Erinnerung - das pinke Zimmer

Poesie 21. Jan. 2022

Ich stehe unter der Dusche und habe dieses vertraute Rauschen in meinem Ohr. Heisses Wasser prasselt auf mich nieder. Und obwohl ich Duschen hasse, bin ich glücklich, denn du bist da. Du bist in meinem Zimmer. An meinem Computer. Vielleicht spielst du gerade dieses Spiel, dass wir manchmal zusammen spielen. Das mit den Bällen, auf die man schießen muss. Es ist ein blödes Spiel, aber mit dir ist irgendwie alles total toll. Heute will ich dir einen kleinen Streich spielen. Ich lasse das Wasser in der Dusche laufen und tapse auf leisen Sohlen durch das Bad. Vorsichtig drücke ich die Türklinke herunter, denn du darfst mich nicht hören. Ich schleiche mich an dich heran, bin muxmäuschenstill und als ich hinter dir stehe, fällt mein Blick zuerst auf den Bildschirm. Du bemerkst mich, weil ich ein Geräusch von mir gebe. Ich bin nackt, völlig nackt und doch bist es du, der sich entblößt fühlt. Und obwohl ich bereits gesehen habe, was meine Augen niemals hätten sehen dürfen, schließt du den Internet Browser und mit ihm eine Tür, die zwischen uns immer offen gestanden hat.

Mein Mund fühlt sich trocken an, als Worte voller Unverständnis meine Lippen verlassen. Du sagst, es ist nicht so, wie es aussieht. Du kannst es erklären. Aber bevor ich diese Erklärung überhaupt zu hören bekomme, spüre ich, wie ein Panzer über mich hinweg rollt und mich ausquetscht wie eine Zitrone, mein Inneres nach außen kehrt. Mein Herz hämmert schnell, obwohl es kurz davor ist zu brechen. Bei jedem Schlag wird es brüchiger und brüchiger, splittert, zersplittert. Ich starre noch immer auf den Bildschirm, schaffe es nicht, dich anzusehen, selbst dann nicht als du dich wie eine Wand vor mir aufbaust und wild mit deinen Händen gestikulierst. Irgendwann fällst du vor mir auf die Knie, winselst, sagst mir, dass ich doch weiß, worauf du stehst und dass das doch gar nicht so schlimm ist. Weiß ich, aber anders, nicht so. Nicht so jung. Dieses Bild hat sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Breitet sich aus wie eine Seuche, infiziert mich und schlingt sich wie eine Schlange, um den Bereich, der für dich und nur für dich vorgesehen war. Die Schlange drückt zu, nimmt mir die Luft zum atmen. Jetzt bist du in meinem Kopf verknüpft mit diesem pinken Zimmer. Für immer. Zusammen mit diesen Mädchen.

Ich versuche irgendetwas zu sagen, aber weil es nicht funktioniert, lasse ich Tränen für mich sprechen. Du stehst auf. Schmierst sie mit deinen warmen Händen aus meinem Gesicht. Dein Mund öffnet sich. Ich solle mich hinsetzen. Du zeigst es mir. Es ist harmlos. Nicht wie ich denke, nicht was ich vermute. Doch als dieses pinke Zimmer wieder sichtbar wird, ist es genau das, was ich denke, und das, was ich vermute und es ist falsch. So falsch, wie es nur sein könnte. Du mühst dich ab, mir zu erklären, wie diese Seite funktioniert und was dort passiert. Alles, was ich tun kann, ist diese Mädchen anstarren. Nach Parallelen zu suchen. War ich blind oder wollte ich es nicht sehen? Nicht erkennen, was in dir schlummert oder schon immer da war. Es treibt mir die Magensäure die Speiseröhre hinauf. Mir wird übel. Ich muss an all die Dinge denken, die du gerne an mir siehst. Die ich anziehen sollte. Die wir ausprobieren. Du ekelst mich an. Ich ekel mich an. Das pinke Zimmer ekelt mich an. Ich will mich übergeben, aber es geht nicht. Diese Erkenntnis klebt in mir fest und egal wie sehr ich würge, ich werde sie nicht los. Nie wieder.

Du tippst mit deinem Finger auf dem Bildschirm herum, zeigst mir all die Buttons auf die man drücken kann und als ich den Namen lese, tut es wieder weh. Ist es das, was diese Mädchen für dich sind? Abfall? Das Rauschen der Dusche kitzelt in meinem Ohr. Macht mir bewusst, dass mein Streich nicht aufgegangen ist. Wortlos gehe ich zurück ins Bad und lasse dich stehen. Ich drehe das Wasser ab, starre auf die nassen Fliesen. Der Mann in meinem Kopf lacht. Er kugelt sich regelrecht vor Lachen. Du tauchst hinter mir auf und umarmst mich. Sagst mir, dass du immer noch der bist, in den ich mich verliebt habe. Das ist jetzt unser kleines, großes Geheimnis. Eins von vielen. Du willst Bestrafung, ich fühle mich wie Pappe und am Ende bist du es, der weint.

Als du weg bist, nach Hause gegangen, ist für dich alles in Ordnung. Aber mein Browserverlauf ist absolut nicht in Ordnung. Dort ist das pinke Zimmer und egal, wie oft ich diese Seite lösche, taucht sie immer wieder auf. Sie verschwindet erst, als du verschwunden bist. Und dann, viele Jahre später, stehst du wieder vor meiner Tür und mit dir färben sich die Wände um uns herum pink. Du fällst vor mir auf die Knie. Erzählst mir von einem Vorfall, der niemals stattgefunden habe. Dieses Mädchen will dir das anhängen, aber sie glauben dir nicht. Ich kenne dich besser, sagst du. Ich kenne dich. Ich wäre die, die absolut alles über dich weiss und obwohl dieser Vorfall niemals stattgefunden hat, willst du Bestrafung. Und als ich mich wehre, sind es die Scheine in deiner Hand, die mich überzeugen sollten. Dann ist es vorbei, du gehst und mit dir auch das pink in meinem Zimmer.

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