Depressive Gedanken eines depressiven Individums
Ja, es wird besser werden. Ja, fick dich. Das will ich nicht hören. Ich will es schlichtweg nicht mehr hören. Wie oft sagen dir irgendwelche Menschen, dass irgendetwas irgendwie und irgendwann besser wird? Oft. Es ist eine Standardphrase mehr nicht. Es ist ein Satz, den man so leicht über die Lippen bringt wie ein einfaches ‚Wie geht’s dir‘. Smalltalk mit depressivem Hintergrund. Hallo, mir geht’s schlecht. Oh, dir geht es schlecht? Das wird schon wieder. Ja. Wird schon wieder. Das ändert aber nichts an dem aktuellen IST-Zustand. Dieser Zustand zeigt sich absolut unbeeindruckt.
Mir geht’s miserabel und du kannst absolut rein gar nichts daran ändern in dem du sagst, dass es schon wieder werden wird. Es ist zwar nett gemeint, aber heilige Scheisse Mutter Gottes, du kannst auch meinen Ellbogen lecken und dabei auf einem Bein stehen, das hätte den gleichen Effekt. Wahrscheinlich müsste ich bei dem Anblick anfangen zu lachen, aber selbst ein Lachen ist nur eine kleine Momentaufnahme und kein Besserungszustand.
Ich liebe es, mich schlecht zu fühlen. Es ist so vertraut, dass ich mich bereits daran gewöhnt habe. Als ob ein alter Bekannter an der Haustür klingelt und nicht um Eintritt bitten muss, sondern einfach nur klingelt, weil es die Höflichkeit so verlangt. Wir umarmen uns und plaudern über alte Zeiten. Hey, weisst du noch, wie du damals von Person A so richtig fertig gemacht worden bist? Oder hey, Person B, die dich einfach so verlassen hat? Aber hey, das ist nichts gegen Person C, die hat dir das Leben wirklich zur Hölle gemacht. Stimmt, hätte ich schon fast vergessen, danke, dass du mich daran erinnerst!
Da ist sie, die gute alte Depression, die die Vergangenheit innerhalb weniger Sekunden wieder zur Gegenwart werden lässt, ganz ohne Zeitmaschine. Magie. Teuflisch böse Magie.
Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, alles auszublenden und so zu tun, als würde ich gerade nicht einen Kampf mit mir selbst ausfechten. Ein bisschen Schauspielerei und Traumwelt aufbauen hat noch niemanden geschadet, oder? Andererseits erreiche ich viel zu schnell das Level, wo Traurigkeit sich in Wut verwandelt und ich anfange, alles und jeden dafür verantwortlich zu machen, wie schlecht es mir geht. Ich lasse dann eine geballte Ladung an schlechter Laune an der Person, die mich eigentlich trösten will aus, bereue es kurze Zeit später und fühle mich noch schlechter als zuvor, weil ich so ein furchtbares Exemplar an Mensch bin.
Andere kompensieren ihren innerlichen Schmerz mit äusserlichem Schmerz. Realem Scherz, spürbaren Schmerz. Zu der Sorte gehöre ich nicht und trotzdem stelle ich mir oft vor, mir ein Körperteil zu amputieren, nur um danach dem verlorenem Teil von mir hinterher zu heulen und mich selbst zu bemitleiden. Darin bin ich sowieso Profi. Von all den Menschen, die finden, dass ich eine arme bemitleidenswerte Sau bin, bin ich die, die das am meisten findet. Ich tue mir unfassbar Leid und anstelle die Standardphrase wieder und wieder in meinem Kopf runter zu rattern, dass es schon wieder werden wird, sage ich mir, dass alles absolut behindert ist und ich jetzt einfach aufhören möchte zu existieren. Und oh Wunder, kurze Zeit später bereue ich diesen innerlich geführten Dialog wieder und bin froh, dass ich gesund bin und überhaupt leben darf. Das Leben ist so kostbar und so vielfältig, warum sollte man so ein Geschenk wegwerfen? Es ist schön zu leben, zu fühlen und zu sein. Und das ist der Gedanke, der mich wirklich tröstet. Ich lebe, egal wie miserabel manche Dinge sind, - ich lebe.