Deepweb Babygirl 5 - Pinkroom

Deepweb Babygirl 15. Juni 2022

Als ich die Bar betrete, erspähe ich von weitem schon Krawatte, der geknickt seinen Kopf über den Tresen hängen lässt und ein Cocktailglas mit langsamen Rührbewegungen eines Löffels penetriert. Ich seufze laut auf und setze mich in Bewegung. Ohne zu Zögern lasse ich mich auf den Hocker neben ihm nieder und bestelle mir mehr oder weniger widerwillig ein Glas Wasser, ernte dafür einen missbilligenden Blick vom Barkeeper, aber das ist mir egal. Nüchtern bleiben ist die Devise. Bei dem Drogencocktail im meinem Blut ist das wohl das Vernünftigste. Ansonsten kippe ich wieder um und wache irgendwo gefesselt in irgendeinem improvisierten Folterkeller auf.
Es bleiben mir schließlich nur noch wenige Stunden, bis ich auf einer Bühne vor einem Publikum aus Idioten und Sadisten so tun muss, als würde es mir unheimlich viel Spaß bereiten, Emily und… ich will nicht einmal darüber nachdenken. Es einfach ausblenden, es am liebsten niemals geschehen lassen. Aber es gibt keine andere Option. Jedenfalls keine Option, die damit endet, dass wir alle glücklich und zufrieden Hand in Hand aus diesem Gebäude spazieren und zusammen ein Eis essen gehen. Heilige verdammte Scheisse. Ich nehme wortlos einen Schluck von meinem Wasser und verfluche mich, dass ich mir nicht doch ein Bier bestellt habe. Zur Hölle mit der Vernunft. Krawatte schielt zu mir herüber, greift hinter den Tresen und zaubert eine Schale voll Erdnüsschen und Salzstangen hervor. Er linst kurz hinein, dann schiebt er sie zu mir herüber.
«Denkst du, die sind vergiftet?», frage ich und Krawatte schwenkt langsam den Kopf von links nach rechts. Skeptisch fische ich ein Erdnüsschen aus der Schale und befördere es, als wäre es eine Atombombe kurz vor der Explosion, vorsichtig in meinen Mund. Der salzige Geschmack lässt mich zusammenzucken und ich spüre, wie sich jeder Muskel und jede Faser meines Gesichts verzieht. Hm. Schmeckt tatsächlich nach Erdnüsschen. Langsam ringe ich mich zum Kauen durch und schlucke den Brei anschließend herunter. Mein Bauch grummelt. Ich warte ein paar Sekunden, nur um ganz sicher zu gehen, ob das Knabberzeugs auch wirklich nicht vergiftet ist. Oh ja, ich bin paranoid. Als ich fünf Sekunden später immer noch lebe, greife ich etwas mutiger nochmals in die Schüssel und stopfe eine Handvoll Nüsschen und Salzstangen in den alles verschlingenden Schlund. Krawatte beobachtet mich wortlos, langt dann auch einmal zu, lässt es aber nach zwei, drei Nüsschen bleiben und fängt wieder an sein Getränk mit langsamen Rührbewegungen zu quälen.
«Was ist das?», frage ich mit vollem Mund und zeige auf die toxisch aussehende Flüssigkeit in seinem Glas. Gerade als er antworten will, halte ich den Finger warnend hoch. «Warte, will ich es überhaupt wissen?»
Abrupt steht der Mann von seinem Hocker auf und steuert, als wäre ich ihm gerade mit der Frage auf den Schlips getreten, Richtung Ausgang. Ich drehe mich verwirrt um und entdecke Kuhauge, der von oben bis unten eingehüllt in braunem Leder in der Türspalte steht und dabei aussieht wie ein ziemlich angepisster Cowboy, der irgendein Wildpferd Kraft seines Gürtels bändigen will. Offenbar hat sich Krawatte bereit erklärt, Teil des Rollenspiels zu werden und anzutraben, wirkt dabei aber eher wie ein Esel als wie ein stolzer Hengst. Erdnüsschen kauend, beobachte ich, wie die Herren aufeinandertreffen. Kuhauge, brodelnd wie ein Vulkan und dampfend wie eine alte Dampflokomotive und Krawatte unterwürfig auf den Boden starrend und nervös die Schuhspitzen aneinander reibend, als wäre er ein kleines Mädchen mit voller Blase.
„Ein Gin-Tonic-Ultra, bitte!“
Ein Mann setzt sich neben mir auf den Hocker, auf dem vorhin noch Krawattes Po wenig königlich gethront hat. Als ich kurz einen Blick auf meinen neuen Sitznachbarn werfe,  glotzt dieser mich fröhlich an und hält mir ein Tablet unter die Nase.
«Na, schlechte Laune? Ich weiß ganz genau, was dich aufheitern könnte! Wie wär’s mit einem kleinen Abstecher in einen Pink Room. Ich habe ein noch bisschen Geld übrig und die Show soll großartig sein.“ Er sieht mich erwartungsvoll an, während er das Tablet vor meinem Gesicht wie ein Lift hoch und runter fahren lässt.
„Kenne ich dich?“, frage ich und kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, diesem Kerl jemals begegnet zu sein. „Oh! Sorry! Ich bin ein Freund von den beiden Streithähnen da drüben.“ Er zeigt mit seinem Kinn in die Richtung von Krawatte und Kuhauge, die mittlerweile einen wilden Fuchtelkampf ausfuchteln. „Wir waren eigentlich verabredet, aber so wie’s aussieht, sind die Herren wohl anderweitig beschäftigt. Ich bin auch ein Mitglied der Gummibärenbande. Du kannst mich Hoppel nennen! Du bist Nathan, richtig?“
Na toll, ein weiteres Mitglied der Gummibärenbande -  das hat mir gerade noch gefehlt. Wenig begeistert ringe ich mich zu einem Nicken durch. „Jacqueline sieht ganz nett aus. Schau mal! Wie findest du sie?»  Als ich keine Anstalten mache, sein in der Luft umher tanzendes Tablet in die Hand zu nehmen und Jacqueline zu bewundern, hält er mir das Ding Bildschirm voran frontal vor die Augen, so, dass ich gar keine andere Wahl habe, als das Mädchen anzusehen.  Prompt läuft mir ein eiskalter Schauder den Rücken hinab. Wie nicht anders von einem Mitglied der ‘Gummibärenbande’ zu erwarten, handelt es sich bei Jacqueline nicht um eine Frau sondern um ein blutjunges, südländisches Mädchen. Das Mädchen liegt auf einer rosafarbenen Matratze und ist spärlich bekleidet, hellblauer Slip mit Bärenmotiv und dazu ein weißes Top. Der laszive Blick von ihr direkt in die Kamera wirkt so falsch, wie die Brüste von Pamela Anderson und ich spüre, wie die Erdnüsschen Hand in Hand mit den Salzstangen wieder meinen Rachen hinaufkriechen, um der tosenden Flut an Magensäure zu entkommen. Wenn das so weitergeht, kann ich mich bald zu den Pädo-Bulimisten zählen.
„Ich weiß, mir hat es ihm ersten Moment, als ich sie gesehen habe, auch die Sprache verschlagen. Sie ist atemberaubend schön!“, missinterpretiert Hoppel das Ausbleiben einer Antwort von mir bezüglich dem Mädchen auf seinem Tablet.
„Hattest du nicht sowieso vor ein Mädchen von Viktor abzukaufen? Ich glaube Kathy war ihr Name. Nicht wahr?“, fällt mir der Kellner in den Rücken und lehnt sich, ein Glas polierend, über den Tresen zu uns herüber. „Kathy? Oh! Moment!“ Hoppel klickt ein paar Mal wild auf seinem Tablet herum. „Schade, die kann ich im Katalog gar nicht finden. Vielleicht hat sie dir schon einer vor der Nase weggeschnappt?“ Der Mann sieht mich mit mitfühlenden Augen an. Vor der Nase weggeschnappt? Nicht ganz, denke ich und versuche die Erinnerung an die Ratten und Krawattes Tochter auszublenden. „Privatsphäre ist hier wohl ein Fremdwort“, sage ich stattdessen leicht angesäuert und hätte dem Kellner am liebsten das Glas in seiner Hand tief, ganz tief und mit Anlauf, in seinen Allerwertesten gestoßen. Der Kellner lächelt mich verschmitzt an. „Wer Privatsphäre sucht, ist hier an der falschen Stelle, mein Freund. Die Séparées sind ein paar Türen weiter. Aber ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du  bereits in den Genuss eines solchen gekommen bist. “ Hoppel schaut verwirrt zwischen dem Keller und mir hin und her, zuckt dann mit den Schultern und hinterlässt ein paar weitere Fingerabdrücke auf seinem Tablet. „Oh Viktor! Noch ein Bier vor der Show?“ Der Kellner sieht über unsere Köpfe hinweg. Das ist mein Stichwort. Nichts wie weg hier. „Hasta la Vista“, knurre ich und stehe von meinem Hocker auf - ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, einen Blick über meine Schulter zu werfen. Der Teufel im maßgeschneiderten Anzug hat mir gerade noch gefehlt. Hoppel greift nach meinem Arm. „Hey! Warte! Ich habe uns gerade einen Pinkroom gebucht! Du kannst mich jetzt doch nicht hängen lassen!“
„Du hast was?!“ Mit einem Ruck befreie ich mich aus seinem Griff. „Du hast nicht nein gesagt….“, stottert Hoppel mit verlegener Miene. „Ich habe auch nicht Ja gesagt“, kontere ich schroff. „Aber… aber… das macht… bestimmt… Spahhss und ich wollte unbedingt noch in einen gehen, bevor die Show… du weißt… schon“, japst der Mann hoffnungsvoll weiter. In der Zwischenzeit hat Viktor wie Speedy Gonzales Vollgas gegeben und sich zu uns an die Bar gesellt.
„Und ich weiß nicht, ob ich den Raum noch stornieren kann, Nathan…“
„Geh doch einfach alleine.“
„Neeee… ich mag nicht alleine gehen, das ist komisch, wir gehen sonst immer mindestens zu zweit, das ist eigentlich Tradition… ich schau mal, ob ich … warte… Oh,…der Akku ist fast leer… das wird jetzt brenzlig. Ich beeile mich, okay?! Ich versuche den Raum zu stornieren… Och menno…., dabei habe ich mich doch so gefreut.“
Interessiert beobachtet der Fürst der Finsternis alias Dantes Vater die Diskussion zwischen mir und Hoppel, bis der Kellner sich dazu entscheidet, eine eigene Gesprächsrunde zu starten. „Viktor, wir hatten es vorhin gerade von diesem Mädchen, du weißt schon, die die dieser ‚Herr‘ hier von dir abkaufen wollte. Kathy war ihr Name, wenn ich mich richtig entsinne, korrekt?“  Wow, und der Preis für das größte Arschloch der Welt geht an…. Trommelwirbel… „Du hast recht, mein Freund, ihr Name WAR Kathy.“ Viktor grinst über beide Backen, als er sich zu mir umdreht „Hallo Nathan“, begrüßt er mich und hält das Bier zum Gruß hoch. „Gut, dass wir uns hier treffen. Ich glaube, wir haben noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen.“ Was zum Teufel tue ich hier? Ich hätte mich einfach in Dantes Zimmer einsperren lassen sollen. Vor meinem inneren Auge taucht ein gewaltiger Stiefel mit Metallaufsatz auf, der sich mit Schwung verdächtig schnell meinem Hinterteil nähert. Pest oder Cholera? Pest? Cholera? Zum Henker.
„Sorry,  keine Zeit. Ein Pinkroom wartet auf mich.“ Cholera. Ich hake mich bei dem wild auf seinem Tablet herumfummelnden Hoppel unter. „Was?“, erwidert der Mann verdutzt und sieht von seinem Tablet auf. „Du kommst doch mit?“ Ein Strahlen legt sich auf sein Gesicht, als ich nicke. „Na dann, nix wie los! Ich bin so aufgeregt!!! Oh, du wirst begeistert sein! Ich habe Jaqueline gebucht! Das wird gut!“
Gesagt getan. Voller Elan und ohne Rücksicht auf Viktor und das gläserpolierende Arschloch an der Bar schleift mich Hoppel hinter sich her durch die improvisierte Poolanlage. Kaum haben wir den Ausgang durchquert, spreche ich im Stillen ein Stoßgebet zu dem Allmächtigen. Bitte lass mich diese Entscheidung nicht bereuen, Großer.
«Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, was ein Pinkroom ist.“ erwähne ich beiläufig, während ich Hoppel durch einen Korridor mit vielen Türen folge. «Du hast wirklich noch nie einen Pink Room gesehen?  Er lässt im Gehen meinen Arm los und hält mir sein Tablet unter die Nase. «Die Pink Rooms kommen ursprünglich aus Japan. Mittlerweile gibt es sie aber überall. Natürlich nur, wenn man weiß, wie man sie findet.“ Seine Augenlider flattern vor Freude, als er den Internetbrowser startet und eine Seite auf seinem Tablet öffnet, die aussieht wie eine kitschige Teenie-Beepworld-Seite mit unzähligen bunten Buttons auf pinkem Hintergrund, auf die man Klicken kann. «Die besten Pink Rooms findet man im thailändischen Raum. Tabus gibt es dort keine. Für jeden Geschmack hat es das passende Angebot. Die europäischen Räume haben zwar die hübscheren Mädchen, aber die sind leider auch wesentlich teurer und es wird nicht viel geboten.“ faselt Hoppel fröhlich weiter, als wäre er ein Verkäufer im einem Mediamarkt, der mir gerade ein Fernseher aus dem Ausland schmackhaft machen will.
«Und was genau sind Pink Rooms, was passiert dort?»
«Zeig ich dir, sobald wir da sind. Oh, wir sind ja schon da, das ist unser Zimmer!» Ich bleibe auf der Stelle wie angewurzelt stehen und starre auf die pinke Tür mit den Zahlen 8109567. Über der Zahl ist ein kleiner Bildschirm auf dem man einen Pin eingeben kann und über diesem Pin steht in roten Buchstaben geschrieben „RESERVIERT“. Ok. Stinkt verdächtig nach Bordell. «Unser Zimmer? Moment,… du hast uns aber kein Schäferstündchen mit dieser Jacqueline gebucht, oder?!» Mein schockierter Tonfall lässt Hoppels Mundwinkel nach unten sausen, was im ersten Moment irgendwie komisch aussieht und würde der Schock nicht auf meinem Nacken sitzen und ein Iglu darauf bauen, hätte ich wohl laut losgelacht. «Nein? Wie kommst du denn darauf?“ Er zuckt mit den Schultern und tippt mit seinem Finger den Pincode ein, um die Tür zu entriegeln. Ein Piep signalisiert, dass der Code korrekt ist und die Tür nun geöffnet werden kann. „Das, was hinter dieser Tür ist, ist viiiiiiiel besser als ein Schäferstündchen!“ Voller Vorfreude greift Hoppel nach der Türklinke und zum Vorschein kommt ein kleines Zimmer mit zwei weißen Stühlen, die vor einem pinkfarbenen Schreibtisch stehen und auf dem Tisch befindet sich ein Laptop in der gleichen kitschigen Farbe. Passend zu der Innendekoration strahlen auch alle Wände bis auf eine in einem zartrosa. Die einzige farblose Wand besteht aus einer Fensterfront, durch die man in einen anderen Raum sehen kann. Wow, ungefähr so stelle ich mir das Verhörzimmer von Barbie vor. «Schau mal, sieht das nicht total kawaii aus?», quietscht Hoppel wie ein kleines Kind. „Und das Zimmer hat mich nur 5000 Mücken gekostet!“
«5000 Mücken?», wiederhole ich entgeistert. Zum Henker, das ist viel Knete für zwei Sitzplätze in Barbies Autquetschkämmerchen. «Und was genau passiert in diesem Zimmer, was 5000 Mücken wert ist?»
«In diesem Zimmer passiert nichts. Das Interessante ist das, was in dem ANDEREN Zimmer geschieht.» Er hebt beschwichtigend die linke Augenbraue, lächelt und zeigt mit seinem Finger auf die Fensterfront vor dem Schreibtisch. «Na los, wir müssen uns sputen!  Setz dich! Es fängt bestimmt gleich an!»
Stürmisch setzt sich Hoppel auf einen der weißen Stühle und fingert auf der Tastatur vom Laptop herum. Ich lasse mich misstrauisch auf dem anderen Stuhl nieder. Neugierig beäuge ich die Fensterfront vor uns und kann hinter dem Glas zwei dicke lilafarbene Vorhänge ausmachen, die die Sicht ins andere Zimmer versperren. Irgendwie fühle ich mich, wie in einem privaten Heimkino, mit dem Unterschied, dass die Stühle auf denen wir sitzen, weder gepolstert noch bequem sind und ein Beamer an der Decke fehlt. Als mein Blick auf den Bildschirm des Laptops fällt, bleiben meine Augen an dem kleinen, braunen Bär kleben, der sich tanzend in die Richtung des Mauszeigers bewegt. Hoppel nutzt die Gelegenheit und lässt den kleinen Bär einmal quer über den Bildschirm tanzen, während ein Countdown am oberen Rand des Desktops uns anzeigt, wie lange es noch dauert, bis die „Show“ beginnt.  Zusätzlich zu dem tanzenden Bär hat es noch diverse Buttons auf dem Bildschirm, auf die man klicken kann. Einmal ein Button mit dem Namen „Himmel“ in der Farbe hellblau und als Gegenstück einen Button mit dem Namen „Hölle“ in feuerrot. Dann gibt es noch diverse weiße Buttons mit Geldbeträgen, die nichts Gutes verheißen und einen FunFunFun-Button in der Farbe schwarz. «Bist du auch so aufgeregt? Hier live dabei zu sein mit dir, ist ein ganz besonderes Feeling! Ich meine, uns trennt nur eine Glasscheibe vom Geschehen! Man, man, man, ich fange schon wieder an zu schwitzen. Ich bestelle uns mal ein paar Tempos.»
«Tempos?», frage ich leise und schaue meinem Sitznachbar leicht angewidert an. «Was denn? Nur für den Fall der Fälle. Ich meine, du musst dir keinen runterholen, wenn du nicht willst. Aber ich kann für nichts garantieren.» Hoppel grinst hämisch und klickt auf den FunFunFun-Button unten rechts auf dem Bildschirm. Kurze Zeit später springt eine in der Wand eingelassene Schublade auf und hätte mir beinahe einen Herzinfarkt verpasst. Was zum… erst jetzt fällt mir auf, dass in der Wand auf Hoppels Seite diverse Schubladen ohne Griff eingelassen sind. Hoppel dackelt auf die Schublade zu und holt eine Tube Irgendwas-ich-will-es-gar-nicht-Wissen heraus, und eine Packung Kosmetiktücher. Ach,… und ein Handtuch…und eine Flasche Mineralwasser. «Wofür ist das alles?», erkundige ich mich, obwohl ich mir sicher bin, dass ich die Antwort bereits weiß. Hoppel rümpft die Nase. «Hab Durst und ich glaube, du weißt, wofür das Zeug hier ist. Man kann sich übrigens auch Pillen bestellen, falls man Probleme mit seinem… Oh warte. Hattest du nicht eine Erektionsschwäche?»
«Wie bitte?»
«Na, die blauen Pillen aus Dantes Rucksack. Ich habe mitgekriegt, dass du nach denen gesucht hast für ein kleines Stelldichein. Soll ich dir  eine Packung  blaue Wunder-Pillen bestellen? Die sind gar nicht so teuer.»
«Nein.», erwidere ich trocken und verschränke die Arme vor der Brust. Offensichtlich hat die geschwätzige Krawatte der kompletten Sippe von der Sache mit den blauen Pillen erzählt oder Hoppel hat es beiläufig aufgeschnappt.
«Ey, nicht eingeschnappt sein, es gibt nichts, wofür du dich schämen musst. Wir sind unter uns.» Hoppel schenkt mir ein freundliches Lächeln und nimmt neben mir Platz. Dann breitet er seine Utensilien auf dem Tisch aus. Ich versuche mich derweil zu entspannen und lehne mich auf meinem Stuhl zurück. Was mache ich hier eigentlich? Warum zum Teufel sitze ich hier mit einem Kerl, der vor hat sich ordentlich einen von der Palme zu wedeln und warte darauf, dass irgendeine Show losgeht, die ich garantiert nicht sehen will? Achja, weil ich keine Lust hatte Chicken Nuggets mit Viktor zu machen. Ich werfe einen Blick über meine Schulter zur Tür. Ich könnte einfach gehen und die restliche Zeit irgendwo im nirgendwo in diesem grauen Klotz verbringen. Aber überall hier drin steht irgendein Arschloch, dass dich entweder töten, ficken, kastrieren, fressen oder … was weiß ich mit dir anstellen will. OK, aus mir unerklärlichen Gründen versprüht dieser pinke Raum gerade auf eine abstrakte Art und Weise Sicherheit. Vielleicht hätte ich einfach nicht in diesen Flieger nach Mexiko steigen sollen. Ich hätte mich einfach der Polizei stellen können. Eventuell hätte ich dann 30 Jahre in einem verdammten Gefängnis absitzen müssen. Der Ruf eines Sexualstraftäters würde mir anhaften. Familie, Freunde und Fremde würden mich verurteilen. Aber im Grunde ist alles besser, als hier drin festzustecken und auf das Finale zu warten. Im Gefängnis gibt es immerhin Kabelfernsehen.
Als ein Gong erklingt, werden die Vorhänge automatisch zurückgezogen. Mexikanische Musik dröhnt durch die Fensterfront zu uns herüber. Die Scheinwerfer im anderen Raum gehen an. Lediglich ein großes Bett mit weißen Laken ist zu sehen, sonst nichts.  Wieder ein Gong, dann  weicht die mexikanische Musik gruseligem Kinderlachen. Prompt breitet sich eine Gänsehaut apokalyptischen Ausmaßes auf meinem Körper aus. Hoppel hingegen scheint sichtlich angetan. Seine Mundwinkel ziehen sich nach oben und sein ungepflegter Oberlippenbart, der unter seiner Nase wahllos in alle Seiten wuchert, zittert vor Aufregung. Ich starre auf das Bett im anderen Raum. In Gedanken male ich mir schon die üblichen Szenarien aus. Mädchen kommt rein. Irgendjemand vergeht sich an ihr auf die widerlichste Art und Weise und lässt sie danach weinend und kaputt zurück. Keinen kümmert es. Hauptsache man wird unterhalten. Es schockiert mich, dass ich mich damit abgefunden habe, dass hier alles hier drin nach dem gleichen Schema abläuft. Am liebsten würde ich einfach das Kabel aus dem Laptop reißen, es  um meinen Hals wickeln und solange daran ziehen, bis ich elendig ersticke.
Ein weiterer Gong knallt uns um die Ohren. Skeptisch schaue ich zu der Tür im anderen Raum, die sich gerade öffnet hat. Jacqueline betritt schüchtern die Kulisse. Die junge Mexikanerin wirkt in dem zarten rosa Kleidchen, dass sie trägt, so zerbrechlich, dass ich das Gefühl habe, der kleinste Windstoß könnte sie in der Mitte durchbrechen. Ich kämpfe mit dem Impuls auszustehen, die Scheibe zu zerschlagen und sie da rauszuholen. Hoppels Hand wandert auf meinen Schoss. «Sie ist wunderschööööön.», sagt er flüsternd, schon fast ehrfürchtig.
«Ja, wunderschön.», wiederhole ich giftig und befördere seine Hand von meinem Oberschenkel. Was ihn nicht zu stören scheint. Hektisch fängt er an, an seinem Hosenbund herumzufingern und ich konzentriere mich wieder auf das Mädchen, das nun anfängt zu der Musik langsam zu tanzen. Dabei wirkt sie so steif und apathisch, dass ich befürchte, dass man ihr etwas verabreicht hat. Oder sie hat Angst. Beides ist eine Option und beide Optionen gefallen mir absolut gar nicht.
„Was genau wird jetzt passieren?“, frage ich und beiße nervös auf meiner Unterlippe herum. Hoppel lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Das raschelnde Geräusch, das von seiner geöffneten Hose und seiner Hand ausgeht, sorgt dafür, dass ich den Blick weiterhin auf das tanzende Mädchen gerichtet halte. Ich kann mir ausmalen, was der Kerl neben mir gerade macht.  Bevor Hoppel meine Frage beantworten kann, fangen die Symbole auf dem Bildschirm des Laptops an, aufgeregt herum zu hüpfen. Abrupt hält Hoppel bei dem, was er tut inne. Seine Hand hechtet zum Laptop. „Es geht los!“, brüllt er vorfreudig. „Stehst du eher auf den harten Scheiss oder bist du ein Softie?“
„Wie bitte?“
„Du hast wirklich keine Ahnung, wie das alles hier funktioniert, was? Wir können jetzt auswählen, ob wir dem Mädchen etwas Gutes oder etwas Böses tun wollen. Deswegen die Buttons. Himmel für Gut und Hölle für Böse. Wir sind aber nicht die Einzigen, die auswählen. Es wird schlussendlich das genommen, wofür die meisten abgestimmt haben.  Mit den Geldbuttons können wir die Wahl beeinflussen. Verstehst du?“, fragt er mich, als wäre ich sein Schüler und er mein Lehrer. Manchmal wünsche ich mir, es gäbe einen Button mit dem man sich einfach in Luft auflösen könnte. Ich würde ihn drücken. Permanent.
„Das ist barbarisch.“
Hoppel zuckt mit den Schultern. „Geht so, man kann jederzeit aussteigen. Ich bin ja eher ein Softie, weißt du? Ich kann kein Blut sehen. Also wenn es dir recht ist, würde ich Himmel auswählen. Ich möchte dem Mädchen etwas Gutes tun. Ich mag’s, wenn sie sich wohlfühlen! Das macht mich automatisch auch glücklich.“
Als ich nicke, wandert der Zeiger auf den Himmel-Button und prompt watschelt ein dicker, flauschiger Teddybär über den Bildschirm, der in seiner linken Tatze ein Danke-Schild aufhält. Bitte, denke ich im Stillen und habe die Befürchtung, dass selbst der Himmel-Button nichts Gutes für das Mädchen bereithält. Trotzdem bin ich froh, dass Hoppel zu der freundlicheren Sorte Arschloch zu scheinen gehört.
„Und jetzt?“ Ungeduldig schaue ich wieder zu dem Mädchen in dem Raum vor uns. „Wir warten bis alle ausgewählt haben. Oh! Schau, der Countdown hat begonnen! Hoffentlich haben wir Glück!“ Aufgeregt starrt Hoppel auf die Countdown-Anzeige auf unserem Computer, die von 10 auf 1 runter zählt. Die letzten drei Ziffern werden begleitet von einem Gong und als der Countdown auf 0 gefallen ist, flimmert das Zimmer vor uns in allen Farben des Regenbogens. Pinkrooms sind definitiv nichts für Epileptiker.
Für ein paar Sekunden ist es ganz still. Dann vernimmt man Vogelzwitschern aus den Lautsprecherboxen begleitet von einem Canon, der laut „Himmel, Himmel, Himmel“ ruft. Die ganze Kulisse wird in ein sanftes, hellblaues Licht getaucht. Die Tür öffnet sich und eine Person in einem flauschigen, pinken Teddykostüm schreitet in den Raum. Der Teddybärmann fordert das Mädchen mit einer Geste auf ihre Hände in seine Tatzen zu legen. Als sie das tut, hüpfen beide auf der Stelle herum, um zu zeigen, dass sie sich über die getroffene Auswahl freuen. Irgendwann hebt der Teddybärmann das Mädchen an ihrer Taille die Höhe und dreht sich einmal mit ihr im Kreis. Okay. Das ist… auf dem gleichen Unangenehm-Level wie die Barney und seine Freunde-Sendung, die ich einmal mit meinem Cousin an einem Familienfest schauen musste. Da hat so ein Typ in einem Dinosaurierkostüm mit Kindern gespielt und Küsschen links und rechts verteilt. Ich spüre, wie sich alle Haare in meinem Nacken aufstellen und gefühlt den lebendigsten Cha-Cha-Cha tanzen, den sie jemals getanzt haben.
„Juuuhuuuu!“, jubelt Hoppel euphorisch und fummelt wieder an seinem Hosenbund rum. Ich höre einen Reißverschluss protestieren, möchte aber keine weiteren Nachforschungen machen. „Dir geht davon wirklich einer ab?“
„Davon doch nicht, aber ein Mann muss vorbereitet sein!“ Er grinst zufrieden, während mein Magen beschließt, Turbulenzen zu machen. Mir ist speiübel. Bevor ich mir weitere Gedanken über meinen Mageninhalt und streikende Reißverschlüsse machen kann, erscheinen auf dem Bildschirm drei neue Buttons. Alle drei sind in einem Pastell-Blau gehalten und haben die Form von knuffigen Wölkchen. In der ersten Wolke steht das Wort Joghurt, auf der zweiten Kuscheln und auf der Dritten der Begriff Verkleiden. Meine Augenbraue schießt in die Höhe. Das klingt ja tatsächlich alles ziemlich harmlos. Aber es gibt bestimmt irgendwo einen Haken. Es gibt hier immer Haken.
„So, worauf wollen wir setzen?“
„Was?“, sage ich geistesabwesend und schaue Hoppel an. Aus mir unerklärlichen Gründen ploppt ein Bild von Flipper dem Delfin in meinem Kopf auf.  Verwirrt kneife ich die Augen zusammen und versuche mich auf den Mann neben mir zu konzentrieren. Ich glaube, ich habe einen Riss in der Festplatte.
„Na, worauf hast du Lust? Ich wäre ja für Verkleiden!“
„Ok.“
„Suuuupi! Dann setze ich mal 100 Mücken auf Verkleiden.“ Wie ein Hund dem Mann ein Knochen vors Gesicht hält, schnappt Hoppel nach der Maus und klickt auf den Button mit der Zahl 100  darin und anschließend auf die Wolke Verkleiden.
„Warte, musst du Geld bezahlen, um einen der drei Begriffe auszuwählen?“
„Nö, aber es beeinflusst die Entscheidung. Habe ich dir doch vorhin erklärt! Wenn wir Geld auf einen der Begriffe setzen, ist die Chance relativ hoch, dass genau das passiert, was wir wollen. Außerdem erhält die Familie des Mädchens, sobald die Runde vorbei ist, die ganze Kohle, die gesetzt worden ist. Wir tun also etwas Gutes und profitieren gleichzeitig davon! Megacool oder?“
„Moment, die Familie des Mädchens bekommt das Geld?“
„Naja oder ihr Zuhälter. Das Geld bekommt immer die Person, die das Mädchen zur Verfügung gestellt hat.“ Hoppel zuckt mit den Schultern. „So genau möchte ich das aber auch gar nicht wissen.“  In mir zieht sich alles zusammen. Es gibt Familien, die ihre Kinder Perversen anbieten? Für Geld? Wie kann man sowas seinem eigenen Kind antun?
Der vertraute 10-Sekunden-Countdown startet erneut. Wie zuvor werden die letzten drei Ziffern wieder musikalisch untermauert. Als der Countdown auf 0 ist, flimmert der Raum wie eine Diskokugel. Dann geht das Licht kurz aus und wieder an. Auf dem Laptop erscheint Groß die Wolke mit dem Begriff Joghurt. Laute, kitschige Musik dröhnt aus den Lautsprechern und stranguliert unsere Ohren.
„Oh, da hat wohl jemand mehr gesetzt als wir. Egal! Joghurt ist auch gut!“
Der Mann im Teddykostüm verlässt Raum und kommt wenig später mit einem Holzstuhl auf dessen Sitzfläche ein Becher Joghurt steht wieder zurück. Er setzt den Stuhl in der Mitte des Raumes ab und platziert den Joghurt auf den Boden. Torkelnd geht er auf das Mädchen zu und bleibt vor ihr stehen. Das Mädchen sieht zu dem Bär hoch und scheint auf eine Anweisung zu warten. Der Teddy streckt seine Tatzen in die Höhe und fordert das Mädchen auf ebenfalls die Arme über den Kopf zu halten. Als die Arme oben sind, positioniert sich der Bär vor das Mädchen und zieht ihr das Kleid aus. Jetzt, wo sie nur noch in Unterhöschen im Raum steht, meldet sich mein Beschützerinstinkt wieder zu Wort. Sie tut mir so unheimlich leid. Hoppel hingegen raschelt fröhlich neben mir weiter und beschleunigt sein Tempo, als der Teddybär das magere Mädchen zum Stuhl führt, ihr den Joghurt in die Hand drückt und sie anfängt, mit ihren Fingern die weiße Masse in ihrem Mund zu befördern. Teilweise lässt das Mädchen der Joghurt aus ihrem Mund laufen, so dass ein Teil davon auf ihre Brüste kleckert. Ab und zu leckt sie ihre Finger ab, lutscht an ihrem Zeige- und Mittelfinger oder nascht den Joghurt direkt von ihrem Körper. Das ganze Szenario wirkt so spielerisch und zweideutig, dass ich mir vorstellen kann, dass gewisse Männer sowas anturnen könnte. Wäre sie ein paar Jahre älter und würde sich das alles auf freiwilliger Basis abspielen, wäre ich sicher auch nicht abgeneigt. Aber so regt sich bei mir gar nichts Absolut gar nichts.
Als der Becher leer ist, nimmt der Bär ihr diesen aus der Hand und verschwindet aus dem Raum. Das Licht geht aus und auf unserem Bildschirm blinken wieder die zwei Buttons Himmel und Hölle auf.
Hoppel neben mir streicht sich die Handflächen an seinem Hosenbein ab und als wäre das nicht schon abstoßend genug, wischt er sich mit seinem Arm auch noch den Schweiß von der Stirn.
„Puuh, das war schon mal ziemlich gut und wir haben noch vier Runden vor uns. Maximal kann man acht Runden buchen, aber ehrlich gesagt, solange halte ich nie durch. Bin halt schon ein älteres Kaliber.“ Lachend klickt er auf den Himmel-Button. Wenn eine Sache ganz klar ist, dann die, dass ich diesen Laptop garantiert nie wieder anfassen werde. Zumindest nicht freiwillig.
Im Augenwinkel nehme ich wahr, wie Hoppel ein paar Taschentücher auf seinem Schoss verteilt. „Ordentlich eingesaut die Hose!“ Sein Oberlippenbart wippt amüsiert, während er kichert. Zufrieden lehnt er sich in seinem Stuhl zurück.
Der Countdown beginnt wieder von vorne. Der Raum flimmert und als der letzte Gong erklingt, schimmert  die ganze Kulisse in einem roten Licht. Die Scheinwerfer werden auf das Mädchen gerichtet. Völlig entblößt und verloren steht sie da, die Arme um ihren schlanken Körper geschlungen, als würde sie versuchen, möglichst viel von sich zu verstecken. Aus den Lautsprechern wummern verzehrte Klänge, begleitet von einem Canon der „Hölle, Hölle, Hölle“ ruft.
Es läuft mir eiskalt über den Rücken. Ich schlucke. Auch Hoppel neben mir sieht nicht glücklich aus. „Oh… da scheinen wohl mehr Leute Hölle ausgewählt zu haben. Zapperloot aber auch!“
„Was hat das zu bedeuten?“, frage ich und merke, wie angespannt ich bin. Meine Finger klammern sich an der Tischoberfläche fest und die Knöchel laufen von dem Druck bereits weiß an.
„Ich weiß es nicht.“, antwortet Hoppel. Doch bevor wir uns Gedanken über den weiteren Verlauf machen können, hilft uns der Laptop auf die Sprünge und blendet drei Auswahlmöglichkeiten ein.  Diese stehen in drei Buttons, die die Form von kleinen Flammen haben. Wer auch immer dieses Spiel programmiert hat, hat einen schrägen Sinn für Humor, denn auch der Mauszeiger hat nun seine Darstellung gewechselt und sieht nun aus wie der Totenkopf auf einer Piratenflagge. „Scheisse“, fluche ich, als ich mir die drei Begriffe Holz, Rasenmäher und Fass durchlese.
„Ja, das gefällt mir auch nicht so.“ Hoppels enttäuschter Tonfall unterstreicht seine Aussage.
„Müssen wir etwas auswählen?“
„Der Countdown startet erst, wenn alle ausgewählt haben. Entweder steigen wir aus oder wir müssen auf einen der Buttons klicken. Ach Mensch, Nathan, wir haben heute echt kein Glück. Hätte nicht gedacht, dass es so schnell so richtig brutal wird. Normalerweise warten die mit den bösen Sachen bis zu den letzten Runden. Menno, jetzt hab ich doch schon für fünf bezahlt. Super ärgerlich!“
„Das Geld ist das Einzige, was dir Sorgen bereitet? Da steht ein armes, kleines Mädchen im Raum und die sieht nicht aus, als würde sie sonderlich geil finden, was hier abgeht.“
„Naja, aber sie wird ja entlohnt. Also ist das schon okay, denke ich.“
„Also wenn ich dir die Eier abreiße und dir deinen Schwanz in den Rachen stoße, ist das okay, wenn ich dir danach 100 Euro in die Hand drücke? Bist du bescheuert?“
Hoppel sieht mich entgeistert an. Am liebsten hätte ich ihm einen Kinnhaken verpasst, einfach so, weil er definitiv einen verdient hat. „Wie lange haben wir Zeit, um eine Entscheidung zu fällen?“, frage ich stattdessen und Hoppel zuckt mit den Achseln. „Nach fünf Minuten werden sie uns rausschmeißen. Mir ist aber nicht wohl, ich mag gar nichts von den drei Möglichkeiten sehen. Ist nicht so mein Ding, weißt du?“
„Meinst du, mein Ding ist das?“ Wieder ein Achselzucken seinerseits. Bevor wir uns in die Wolle kriegen, versuche ich nachzudenken. Irgendetwas müssen wir machen. Einfach gehen und dem Mädchen seinem Schicksal überlassen oder eine Option auswählen, die weniger schlimm ist, als die anderen? Ich werfe nochmals einen Blick auf die Flämmchen. „Weißt du, was die Begriffe bedeuten?“
Hoppel fummelt unter den Tempos an seiner Hose rum und ich höre einen Reißverschluss, der zugezogen wird. Dann fischt er die Taschentücher von seinem Schritt, zerknüllt sie und wirft sie in eine Ecke der pinken Abscheulichkeit, in der wir sitzen. „Holz und Rasenmäher sagen mir nichts. Aber Fass. Hab ich mal gesehen in Istanbul. Da wird so ein großes Holzfass herangerollt. Das Mädchen wird im Fass in so einer Vorrichtung angebracht. Schwer zu erklären.“ Hoppel gestikuliert mit seinen Händen und versucht zu zeigen, wie das Mädchen in der Vorrichtung angebracht wird, aber schlau werde ich daraus auch nicht. „Sie sitzt  dann sozusagen im Fass, unten ist ein Loch, oben ist ein Loch, der Kopf ist so angebracht, dass er im Nacken liegt und dann kommen zwei Männer, halten das Fass zwischen sich und einer geht mit seinem Ding unten und einer oben rein. Ziemlich unbequem, aber durch die Vorrichtung ist ein tiefes Eindringen gewährleistet. Hab mal gehört, dass da viele Mädchen schon jämmerlich erstickt oder verblutet sind. Ist also nicht so schön, soll aber Spaß machen, meinte Kurt. Kurt ist ein Freund von mir.“
Ich starre Hoppel fassungslos an. „Wer im Gottes Namen kommt auf so eine kranke Idee?“ Und wieder zuckt Hoppel mit den Achseln. „War halt auch nicht so meins, war mehr so Gruppenzwang da zuzusehen.“
Über die Eierlosigkeit dieses Mannes muss ich erst gar nicht anfangen zu diskutieren. „Also Fass ist schon mal keine Option. Rasenmäher hört sich auch nicht vertrauenserweckend an und Holz... Was zum Teufel soll man sich unter Holz vorstellen?“
„Vielleicht ein Pfahl?“ Hoppel sieht mich mit großen Augen an und ich ziehe die Stirn in Falten. „Ein Pfahl?“, wiederhole ich. „Könnte doch sein oder vielleicht eine Holzvorrichtung? Ich weiß es nicht, Nathan. Kurt wüsste es bestimmt, der ist aber dieses Jahr nicht dabei. Sein Sohn hat die Grippe und er muss auf ihn aufpassen.“
Möge Kurt in der Hölle Satans brennen. Hoppel fuchtelt mit seinen Flossen in meinem Gesicht rum. „Wir haben nur noch 20 Sekunden oder wir werden rausgeschmissen. Von mir aus können wir auch einfach gehen. Ist schon okay wegen dem Geld. Ich muss das nicht sehen.“
„Setz 5000 Euro auf Holz.“, presse ich zwischen meinen Lippen hervor und bin mir nicht sicher, ob das die richtige Entscheidung ist. Hoppel sieht zerknirscht aus. Offensichtlich ist er nicht zufrieden mit meiner Wahl, aber er hat nicht genug Rückgrat, etwas dagegen einzuwenden. Also flutschen seine schmierigen Finger über den Bildschirm des Laptops und drücken auf den weißen Button mit der 5000 und dann auf die Flamme mit dem Begriff Holz. Ohne Pause wird der Countdown eingeläutet. Wahrscheinlich waren wir die Letzten, die ausgewählt haben. Wie auf heißen Kohlen sitze ich auf meinem Stuhl und meine Augen kleben förmlich an den immer kleiner werdenden Zahlen.
Als der Countdown auf null ist, erklingt der finale Gong.  Der Raum und unser Bildschirm fangen an zu Flimmern. Das Licht geht aus. Die Musik verstummt und für einen Moment ist es Mucksmäuschen still. Hoppels Fingerkuppen trommeln nervös auf dem Tisch rum. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis das Licht wieder angeht. Dieses Mal ist es grelles Licht, alle Scheinwerfer sind auf das Mädchen gerichtet, das auf einem grün angemalten Brett auf dem Boden liegt und gefesselt ist. Die Arme sind links und rechts ausgestreckt, sowie die Beine. Man hat freie Sicht auf jeden Zentimeter ihres Körpers. „Ist das Holz?“, flüstere ich leise, aber erhalte keine Antwort von Hoppel. Dieser starrt nur mit weit aufgerissenen Augen auf das Mädchen. Sein Gesicht wirkt fahl und die Mundwinkel hängen herunter. Selbst sein lächerlicher Schnäuzer sieht niedergeschlagen aus. Ein starker Kontrast zu dem Mann von vorhin, der friedlich seinen mickrigen Drachen gewürgt hat. Die Flämmchen auf unserem Bildschirm verschwinden und machen stattdessen einer gewaltigen Flamme Platz, mit der Inschrift Rasenmäher. Dann geht alles ganz schnell. Anstelle des Kerls im Teddykostüm öffnet ein Mann Oberkörperfrei mit schwarzer Lederhose und schwarzen Stiefeln die Tür. Auf seinem Kopf trägt er eine Maske, die ihn wirken lässt, wie ein Henker aus dem Mittelalter. Der Mann geht einmal um das Mädchen rum und begutachtet sie ausgiebig. Er klatscht einmal in die Hand und verlässt den Raum. Das ist der Moment, wo die Musik einsetzt. Sanfte Pianotöne sind aus den Lautsprecherboxen zu hören. Ich weiß nicht, wie ich die Situation einschätzen soll. Die klassische Musik lässt mich Hoffnung schöpfen, aber andererseits… der Henker und der Begriff Rasenmäher. Mein Mund verzieht sich zu einer schmalen Linie. Kann ich das irgendwie noch verhindern? Es muss doch eine Möglichkeit… Die Tür wird aufgerissen und der Henker erscheint. Er schiebt einen Rasenmäher vor sich her. Ein älteres Modell. Ohne unnötig Zeit verstreichen zu lassen, zieht er ein paar Mal an der Kordel und der Motor des Geräts springt an. Die gewaltigen Scheren rotieren vor der Maschine und verschmelzen optisch ineinander. Das Mädchen beginnt sich auf dem Brett zu winden. Der Henker steuert den Rasenmäher mit gemütlichen Schritten auf das Mädchen zu. Die Musik wird schneller, lauter. „Nathan? Gehen wir bitte?“, wispert Hoppel neben mir. Aber ich kann nicht antworten. Kann mich nicht rühren.
Wie in Trance starre ich auf die Klingen des Rasenmähers, die den Fuß des Mädchens erreichen. Rote Flüssigkeit spritzt in alle Richtungen und die Klaviertöne verwandeln sich in qualvolle Schreie. Ich fühle mich, als würde ich in die endlose Tiefe eines Ozeans gezogen werden, aus dem es kein Entrinnen gibt. Mein ganzer Körper wird durchgeschüttelt. „Nathan, ich will gehen!!!“  Überall ist diese rote Flüssigkeit und ich drohe darin zu ertrinken. Der Henker erreicht den zweiten Fuß des Mädchens. Wieder diese Schreie. Diese markerschütternden Schreie. „Ich gehe, Nathan. Hast du gehört?“ Hoppel zieht an meinem Arm, aber ich ignoriere ihn. Kann den Blick nicht lösen. Fleisch und Knochen und das schmerzverzehrte Gesicht des Mädchens. Die Scheren des Rasenmähers rotieren unaufhörlich. Der Boden füllt sich mit Blut. Sie wird sterben, flüstert eine Stimme in meinem Kopf. Sie bringen sie um. Nur zur Unterhaltung. Einfach so. Ich höre eine Tür auf und zugehen. Hoppel ist gegangen. Ich reibe mir über die Augen, als meine Sicht allmählich anfängt zu verschwimmen. Verdammte Scheisse. Ich kann nichts machen. Ich kann ihr nicht helfen. Wie mechanisch stehe ich auf und gehe auf die Fensterfront zu. Das Glas unter meinen Fingerkuppen ist kühl. So kalt. Mit Wucht schlage ich mit geballter Faust auf die Wand ein. Will sie durchbrechen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Meine Knöchel schmerzen. Egal. Weiter. Viermal, fünfmal. Die Haut löst sich. Es ist zwecklos, aber ich muss weitermachen. Sechsmal. Siebenmal. Verdammt. Verdammt. Ich halte inne, als ein weiterer Mann die Kulisse mit einem Bunsenbrenner betritt. Gradewegs geht er auf den Mann mit dem Rasenmäher und das Mädchen zu. Feuer trifft auf zerfetztes Fleisch. Sie wollen die Wunde ausbrennen. Weitermachen. Sie am Leben halten für weitere 6 qualvolle Runden. Nein. Nein. Ich muss es verhindern. Ich muss einfach! Wieder schlage ich gegen die Wand. Härter. Fester. Das Mädchen rührt sich nicht. Ich starre auf ihren Brustkorb. Versuche verzweifelt eine Regung festzustellen. Der Mann mit dem Bunsenbrenner holt eine Spritze aus seinem braunen Overall. Adrenalin?
„Timeout“, höre ich eine Stimme hinter mir sagen. Ruckartig drehe ich mich um und bevor ich überhaupt realisieren kann, wer vor mir steht, trifft mich was Hartes an der Schläfe. Nathan over and out.

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