Hol dich ab 2

Céline Dion, my heart will go on. Meine Eltern. Vielleicht Jutta, wobei Jutta mich nicht mehr mag. Sie hat mir die Freundschaft gekündigt als ich,…

„Wenn du dir Gedanken darüber machst, welche Musik an deiner Beerdigung gespielt und wer erscheinen wird, ist es eigentlich schon zu spät“, hallt es durch meine Gedanken. Ja, ich weiß, Theo wird mich töten, ich weiß nur noch nicht wann und wie und vor allem wo es passieren wird.

„Das ist doch genau das, was du gewollt hast, als du doofe Kuh das Inserat ins Internet gestellt hast“, triezt mich eine fiese Stimme im Kopf. Sie hat recht. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich mir das vielleicht noch einmal überlegen sollen.

Jetzt ist es sowieso zu spät und wir unterwegs zu meinem ganz persönlichen Begräbnis. Oh Mann, klingt das makaber.

„Wir werden deine Haare färben müssen“, katapultiert mich Theo zurück in die Realität. Ich gucke schüchtern zu ihm herüber. Hätte er mir gerade erörtert, mir jedes Haar einzeln ausreißen zu wollen, hätte ich nicht weniger bekloppt aus der Wäsche geguckt. Ein schlichtes „Wie“ verlässt meinen Mund, zu mehr bin ich nicht imstande.

Theo lacht. „Mit Haarfärbemittel, wie soll das denn sonst gehen?“

Ich will gerade so etwas sagen wie „Ich habe aber keines dabei“, schaffe es aber noch mich zurückzuhalten. „Du faselst ganz schön blödes Zeugs, Mila, komm klar, ja? Du schaffst das“, versuche ich mich selbst im Stillen zu beruhigen. Die Sache mit dem Vertrag hat doch bereits geklappt. „Und Theo ist gar nicht so eklig, wie ihn du dir ausgemalt hast“, ergänzt mein zweites Ich und ich stimme ihm gedanklich zu.

„Ich fahre bei der nächsten Tanke raus“, kündigt Theo an. Ich schlucke und muss die Frage, die mir auf der Seele brennt, nun doch stellen. Auch wenn ich Angst vor der Antwort habe.

„Mit wie vielen Mädchen hast du das denn eigentlich schon gemacht?“, piepse ich kleinlaut. „Also sie entführt und… ja..“, stammele ich unbeholfen weiter. Auf Theos Mund bildet sich ein unangenehmes Grinsen. Unangenehm, weil man bei so einer Frage nicht Grinsen sollte.

„Was denkst du denn?“, kontert er ungeniert mit einer Gegenfrage und löst in meinem Bauch mit diesem Manöver ein ganz schreckliches Gefühl aus. Eine Abfolge von unbekannten Gesichtern rauscht an meinem inneren Auge vorbei. So schnell, dass ich sie nicht zählen kann. Zumal diese sowieso nur imaginär sind und mir bei der Lösung dieses Rätsels nicht behilflich sein werden.

„Keine Ahnung“, sage ich also, als die Stille zwischen uns nicht erdrückender sein könnte.

„Würde es dir besser gehen, wenn ich sage, dass du meine Erste bist?“, veralbert er mich Theo, dem dieses Gespräch offenbar mehr Spaß bereitet als mir. Beinahe schon fast so, als ob er sich über mich lustig macht. Was fies wäre und in mir den Drang auslöst, diese Mission ganz schnell abzubrechen. Bloß geht das nicht so einfach in einem fahrenden Wohnmobil mit einem Mann an meiner Seite, der doppelt so breit und doppelt so groß ist wie ich. Also nicht wirklich. Keine Ahnung, wie groß Theo ist. Schwer zu beurteilen, wenn ich ihn bisher nur sitzend gesehen habe.

„Ich denke schon“, murmle ich und mummele mich zeitgleich noch ein bisschen mehr in meinem Pulli ein, in der vergeblichen Hoffnung, es würde sich dort ein Portal in die Freiheit eröffnen, durch das ich unbemerkt abhauen kann.

„Okay“, lacht Theo amüsiert. „Dann bist du meine Erste.“

„Toll“, denke ich und gehe prompt davon aus, dass diese Aussage eine Lüge ist. Egal. Ändern kann ich es sowieso nicht mehr.

Weil ich nichts mehr sage, sagt Theo auch nichts mehr und fährt ungeniert weiter. Irgendwann sind wir auf der Autobahn. Obwohl ich aufgeregt bin und das Adrenalin mich im Normalfall hätte wach halten sollen, bin ich wohl weggedämmert, denn als ich das nächste Mal die Augen öffne, befinden wir uns nicht mehr auf einer Straße, sondern auf einem Parkplatz. Genauer genommen stehen wir an einer Tanksäule und Theo ist weg. Er ist weg. Einfach gegangen und hat mich alleine im Wohnmobil zurückgelassen.

Das wäre die perfekte Gelegenheit abzuhauen! Doch stattdessen sitze ich nur da und blinze der Außenbeleuchtung entgegen, während sich mein Po und meine Beine gegen mich verschworen haben und sich keinen Millimeter aus diesem Gefährt, diesem überdimensionalen Blechgefängnis bewegen.

„Das ist doch total bekloppt!“, fluche ich los. Um meinen Frust irgendwie zu kanalisieren, trete ich gegen meine Sporttasche. Klasse! Treten geht also noch, aber abhauen ist nicht drin?! Dann finden meine Fäuste Futter und verhauen das Armaturenbrett. Naja. Nicht so richtig verhauen. Es ist mehr so verhauen für Anfänger, wo einem danach nur die Knöchel weh tun und es rein gar nichts gebracht hat. Ich linse vorsichtig aus dem Fenster, um zu gucken, ob mich eventuell jemand gesehen haben könnte. Auf frischer Tat ertappt sozusagen. Aber die Tankstelle ist so verlassen, wie ich mich im Inneren fühle.

Keine Menschenseele ist da. Um Hilfe rufen könnte ich also nicht, außer ich schäle mich von meinem Sitz hoch und manövriere mein Hinterteil mitsamt Hummeln in den Tankstellen Shop hinein, doch wenn ich das tue, laufe ich Theo direkt in die Arme.