Eine kleine Halloween-Geschichte....

Warnung:

Wir erinnern uns daran, dass dies nur eine fiktive Geschichte ist. Der Inhalt soll schockieren, abschrecken und Angst auslösen.  Das Leben ist kostbar. Das Leben ist ein Geschenk und man sollte andere so behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte. Mit Respekt, Liebe und Verständnis. Solltest du dunkle Gedanken haben, die dich drohen einzunehmen, dann suche dir bitte Hilfe. Es gibt immer eine helfende Hand, man muss danach nur greifen wollen.

Unsere Geschichte spielt in einer kleinen Stadt mitten in Deutschland. Es ist der 31. Oktober, Halloween. Unsere Freunde sitzen wie jeden Donnerstagnachmittag im Chickenwings Heaven und gönnen sich ein paar Wings im Heaven. Das Restaurant ist geschmückt mit unzähligen Kürbissen, in die gruselige Fratzen geschnitzt worden sind. Von der Decke hängen widerliche Spinnennetze und die sonst weissen Tischtücher sind passend zum Rest der Kulisse mit blutigen Hand- und Fussabdrücken versehen. Diverse Totenköpfe mit Kerzenaufsatz sorgen zusätzlich für ein schauriges Ambiente. Sogar das Personal hat sich heute in Schale geworfen und serviert im Ganzkörper-Skelettanzug die frittierten Köstlichkeiten.
Auch Kathy und Fabio haben sich verkleidet und ihre viktorianische Kluft aus dem Kleiderschrank geholt. Mit den spitzen Eckzähnen, den bleichen Gesichtern und den extravagant geschminkten Augen wirken sie wie Herr und Frau Dracula. Sebastian hat sein Outfit bestehend aus Jeans und Pullover schlicht gehalten. Vor ihm auf dem Tisch liegt eine Jason Vorhees Maske, die er sich notdürftig aus dem Supermarkt nebenan besorgt hat.
Mikael, er ist das Küken unserer Gruppe, hat sich einen weissen Maleranzug von seinem Dad ausgeliehen und ein paar rote und braune Farbkleckse draufgeschmiert. Direkt neben Mikael sitzt Justin, der statt zu essen lieber in einem Manga herumblättert. Justin trägt einen schwarzen, bodenlangen Mantel, dazu passend ein paar klobige Boots in derselben Farbe. Seine Augen sind mit schwarzem Eyeliner betont und auf seine Wangen hat er sich, ebenfalls mit Eyeliner, ein paar Schnurrhaare gemalt. Der Haarreif mit den flauschigen Katzenöhrchen rundet seine Verkleidung ab.
Nur einer scheint zu fehlen.
«Wo ist eigentlich Robin?», fragt Kathy nach einer Weile in die Runde, während sie unmotiviert in ihrem fast noch vollen Teller herumstochert.
«Kommt wohl wie immer zu spät», erwidert Fabio genervt und schiebt sich ein Stück Fleisch in den Mund. Sebastian wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. Das Glas des Zifferblattes ist zersplittert, trotzdem kann er die Zeit ablesen. Es ist bereits 18 Uhr. In einer Stunde wollten sie eigentlich um die Häuser ziehen und Süssigkeiten abgreifen, sowie ein paar auserwählten Häusern einen neuen Farbanstrich -  bestehend aus faulen Eiern und Klopapier  - verpassen. Eigentlich sind sie schon ein paar Jährchen zu alt für sowas. Aber die Tradition muss weitergeführt werden, solange sie alle noch im gleichen Viertel wohnen. Es wird das letzte Halloween sein, dass sie zusammen in dieser Stadt verbringen können.
«Tjajajaja, dann bleibt wohl mehr für uns übrig. Wenn ihr versteht, was ich meine.» Justins Augenbrauen tanzen verschwörerisch auf und ab. Mit einem Grinsen im Gesicht befördert er den angefangenen Manga auf den Tisch und zaubert ein weiteres Exemplar aus seinem Mantel. Mit ausgestreckter linker Hand hält er das kleine Büchlein in die Runde, schwebt mit der rechten unmittelbar darüber und zeichnet damit imaginäre Kreise in die Luft. Mit geschlossenen Augen spricht er den Zauberspruch: «Abrakadabra! Hokuspokus Maximus! Hex, Hex!», und klappt theatralisch den Manga auf.
Eine kleine Plastiktüte kommt zum Vorschein. Neugierig holt Kathy das Päckchen aus dem Loch, das Justin wohl extra dafür in seinen Manga geschnitten hat, um die Überraschung zu verstecken.  «Was ist das?», fragt sie und wird von einem wild umher fuchtelnden Justin direkt zurechtgewiesen. «Eeeey, halt es doch nicht so offensichtlich hoch!»
Das Päckchen wechselt abrupt den Besitzer und landet wieder beim Eigentümer in der Manteltasche. «Du bist ein Idiot!», knurrt Kathy und reibt sich über ihr Handgelenk. Justin lässt sich davon aber nicht beeindrucken und späht über die Köpfe seiner Freunde hinweg, um sicherzugehen, dass keiner der anderen Gäste oder einer der Mitarbeiter vom Heaven irgendetwas mitbekommen haben. Als die Luft rein ist, schnappt er sich die Maske von Sebastian, legt das Plastiktütchen schnell wie ein Wiesel darunter, und schiebt Maske samt Inhalt zu Kathy rüber.
Diese schüttelt genervt den Kopf, wirft aber dennoch einen Blick unter die Maske. In der Plastiktüte kann sie ein paar grau, grüne Klümpchen entdecken. Zögerlich tippt sie mit dem Finger dagegen. Die Konsistenz ist weich. Auch Fabio linst unter die Maske.
«Was ist in dem Tütchen?», fragt Mikael ungeduldig, der auf der anderen Seite vom Tisch sitzt. Sebastian wirkt unbeeindruckt und lehnt sich gegen seinen Stuhl.
«Pilze?» Fabio zieht eine Augenbraue in die Höhe und weiss nicht so recht, was er davon halten soll. Justin nickt euphorisch mit dem Kopf.
«Voll guter Stoff!»
«Naja, ich bin skeptisch», erwidert Kathy und schiebt die Maske rüber zu Mikael. Das letzte Mal, als Justin ihnen etwas als «voll guten Stoff» verkauft hat, haben sich alle mehrere Tage lang übergeben.
«Und was machen die?»
«Glücklich!»
«Also ich nehme keine, ich brauche sowas nicht», verkündet Sebastian und holt das Tütchen, bevor Mikael es sich überhaupt genauer anschauen kann, unter seiner Maske hervor. Dann stopft er die Pilze zurück Justin in die Manteltasche.
«Maaaan, ihr seid alle so miesepeterig!»
Im selben Moment schwingt die Tür vom Chicken Wings Heaven auf und Robin taucht auf. Auf dem Kopf trägt er einen schwarzen Hut. Dazu einen schwarz, rot gestreiften Pullover und eine schwarze Hose. Rosarote und bräunliche Furchen verunstalten sein Gesicht. Die Hände stecken in Lederhandschuhen aus denen silberne Klingen ragen. Mit hektischen Schritten marschiert er auf die fünf Freunde zu und lässt sich völlig ausser Puste auf den freien Stuhl neben Kathy fallen.
«Sorry, ich musste noch etwas erledigen. Ging nicht früher.»
«Das kennen wir ja schon von dir.» Kathy lächelt Robin freundlich an und reicht ihm ihren Teller, den sie kaum angerührt hat. Dankend nimmt Robin ein Stück Hühnchen und taucht es in die scharfe Sauce.
«So, jetzt wo wir nun ENDLICH vollzählig sind, können wir ja anfangen zu planen.» Fabio entnimmt ein zusammengerolltes Blatt Papier und einen Bleistift aus Kathys Handtasche. Das Blatt Papier wird in der Mitte des Tischs ausgerollt. Es ist eine ausgedruckte Karte der Stadt.
«Ich würde sagen, wir fangen bei den Steiners an und kämpfen uns dann vor zu den Gregorys. Nehmen dann die Klein-Friedrich-Strasse, klappern die Omis und Opis ab, die da wohnen und machen noch einen Abstecher in die Elm-Street und schauen, was es bei den Bonzen so abzugreifen gibt.»
Fabio zeichnet mit dem Bleistift die Strecke auf der Karte nach.
Sebastian lehnt sich über den Tisch, nimmt Fabio den Bleistift aus der Hand und malt Kreise um ein paar Häuser.
«Die benötigen dringend einen neuen Anstrich», lässt er verlautbaren und setzt sich wieder hin. Mikael mustert die Häuser.
«Warum willst du das Haus der Radikovs neu einkleiden?»
«Ach, hat persönliche Gründe.»
«Oh…. Willst du darüber reden? Du weisst, wir sind für dich da, wenn was brennt!»
«Neee, vertrau mir einfach, die haben es verdient», murrt Sebastian und verschränkt die Arme vor der Brust.
«Da ist mal wieder einer geheimnisvoll», schaltet sich Kathy ein und kichert. Sie weiss, warum Sebastian will, dass das Haus in Flammen aufgeht. Aber sie behält es für sich, weil sie es versprochen hat.
«Okay. Also,… dann können wir aber trotzdem bei den Steiners angefangen, müssen dann einfach bei den Gregorys noch kurz zum Wildwasserbach runter, um das Haus der Radikovs zu verschandeln. Klingt nach einem Plan.»
Fabio fährt die Strecke mit seinem Finger nach. «Fährst du uns wieder mit der alten Kiste von deinem Dad nach?»
Die Frage ist an Sebastian gerichtet. Er ist der Älteste von der Gruppe und hat bereits einen Führerschein.
«Klar, ich habe den ganzen Kofferraum schon vollgepackt mit Eiern und Klopapier. Achja, und es gibt noch eine kleine Überraschung für euch.» Ein Lächeln schmiegt sich um seine Lippen. «Aber die zeige ich euch, sobald wir bei den Radikovs sind.»
Alle Augen werden gross. Nur Robin wirkt teilnahmslos. Schweigend leert er Kathys Teller und hält den Blick auf den Tisch gerichtet.
«Und wann nehmen wir die Pilze? Vor oder nach dem Plündern? Ich wäre ja vorher, dann wird’s witziger!»
Justin klopft sich gegen die Manteltasche und lässt wieder seine Augenbrauen tanzen.
«Bleib mal weg mit deinen Pilzen!» Kathy verzieht ihr Gesicht. «Die können wir uns ja morgen oder so einschmeissen. Halloween ist etwas Besonderes. Ich mag mir das nicht von einem schlechten Trip vermiesen lassen!»
«Ey! Das ist wirklich guter Stoff von meinem Stammdealer!», flötet Justin, wird aber sogleich mit bösen Blicken bestraft. Justins Stammdealer ist so ein zwielichtiger Typ, der aussieht wie Heisenberg aus Breaking Bad aber bei weitem nicht so gutes Zeug produziert.
«Na gut, dann ist es beschlossen. Wollen wir aufbrechen?» Ohne eine Antwort abzuwarten, rollt Fabio die Karte wieder zusammen und befördert sie zurück in Kathys Tasche.
«Wartet!», schaltet sich Robin ein. «Ich habe eine andere Idee. Wie wäre es, wenn wir den Kinderkram vergessen und stattdessen die Nacht in einem verfluchten Haus verbringen. Zufälligerweise kenne ich eins. Es ist ganz in der Nähe.»
«Ein Spukhaus?», quietscht Kathy und greift aus Reflex nach Fabios Hand, dessen Gesicht direkt rot anläuft.
«Es sei denn, ihr habt Angst.»
Robin sieht von seinem Teller auf und grinst. «Dann gehe ich halt alleine.» Seine Stimme klingt neckisch, beinahe schon fies.
«Ich habe keine Angst!» Nun haben auch Kathys Wangen die Farbe einer Tomate angenommen. Zögerlich lässt sie Fabios Hand los und streckt die Brust raus. «Aber vielleicht hat Mikael Angst! Und wir wollen ihn doch nicht ausschliessen.»
«Was?», erwidert Mikael und rutscht etwas nervös auf seinem Hinterteil herum. Spukhäuser sind ihm unheimlich. Aber er will nicht die Spassbremse sein. «Ich habe auch keine Angst!»
«Erzähl uns von dem verfluchten Haus.» Fabio lehnt sich interessiert nach vorn. Auch Sebastians Interesse ist geweckt.  «Jetzt bin ich aber neugierig.»
«Es befindet sich im Wald hinter dem Wildwasserbach. Ungefähr eine halbe Stunde Gehweg vom Haus der Radikovs entfernt. Ein Freund hat mir davon erzählt. Von aussen sieht es aus wie eine ganz gewöhnliche Jagdhütte. Aber im Innern verbirgt sich ein düsteres und dunkles Geheimnis. Vor ein paar Jahren wurden im Keller dieses Hauses drei Frauen festgehalten. Die Frauen waren kaum älter als du, Kathy.»
Robin sieht Kathy mit einem durchdringenden Blick an.
«Was ist mit den Frauen passiert?» fragt Kathy ängstlich nach und greift nach einer blonden Haarsträhne, die sich aus ihrer Frisur gelöst hat, um sie sich um den Finger zu wickeln.
«Nun…. Der Mann, der die drei Frauen entführt und festgehalten hat, hat wohl ein Tagebuch geführt und genau notiert, was er ihnen alles angetan hat. Jeden einzelnen Tag hat er akribisch festgehalten. Jede noch so kleine Qual. Aber keiner ist ihnen zur Hilfe gekommen. Man hat sie einfach im Stich gelassen. Nicht nach ihnen gesucht. Hat es einfach zugelassen, dass der Mann sie jede Nacht quält und bestialisch vergewaltigt. Und irgendwann… hatte der Mann wohl keine Lust mehr auf die Frauen und ist einfach nicht mehr zu der Jagdhütte zurückgekehrt. Vielleicht waren sie ihm nicht mehr hübsch genug gewesen, nach all den Misshandlungen, die sie ertragen mussten. Die drei Frauen sind elendig im Keller verdurstet und verhungert. Sie sollen sich sogar in ihrer Verzweiflung versucht haben die Arme durch zu nagen, die noch immer gefesselt waren. Ihre leblosen Körper wurden zwar befreit, aber ihre Seelen sind noch immer im Keller der Jagdhütte gefangen. Auch heute noch kann man die verzweifelten Schreie der Frauen durch den Wald raunen hören. Das leise, klägliche Wimmern soll unerträglich sein. Und viele Jäger und Wanderer behaupten, ihre Geister schon gesehen zu haben.»
«Nein! Das ist ja barbarisch!», kreischt Kathy und schlingt ihre Arme um sich.
«Was ist mit dem Mann passiert? Hat man ihn geschnappt?» Die Frage kommt von Sebastian.
Robin schüttelt mit dem Kopf. «Man hat nur sein Tagebuch gefunden und hätte man es nicht gefunden, wäre niemals rausgekommen, was mit den Frauen passiert ist und wer sie waren.»
«Krasse Geschichte. Ich will da hin!» Justin steht voller Elan von seinem Stuhl auf und schubst dabei beinahe Mikael von seinem Platz.
«Hey! Pass doch auf!»

Nach kurzem Hin und Her erklären sich alle damit einverstanden, dem Spukhaus einen Besuch abzustatten. Die sechs Freunde machen sich ohne Umwege zu dem Haus der Radikovs und parken hinter einer Hecke.
Dort angekommen holt Sebastian ein paar Taschenlampen aus dem Kofferraum des Autos. Dabei können die anderen einen Blick auf die Überraschung erhaschen und finden diverse Raketen und Böller in einem Karton vor.
«Sag mal, wolltest du das Haus in die Luft sprengen?» Fabio mustert Sebastian misstrauisch. Dieser winkt aber nur ab.
«Nur einen kleinen Schreck verpassen. Aber das können wir später immer noch machen.»
«Vielleicht sollten wir ein paar Böller mitnehmen, für den Fall der Fälle?» Kathy wirkt angespannt und etwas verloren. Offensichtlich hat ihr die Geschichte von Robin mehr Angst einjagt, als sie sich wagt zugegeben.
«Ich glaube nicht, dass ein paar Geister sich von ein bisschen Wumms gross beeindrucken lassen. Robin hat uns bestimmt nur einen Bären aufgebunden. Ausserdem bin ich doch da, ich beschütze dich schon, wenn’s hart auf hart kommt», versucht Fabio seine Freundin zu beruhigen.
«Jetzt hört auf euch in die Hosen zu scheissen und bewegt eure Ärsche!» Justin wuselt ungeduldig herum, während Sebastian die Taschenlampen verteilt und Mikael neben dem Auto steht, wie bestellt und nicht abgeholt.

Als jeder im Besitz einer Lichtquelle ist, führt Robin die anderen in den Wald hinein. Es ist so dunkel, dass selbst der Mond es nur spärlich vermag durch das dichte Laub der Bäume hin durch zu scheinen. Die Kälte schmiegt sich wie ein Mantel, um die Teenager und die Kostüme, die sie tragen, halten sie nicht wirklich warm. Aber Sebastian hat eine Wolldecke in seinem Rucksack verstaut. Extra für Kathy, damit sie nicht frieren muss, wenn sie die Hütte erreicht haben und auf Erkundungstour gehen.
Hin und wieder hören die Freunde ein Rascheln oder ein Knacken. Manchmal auch der schrille Ruf eines Wildtiers. Ein Fuchs, der in den Wald hinein ruft. Oder eine Eule, die gerade auf Beutefang ist. Und je weiter die Teenager vordringen, umso unheimlicher wird die Atmosphäre um sie herum. Die Baumreihen werden immer dichter und die Strasse, auf der sie gehen immer schmaler. Es fühlt sich so an, als würde sie der Wald allmählich aufsaugen. Robin lässt sich davon aber nicht beeindrucken und läuft zügig voran, ohne Rücksicht auf Mikael und Kathy zu nehmen, die zittern wie Espenlaub.  Irgendwann biegt Robin ab und verlässt die sichere Strasse. Es knirscht bei jedem Schritt unter den Füssen. Verworrene Äste greifen nach ihren Körpern und werfen gespenstische Schatten in die Dunkelheit hinein. Je tiefer sie im Wald versinken umso stiller wird es.
Nach einer Ewigkeit kann man schemenhaft in der Ferne eine kleine Hütte mitten im Nirgendwo ausmachen.
«Wir haben es geschafft!», verkündet Robin und bleibt abrupt stehen. Justin wäre beinahe mit ihm kollidiert, kann aber in letzter Sekunde ausweichen. Mit offenen Mündern starrt die Gruppe auf das kleine Häuschen aus Robins Erzählung. Die Fenster sind mit Holz verbarrikadiert. Das Dach sieht löchrig aus, die übrig gebliebenen Ziegel verwildert. Selbst die Fassade sieht heruntergekommen aus. An einigen Stellen erkennt man ein paar verwaschene Grafitti, die davor warnen, das Haus zu betreten.
«Wie zur Hölle hast du ohne Googlemaps auf Anhieb die Hütte mitten im Wald gefunden?», fragt Fabio und ist sich nicht sicher, ob sie jemals wieder zurück zum Auto finden werden. Robin zuckt mit den Schultern.
«Ich war schon oft hier. Bin aber nie reingegangen. Ist ein idealer Ort zum Schule schwänzen und so.»
«Hah! Der Quietsch-Counter auf meinem Handy zeigt an: Kathy 11 und Mikael 7 mal! Kathy hat gewonnen!» Justin hält Kathy stolz sein Handy unter die Nase. «Du bist unsere Angsthasenkönigin!»
«Und du bist ein Idiot!», knurrt Kathy und verschanzt sich hinter Fabio, der sich schützend vor sie stellt.
«Hör auf sie zu ärgern, Justin!»
«Bis auf Kathy und Mikael haben wir aber niemand schreien oder wimmern gehört. Scheint wohl so, als hätten die Geister heute spukfrei.» Sebastian wirkt beinahe enttäuscht.
«Meinst du, ich habe euch tatsächlich einen Bären aufgebunden?» Robins Mundwinkel wandern nach oben. Im selben Moment geht die Tür der Hütte knarzend auf. Ein schriller Schrei entweicht Mikaels Kehle. Auch Kathy läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ihre Finger krallen sich in den Oberarm von Fabio, der sich ebenfalls erschreckt hat. Nur Sebastian und Justin sind die Ruhe selbst.
«Das war bestimmt nur der Wind, beruhigt euch mal.»
«Scheint so, als würde man uns erwarten.» Durch das Licht der Taschenlampe wirkt Robins vernarbtes Gesicht noch boshafter, als ohnehin schon. «Es wäre unhöflich von uns, die Einladung nicht anzunehmen. Wir wollen die Frauen doch nicht verärgern.»
«Ich will dort nicht rein», bibbert Kathy und wäre am liebsten zurück zum Auto gerannt. Aber das Risiko sich im Wald zu verlaufen ist zu gross. Robin ist der Einzige, der sich hier auszukennen scheint.
Justin hingegen sprintet ohne zu zögern auf das Häuschen zu und verschwindet hinter der halbgeöffneten Tür.
Ein lautes «ERSTER!» dröhnt durch das morsche Holz der Hütte, direkt gefolgt von einem «Scheisse!»
Verwirrt schauen sich die übrig gebliebenen an und eilen dann widerwillig Justin zur Hilfe. Robin ist der Letzte, der die alten Holzdielen betritt.
In der Hütte angekommen, steigt ein widerlicher Gestank in die Nasen der Freunde. Mitten in der Hütte auf einem ausgefransten, blutgetränkten Perserteppich liegt ein totes Tier. Hautfetzen hängen von dem bereits halb verwesten Kadaver herunter. Es muss ein kleines Tier gewesen sein. Eventuell ein Waschbär oder ein Fuchs.
«Iiiiiih», kreischt Kathy und hält sich vor Ekel die Hand vor den Mund. Auch die anderen halten sich die Hände vor Mund und Nase, in der Hoffnung den bestialischen Verwesungsgeruch fernzuhalten. Das Häuschen ist nur spärlich möbliert. Ein altes zerfetztes Sofa steht vor einem Kamin. Links davon ist eine Küchenzeile, die aussieht, als wäre sie aus einem anderen Jahrhundert und vor der Küchenzeile steht ein kleiner Tisch mit einem Stuhl. An den Wänden hängen Bilderrahmen mit seltsamen Motiven. Jedes Bild zeigt entweder einen Strick oder einen Seemannsknoten. Direkt neben der Tür befindet sich ein Bett mit einer ranzigen Matratze, die übersät ist mit diversen Flecken. Auf dem Nachttischchen daneben liegt ein Buch. Moby Dick.
«Wir müssen den Teppich wegschieben», fordert Robin die anderen auf, die ihn daraufhin entsetzt anstarren.
«Spinnst du?», knurrt Sebastian und ringt mit dem Brechreiz. «Ich fasse das Ding garantiert nicht an!»
«Doch, wir müssen in den Keller. Der befindet sich unter dem Teppich.»
«Ich dachte, du warst noch nie in der Hütte?», fragt Fabio skeptisch. Robin funkelt ihn böse an. «War ich auch nicht.»
«Woher weisst du dann, dass sich unter dem Teppich der Keller befindet?»
Für einen kurzen Moment herrscht Schweigen. Dann zieht Robin seine Lederhandschuhe aus und holt ein kleines, rotes Büchlein aus seiner Hose. Das Büchlein sieht ramponiert aus und auf dem Einband ist in krakeliger Schrift «Tagebuch» eingeritzt.
«Weil ich das Tagebuch gelesen habe.»
«Woher hast du das?!»
«Ich habe es vor ein paar Wochen im Laub gefunden, als ich mal wieder den Sportunterricht geschwänzt habe. Ich muss wissen, ob es wahr ist.»
«WARTE WAS?!» Kathy Stimme klingt so schrill, dass es beinahe in den Ohren wehtut.
«Warte…. Warte. Die Geschichte, die du uns erzählt hast…. Die hat dir gar kein Freund erzählt. Oder? Du hast es gelesen. In dem Tagebuch da. Heilige Scheisse. Ernsthaft?»
«Richtig, ihr wärt niemals mitgekommen, wenn ich euch die Wahrheit gesagt hätte.» Robins Blick senkt sich.
«Man hat die Frauen gar nie gefunden? Die sind noch dort unten?», piepst Kathy ängstlich und wäre sie nicht ohnehin schon schneeweiss im Gesicht, wäre sie es spätestens jetzt.
«Alter…. Alter! Zeig mal her», fordert Fabio und will Robin das Büchlein aus der Hand nehmen. Dieser lässt es aber nicht zu.
«Nein. Erst will ich mich vergewissern, ob das, was hier drinsteht stimmt. Es ist ein Beweismittel. Wir sollten so wenig Fingerabdrücke wie möglich hinterlassen. Meine sind ohnehin schon drauf.»
«Okay.»
«Dann lass uns den Teppich mal wegschieben.» Angewidert geht Sebastian in die Hocke und greift nach dem siffigen Teppich. Justin und Robin tun es ihm gleich. Mühsam schleifen sie gemeinsam den klebrigen Läufer mitsamt Kadaver in Richtung des Kamins.
«Da ist eine Luke! Oh mein Gott!» Mikael zeigt mit zittrigen Fingern auf den Zink-Griff, der aus dem Boden ragt.
Mit gemeinsamen Kräften ziehen sie an dem Griff. Widerwillig lässt sich die Luke öffnen. Ein dumpfes Geräusch ist aus dem Keller zu hören. Staub wirbelt von unten auf. «Hallo?», brüllt Justin herunter, aber bis auf sein eigenes Echo, erhält er keine Antwort.
Fabio leuchtet mit seiner Taschenlampe in den Keller. Aber es nichts zu erkennen, ausser einer Leiter, die noch ziemlich gut intakt zu sein scheint, ganz im Gegenteil zum Rest des Hauses. Die Jungs lösen die Leiter aus ihrer Vorrichtung und lassen sie auf den erdigen Boden gleiten.
«Ich gehe unter keinen Umständen dort runter!», droht Kathy und umklammert den Griff ihrer Handtasche fester.
«Dann bleibst du halt ganz alleine hier oben.» Robin wirft ihr einen giftigen Blick zu. «Wenn du da unten gefangen wärst, würdest du nicht wollen, dass dich jemand befreien kommt?»
«Also ich würde auch hier oben bleiben», schaltet sich Mikael schüchtern ein.
«Vielleicht ist das gar keine schlechte Idee, wenn ein paar von uns oben bleiben und Wache halte, während sich die anderen im Keller umsehen.»
Fabio streichelt Kathy tröstend über den Arm. Diese schaut dankbar zu ihm hoch und schmiegt ihren Kopf an seine Schulter.
«Und was ist, wenn jemand kommt? Oder jemand da unten ist? In der Gruppe sind wir stärker und schwerer zu überwältigen. Ich glaube nicht, dass Mikael und Kathy eine Chance gegen einen Kerl hätten, der drei Frauen ermordet hat.»
«Dann bleibe ich eben auch oben», sagt Sebastian, der mit seiner hünenhaften Grösse locker, die beiden Kleineren verteidigen könnte.
«Wir sollten alle zusammen runtergehen. Vielleicht ist da ja auch gar nichts. Aber ich finde es nicht gut, wenn wir uns trennen. In jedem verdammten Horrorfilm trennt sich die Gruppe und das ist immer genau der Zeitpunkt, wo der Killer einfach alle nacheinander um die Ecke bringt.»
«Das ist ein Argument!» posaunt Justin und steigt auf die Leiter. «Also ich bin überzeugt!» Unverblümt wandert er die Sprossen nach unten. Im Keller angekommen leuchtet er einmal mit seiner Taschenlampe umher.
«Alter, der Keller ist riesig! Und da hinten ist eine Tür!»
«Warte auf uns, du weisst nicht, was sich hinter dieser Tür verbirgt!», herrscht Robin Justin an. «Also wer ist der Nächste?»
Sebastian meldet sich freiwillig. Nach ihm folgen Fabio und Mikael. Kathy begibt sich nur widerwillig auf die Leiter. Ihr ganzer Körper zittert und ihre Hände sind schweissnass. «Ich hasse dich Robin, ich hasse dich, hasse dich, hasse dich!»
Bei jedem Schritt nach unten verstärkt sich die Angst und sie ist heilfroh, als Fabio sie in die Arme schliesst und tröstet.
Als Robin als Letzter an der Reihe ist, passiert etwas Unerwartetes. Mit einem Knall schliesst sich die Luke. Ein metallisches Geräusch ist zu hören, dann ein Schleifen. Schreie dringen dumpf aus dem Keller nach oben, aber das ist Robin egal. Er muss es ausblenden, einfach nicht darüber nachdenken. Beinahe wäre sein Plan nicht aufgegangen.
Vor der Tür wartet bereits ein Mann auf ihn. Robin kann sein Gesicht nicht erkennen. Es ist, als würde der Mann mit der Dunkelheit verschmelzen. Schon als Robin das Angebot angenommen hat, hat es sich angefühlt, als würde er einen Pakt mit dem Teufel eingehen.
«Der Job ist erledigt.»
Geld wechselt den Besitzer. Zum ersten Mal begleiten Schreie und Wimmern Robins Weg durch den Wald nach Hause.

Das ist das Ende unserer kleinen Halloween-Geschichte. Und wollt ihr wissen, was ich den sechs Freunden Schreckliches angetan habe? ;)