Hol mich ab
Wolltest du schon immer ein Mädchen entführen?
Eins, das sich vielleicht nicht wehrt? Dann ist das deine perfekte Gelegenheit! Entführ mich, denn ich habe die Nase voll von meinem Leben. Es ist scheisse und keiner würde mich vermissen. Ehrlich, es würde absolut niemandem auffallen, wenn ich weg wäre. Warum also nicht verschwinden und das freiwillig?
Du hältst das für überstürzt und total daneben und glaubst nicht, dass ich das wirklich ernst meine? Meine ich aber. Ich habe mir reichlich Gedanken darüber gemacht, ich habe auch darüber nachgedacht, mich einfach umzubringen. Aber dann wäre ich nur eines dieser Mädchen, das von der Bildfläche verschwindet und dem kein Hahn hinterher kräht. Oder so. Du verstehst bestimmt, wie ich das meine. Schließlich bist du genug abgefuckt und ziehst dir diese Anzeige hier rein. Nun, Glück für dich, dass ich über diesen Artikel von diesem Mädchen gestolpert bin, das entführt und umgebracht worden ist und über das jetzt nicht nur Zeitungen, sondern auch Podcasts berichten. Das will ich auch. Genau das. Ich will, dass meine Eltern und all die anderen, die mich kennen und mich wie Luft behandeln, einmal in ihrem Leben merken, dass etwas fehlt. Dass sie merken, dass ich auch da und was Besonderes bin. Etwas, dass sie nicht geachtet und links liegen gelassen haben. Ich möchte, dass sie sich schlecht fühlen. Ich will, dass sie um mich weinen und dass es ihnen leid tut. Alles. Alles, was sie mir angetan und nicht getan haben. Verstehst du?
Und du sollst mir dabei helfen. Was du dafür kriegst, fragst du dich? Na mich. Du darfst mich haben. Mit mir anstellen, was du möchtest. Echt. Versprochen. Sogar mit meinem Einverständnis. Einzig allein eine Sache musst du mir versprechen, bevor ich dir gehöre und du mit mir machen kannst, was du willst. Gib mir einen Monat Zeit. Verbring einen Monat mit mir. Lern mich kennen und gib mir die Gelegenheit, mitzubekommen, wie sie mich alle suchen und vermissen. Ich will das nur ein einziges Mal in meinem Leben spüren. Dass ich ihnen doch wichtig gewesen bin. Und dass sie alles bereuen. Das ist mein Wunsch. Mein allerletzter Wunsch sozusagen. Danach kann ich sterben. Deal?
Bist du interessiert, dann melde dich bei mir unter der Nummer: ….
Und er hat sich gemeldet, weshalb ich nun hier mit meiner vollgepackten Sporttasche unter der Straßenlaterne stehe, die bereits ausgegangen ist, weil wir drei Uhr morgens haben. Viel weiss ich nicht über ihn, nur dass er mich abholt und er mit einem Wohnmobil unterwegs ist. In meiner Vorstellung sieht er aus wie all die perversen Typen, die sich über unschuldige Mädchen hermachen und über die True Crime Podcasts beinahe täglich berichten.
Mein Entführer hat bestimmt graue Haare, einen verzottelten Bart und nicht mehr alle Zähne im Mund, ist alt und stinkt abscheulich. Die Klamotten sind dreckig, eklig und haben Löcher und er hat sicher irgendeine komische Macke, die ich ganz fürchterlich finden werde. Den Rotz der Nase ständig hochziehen zum Beispiel oder sich zwanghaft im Schritt rumfummeln. Alleine bei dem Gedanken wird mir mulmig und ich spüre, wie die Gänsehaut, die sich mittlerweile über meinen ganzen Körper ausgebreitet hat, an Intensität gewinnt. Keine Ahnung, warum ich mir das antue. Also eigentlich weiss ich es schon, aber in Anbetracht, dass ich gleich bei einem Widerling einsteigen und mich ihm ausliefern werde, wird mir dennoch ganz anders. Selbstmord wäre eventuell doch die bessere Wahl gewesen, denke ich mir, als ich tatsächlich das ohrenbetäubende Brummen eines grossen Gefährts wahrnehme. Automatisch schießt mein Blick in die Richtung, aus der das Geräusch herkommt und wenig später tuckert es um die Ecke. Die Scheinwerfer sind aus und auch im Innern ist es dunkel, so dunkel wie um mich herum.
Ein Impuls rät mir, schnell die Beine in die Hand zu nehmen und um mein Leben zu rennen, aber ich reiße mich zusammen. Du schaffst das, Mila. Mila Superstar. Wie das Mädchen, nachdem mich meine Eltern benannt haben.
“Du hast dir das in den Kopf gesetzt, also ziehst du das jetzt durch”, sage ich leise zu mir selbst. Ich straffe die Schultern und versuche, mich größer zu machen, als ich bin. In Wirklichkeit fühle ich mich so klein wie eine von Mamas teuren Espressotassen und ungefähr genauso zerbrechlich. Einmal fallen gelassen und sie sind unwiderruflich kaputt. Und der Typ da in der Karre wird mich kaputt machen. Zerstören. Und irgendwie hört sich das nun gar nicht mehr so verlockend an, wie in dem Moment, als ich die Anzeige online geschaltet habe.
Die Angst sitzt mir im Nacken wie einer ohne Beine im Rollstuhl. Genauso ausgeliefert fühle ich mich. Als hätte mein Rollstuhl einen Platten, der mich daran hindert, die Flucht zu ergreifen und mich auf und davon zu machen. In diesen blöden Podcasts bringen die das gar nicht so richtig rüber wie es in Wirklichkeit ist. Meine Entführung geht nicht schnell vonstatten, nein, sie zieht sich endlos, als hätte der Typ hinter dem Steuer genauso Bammel wie ich, die Aktion mit dieser Entführung durchzuziehen. Oder er hat Schiss, dass irgendwo hinter einem Gebüsch ein Polizist lauert und ich ihm nur eine Falle gestellt habe und eigentlich gar nicht entführt werden will.
Mist, ich hätte doch ein “KEINE POLIZEI”-Schild basteln sollen, das ich jetzt hochhalten könnte, als würde ich am Flughafen stehen und bereits sehnsüchtig auf meinen Entführer warten. Wobei ihn das vermutlich nur umso mehr verunsichern würde. Blöde Zwickmühle.
Als die großen Reifen vor mir oder besser gesagt neben mir zum Stehen kommen, geht mir ordentlich die Pumpe. Mein Herz springt mir beinahe aus der Brust, als wollte es sicherheitshalber schon einmal einsteigen und Platz nehmen, falls ich den Mut dafür nicht finde.
Für eine gefühlt lange Ewigkeit passiert einfach gar nichts, außer dass ich Abgas inhaliere und verzweifelt versuche, meine Tränen zurückzuhalten. Dann geht der Motor aus. Ich rechne jeden Moment damit, dass das Fenster der Beifahrertür herunter gekurbelt oder gelassen wird. Wobei die Kiste eher alt, als modern aussieht. Also Handarbeit. Vielleicht passiert deswegen nichts und der Typ hadert noch mit sich, ob er wirklich aussteigen oder doch die Biege machen soll. “Oder was ist, wenn du ihm nicht gefällst?”, meldet sich eine Stimme in meinem Kopf zu Wort. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Was ist, wenn nicht mal mein Entführer mich haben will? Oh Gott…
Ich schaue an mir herab auf meine ausgelatschten Turnschuhe Marke Irgendwas, dann weiter hoch zu meiner ausgebeulten Jogginghose, die ist wenigstens von Adidas. Mein Pulli ist von meiner Lieblingsband und eigentlich das Einzige an mir, was mir irgendwie gefällt. Nicht einmal mit meinen Haaren habe ich mir heute Mühe gegeben. Die stecken in einem Dutt und das nicht einmal ordentlich, sondern stehen in alle Himmelsrichtungen ab. Geschminkt bin ich auch nicht, wobei ich das auch nicht unbedingt sein muss. Oder erwartet das ein Entführer von einem?
Ich muss an das eine Mädchen aus diesem True Crime Podcast denken. Nicole. Die ist garantiert nicht willentlich entführt worden, aber auf ihrem Fahndungsfoto hat sie top gestylt ausgesehen. Natürlich haben sich dort auch einige darüber aufgeregt, dass das Foto mit einem Filter versehen ist. Naja. Wer weiss, wie sie ausgesehen hat, als dieser Karl M. Sie geholt hat.
Mein Karl M. lässt sich reichlich Zeit, mich zu schnappen. Ich stehe noch immer wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Bürgersteig neben dem Wohnmobil. Das läuft ganz anders ab, als ich mir das ausgemalt habe. Eigentlich müsste der Mann mit mir nun mit mindestens tausend km/h über die Autobahn und auf und davon brettern. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wir beide scheinen darauf zu warten, dass irgendeiner von uns den ersten Schritt macht und da er der Ältere und der mit dem Führerschein von uns ist, muss er den Anfang machen. Nicht ich. Ich bin das Opfer!
Na gut. Eigentlich nicht so richtig. Ich liefere mich ihm freiwillig aus. Die anderen Mädchen hatten keine Wahl.
Bevor mich das schlechte Gewissen packen und mit sich reißen kann, reisse ich stattdessen die Tür vom Wohnmobil auf. Wofür ich mich tatsächlich erst auf dieses kleinen Trittbrett stellen muss, um überhaupt an die Klinke ranzukommen und auch die lässt sich nur schwerfällig und mit viel Kraftaufwand öffnen, so, dass ich fast nach hinten weg purzel, als im Wageninnere zu landen.
Ohne den Entführer überhaupt nur anzusehen, ich habe echt Schiss, pflanze ich mich auf den viel zu weichen und flauschigen Beifahrersitz und manövriere meine viel zu stämmige Sporttasche im gleichen Zug auf meinen Schoss. Ich versinke fast unter ihr und im Stuhl, doch gefühlt fühle ich mich mindestens drei Zentimeter größer, weil ich das gerade gepackt habe. Ich sitze im Wohnmobil meines Entführer und jetzt kann die Entführung endlich losgehen! Zumindest in der Theorie, in Wirklichkeit sitze ich dort wie ein Häufchen Elend, begraben unter all meinem Hab und Gut und scheisse mich fast ein. Scheisse ist übrigens auch das richtige Stichwort, denn in meiner Vorstellung müsste es nun danach müffeln und nach Schweiss. Sowie Zigaretten- und Bier-Mief. Ach ja, und nach irgendeinem Aftershave, das bestialisch stinkt und furchtbar in der Nase beißt.
Ich bin ganz baff, als ich einen ganz anderen Duft wahrnehme. Okay. Ein bisschen alt riecht es schon, aber auch angenehm nach… Waldbeere. Ich blinzele verwundert und zucke zusammen, als mein Entführer das Wort ergreift.
“Wollte sicher gehen, ob du das auch wirklich willst”, sagt er. Es ist das erste Mal, dass ich seine Stimme höre und der Klang von ihr lässt mich kurz das Atmen vergessen. Aber nur kurz. Viertausend Siebenundsiebzig Augenblicke später - ich habe sie nicht wirklich gezählt, es sind bestimmt nur drei oder vier Sekunden gewesen, richte ich mich kerzengerade auf und blicke schüchtern über meine Schulter und zu dem Mann herüber. Es ist dunkel, ja, dennoch erkenne ich seine Umrisse, die Konturen seines Gesichts, kann seine Frisur erahnen, auch wenn er eine Mütze trägt und registriere seine Klamotten. Jeans und Pullover. “Zum Glück nicht nackt oder unten ohne”, geistert es durch meine gnadenlos überforderten Synapsen. Ich meine,... das ist er, der Mann, der mich entführen wird, und er sitzt direkt neben mir, am Steuer seines uralten Wohnmobils.
“Bin ich nicht das, was du dir vorgestellt hast?”, fragt er und die Mundwinkel heben sich bei der Frage leicht an.
Ich schüttle einfach den Kopf. Wahrscheinlich presse ich auch die Lippen aufeinander und sehe aus, als hätte ich mich gerade eingepinkelt, wie das Kleinkind, das ich eigentlich nicht bin, aber als das ich mich fühle. Der Mann ist groß. Riesig. Viel größer als ich. Ich weiss, dass ich so langsam auch etwas sagen sollte, aber die Worte stecken einfach in meinem Mund fest. Das Einzige, wozu ich derzeit in der Lage bin, ist diesen Menschen zu mustern, der gleich mit mir verschwinden wird.
“Du kannst mich Theo nennen. Und wie heißt du?”, stellt sich der Mann vor, der vermutlich nicht Theo heißt. Ich soll ihn ja nur so nennen. Er kann alle möglichen Namen haben. "Apropos, das ist der Moment, wo du ihm deinen verraten musst, Mila, hast du gehört?”, schallt es durch meinen Kopf. Ich zucke zusammen und bin vermutlich auf die Grösse eines Schlumpfs geschrumpft, als ich ein schüchternes “Mila” von mir gebe. Mensch, ich hätte mir auch einen coolen Undercover-Namen für die Mission aussuchen sollen, statt ihm meinen richtigen zu nennen. Theo nickt lediglich und versucht es noch einmal mit einem Lächeln, was ihm nur so semi gelingt. Irgendwie macht ihn mir das ein wenig sympathisch, obwohl ich meinen Entführer definitiv nicht sympathisch finden sollte.
“Der will doch nur das eine von dir”, mahnt mich die Vernunft. Ich rümpfe die Nase und denke an all das, was den entführten Mädchen aus den True Crime Podcasts widerfahren ist. All die Abscheulichkeiten manifestieren sich hinter meiner Schädelrinde und die Ansammlung an Grausamkeiten ist genau das, was ich brauche, um endlich zu mir zu kommen und den Reißverschluss meiner Sporttasche zu ergreifen. Im Augenwinkel nehme ich wahr, dass Theo mich mit hochgezogener Augenbraue dabei beobachtet, wie ich ein Stück Papier zwischen all meinen Klamotten hervor bugsiere. Das Rascheln ist so unangenehm laut, ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten. Oder das Radio lauter gedreht. Dort fidelt nämlich irgendeine Musik vor sich hin, die mir garantiert für den Rest meines Lebens, wie kurz oder lang es auch sein mag, im Gedächtnis bleiben wird.
“Was hast du denn…”, will Theo fragen, doch da halte ich ihm meinen Zettel bereits frontal vors Gesicht.
“Das ist ein Vertrag”, platzt es aus mir heraus wie aus einem Luftballon mit zu viel Druck. Eigentlich müsste nun Theos Mütze vom Kopf segeln und ihm die Haare zu Berge stehen, stattdessen fischt er mir das Papier aus meinen zittrigen Händen und guckt es sich tatsächlich an, liest sogar, was dort steht. Das ist der Moment, in dem ich erst so richtig realisiere, dass der Mann kein Brillenträger ist und dass die Podcaster, die irgendwann über uns beide berichten werden, höchstwahrscheinlich hiervon, von dem, was gerade passiert, niemals erfahren werden. Wie viel von dem, was in all diesen abartigen Fällen in Wirklichkeit geschehen ist, kommt wohl abhanden? Es muss ja fast jemand dabei gewesen sein, um diese Kleinigkeiten festhalten und davon berichten zu können, und meistens bleibt nur der Täter übrig und der übt sich im Schweigen, weil ihm noch so jedes kleine Detail zum Verhängnis oder negativ angehaftet werden könnte. Wie die Tatsache, dass das Mädchen auf einen Vertrag bestanden hat. Ob Theo das für sich behalten wird, wenn ich nicht mehr da bin?
Theo gibt ein “Hm” von sich und schaut von meinem handgeschriebenen Schriftstück auf. Der Argwohn ist ihm noch immer anzusehen, als wäre ich die, der man nicht trauen kann, und das obwohl er der Entführer ist.
“Und du willst, dass ich das unterschreibe?”, hakt er nach. Nun höre ich es auch aus seiner Stimme heraus, dass er meinen Schrieb für absoluten Unsinn hält. Dennoch ist er mir wichtig. Wichtiger denn je. Also sage ich “Ja” und beginne damit, meinen Füller aus der Sporttasche zu kramen, der sich natürlich ganz unten versteckt haben muss.
“Du willst also, dass ich dich einen Monat lang kennenlerne und erst dann darf ich mit dir anstellen, was ich möchte, ganz egal was es ist?”, fasst Theo das, was ich niedergeschrieben habe, zusammen.
Ich quetsche wieder ein “Ja” heraus, während ich in der Sporttasche herum buddele wie ein ausgebüchster Maulwurf. Da! Hab ich dich! Mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen ziehe ich den Füller aus dem Klamottenhaufen heraus und halte ihn mit ausgestrecktem Arm hoch. Fast so, als hätte ich bei einem Wettkampf Gold geholt. Fehlt nur noch, dass Theo die Korken knallen lässt. Doch nach Korkenknallen sieht es nicht aus. Im Gegenteil, seine Züge haben sich verfinstert. Offenbar ist er nicht so begeistert von meiner Idee.
“Ein Monat ist lang, Mila”, meint er nur und kratzt sich mit der freien Hand hinter dem Ohr. “Was ist, wenn wir vorher erwischt werden?”, gibt er zu bedenken, als mir auf seine Aussage nichts Schlaues einfällt.
“Dann musst du halt dafür sorgen, dass wir nicht erwischt werden”, kontere ich frech, was in meiner Situation irgendwie komisch ist. Ich bin mir sicher, ich bin das erste und einzige Opfer, das so etwas jemals zu seinem Entführer gesagt hat.
Da ist es wieder, Theos Nichts-Halbes-Nichts-Ganzes-Lächeln, was ich sympathisch finde und nicht sympathisch finden sollte.
“Muss ich das, ja?”, neckt er mich und greift nach dem Füller in meiner Hand. Zumindest denke ich, dass er mich neckt und wende sogleich verlegen den Blick von ihm ab und zu meinen Füßen hinunter. Aber nicht ohne vorher den leichten Ansatz von einem Dreitagebart, oder wie man sowas nennt, zu bemerken. Ja, da ist so ein dunkler Schimmer um seine Mund- und Kinnpartie. Wie alt mein Entführer wohl ist? Ich hätte gerne gefragt, doch traue mich noch nicht.
Erst als ich den Füller über das Papier kratzen höre, fällt die Anspannung ein bisschen von mir ab und auch das Herzklopfen, was ich bisher versucht habe, krampfhaft auszublenden, wird weniger. Nicht, dass mein Herz aufhört zu schlagen, nein, es schlägt bloß nicht mehr so laut und fest, als hätte es jeden Moment vor, aus meinem Brustkorb auszubrechen.
“Okay, Mila, ich akzeptiere deine Bedingung, wenn du meine akzeptierst”, meint Theo, als er mir den unterschriebenen Vertrag und den Füller zurückgibt. Ich komme nicht drumherum, ihn dabei anzusehen. Blau. Seine Augenfarbe ist blau. Glaube ich. Sie ist hell, also kann sie nicht braun sein.
“Was ist deine Bedingung?”, frage ich zögerlich.
Nun ist es Theo, der sich von mir abwendet und zum Lenkrad sowie Schaltknüppel greift. Er legt einen Gang ein und als das Wohnmobil sich daraufhin bewegt, wird das Lächeln auf seinem Gesicht zum ersten Mal breiter, so dass ich Zähne sehe. “Er hat gute Zähne, kein Zahn fehlt”, denke ich und höre abrupt auf zu denken, als mein Entführer seine Forderung ausspricht.
“Ich will, dass du mich zu keinem Zeitpunkt anlügst. Zu keinem einzigen Zeitpunkt. Versprichst du mir das, Mila?”
Ich schlucke, und schlucke wieder und bekomme nur mühsam das “Warum” heraus, was mir mehr als schwer auf der Zunge liegt.
“Weil ich die Lügen so satt bin. Außerdem", Theo hält kurz inne und manövriert das Gefährt über die nächste Kreuzung. “Vertraust du mir, dass ich mir die Zeit nehme, dich kennenzulernen und im Gegenzug will ich dir auch Vertrauen können. Das ist nur fair, findest du nicht?”
Mit der Gegenfrage habe ich nicht gerechnet. Und schon gar nicht, dass ich nun wirklich im Begriff bin, entführt zu werden. Wie heißt es so schön? Es wird einem erst das volle Ausmaß seiner Tat bewusst, wenn es endlich so weit ist. Es ist so weit und der Mut hat mich gänzlich verlassen. Weshalb ich nur nicke.
Theo nickt ebenfalls, was wohl gleichbedeutend ist mit einem weiteren Vertragsabschluss. Dann wird es plötzlich still zwischen uns. Die vertraute Gegend zieht am Fenster an mir vorbei, der Motor vibriert unter meinem Po und die Angst hat mich ganz fest in ihrem Würgegriff gefangen und wird mich wohl so schnell nicht mehr loslassen.