werden wollen. Nach dem dritten Mal fängt es an zu nerven.
„Ich habe angerufen. Beim Außenposten. Ich habe Nessy gesagt, was sie dir sagen soll“, fährt Darwin mit ernster Miene fort. Jetzt wird es abstrus. Mein linkes Augenlid fängt an zu zucken. Ist das der Anfang eines epileptischen Anfalls oder kommt gleich ein Schlaganfall um die Ecke, um mich auszuschalten?
„Aha.“
„Ja.“
„Also ist das Baby nicht tot?“ Ich lache und ertappe mich dabei, wie ich mein Kinn auf Susans Köpfchen ablege und an ihrem Haar rieche. Sie riecht genauso süß, wie das Mädchen aussieht.
„Ach, was weiß ich, fuck. Keine Ahnung, was mit dem beschissenen Baby ist. Sie ist abgehauen. Okay. Sie ist abgehauen. Sie ist irgendwo da draußen.“
Als ob. Wenn Johanna da draußen wäre, warum ist Susan dann hier drin? Völliger Schwachsinn. Irgendein Teil von mir will alles stehen und liegen lassen und zum Außenposten fahren, um der Sache auf den Grund zu gehen. Selbst wenn Darwin Nessy beauftragt haben soll, mir die Scheisse mit dem Baby zu erzählen, hätte der Vollidiot doch damit rechnen müssen, dass ich sie hätte sehen wollen, was ich nicht wollte, aber es hätte ja auch anders verlaufen können, als es schlussendlich ist. Es war eine 50/50 Chance.
„Erstens, glaube ich dir kein Wort und zweitens, verpiss dich.“ Wieder höre ich mich an wie eine Heulboje auf offener See. Oder wie Walgesang unter Wasser.
„Fynn.“ Darwin macht es schon wieder. „Lass uns die Kleine zu Extravaganza fahren und die Sache hier einfach vergessen.“
„Wenn du nicht gehen willst, dann gehe halt eben ich.“ Kurzerhand lasse ich das Reh los und steige wutentbrannt aus dem Whirlpool. Ich nehme mir nicht einmal die Zeit mich abzutrocknen. Ich greife einfach nach meiner Hose und ziehe sie an. Sie bleibt kleben. Ich ziehe fester am Saum. Sie reißt ein. Egal. Wo ist mein Pullover? Da. Gut.
„Nimm mich mit“, fiept das Reh erbärmlich im Hintergrund. Ich werfe einen Blick über die Schulter und erblicke das Reh, wie sie unbeholfen versucht aus dem Whirlpool zu steigen und Darwin, der sie versucht daran zu hindern. Hm. Ja. Warum eigentlich nicht. Ich gehe auf die Wand mit den tollen Utensilien zu und schnappe mir eine der Peitschen aus der Vorrichtung. Ich kann damit nicht so gut umgehen wie Darwin, der damit geübt ist, aber so viel Kraft in den Hieb reinlegen, dass sich die Treibschnur in die Haut frisst, bekomme ich gerade noch so hin.
„Lass sie gehen“, drohe ich und lasse die Schnur als Provokation einmal gegen die Wand knallen. Das Geräusch, das dabei entsteht, zischt regelrecht in den Ohren und lässt Susan sowie Darwin bei dem, was sie tun innehalten. Beide glotzen mich verdattert an. Ganz besonders Darwin, der weiß, wie sehr ich Peitschen hasse, nachdem mich eine einmal beinahe erwürgt hätte. Ich war neu im Etablissement und 14, Henrietta, hatte mich spüren lasse, wie geschickt sie mit einer Peitsche in der Hand ist. Statt mich damit zu schlagen, hatte sie mir die Schnur wie ein Lasso um den Hals geschlungen und zugezogen bis mir die Luft wegblieb. Hätte nicht mehr viel gefehlt und sie hätte mir Luft- sowie Speiseröhre irreparabel zerquetscht. So viel dazu, dass das Leben im Etablissement der reinste Ponyhof ist. Das Leben ist hart wie Beton an den Füßen und zeigt man Schwäche, geht man gnadenlos unter.
„Fynn.“ Mal wieder. Ich lasse die Peitsche auf Darwins Schulter aufschlagen. Der Schmerz überrumpelt ihn und lässt ihn aufstöhnen. Susans Gelegenheit, um abzuhauen und obwohl das Reh bisher keine klugen Entscheidungen gefällt hat, hüpft sie aus dem Whirlpool und fällt direkt vor mir auf den Boden. Sie krabbelt an mir vorbei auf die Tür zu, wo ihre Klamotten rumliegen.
In der Zwischenzeit fechten Darwin und ich einen Anstarr-Wettkampf aus. Wut lodert in seinen Augen. Zorn spiegelt sich in seinem Gesicht wider.
„Hasta la Vista, Baby, Tschüssikowski und bye bye“, zitiere ich Andriel's Schlussrede, die er so gut wie in jeder seiner Liveshow am Ende zum Besten gibt, um Darwin noch einmal so richtig auf die Eier zu gehen. Dann lasse ich die Peitsche auf den Boden fallen, packe das halb angezogene Reh und den Rest ihrer Klamotten und renne zusammen mit ihr durch den prunkvollen Flur und bin froh, als Betty nicht vor dem Hintereingang Schmiere steht, sondern Katja, die so beschäftigt damit ist, irgendeinem Kerl die Mundhöhle auszulecken, dass sie dem sprintenden Reh und dem heulenden Wahnsinnigen keine große Beachtung schenkt.
Zurück beim Auto kotze ich auf den Parkplatz und als ich fertig gekotzt habe, hole ich mein Handy heraus und tue das, was ich schon längst hätte tun sollen. Ich schreibe Abigail von Tür 3 eine Nachricht und verpfeife Darwin.
Fynn: Darwin hat Andriel ins Krankenhaus befördert. Melde das. Ich bin fertig. Leb wohl, Wildkätzchen.
„Und jetzt?“ Das Reh sieht mich mit ihren grünen Kulleraugen an. Ihr Haarband hat sich gelöst und die dunklen Wellen fallen ihr über den Rücken.
„Trennen sich wohl unsere Wege“, antworte ich und stecke mein Handy wieder ein. „Geh nach Hause, Susan. Leb dein Leben. Vergiss das Etablissement. Mach dir selbst einen Gefallen und lauf weg. Weit weg. So weit wie es nur geht.“
„Und wenn ich das nicht will?“
„Dann bist du dumm.“
„Liebst du sie?“ Das Grün in ihren Augen fängt an zu glitzern wie tausend kleine Wasserspritzer.
„Wen?“
„Johanna.“
Ich überlege, bevor ich antworte. Susan kommt mir zuvor. Unerwartet schlingt sie ihre dünnen Ärmchen um mich und drückt ihren Kopf gegen meine Brust. Sie weint. Und zum ersten Mal tut mir das Mädchen wirklich leid. So leid, dass ich die Umarmung erwidere und sie enger an mich ran ziehe. Nun heulen wir im Duett und jeder, der uns so sieht, hält uns vermutlich für ein Liebespaar mit einer tragischen Geschichte dahinter, die Potenzial für einen Liebesroman hätte. Keine Ahnung wie lange wir rumstehen und den Asphalt mit unseren Tränen tränken. Und keine Ahnung, warum Darwin uns nicht gefolgt ist. Sind ihm die Zweihunderttausend Euro plötzlich so egal, dass er lieber in der Jacuzzi sitzen bleibt, anstatt uns hinterherzulaufen?
Irgendwann löse ich die Umarmung auf und drücke das Zweihunderttausend-Euro-Reh von mir weg. Ein Blick in Susans Gesicht und Erinnerungen flackern auf. Ich habe das Mädchen kaputt gemacht, ohne überhaupt mein Standard-Arsenal auszufahren. Ihr Gesicht weist dieselben Spuren auf, die ich auf allen Mädchen, die hinter meiner Tür landen, hinterlasse.. Zerstörung. Schmerz, Wut, Resignation, ein kleiner Rest Hoffnung, Scham und Trauer. Normalerweise betrachte ich sowas als und wie ein Kunstwerk, so als hätte ich mich mit meinen Taten auf und in ihnen verewigt und normalerweise lässt mich sowas emotional auch total kalt. Aber diese Spuren auf Johannas kleiner Schwester zu hinterlassen, hat was. Hat etwas, das mir nicht gefällt. Und diese Wendung passt mir noch weniger in den Kram. Bisher war mir Susan egal und jetzt? Ist da etwas. Fuck.
“Steig in den Wagen”, fordere ich das Reh auf. Sie nickt und ihr Nicken sorgt dafür, dass meine Mundwinkel sich selbstständig machen und so etwas wie ein Lächeln formen. Sogar eins, das als ‘nett’ durchgehen könnte. Susan, du kleiner, dummer Wackeldackel, der einfach nicht weglaufen will.
Als das Mädchen auf der Beifahrerseite platz genommen hat und ich mich hinters Steuer setze, macht mein Körper das, was er momentan am Besten kann. Er spielt verrückt. Hätte ich einen Arzttitel in der Tasche, könnte man mich Dr. Bibber nennen, wie der Typ aus diesem Kinderspiel mit der Pinzette und den Organen und scheisse, ich fühle mich auch genauso ausgeliefert wie das arme Schwein, dem die Organe entfernt werden. Was habe ich überhaupt für Optionen? Ich habe nicht einmal einen Schulabschluss, dafür beherrsche ich das Kamasutra und kann verdammt gut mit Seilen umgehen. Nichts, was man in eine Bewerbung für einen vernünftigen Job schreiben könnte oder sollte. Genau genommen habe ich keine Alternative ausser das Milieu, den Drogenhandel und alles, was sonst noch in diese Schiene gehört. Und wenn man es ganz genau nimmt, liegt meine Zukunft hinter schwedischen Gardinen, sollte ich das Etablissement jemals verlassen. Und bin ich erstmal wieder im Knast, in dem Zustand in dem ich jetzt bin, dann bin nicht ich der, der fickt, sondern der Gefickte, wenn die Seife auf den Boden fällt.
Für eine Weile fahre ich einfach geradeaus ohne wirkliches Ziel. Susan neben mir schweigt, auch wenn ich merke, dass sie mich gerne mit Fragen löchern würde, sich aber nicht zu trauen scheint.
“Wir hatten wohl beide unsere Geheimnisse”, starte ich und komme mir vor, als wäre ich Susan Rechenschaft schuldig, was totaler Blödsinn ist.
“Ich bin ein Arschloch und Abschaum, aber ich wollte kein Baby. Ich wollte Johanna kein Baby machen. Wirklich nicht”, plappere ich weiter und habe keine Ahnung, worauf ich mit diesem Gespräch hinaus will. Die letzte Beichte ablegen? Eventuell. Gut möglich. Links und rechts flitzt die grüne Idylle an uns vorbei. Es regnet. Der Scheibenwischer tut seine Pflicht, Techno Musik rieselt aus dem Radio. Ich liebe Musik, aber Bücher waren immer mehr mein Ding gewesen. Schwarze Buchstaben auf weißem Papier. Eine vorgefertigte Geschichte mit rotem Faden, einem Protagonisten mit Perspektiven und vorzugsweise einem Happy End. Ich habe nichts davon. Keinen roten Faden, keine Perspektiven und kein Happy End.
“Das Etablissement ist eine Art Pfandleihhaus, nur nehmen wir als Pfand keinen Plörres sondern Menschen. Du brauchst Geld? Viel Geld und das möglichst schnell und sofort und egal wie? Dann kommst du zu uns. Wir Käufer oder respektive Meister kaufen die Ware für eine gewisse Anzahl Tage ein und scheffeln mit ihr Geld. Sobald die Tage abgelaufen sind, kann man sein Pfand zurück haben, sofern man es wieder bei uns abholt. Am besten steht man direkt nach Ablauf der Frist vor unserer Tür, weil nur bis dahin die Regeln gelten. Kommst du nicht, gehört die Ware uns. Steht im Kleingedruckten und keiner liest das Kleingedruckte.” Ich mache eine kleine Kunstpause und warte, ob Susan schlau genug ist, um zu verstehen, was ich ihr gerade gesagt habe. Aber das Reh macht keinen Wank. Ihre Augen sind starr geradeaus gerichtet.
“Ein Typ mit Topffrisur hat Johanna vor genau…”, ich rechne zurück. “ ungefähr 11 Monaten bei mir abgegeben. Ich habe sie für 30 Tage gekauft und der Wichser ist nicht aufgekreuzt, also habe ich deine Schwester vorerst behalten. Sie war anders als die anderen Mädchen, das hat mir an ihr gefallen. Sie hatte Power. War bissig und nicht zu zähmen. Jeder Tag mit ihr war wie...ein Abenteuer. Die Tage im Etablissement sind trist, langweilig und irgendwie immer gleich und Johanna.. sie war eine willkommene Abwechslung. Hat Spannung rein gebracht, mich herausgefordert und mich teilweise wirklich zur Weißglut getrieben, aber das mochte ich an ihr. Genauso wie ihre gnadenlose Ehrlichkeit. Ihr loses Mundwerk. Ihren Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen; diese Kämpfernatur… hatte es mir angetan. Mich um sie zu kümmern, war wie eine Flucht vor mir selbst. Meine ganze Energie floss in diese Frau hinein. Ich wollte sie so unbedingt….kaputt machen wie alle anderen zuvor. Letzten Endes hat sie mich kaputt gemacht. Nicht nur damit”, ich tippe mit dem Zeigefinger auf meine Brust. “Sondern auch mit diesem Baby. Ich kann sowas nicht, Susan. Ich kann…”, ich stoppe und umklammere das Lenkrad fester. “... einem Kind nicht dasselbe antun, was mir angetan worden ist”, beende ich den Satz im Stillen. Denn genau darauf würde es hinauslaufen, wenn Johanna dieses Kind auf die Welt bringt. Sie würde es nicht haben wollen. Sie könnte es nicht lieben, nicht einmal ansehen, weil sie die ganze beschissene Zeit nur mich in diesem Kind sehen würde. Sie würde dem Kind die Schuld geben, an allem was ihr widerfahren ist und schlussendlich würde sie das Kind anfangen zu hassen, zu verachten, sich vor ihm zu ekeln und es irgendwann abschieben, wenn sie es gar nicht mehr aushält und dann… kümmert sich irgendein Puma drum. Fuck. Fuck, scheisse fuck. Ich ERTRAGE das nicht und als hätte irgendein Gott oder von mir aus auch Satan mein stilles Gebet erhört, taucht vor uns eine Brücke auf. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die beschissene Lösung. Ich fahre rechts ran. Steige aus. Werde wie ein Magnet wie magisch von dieser Brücke angezogen. Ich höre die Beifahrertür aufschlagen. „Wohin gehst du?“
Die Stimme des Rehs ist schrill und so weit weg, dass ich mich nicht verpflichtet fühle, ihr zu antworten. Hätte ich auch nicht, wenn sie näher gewesen wäre. Besser so. Ich werfe die Autoschlüssel ins Gras, ziemlich sicher, dass Susan sie aufheben wird und renne los. Meine Kondition ist so im Arsch, dass ich das Tempo kaum halten kann. Meine Pumpe geht, mein Herz rast, irgendein anderes Organ in mir kollabiert. Ich bin so ein Wrack. Ein Totalschaden.
An meinem Ziel angekommen, steige ich über das Geländer und halte mich fest. Zum ersten Mal begrüße ich dieses beschissene Zittern, denn es erschwert es mir deutlich, mich festzuhalten. Meine Hände sind schweißnass und der Regen trägt seinen Teil dazu bei. Ich könnte jederzeit abrutschen, falls ich mich nicht traue, selbst zu springen. Der Blick in den Abgrund ist wie ein guter Porno, bei dem man weiß, dass man garantiert zum Höhepunkt kommen wird. Kein Wasser, sondern Felsen. Eine Schlucht. Ein Sprung aus dieser Höhe ist so tödlich wie das Gift einer schwarzen Witwe. Und obwohl ich mir verdammt sicher bin, dass ich genau so enden will, pirscht sich die Angst von hinten an mich ran, nimmt mich in den Schwitzkasten und schnürt mir die Luft ab. Das Atmen fällt mir schwer und die tausend Gedanken, die meinen Kopf fluten, erdrücken mich. Eine Zigarette würde diesen Moment perfekt machen. Abigail von Tür 3 meinte einmal zu mir, dass mich diese Dinger irgendwann umbringen würden. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt dafür und ich würde ihr nur allzu gerne dieses Geschenk machen. Einfach mit Zigarette im Mund draufgehen und ihre Prophezeiung wahr werden lassen. Sie würde diese Situationskomik bestimmt witzig finden und fuck, es gibt keine Frau, nicht einmal Johanna, die ich so gerne lachen höre, wie sie und ich bin mir sicher, sie würde lachen. Immerhin sterbe ich dann als die Lachnummer, die ich bin. So und jetzt? Einfach loslassen und fallen lassen oder zählt man vorher noch bis 10? Oder 3? Soll ich irgendetwas rufen? Ein paar letzte Worte? Beten? Vielleicht hätte ich das 1 x 1 Handbuch für Selbstmörder durchlesen sollen. Habe so viele Bücher gelesen, aber so eins, ist mir nie in die Hände gefallen. Shit happens. Shit fuckin happens.
Gerade als ich mit meinem Countdown bei 5 ankomme, taucht das Reh hinter mir auf und klettert über das Geländer.
„Was zum Teufel machst du da?“, knurre ich, aber das Mädchen funkelt mich nur an, ehe sie ihren Blick gegen den Abgrund richtet und sich genauso hinstellt wie ich. Bereit sich jederzeit in die Tiefe fallenzulassen. „Nimm den Wagen und fahr weg. Irgendwohin. Er gehört dir. Mach damit was du willst.“
Das Reh schüttelt wie so häufig mit dem Kopf.
„Wenn du springst, springe ich auch.“