Deepweb Babygirl 4.2 - Showtime
«Hören Sie, Nathan. Was ich Ihnen jetzt sagen werde, muss wirklich unter uns bleiben.» Seine Hand legt sich auf meine und ich nicke leicht zögerlich. Was zum Teufel wird er mir gleich offenbaren, was unbedingt unter UNS bleiben soll?
«Ich habe dieses Geheimnis nicht einmal meinem Lebensgefährten anvertraut. Es ist eigentlich eine Sache zwischen mir und Viktor und, verstehen sie mich nicht falsch, ich liebe Viktor, er ist mein bester Freund, wir kennen uns seit dem Sandkasten, aber nach der Sache mit Kathy, denke ich, es ist an der Zeit, das Richtige zu tun. Und wir beide wollen das Richtige tun, wollen wir, oder?»
Ich nicke erneut und merke, wie mir allmählich der Boden droht unter den Füssen wegzurutschen. Ich verbünde mich gerade mit der hässlichen Krawatte - Er hintergeht Viktor. Das bedeutet, Dante hat ihn auf seine oder gezwungenermassen unsere Seite gezogen, falls es so etwas wie Seiten in diesem bizarren Spiel gibt. Wow. Die eine Seite ist böse und die andere eine Prise böserer. Viel mehr Auswahlmöglichkeiten gibt es nicht.
«Am liebsten würde ich den ganzen Klotz in die Luft jagen, aber ja, ich denke, wir tun das Richtige, wenn wir dieses Baby heil hier rausbringen, koste es was es wolle. Es ist zumindest ein Anfang.»
«Es ist ein Anfang.», wiederholt Krawatte und seufzt leise. «Ich hintergehe Viktor wirklich nicht gerne, aber ich denke, es ist sinnvoll, wenn sie die Hintergründe kennen. Wissen, wieso wir so sind, wie wir sind. Sie müssen den Feind kennen, um ihn zu schlagen. Und Nein. Es geht nicht unbedingt nur darum, warum ich meinen Freund in der Hose verfluche. - Nein. Es geht nicht darum. Ich habe Ihnen ja vom Camp erzählt und von Hans. Uns war damals bewusst gewesen, dass wir eine komplette Woche bei Hans verbringen müssen und wir haben uns irgendwie damit arrangiert. Jeder gehorchte und ist seinen Aufgaben nachgegangen. Bloss nicht gegen Hans stellen, war die Devise. Selbst Viktor hat keinen weiteren Versuch mehr gestartet gegen diesen Mann vorzugehen. Das ging auch gut, Hans war sehr zufrieden mit uns aber zwei Tage vor der Heimreise ist es dann eskaliert.»
Der Mann ringt mit den Tränen. «Was ist passiert, Jim?»
«Hans hatte Geburtstag und hatte einen alten Bekannten eingeladen - Olaf, und Olaf ist der grausamste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Meine Schwester hatte, wie ihr aufgetragen worden war, einen Kuchen gebacken. Einen mit Marzipan, so wie Hans ihn mochte. Hans wollte, dass wir uns alle um den Tisch versammeln. Ich und Viktor durften sogar sitzen. Jester musste stehen und meine Schwester, … sie bediente die beiden Herren und schon beim Tisch ist Olafs Hand immer wieder unter ihren kurzen Rock gerutscht, sobald das Mädchen in seine Nähe gekommen war, um seinen Bierkrug wieder zu füllen. Viktor und mir war die Situation sehr unangenehm gewesen. Ich wollte etwas tun und ich spürte, dass es ihm genauso ging, aber wir waren zu feige. Beide haben wir dort gegessen, auf unseren Kuchen gestarrt und gezittert, während Sandra tapfer ihrer Pflicht nachgegangen ist. Als die beiden Herren schon ordentlich einen intus hatten, hat Olaf meine Schwester gepackt und auf seinen Schoss gesetzt. Sie hat es zugelassen, - was hätte sie auch machen sollen. Olaf war ein stattlicher Mann. Gross, stämmig und sie war so ein zierliches junges Ding. Als Hans eifersüchtig geworden ist und wollte, dass Sandra auch auf seinem Schoss einmal Platz nimmt, ist es dann eskaliert. Sandra hatte ihre Periode bekommen. Zum ersten Mal und, …sie hatte einen Fleck auf Olafs teurer Hose hinterlassen und Olaf rastete regelrecht aus. Er schlug meine Schwester mehrmals. Hans hatte nur gelacht und wir sassen da wie versteinert, wussten nicht, was gerade passiert war. Olaf hatte Sandra dann in den Keller gezerrt und wir haben sie schreien hören. Ich erinnere mich immer noch an ihre Schreie.»
Krawattes Finger bohren sich in seine Knie. «Als Olaf wieder nach oben gekommen war, waren seine Finger blutig und … bevor Hans etwas hatte sagen können, packte Olaf bereits Jester am Kragen und schleppte ihn ebenfalls in den Keller hinunter. Jester hatte keinen Mucks von sich gegeben. Er war sehr tapfer. Viktor und ich warteten am Tisch. Aber nichts ist passiert. Hans ass friedlich seinen Kuchen und als er fertig war, befahl er mir und Viktor ihn auf seinem Rollstuhl nach unten zu tragen. Wir haben gehorcht, auch wenn wir am ganzen Körper gebebt haben vor Angst. Unten habe ich dann meine Schwester an den Handgelenken an der Wand hängen sehen, dort wo vorher der Speck zum Trocknen hing. Ihre Beine baumelten leblos über den Boden und ihre Oberschenkel waren blutbesudelt. Es war furchtbar. Jester stand neben Sandra. Sein Gesicht war nass und überall war Blut. Um seinen Mund, auf seinen Händen, selbst in seinen Haaren. Aber es war nicht sein Blut. Er war unverletzt. Es war das von Sandra. Ich weiss bis heute nicht, was Olaf mit den beiden Kindern gemacht hatte. Aber die leeren Augen von Sandra und der kleine Jester….» Krawatte schüttelt angewidert mit dem Kopf. «Als wir Hans abgestellt hatten, applaudierte dieser und rief seinen Hund herbei. Hasso wollte direkt zu meiner Schwester aber Olaf kam ihm zuvor und hat das Tier von ihr weggetreten. Hans reklamierte und meinte lachend, er müsse dem Tier doch auch etwas gönnen. Barbarisch. Olaf hatte aber andere Pläne. Er wollte für ein «bisschen Unterhaltung» sorgen. Die beiden Männer lachten und das war der Moment, wo Viktor sich nicht mehr zurückhalten konnte. Er ist schreiend auf Olaf zu gerannt und hat mit seinen Fäusten gegen den Bauch von dem Mann geschlagen. Immer und immer wieder unter Tränen, aber Olaf hat nicht aufgehört zu lachen. Er fand das lustig. Ich konnte mich immer noch nicht rühren. Meine Augen klebten an Sandra. Sie regte sich nicht. Für einen Moment habe ich geglaubt, sie wäre tot. Aber dann sah ich ihre Unterlippe zittern.
Als Viktor keine Kraft mehr hatte, war er auf die Knie gesackt, hat wüste Beschimpfungen gegen Olaf gerichtet und gedroht unsere Eltern zu verständigen. Hans wollte daraufhin Hasso auf ihn hetzen, aber Olaf hatte ihn aufgehalten, Viktor gepackt und ihm ins Gesicht gespuckt. Das war der Moment, wo ich mir in die Hose gepinkelt habe. Ich hatte solche Angst, sie können sich das nicht vorstellen Nathan. Meine Schwester hing dort und wir waren alle machtlos. Ausgeliefert.»
«Ich kann mir das vorstellen. Es erinnert mich an Kathy. Sie war auch ausgeliefert. Dir ausgeliefert.», unterbreche ich ihn ungewollt, aber die Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen. Krawattes Augen füllen sich mit Wasser und ich spüre, wie in dem Mann vor mir alles zerbricht. Die Erkenntnis, dass er seine Tochter qualvoll ermordet hat, ist ihm nicht neu, nein. Er weiss es und es zerfrisst ihn. Und das ist gut so. Es macht ihn irgendwie menschlich.
«Es tut mir so leid.» Seine Finger krallen sich in seinen Handballen. Die Unterlippe vibriert und als er fortfährt, hört es sich so an, als würde der Mann in einem Kühlschrank festsitzen, kurz vor dem Erfrieren sein und sein letztes Gebet sprechen.
«Olaf hatte Viktor gepackt, über den Boden geschleift und ihn direkt vor meinen Füssen in mein… in mein…» Krawatte schluchzt auf. «In deine Pisse gedrückt?», vervollständige ich seinen Satz und prompt kommt die Erinnerung an Viktor hoch, wie er Dante… ich verdränge den Gedanken. Die Parallelen schockieren mich. Krawatte nickt. «Viktor blieb vor mir liegen und war wie erstarrt. Keine Regung. Hans und Olaf lachten. Dann fielen Olaf unsere Halsbänder auf. Das rote von Viktor und das blaue von mir. Wir trugen sie an diesem Tag. Ein Fehler. Olaf befahl Jester meine Schwester sauber zu machen. Er riss ihm das T-Shirt vom Körper und zwang ihn, damit Sandras… Genitalien zu säubern. Jester gehorchte unter Tränen und als er fertig war, nahm er den Jungen und sperrte ihn in Hassos Hundekäfig. Dann widmete er sich wieder uns. Sagte wir sind schwach. Bellte uns an, Wuff. Wuff. Wir wären nicht mehr wert, als Hunde. Wir sollen vor ihm kriechen und ihm die Hand ablecken. Wir haben getan, was er verlangte, in der Hoffnung, dass nichts Schlimmeres mehr passieren würde. Aber es wurde schlimmer. Sandra hing ein paar Stunden alleine unten im Keller, Hans war bei ihr und Olaf führte uns mit Hassos Leinen im Garten spazieren. Wollte, dass wir Pipi machen und Bellen, wie Hunde. Ich spürte in diesem Moment nichts. Ich habe einfach nur getan, was er wollte. Ich traute mich nicht einmal mehr zu weinen. Er schlug uns mit der Leine, zog an unseren Hälsen. Es war schrecklich. Der Tag ging vorbei und Viktor und ich wurden getrennt in zwei weiteren Käfigen eingesperrt unten im Keller. Sandra hing abends nicht mehr dort. Wir haben sie schreien hören in der Nacht. Nur noch einen weiteren Tag, dachten wir. Ein weiterer Tag, dann ist es vorbei. Keiner von uns sagte ein Wort, Viktor sass still in seinem Käfig. Jester wurde nach ein paar Stunden geholt und ich… ich starrte Viktor an und die Wand an der immer noch das Blut meiner Schwester klebte. Am nächsten Tag kam Olaf mit Hans und Sandra in den Keller. Jester führte den Rollstuhl, Sandra war an der Hand von Olaf. Sie wirkte schwach und gebrochen. Sie hatte überall Flecken und trug nur ein leichtes weisses Kleid, das mit Schmutz bedeckt war. Olaf kettete meine Schwester wieder an der Wand an und riss ihr das Kleid von ihrem Körper.Der Anblick war entsetzlich. Sie war…» Krawatte schnappte nach Luft und schüttelte mit dem Kopf. «Olaf holte uns aus dem Käfig und befahl uns, uns auszuziehen und Sandra anzusehen. Olaf sagte, dass er und Hans gewettet hätten. Sie wollten, dass wir uns…»
Die Tür geht hinter uns auf und Viktor erscheint vornehm gekleidet in Anzug und Krawatte im Türrahmen. Jim hält abrupt inne und auch ich bin überrascht über den unerwarteten Gast. Was zum Teufel sucht der Teufel höchstpersönlich hier?
«Uhlala, was sehen meine alten Augen, störe ich?» Viktor lacht hämisch und begutachtet erst die nackte Krawatte ehe sein Blick an meinem Oberkörper haften bleibt.
«Die Hölle ist eine Tür weiter.» erwidere ich trocken und verschränke die Arme vor der Brust. Krawatte kräuselt die Lippen und hält sich sichtlich beschämt mein T-Shirt, das bei Viktors Ankunft von seinem Schoss gerutscht ist, über die noch immer ausgefahrene, glühend rote, Rakete zwischen seinen Beinen. «Wir ähh… Viktor... mein Freund. Ich kann das erklären.», stammelt er und als Viktor leicht amüsiert die Augenbraue hebt, nehmen Krawattes Wangen die Farbe von frischen Cherrytomaten an.
«Auf diese Erklärung bin ich gespannt.» Viktor streckt die behandschuhte Hand aus und zeigt mit einem Finger auf den Schwanz von Krawatte. «Du solltest das behandeln lassen. Sieht nicht schön aus.» Grinsend holt er eine Zigarre aus der Brusttasche seines Jacketts und zündet sie sich an. Dann nimmt er einen kräftigen Zug und pustet den grauen Rauch in unsere Gesichter. Krawatte fängt an zu husten.
«Wir müssen gar nichts irgendjemanden erklären, Jim.», sage ich barsch und komme Krawatte zuvor, der noch immer mit Husten beschäftigt ist. «Wir haben uns lediglich amüsiert. Eifersüchtig? » Ich fixiere Viktors Gesicht, darauf bedacht, so ernst wie möglich zu bleiben, auch wenn ich mich am liebsten gerade selbst in den Hintern getreten hätte. Habe ich wirklich vor, vor Dantes Vater den schwulen Casanova raushängen lassen, um Krawatte aus der Patsche zu helfen? Bin ich von allen guten Geistern verlassen?
Viktor erwidert meinen Blick, führt die Zigarre nochmals genüsslich zu seinem Mund und schenkt mir das freundlichste Lächeln, das sein markantes Gesicht imstande ist zu lächeln. «Sie haben sich also amüsiert. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie es hart und erbarmungslos mögen. Scheint wohl wirklich so zu sein, wenn ich mir Jims… Ich habe es jedenfalls noch nie so rot leuchten gesehen. Gut, Nathan. In Wirklichkeit war ich auf der Suche nach Ihnen, ich bin lediglich überrascht sie oberkörperfrei und alleine mit Jim hier anzutreffen, - sichtlich unbekleidet und zutiefst erregt. Nicht, dass mich das stören würde. Im Gegenteil.» Seine Mundwinkel ziehen sich nach oben, dann hält er kurz inne, um nochmals einen Zug von seiner Zigarre zu nehmen. «Ich denke, Karl wird nicht so erfreut sein, dass ihr beide Spass ohne ihn habt. Nicht wahr, mein Freund?» Viktors stechende Augen mustern Jim, der keinen Pieps von sich gibt und den Boden unter sich verzweifelt versucht mit Laseraugen weg zu lasern. Nach einem Moment der Stille, die peinlicher und unangenehmer nicht hätte sein können, ringe ich mich zu einem leicht genervten «Fechten wir gerade einen Anstarrwettkampf aus oder wars das jetzt?» durch. Viktor schmunzelt und lässt die noch brennende Zigarre zu Boden fallen. «Nehmen Sie es mir nicht übel, Nathan. In meinen alten Jahren neige ich zu einem leichten Anflug von Paranoia. Es gibt etwas, worüber wir beide reden müssen. Jetzt. In meinem Arbeitszimmer.» Jim löst seinen Blick vom Boden und hebt den Kopf. Angespannt krallen sich seine Finger an seinen Oberschenkeln fest, als wüsste er, was es so Wichtiges in Viktors Arbeitszimmer zu besprechen gibt. Ich ziehe skeptisch die Augenbraue in die Höhe. «Müssen wir?»
«Sie haben keine andere Wahl.» Viktors Tonfall klingt herrisch. Jim schluckt und als er versucht etwas zu erwidern, schneidet im Viktor das Wort ab. «Viktor, muss das..»
«Selbstverständlich kannst du uns begleiten Jim, ich habe nichts zu verheimlichen. So machen das Freunde, nicht wahr?»
Viktor zerstampft anmutig wie eine Gazelle die Zigarre auf dem Boden aus und schenkt Krawatte danach ein vor Ironie triefendes Lächeln. Krawatte nickt lediglich und versucht vom Stuhl aufzustehen. Ohne zu zögern gehe ich ihm zur Hand und er legt seinen Arm um meine Schulter, um sich abzustützen. «Herzallerliebst.» säuselt Viktor, zieht sein Jackett aus, wirft es Krawatte an den Kopf und steuert auf die Tür zu, aus der er gekommen ist. «Meine Herren, hier geht’s lang.» Er holt mit seiner Hand aus, deutet in die Richtung, in die wir gehen sollen, links, und vollzieht einen kleinen Knicks. Jetzt weiss ich, woher Dante seine Angewohnheiten hat. Von seinem Vater. Von seinem Peiniger. Zur Hölle mit ihm.
Krawatte angelt das Jackett von seinem Kopf und hält es als weiteren Sichtschutz zusätzlich zu meinem kaputten Shirt vor seinen Intimbereich. Es Anzuziehen scheint ihm wohl zu viel Aufwand zu sein. Na super, und wieder einmal mehr assistiere ich einen geschundenen nackten Mann durch diesen Komplex. Ob sich dieser Nebenberuf gut im Lebenslauf machen würde? Über die Jobbezeichnung will ich gar nicht erst nachdenken. Nein Nathan. Aus. Pfui.
Ohne Widerworte humple ich mit Krawatte aus der Tür und folge Viktor, der uns durch einen langen Gang führt. Keine Ahnung, warum ich klein beigebe und tue, was der Gott des Komplexes von mir verlangt. Wahrscheinlich treibt mich die Neugier voran. Ich will wissen, was dieser Wichser so Wichtiges zu besprechen hat. Krawattes Reaktion macht mich stutzig. Er weiss definitiv, was Viktor mir zeigen will. Ob die ganze Zurück-zum-Anfang-Geschichte nur zur Ablenkung beigetragen hat? Vielleicht ist alles Erfunden und Erlogen. Scharade, um mich gefügig für was auch immer zu machen. Drohen können diese Mistkerle ja. Dieses Ping-Pong-Hin-und-Her-Spiel mit Nathan geht mir allmählich tierisch auf den Wecker. Das ist schlimmer als ein abgefuckter, schlechter Drogentrip in einem Tipi-Zelt von verrückten Mushroomhippies. Und verrückten Mushroomhippies kann man nicht trauen.
Nach gefühlt 20 Minuten sinnlos und querbeet durch verschiedene Flure in dem verdammten grauen Komplex herum Gehumple, bleiben wir vor einer, ja, wie nicht anders zu erwarten, goldenen Tür mit zwei Sicherheitsschlössern stehen, auf der in Grossbuchstaben das Wort «Chef» auf einer schwarzen Tafel eingraviert ist. Protzig, passend zu dem Kerl, der gerade mit seinen weiss bestofften Fingern den Code in eines der Sicherheitsschlösser eingibt. Ein Klickgeräusch signalisiert, dass die Eingabe korrekt ist und als auch das zweite Sicherheitsschloss klickt, öffnet Viktor die Tür. Zum Vorschein kommt ein Arbeitszimmer, dass ich so nicht erwartet hätte. Kahl, schlicht, grau. Erinnert an einen militärischen Nachkriegszeitbunker. In der Mitte des Raumes ist ein metallischer Schreibtisch aufgestellt hinter dem ein umgekehrter Blechmülleimer steht. Auf dem Schreibtisch befindet sich, ausser einem Laptop, nichts.
Als Krawatte und ich den Raum betreten, schliesst Viktor hinter uns die Tür. Ein erneutes Klickgeräusch signalisiert, dass wir nun mit dem Gott der Qualen eingesperrt in seinem Arbeitszimmer sind und weit und breit keine Fluchtmöglichkeit besteht. Der Mann scheint es ernst zu meinen. Was auch immer er vorhat, es behagt mir gar nicht. Ich versuche die Nervosität, die sich langsam heranschleicht, hinunterzuschlucken und humple mit Krawatte auf die Blechtonne zu. Erleichtert seufzt er auf, als ich ihm helfe darauf Platz zu nehmen. Viktor steht an der Tür und tippt auf seinem Handy herum. Die Möglichkeit nutze ich, um den Raum genauer zu inspizieren. Ziemlich leer. Der Raum wird lediglich von einer Neonröhre an der Decke beleuchtet, die direkt über dem Schreibtisch angebracht ist. Weit und breit erkenne ich keine sichtbaren Kameras. Was ungewöhnlich ist für die die Familie Radikov. Eine Frage, die ich bisher ausgeblendet habe, zwängt sich in den Vordergrund. Wie zum Donnerwetter will Dante aus diesem Komplex kommen, wenn hier alles mit hunderten und abertausend Sicherheitsschlösser und Kameras ausgestattet ist? Ganz zu schweigen von den muskelbepackten Türstehern, gegen die selbst Kastor aussieht, wie ein lockeres Hemd mit Blümchenaufdruck? Zugegeben mit zwei von denen könnte er es aufnehmen, aber wenn eine Horde von denen auftaucht und auf Krawall aus ist, sehen wir alt aus. Nathalia wäre keine grosse Hilfe, Emily schon gar nicht und Dante? Der fliegt beim nächsten Windhauch über alle Berge. Hasta la Vista auf Nimmerwiedersehen.
„Herzlich Willkommen in meinem bescheidenen Arbeitszimmer. Das einzige Zimmer, das nicht mit Überwachungskameras ausgestattet ist. Wir sind also vollkommen unter uns und ungestört.“, reisst mich Viktor mit seiner euphorischen Willkommensrede aus den Gedanken und als ich ihn verdattert anstarre, zwinkert er mir zu. Das scheint wohl auch in der Familie zu liegen. Eiskalt krabbelt mir ein Schauder über den Rücken und ich muss mich zusammenreissen, nicht auf der Stelle den Tourettegepeinigten raushängen zu lassen.
„Bescheiden trifft es ganz gut.“, knurre ich und lehne mich gegen den Schreibtisch, der unter meinem Gewicht anfängt zu knarren. „Nathan, sie wirken sichtlich angespannt. Keine Sorge, es dauert nicht lange. Versuchen Sie sich zu entspannen.“
„Haha.“
Viktor schenkt mir ein träges Lächeln, dann richtet er seinen Blick wieder auf das Handy in seiner Hand. Ich verschränke die Arme vor der Brust, dabei fällt mir auf, dass ich mir später von Dante ein T-Shirt schnorren muss. Von mir aus auch ein Hemd, Irgendetwas, das meinen Oberkörper bedeckt… Krawatte tippt mich leicht mit einem Finger von hinten an. Ich drehe mich zu ihm um. In der Zwischenzeit hat Viktors Jackett von seinem Schwanz zu seinem Oberkörper gefunden. Es ist ihm ein bisschen zu klein, da er breiter gebaut ist als Viktor. Mir wäre es lieber gewesen, er hätte es weiterhin anstelle meines Shirts als Sichtschutz für seine Lende zweckentfremdet. Nicht, dass ich das Shirt jemals wieder anziehen würde.Er signalisiert mir mit seiner rechten Hand etwas näher zu kommen. Skeptisch werfe ich einen Blick über meine Schulter zu Viktor, der noch immer abgelenkt auf seinem Handy herumdrückt. Dann lehne ich mich über den Tisch und bücke mich zu Krawatte herunter.
„Nathan, sie dürfen sich nichts anmerken lassen. Verstehen Sie? Lassen sie sich nichts anmerken.“, flüstert er leise, so leise, dass ich ihn beinahe nicht verstanden hätte. Nichts anmerken lassen? „Was meinst du? Wie nichts anmerken lassen?“, erwidere ich genauso leise, aber ehe Krawatte antworten kann, klopft es bereits an der Tür. Viktor packt sein Telefon in seine Hose, hebt kurz den Finger in unsere Richtung und öffnet mit einem Grinsen im Gesicht, als würde der Eismann vor der Tür stehen, die Pforte zu seinem Reich. Anstelle des Eismanns steht ein bulliger Kerl davor, der ohne etwas zu sagen einen Fernseher auf einem Tisch mit Rädern hineinfährt. Dicht gefolgt ein weiterer bulliger Kerl mit einem DVD Gerät in der Hand und zu guter Letzt ein Dritter, der mit zwei Campingklappstühlen auf den Schultern herein stolpert, als hätten wir eine Grillparty inklusive Filmabend hier drin geplant. Fehlt nur noch, dass Viktor ein Lagerfeuerchen aufbaut und Krawatte eine aufgespiesste Wurst über die Flamme hält. Oder die bulligen Kerle packen das Zeug wieder ein und kommen mit flauschigen Pyjamas zurück und tauschen die Campingstühle gegen ein grosses Bett mit vielen weissen und pinken Kissen darauf aus. Ich schüttle innerlich leicht angewidert den Kopf und verbanne das Bild von mir, Viktor und Krawatte, wie wir uns ausgelassen ein paar flauschige Kissen hinter die Ohren pfeffern und mindestens drei Oktaven höher als üblich kichern, aus meinen Gedanken. Nein, danke.
Die drei bulligen Männer stellen die Campingstühle und den Fernseher rechts neben der einzigen Steckdose im Raum auf, nicken Viktor einmal zu und verschwinden dann so schnell, wie sie gekommen sind. „Ich liebe schnelles und präzises Personal.“, verkündet Viktor zufrieden und schliesst die Tür hinter den Männern. Ich starre wie gebannt auf die schnellaufgebaute Kinoecke und weiss nicht, was ich davon halten soll. Was zum Henker wird das?
Als hätte Viktor die Fragezeichen in meinem Kopf gesehen und jedem einzelnen davon die Hand geschüttelt, stolziert er hocherhobenen Hauptes auf mich zu. Als Viktor vor mir steht, verzieht er das Gesicht zu einer Schnute, bückt sich flink wie ein Wiesel nach seinen Stiefeln, die wohlgemerkt nicht ganz zum Anzug passen und holt einen goldenen Revolver aus dem Leder. Der Kerl trägt eine Waffe mit sich rum. Ich bin überraschter, als ich sein sollte. Damit hätte ich rechnen müssen. Ohne zu Zögern platziert er den Abzug an meine Schläfe. „Wir schauen uns jetzt zusammen einen Film an.“, schnurrt er in mein Ohr und das unangenehme Gefühl, dass mir den Rücken hinab saust, lässt die Magensäure meinen Rachen hinaufschiessen.
„Die Knarre ist nicht nötig.“ Ich halte die Hände abwehrend in die Höhe und lasse mich ohne Gegenwehr zu dem Campingstuhl führen. Als ich sitze, befördert er die Knarre von meiner Schläfe und steckt sie sich zwischen Gürtel und Anzugshose, jederzeit griffbereit. Dann macht er sich am DVD Gerät zu schaffen. Er drückt ein paar Knöpfchen und das Ding fängt an zu surren. Mit einem Seufzer schaltet er den Fernseher ein. Kaum taucht ein Bild auf, klickt er auf die Fernbedienung auf dem Fernseher und stoppt das Video.
„Wissen Sie Nathan, ich habe Sie beobachtet. Seit sie hier sind folgen ihnen meine Augen auf Schritt und Tritt. Wie bereits gesagt, ist das der einzige Raum ohne Kameras. Aber wie alle elektronischen Geräte lassen sich auch Kameras präparieren. In all den Jahren habe ich gelernt, dass Vertrauen zwar gut und recht ist, aber Kontrolle ist besser. Menschen lügen und betrügen. Sie sind wie Marionetten, man muss nur an den richtigen Fäden ziehen und schon wird aus einem Freund ein Feind und umgekehrt. Nicht wahr Jim, mein Freund? Lange Rede, kurzer Sinn. Kommen wir zum Punkt. Ich habe ihr Bewerbungsvideo gesehen, ach was heisst gesehen, ich habe es selbst ausgesucht und für die Liveshows qualifiziert. Aber je öfters ich über dieses Filmchen nachdenke und sehe, wie sie sich hier seit ihrer Ankunft verhalten, desto mehr kommt mir der Gedanke auf, dass etwas faul ist. Es stinkt bis zum Himmel. Sie wirken, wie jemand, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann. Ganz im Gegenteil zu dem Mann im Video. Sie erinnern sich bestimmt noch daran, wie ich zu ihnen gesagt habe, dass er mich an mich selbst erinnert. Der Fickstil, die Art und Weise wie er… wo bleiben meine Manieren, sehen sie selbst, dann verstehen Sie bestimmt, was ich meine.“
Bevor er sich neben mich auf den zweiten Campingstuhl hinsetzt, winkt er Krawatte herbei, der wie ein regenübergossener Dackel auf uns zu dackelt und sich anders als erwartet auf meine Seite anstatt die von Viktor stellt. Entweder hat das symbolisch etwas zu bedeuten und Krawatte hat wirklich die Seiten gewechselt und kämpft nun für das Team Dante-Investigations oder ich interpretiere in die Seitenwahl zu viel hinein. Viktor scheint unbeeindruckt von der Wahl der Seite seines Freundes zu sein, macht es sich auf seinem Campingstuhl gemütlich und startet mit der Fernbedienung das Filmchen, das wohl all meine Facebookfreunde auch zu sehen bekommen haben.
Es ist mir durchaus unangenehm mit den zwei Herren gleich Emilys Vergewaltigung noch einmal durchleben zu müssen, besonders mit mir in der Hauptrolle als …Kinderschänder, aber ich versuche mir trotzdem nichts anmerken zu lassen und setze das wohl schwerste Pokerface, das ich jemals aufgesetzt habe, auf. Ich war nie ein sonderlich guter Pokerspieler. Als in rot leuchtenden Buchstaben ‚Dante Investigations präsentiert‘ auftaucht, fängt mein Pokerface bereits an zu bröckeln und ich spüre, wie sich meine Fingernägel in meinen Handballen krallen, als mich eine Welle aus Wut und Scham packt. Unauffällig versuche ich meine Hände irgendwie zu verstecken und verfrachte sie hinter meinen Nacken. Dann lehne ich mich mit einem Seufzer zurück und schlage die Knie übereinander. Krawatte linst zu mir herüber, aber er sagt kein Wort.
„Ich kenne das Filmchen, ich glaube nicht, das wir uns das noch ein…“
„Ohh, Nathan, wenn ihnen das Filmchen durchaus bekannt ist, haben Sie ja nichts zu befürchten.“, unterbricht mich Viktor harsch und im Augenwinkel nehme ich wahr, wie seine Finger über die Waffe in seinem Gürtel streicheln.
„Was genau versprichst du dir davon, Viktor, mein Freund?“, säuselt Krawatte mit leicht kratziger Stimme. Genervt stoppt Viktor den Film und ich bin dankbar, dass Krawatte offensichtlich genauso wenig Lust auf den Kinoabend hat wie ich. „Jim, mein Freund, mich lässt das starke Gefühl nicht los, dass mein Sohn wohl irgendetwas im Schilde führt und unser Nathan hier,… nehmen sie es mir nicht übel Nathan, aber sie gehören hier nicht hin. Das sieht ein blinder mit einem Krückstock. Sie sind viel zu weich.“
„Wie bitte?“
„Sie sind zu gutmütig, sie stehen gar nicht auf,… wie soll ich es nett ausdrücken,… sie sind ein guter Kerl, wir sind die bösen Kerle. Verstehen Sie? Sie sind…. hmmm kein Mann. Sie sind ein Softie, ein Schwächling eben.“
„Wie hast du mich gerade genannt?“, knurre ich und vergesse mich und die Knarre unter seinen Fingern. Ohne nachzudenken packe ich Viktor an seinem teuren Anzug und ziehe ihn zu mir herüber. Sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und am liebsten hätte ich ihm in seine dämlich lachende Visage gespuckt, die Haut von seinem Schädel gerissen und daraus einen Sofaüberzug gebastelt. „Ein sehr impulsiver Schwächling.“, lacht Viktor glucksend und frischt meine Erinnerung an seinen goldenen Revolver auf, indem er ihn mir gegen die Brust drückt.
„Nathan, beruhigen Sie sich.“ Krawatte humpelt vor uns auf und ab und fuchtelt mit seinen Händen in unseren Gesichtern rum. Widerwillig lasse ich Viktors lächerlich teuren Anzug los und ernte prompt ein Siegerlächeln von meinem Sitznachbarn, der nun seine Knarre wieder hinter seinen Gürtel befördert. „Sorry, müssen wohl die Drogen sein. Hab vorhin mit… ähh Jim eine Line gezogen.“, sage ich trocken und lehne mich wieder in meinem Campingstuhl zurück. „Ja, eine Line!“ Krawatte nickt ein paar Mal beschwichtigend und stellt sich dann wieder neben mich. Ich starre auf die roten Buchstaben im Fernseher. Vielleicht sollte ich Viktor einfach überwältigen, seine Knarre nehmen und dem altmodischen Röhrending ein Loch verpassen. Am besten gleich noch ein paar Kugeln in den DVD-Rekorder ballern und danach auf dem Filmchen in Fussballerschuhen mit Spikes an der Sohle einen Stepptanz zum Besten geben. Ich könnte auch Benzin darüber schütten und alles anzünden. Und danach wie ein Schamane um das lichterlohe Feuerchen tanzen.
Viktor reisst mich aus meinen Gedanken in dem er ohne Vorwarnung das Video fortsetzt. Der Bildschirm flimmert kurz und dann wird der Titel des Streifens horrorfilmverdächtig eingeblendet und musikalisch untermauert. Deepweb Babygirl – jeder Buchstabe triefend vor Blut und die Musik erinnert mich an einen Film aus den Neunzigern, wie hiess der nochmal? Evil Dead. Eine Tür wird theatralisch laut zugeknallt, der Bildschirm wird schwarz. Ein paar Sekunden später hört man leises Vogelzwitschern. Fröhliche-Nachbarschaftsmusik flötet aus dem Lautsprecher des Fernsehers und als die Villa, in der alles angefangen hat, gezeigt wird, kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen. Wirklich Dante? Das ist doch ein Witz. Er hat doch nicht ernsthaft einen ganzen Hollywood-Streifen aus dem Ding gemacht. Sieht aus wie das dämliche Intro von der Serie Fullhouse. Bitte nicht. Eine ganz andere Frage drängt sich in den Vordergrund. Hat er diesen Streifen, diese präparierte Version, all meinen Facebook-Freunden geschickt inklusive der Polizei - oder nur… den Part, wo ich seine Schwester gefickt habe? Ich spüre, wie das Lächeln so schnell, wie es gekommen ist, wieder von meinen Lippen verschwindet und sich stattdessen eine schmale Linie bildet. Wer auch immer das gefilmt hat, scheint sich mit Kameras auszukennen. Fast ruckelfrei wird die Nachbarschaft gezeigt. Ein paar Büsche, die Strasse, die Luxushäuser neben der Villa, einen Brunnen mit einem Amor in der Mitte aus dessen Phallus Wasser spritzt. Paar Vögelchen, die in irgendeinem Garten in einem Vogelbad eine Poolparty schmeissen. Meine Zehennägel ziehen sich nach oben und mit ihnen meine Fingernägel. Das ist so… so….peinlich unangenehm. Was zum Henker hat sich Dante dabei gedacht? Ich werfe einen flüchtigen Blick zu Viktor, der mittlerweile seine Beine überkreuzt und sich vorgelehnt hat, um sein Kinn auf seinem angewinkelten Arm auf seinem Oberschenkel abzustützen. Er wirkt leicht gelangweilt, was ich ihm nicht verübeln kann, mir würde es genauso gehen, wenn ich nicht wüsste, dass ich in dem Streifen eine Rolle habe. Ganz im Gegenteil zu dem gelangweilten und tiefentspannten Viktor hampelt Krawatte nervös von einem Bein zum anderen und ist sichtlich aufgewühlt. Ob es nun an seiner entzündeten Rakete liegt oder an der Aufregung mich gleich in Aktion zu erleben, weiss ich nicht. Aber wahrscheinlich kennt er den Streifen auch schon. Warum sollte er nicht, er ist schliesslich mit Viktor befreundet. Krawattes Worte hallen in meinen Gedanken wieder. Ich solle mir nichts anmerken lassen. Wie meinte er das? Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, wird die Tür von der Villa geöffnet und die Kamera zoomt auf den Eingang. Dort steht Dante. Aber eine andere Version des Dantes, die ich kenne. Mit T-Shirt und kurzen Hosen stürmt er mit einem Fussball bewaffnet aus der Villa und rennt auf den Rasen. Dort fängt er an, den Ball auf seinem Fuss zu balancieren.
Das ganze Bild wird schwarz. Die Musik geht aus und ein Vibrieren ist zu hören. Ein Handy. Die Kamera geht wieder an und auf dem Bildschirm taucht ein Lenkrad mit dem Mercedes Logo auf. Anscheinend ist diese Aufnahme aus der Egoperspektive gemacht. Man sieht, wie der Kameramann nervös mit seinen in schwarzen Lederhandschuhen steckenden Fingern auf dem Lenkrad herumtrippelt. Er trägt dazu eine schwarze Lederjacke und als die Kamera kurz nach unten schwenkt, erkenne ich eine schwarze Jeans. Es raschelt kurz, dann richtet er die Linse auf den Beifahrersitz auf dem ein Handy liegt. Wer ist der Kerl? Er greift kurz nach dem Handy und schaut auf das Display. Ein Anruf in Abwesenheit, Nummer unbekannt. Was hat das zu bedeuten? Er legt das Handy wieder auf den Beifahrersitz und öffnet das Fach unter dem Armaturenbrett. Was er da rausholt, lässt mein Herz für eine Sekunde stillstehen. Eine schwarze Sturmmaske. Was zur Hölle, soll das? Soll dieser Wichser mich darstellen? Wollen die mich alle verarschen? Krawatte stupst mich kurz von der Seite an und als ich ihn anstarre wie ein wütender Pitbull kurz vor der Eskalation, schüttelt er den Kopf. Meine Augen formen sich zu Schlitzen und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt gleich ausrasten oder abwarten und mir nichts anmerken lassen soll. Option 1 gefällt mir deutlich besser, aber ich reisse mich am Riemen und zwinge mich, den Film weiterzuschauen, als wäre mir nicht gerade aufgefallen, dass der Typ im Video so tut, als wäre er ich und Dante mich noch mehr verarscht hat, als ohnehin schon. Hauptsächlich halte ich mich zurück, weil Viktor im Besitz einer Knarre ist und diese schneller schiesst, als ich schlagen kann.
Der Kerl im Video legt die Kamera auf seinen Schoss, die Linse immer noch auf den Beifahrersitz gerichtet. Dann sieht man seine, in schwarzes Leder gehüllte, Hand, die nach der Sturmmaske greift. Die Maske verschwindet aus dem Bild und es raschelt kurz. Wahrscheinlich hat er sie sich über den Kopf gestülpt. Das Bild wackelt, als er die Kamera wieder in die Hand nimmt. Die Linse wird nun zwischen seine Beine gerichtet. Nervös öffnet er den Reissverschluss seiner Jeans und lässt dann seine Hand in der schwarzen Boxershorts verschwinden. Kurze auf und ab Bewegungen signalisieren, dass der Wichser sich gerade einen runterholt. Na toll. Vielen Dank Dante. Viktor neben mir wirkt immer noch gelangweilt, aber zu meinem Glück würdigt er mich keines Blickes. Meine Gesichtsmuskulatur arbeitet gerade auf Hochtouren, um entspannt und total unbeeindruckt auszusehen. Was mir wohl nur minder gelingt, da Krawatte allmählich der Schweiss auf der Stirn steht und er hibbeliger ist, als ein Tier, das sich im elektrischen Zaun einer Kuhweide verfangen hat. Das ist der Moment, wo mir bewusst wird, dass dieser Kerl definitiv auf meiner Seite steht und nicht will, dass ich jetzt alles vermassle und die ganze Lüge auffliegt, die Dante wohl mühsam zusammengeschustert hat. Warum auch immer gerade ich dafür den Kopf hinhalten muss.
Die Kamera schwenkt vom Schritt des Kerls zum Autofenster und dann direkt auf Dante, der freudestrahlend dem Fussball auf dem Rasen hinterher hetzt. In diesem Augenblick wirkt Dante tatsächlich nicht mehr wie ein 17-jähriger aufmüpfiger Teenager, nein, im Gegenteil. Er sieht aus wie ein unschuldiger Junge auf dem Weg zum Fussballprofi. Die schwarzen Haare sind mit etwas Gel zu einer Wuschelfrisur gestylt, die Sommersprossen lassen ihn sowieso jünger erscheinen, als er eigentlich ist und das dazu gewählte Outfit aus T-Shirt mit Bat-Man Aufdruck, kurzer, blauer Hose und orange farbigen Sneakers lässt ihn mich gerade mal auf,… höchstens 14 schätzen. Das Einzige, was nicht ganz dazu passt, ist seine Körpergrösse. Er ist zu gross, ansonsten würde er locker als… Kind durchgehen. Was mich stutzig macht. Was ein bisschen Styling alles ausmachen kann. Was ist, wenn Emily älter ist, als ich dachte? Was ist, wenn Emily bereits… Nein. Nein,… aber was ist, wenn doch?
Die Kamera verfolgt Dante auf dem Rasen und es ruckelt immer mal wieder. Die Geräusche, die man dabei hört, machen den Film zu einer Fahrt direkt durch die Hölle für mich. Man hört den Kameramann schwer atmen und keuchen. Hört, wie der Stoff seiner Hose unter der stetigen Auf-Ab-Bewegung raschelt und als er schon ordentlich dabei ist, hört man auch, wie …feucht er bereits ist. Mir wird speiübel. Der Wichser holt sich gerade zu Dantes Fussballkünsten einen runter und noch viel schlimmer, der Kerl tut so, als wäre er ich. Jeder der dieses Video sehen wird, denkt, ich wäre das. Heilige Scheisse Mutter Maria Gottes, erlöse mich aus diesem verdammten Albtraum.
Als der Kerl kurz innehält und die Kamera noch unruhiger wird als ohnehin schon, weiss ich, dass er gerade…zum Abschluss gekommen ist. Stöhnend richtet er die Linse zwischen seine Beine und präsentiert die… Bescherung. Der Handschuh ist feucht, sowie der Stoff seiner Hose. Viktor stoppt den Film und klatscht ein paar Mal in die Hände.
„Schöne Vorstellung, Nathan.“ Ich schlucke den Ekel hinunter. Grinsend betrachtet mich Viktor von der Seite, richtet sich auf und legt seine Hand auf meine Schulter. „Ich liebe es auch, wenn Dante mit Bällen spielt, wenn sie verstehen, was ich meine.“ Er zwinkert mir kurz zu und ich ringe mich zu einem leicht gequälten Lächeln durch. „Geht es ihnen nicht gut, Nathan? Sie sehen so verschwitzt aus. Wollen Sie mir eventuell etwas sagen?“
Ich schüttle lediglich mit dem Kopf. „Ganz schön heiss hier drin, nicht?“
Viktor fängt an laut zu lachen und Krawatte stimmt mit ein. Mein Gott, das ist alles so falsch. So verflucht falsch. Als sich die beiden wieder eingekriegt haben, startet Viktor ohne einen Kommentar das Video und ich bin froh, vorerst keinen Smalltalk mehr über das Gesehene führen zu müssen.
Der Kerl im Video legt die Kamera auf den Beifahrersitz und richtet die Linse auf seinen Schoss. Dann holt er ein paar Taschentücher aus seiner Jacke und trocknet notdürftig seinen Schritt. Als er damit fertig ist, startet er das Radio und… wow, laute Metalmusik dröhnt aus den Lautsprechern. Fick dich, Dante. Fick dich.
Ein kurzer Cut. In der nächsten Szene wird wieder aus dem Autofenster heraus gefilmt. Dante sprintet noch immer über den Rasen. Emily taucht in der Tür auf. Strahlend geht sie auf ihren Bruder zu und umarmt ihn kräftig von hinten, als sie ihn eingeholt hat. Dante dreht sich zu ihr um, umfasst sie mit beiden Händen an der Taille und hält sie hoch in die Luft. Emily zappelt ein paar Mal fröhlich und tut als wäre sie ein Flugzeug. Dante gibt ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn und setzt sie wieder auf dem Rasen ab. Dann spielen sie gemeinsam Fussball, wobei sich Emily ziemlich dämlich anstellt.
Während ich den beiden so beim Spielen zusehe, erkenne ich, dass das Auto von dem Kerl fast an der gleichen Stelle geparkt hat, wie Ralf und ich damals, als wir Dantes Villa der Qualen observiert haben. Na super, das legt den Verdacht nahe, dass Dante selbstverständlich mitgekriegt hat, dass wir da wie die Idioten parken und nur darauf gewartet haben, dass er einen Fehler macht. Ich meine, anscheinend weiss er, dass man von der Stelle aus, perfekt das Grundstück beobachten kann, ohne unbedingt entdeckt zu werden. Ja, er war uns immer einen Schritt voraus. Die ganze Sache hier war geplant von Anfang an. Das Video ist der Beweis. Dantes diabolischer Plan. Aber warum zum Henker muss ich meinen Kopf herhalten? Warum übernimmt der Kerl im Video nicht meinen Job und fickt Emily vor den Augen des Publikums? Ich meine,… warum ich? Warum hat man mich damals in die Villa beordert und sexy Einbrechernummer abziehen lassen? Das wäre doch alle gar nicht notwendig gewesen. Dante hat doch genug Männer, die den Job erledigen können. Ich spüre, wie die Verzweiflung an meinem Pokerface nagt und meine Augen wässrig werden. Um zu verhindern, dass ich gleich losheule, täusche ich vor herzhaft zu gähnen und reibe mir ein paar Mal kräftig über die Augen. Ich verstehe das alles nicht. Ich verstehe nicht mal mehr, wieso ich überhaupt noch mitspiele. Ich will nicht mehr.
Die Aufnahme bricht ab, als Dante und Emily müde vom Fussballspielen sich auf den Rasen fallen lassen und die Wolken beobachten. Das Bild wird schwarz und ich ahne Schlimmes. Und meine Vorahnung bewahrheitet sich. Jetzt kommen die Aufnahmen von mir, wie ich aus dem Auto steige, den pinken Schlüssel unter dem Teppich hervorziehe und in Emilys Zimmer schleiche. Anders als im vorherigen Teil des Videos werden nun die Überwachungsaufnahmen angespielt und nicht mehr die Egoperspektive von dem Kerl im Auto.
Als ich auf Emily liege und zur Sache gehe, räuspert sich Krawatte kurz und tippt mir unauffällig mit seinem Finger auf die Schulter. Ich werfe ihm einen Blick zu und er deutet mir mit seinen Augen, Viktor anzusehen. Ich folge seiner Aufforderung und mustere Viktor, der amüsiert auf seinem Stuhl sitzt und wirkt, als ob wir hier gerade eine gute Komödie schauen. Er schmunzelt ein paar Mal und es ist mehr als offensichtlich, dass es ihn überhaupt nicht zu stören scheint, was ich seiner Tochter im Video antue. Meine Augen huschen zurück zu Krawatte, dessen Lippen sich zu einem Lächeln formen. Er reckt das Kinn und signalisiert mit einem auffordernden Blick, dass ich mich verhalten soll, wie er und Viktor. Zuerst runzle ich die Stirn, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich die stumme Aufforderung wirklich ernst nehmen soll und verstanden habe, aber als er die Geste etwas hektischer wiederholt, natürlich immer darauf bedacht, dass Viktor nichts mitbekommt, zwinge ich mich ebenfalls zu einem… ui-ist-das-aber-lustig-Gesichtsausdruck. Unauffällig befördert Krawatte seinen Daumen in der geballten Hand nach oben und nickt kaum merklich. Gut gemacht, Nathan. Wuff-Wuff.
Die Situation ist mir mehr als unangenehm, besonders die Tatsache, mich selbst Stöhnen und Ficken zu sehen. Wer hätte gedacht, dass Dante, dieser Mistkerl, direkt über dem Bett eine Kamera angebracht hat und wäre das nicht genug auch noch in jeder verfluchten Ecke von Emilys Zimmer, so, dass man die Szenerie aus jedem verschissenen Blickwinkel bewundern kann. Die Überwachungsaufnahmen wechseln sich ab, einmal das Ganze von oben, von vorne, seitlich und ich bin mir gar nicht bewusst gewesen, dass sich Minuten so verflucht lange anfühlen können. Um mein Stöhnen, dass aus den Lautsprechern dröhnt, zu übertönen, ringe ich mich zu einer Frage durch, deren Antwort ich bereits von Dante halbpatzig und ungenau erhalten habe. „Wie alt ist ihre Tochter eigentlich?“, frage ich und Viktor Mundwinkel zucken erfreut über meinen Input. „Wie alt schätzen sie sie?“
Ich überlege kurz und starre auf Emily, die sich gerade im Video unter mir windet. Die Maske versteckt ihr kindliches Gesicht. Ihre Brüste sind klein, sie wirkt zierlich. Eigentlich hätte ich ihre Altersangabe auf neu.de hinterfragen sollen, als ich das Zimmer betreten hatte. Aber ich war so scharf auf die Scheisse, dass mein Hirn sich nach Hawaii verzogen und dort Cocktails geschlürft hat. Mein Schwanz hatte die Kontrolle an sich gerissen und nun sitze ich hier und bade in einem Pool aus Selbstmitleid, Scham und Hass auf alles und jeden hier. Und mir tut Emily leid, ganz egal, wie verdreht sie ist, aber so etwas hat sie nicht verdient und egal, ob sie unter Drogen stand oder es gar nicht begriffen hatte, was da gerade mit ihr passiert, so etwas hat sie nicht verdient. So etwas verdient niemand. „Ich habe sie auf 20 geschätzt.“, sage ich wahrheitsgemäss und ernte prompt von Viktor ein euphorisches Lachen. „20? Sie sind ein guter Schwindler Nathan, beinahe hätte ich ihnen das abgekauft. Sie Schlawiner.“, er lehnt sich zu mir herüber und zwinkert. „Sie ist 13 oder 14. Vielleicht schon 15? Ehrlich gesagt ist mir das egal.“
Das hätte er nicht zu erwähnen brauchen, das ist offensichtlich. Viktors Hand legt sich auf meinen Oberschenkel. Dann haut er zweimal mit der flachen Hand gegen meine Hose und lacht. „Jetzt kommt meine Lieblingsstelle. Sie wissen doch bestimmt, welche ich meine.“ Er wirft mir einen teuflisch verschmitzten Blick zu und ich glotze auf den Bildschirm. Da sehe ich, wie ich gerade zum Höhepunkt komme und mich über meine „Meisterleistung“ freue. Das wäre eigentlich die Stelle gewesen, in der Dante mit Hut auf dem Kopf in der Türspalte auftaucht und mich zur Schnecke macht. Beifall klatschend. Aber stattdessen sieht man auf dem linken Rand der Aufnahme eine Silhouette in der Tür stehen. Die Kamerasicht wird gewechselt und das Bett mit Emily und mir darauf ist nicht mehr zu erkennen. Es wird das Material der Kamera eingeblendet, die direkt auf die Wand mit der Tür gerichtet ist und von der aus man das Bett nicht mehr erkennt. Dafür sieht man die Person, die in der Türspalte steht nun ganz deutlich. Es ist Dante. Aber es ist nicht der Dante, der wirklich in der Tür gestanden hatte. Nein. Es ist nicht der selbstgefällige Dante, mit Hut und Anzug, der mir an diesem Tag das Leben zur Hölle gemacht hatte, nein, es ist die Fakeversion vom Anfang des Videos, die nun in einem grünen Strampler auf dem viele kleine Fussbälle drauf sind, in der Türspalte steht und schockiert zum Bett schaut. Sein Gesicht ist spärlich beleuchtet. Die schwarzen Haare sind verwuschelt, als hätte er bis eben noch im Bett gelegen. Dieser Bastard. Dieser verdammte Bastard. Er hat das ganze Video, was Viktor erhalten hat, gefaked. Ich spüre, wie jede Faser von mir von einer Welle aus Wut und Unglauben erfasst wird. Und ich bin nicht der Einzige, der spürt, wie ich mich gerade zu einer tickenden Zeitbombe verwandle. Krawatte neben mir wirkt nervös. Ich nehme nur wahr, wie er rumzappelt, was er genau macht, ist mir in dem Moment egal. Zu sehr brodelt es in meinem Inneren. Viktors Augen huschen zwischen Bildschirm und mir hin und her und ich kämpfe, ich kämpfe verdammt nochmal, um Selbstbeherrschung und versuche so gelassen und unbeeindruckt zu wirken, wie möglich. Was mir nur minder gelingt und ich weiss nicht mal mehr, wieso ich überhaupt noch so tue, als ob mich das alles nicht juckt. Das Video ist Fake. Das alles ist Fake. Ich bin sowas von übers Ohr gehauen worden. Dieser verdammte Bastard. Meine Fingernägel bohren sich in meinen Handballen und der Schmerz betäubt nicht annährend den Hass, der mich zerfrisst und jedes Fünkchen gesunden Menschenverstand in der Luft zerfetzt. Heilige verdammte Scheisse, so sehr bin ich noch nie aufs Kreuz gelegt worden.
„Sie wirken so angespannt Nathan, ist etwas nicht in Ordnung?“, säuselt Viktor in mein Ohr und stoppt das Video. Ich hätte ihm am liebsten auf der Stelle den Kopf abgerissen und Fussball damit gespielt. Ach scheiss drauf. Ich hätte den verdammten Schädel direkt zu Brei verarbeitet. „Ich scheine wohl recht mit meiner Vermutung zu haben. Wie Scha…“
„Es turnt mich an.“, unterbreche ich ihn und bin selbst überrascht über den Scheiss, der gerade meine Lippen verlassen hat. „Wie bitte?“ Etwas überrumpelt mustert mich Viktor. „Was haben sie gesagt?“ Ich wende meinen Blick vom grünen Strampler ab und schaue Dantes Vater direkt in die Augen. „Es turnt mich an. Ich werde geil davon. Deswegen bin ich angespannt. Ok? Ich will das sehen, machen sie das Video wieder an.“ Für einen kurzen Augenblick wirkt Viktor hin und hergerissen. Wahrscheinlich versucht er gerade herauszufinden, ob er mir das abkaufen soll oder nicht. Aber das ist mir scheissegal. Ich will sehen, was gleich passiert. Ich will sehen, was Dante da fabriziert hat. Ich will es sehen. Ich weiss, dass ich mich dafür hassen werde und ich weiss, dass es mich zerstören wird. Aber ich muss das volle Ausmass dieser Scheisse sehen. Keine Lügen mehr. Obwohl das ganze verdammte Video eine Scheisslüge ist. Aber das, was dort passiert, schreibt er mir zu. Tut so, als wäre ich sein Geschäftspartner; sagt, ich solle ihm vertrauen und dabei verarscht er mich. Benutzt mich. Zerstört mich. Bringt einen anderen dazu, sich als mich auszugeben für sein Filmchen, aber ich soll dafür nachher auf dieser Bühne gradestehen und auch im Netz? Und vor all meinen Freunden und Bekannten? Vor der Polizei? Was zur Hölle soll die ganze Scheisse hier? Warum bin ich hier? Warum ich und nicht das Schwein aus dem Video?
„Na gut, wenn sie meinen. Schauen wir uns das Video zu Ende an.“
„Viktor, mein Freund, ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Du hast doch deine Antwo..“
„Ich will das sehen.“, schneide ich Krawatte knurrend das Wort ab. Krawatte hüpft sichtlich überrascht einen Schritt zurück und kratzt sich nervös über den Oberarm. Dann starrt er auf den Boden zu deinen Füssen und lässt die Schultern fallen. Viktor schaut kurz zu seinem Freund, zuckt mit den Schultern und startet das Video.
Dante steht immer noch geschockt in der Türspalte und umklammert den Griff der Tür. Man hört es im Hintergrund rascheln. Die Kameraansicht wechselt wieder und man sieht das Bild der Kamera über dem Bett. Der maskierte Kerl, bei dem es sich offensichtlich nicht mehr um mich handelt, steigt über Emily, greift ihr dabei nochmal an ihre Brüste und hält ihr das Messer an die Kehle. Man sieht auf dem linken Bildrand, wie Dante zaghaft einen Schritt in den Raum macht. In dem Moment dreht sich der maskierte Kerl um, streckt den Zeigefinger aus und hält ihn sich vor den Mund. Um seiner Aufforderung keinen Mucks zu machen, Kraft zu verleihen, drückt er Emily das Messer nochmal drohend an die Kehle. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Der Einbrecher rutscht vom Bett runter, steckt den Griff des Messers zwischen seine Lippen und hechtet auf Dante zu, der zuerst gar nicht signalisiert, was gerade passiert. Als er Dante erreicht, packt er den Jungen an den Handgelenken. Dante versucht sich freizukämpfen, versucht nach dem Einbrecher zu treten zu beissen, vergebens. Mit einem schnellen Handgriff lässt er Dantes Handgelenke los und legt seine Hände um Dantes Kehle. Dante röchelt. Seine Finger klammern sich um die Handgelenke seines Angreifers und Tränen sammeln sich in seinen Augen. Die Wangen sind gerötet und verdammt, der Ausdruck auf seinem Gesicht kommt mir sehr bekannt vor. Auch ich habe Dante mehrere Male gewürgt.
Emily liegt immer noch auf dem Bett und rührt sich nicht. Gar nicht. Sie liegt einfach nur da und tut nichts. Sie versucht nicht mal ihrem Bruder zu helfen. Andererseits weiss ich nicht, wie man sich in so einer Situation verhalten sollte. Warum mache ich mir auch Gedanken darüber? Das ist doch sowieso alles gespielt und unecht.
Der Einbrecher würgt Dante weiter, bis die Abwehrversuche des Jungens immer weniger werden und er ruhig wird. Dann lockert er den Griff etwas. Dante schnappt nach Luft. Die Hände immer noch um Dantes Kehle gelegt, führt er den Jungen zur Wand. Als Dantes Rücken die Blümchentapete berührt, lässt der Einbrecher mit einer Hand den Hals des Jungens los, pflückt das Messer aus seinem Mund und schneidet mit der Klinge den Strampler auf der Vorderseite auf. Dantes nackter Oberkörper kommt zum Vorschein. Mit dem Messer erkundet der Scheisskerl die freigelegte Haut, sticht immer wieder mit der Spitze leicht zu und hinterlässt blutige Kratzer auf Dantes Brust und Bauch. Dante schreit und weint und der Kerl scheint das zu geniessen. Dann lässt er Dante ganz los, hält aber immer noch drohend das Messer vor sein Opfer. Dante bleibt eingeschüchtert und ängstlich vor der Wand stehen und starrt seinen Peiniger an. Die Kameraansicht wechselt wieder. Nun sieht man die beiden von der Seite. Der Einbrecher reisst Dante den Strampler ganz vom Körper. Mit einem flinken Handgriff an der Schulter, dreht er den nackten Dante um und erkundet seinen Rücken mit der scharfen Klinge. Das Messer hinterlässt unzählige kleine Schnitte. Ich schlucke. Warum tut Dante sich das an? Warum lässt er das mit sich machen? Nur um an den Pain Olympics teilzunehmen? Um seine Tochter zu retten? Der Hass in mir weicht einem anderen Gefühl, einem von dem ich nicht gedacht hätte, dass ich es in dieser Situation fühlen könnte. Verständnis. Aber wieso? Ich verstehe es nicht. Ich verstehe diese ganze Aktion nicht und viel mehr verstehe ich nicht, was ich damit zu tun habe? Wer ist der Kerl? Wer zur Hölle ist der Kerl und wo ist er jetzt?
Als der Einbrecher seinen Schwanz aus der Hose herausholt und anfängt das Ding zu massieren und an Dantes Hinterteil zu reiben, muss ich wegschauen. Was Viktor natürlich nicht entgangen ist, aber bevor er reagieren kann. Steht bereits Krawatte vor dem Bildschirm und fuchtelt an seiner glühenden Rakete rum. „Ich glaube, ich glaube…. Sie fällt ab!!!! Viktor! Ich glaube, sie fällt gleich ab!“ Panisch hüpft Krawatte vor uns auf und ab. „Ich spüre sie nicht mehr! Oh mein Gott, Viktor. Ich spüre sie nicht mehr!!!“
Viktor schüttelt genervt mit dem Kopf und pausiert das Video. Dann steht er auf, geht auf Krawatte zu und donnert ihm seine flache Hand gegen die Wange. Krawatte schreit kurz auf und wimmert. „Wofür war die? Mein Freund in der Hose, oh Herr Gott.. Viktor…ich brauche einen Arzt.“ In dem Moment klingelt Viktors Telefon. Mit einem genervten Blick auf das Display von seinem Handy wendet sich Viktor von uns ab, nimmt den Anruf auf Russisch entgegen (Da? ) und steuert auf seinen Schreibtisch zu.
Ich verstehe natürlich kein Wort und konzentriere mich auf Krawatte, die noch immer vor dem Bildschirm herumtanzt, als würden 100 Ameisen auf seinem Körper gerade Party feiern. „Was ist mit dir?“ frage ich genervt und stehe von meinem Stuhl auf. Krawatte kommt auf mich zu getorkelt und legt seinen Arm um meinen Hals. „Helfen sie mir Nathan!“, jammert er, blickt kurz über meine Schulter zu Viktor, blinzelt und kommt mit seinem Gesicht meinem noch näher als ohnehin schon. Als unsere Wangen miteinander kuscheln, spricht Krawatte so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann. „Sie müssen das nicht sehen. Er wird merken, dass sie das nicht auf dem Video sind, wenn sie weiterschauen. Sie halten das nicht aus, was gleich passieren wird.“
Meine Vermutung bestätigt sich. „Du weisst davon?“
„Dante hat es mir gezeigt. Viktor ahnt etwas, spielen sie einfach mit. Ich flehe sie an.“
„Was passiert in dem Video?“
„Sie wissen es. Sie wollen das nicht sehen.“
Nach einer kurzen Pause nicke ich. So viele unbeantwortete Fragen in meinem Kopf, dieser Cocktail an Gefühlen und die neuen Erkenntnisse drohen meinen Schädel zu platzen. Heilige Scheisse Mutter Maria Gottes, wo zum Henker bin ich hier reingeraten.
Aber offensichtlich hält Krawatte zu Dante und nicht zu seinem Freund Viktor. Die Frage ist nur, wieso? Wieso hintergeht Krawatte seinen langjährigen besten Freund und stellt sich auf die Seite von Dante? Vielleicht wegen Kathy?
Bevor ich weiter Krieg der Gedanken spielen kann, kehrt Viktor mit einem Gesicht, als hätte man ihm sein Spielzeugauto geklaut, zu uns zurück. Er wirft Krawatte einen finsteren Blick zu, widmet sich dann aber mir. „Wir müssen uns wohl das Filmchen ein anderes Mal zusammen zu Ende anschauen. Wie es scheint, gibt es ein Problem, um das ich mich dringend kümmern muss. Schon merkwürdig, wie viele Zufälle es dieses Jahr gibt. Jim. Nathan. Es war mir eine Ehre.“ Und mit diesen letzten Worten eskortiert er uns aus seinem Arbeitszimmer und schlägt sanft und mit der Grazie eines Panzers die Tür hinter uns zu.
Vor der Tür sackt Krawatte in die Knie und reisst mich fast mit. Sein Atem geht stossweise und ich bin mir nicht sicher, ob der Zusammenbruch wirklich mit seiner entzündeten Rakete zusammenhängt oder mit der Tatsache, dass er wie ich tief in der Scheisse steckt. „Alles in Ordnung?“, frage ich und helfe ihm auf dem Boden Platz zu nehmen. Mit ausgestreckten Beinen und Hand vor dem Glied lehnt er sich an die Wand und lässt den Kopf auf den Brustkorb fallen. Völlig widererwarten fängt er an zu lachen. Okay, scheint so als wären nun alle Sicherungen durchgebrannt. „Das ist die furchtbarste Pain Olympic, die ich je besucht habe.“
„Was du nicht sagst.“
„Nathan, ich kann mir vorstellen, dass das alles für Sie sehr…wie soll ich es ausdrücken. Sehr verwirrend sein muss.“, beginnt er, hebt seinen Kopf und schaut mir in die Augen. „Nehmen Sie es mir übel, wenn ich gerade einfach nur alleine sein möchte?“
Verwirrt ziehe ich die Stirn in Falten und kratze mir über den Oberarm. „Naja, wenn du denkst, dass du alleine zurechtkommst?“
„Ja, ich bin ja schliesslich schon ein grosser Junge.“ Krawatte schmunzelt. Seine Finger zittern, als er die Hand ausstreckt und in den Flur hinunterzeigt. „Sie müssen dort hinten links abbiegen, dann zwei Mal rechts, nachher dem Gang folgen bis sie vor der Bar stehen, ich denke von dort aus, finden sie sich wieder zurecht.“
Meine Augen folgen seiner Hand und im ersten Moment habe ich keine Ahnung, wohin zum Teufel ich überhaupt gehen soll. Ich könnte mich volllaufen lassen, aber andererseits ist die Chance hoch, dass ich wieder umkippe und irgendwo gefesselt aufwache. Widerwillig drängt sich das Bild von Dante, der gegen die Wand gedrückt wird, in meine Gedanken und lässt mich schaudern. Was zum Henker hat der kleine Mistkerl geplant?
„Alles klar, dann gehe ich Mal Dante das Fell über die Ohren ziehen. Man sieht sich.“
Auf dem Weg zu Dantes Zimmer läuft das Video, das Viktor abgespielt hat in Dauerschleife in meinem Kopf hoch und runter. Der Kerl, wie er im Auto sitzt und sich einen von der Palme wedelt, während Dante und Emily Fussball spielen. Der Teil, wo ich nichts ahnend in Emilys Zimmer gehe und tue, was mir über Mail schmackhaft gemacht worden ist. Die Fake-Emily hat haargenau beschrieben, wie ich es ihr besorgen, was ich dabei tragen und wie ich vorgehen soll. Und verdammt, es hat mich angemacht. Der jahrelange Blümchensex mit Letizia hat mir zwar gefallen, aber sie hatte nie wirklich Lust etwas Neues auszuprobieren. Ein paar Mal haben wir es versucht, haben uns Spielzeug gekauft aber es ist ihr immer unangenehm gewesen. Es hat mich nicht gestört, dass der Sex immer derselbe gewesen ist, nein. Das war nicht das Problem. Irgendwann hat sie mich gar nicht mehr an sich rangelassen. Zu viel Stress bei der Arbeit, Kopfschmerzen, in China ist ein Sack Reis umgefallen, etc. Es gab immer Gründe. Tja, und dann hat sie meinen besten Freund gefickt. Ralf. Weil wir uns angeblich auseinander gelebt hätten und er viel mehr mit ihr gemeinsam habe, was Ziele und Zukunft betreffen würde.
Leck mich. Verdammt ich war so dumm und naiv. Dante hat mir das verdammte Drehbuch zu dem Video geschickt und ich halte mich auch noch wie ein braver Schauspieler an die Anweisungen und hinterfrage absolut überhaupt nichts. Ich meine, hätte ich vorher darauf bestanden diese Emily erstmal kennenzulernen, keine Ahnung, ein Kaffee trinken gehen oder sonst was, wäre sein verdammter Plan niemals aufgegangen. Emily hätte kein Wort rausgebracht und den Tisch vollgesabbert und spätestens dann wäre ich über alle Berge gewesen. Aber nein. Nein. Nathan denkt das Leben wäre so einfach wie ein Porno und es gäbe da draussen wirklich Frauen, die einfach mal so eine aufregende Nummer schieben wollen. Grosser Fehler. Ich hasse mich. Wieder drängt sich das Bild von Dante gegen die Wand gedrückt in meine Gedanken und bringt den bereits brodelnden Topf zum Überlaufen. Und dieser kleine Wichser hängt mir auch noch an seine Schwester und ihn vergewaltigt zu haben und schickt dieses verdammte Video meinen ganzen Facebook-Freunden. Die nun alle denken, ich wäre ein kranker Kinderschänder.
Geladen gebe ich den Code für Dantes Zimmer in das Sicherheitsschloss ein und reisse, als es piept, die Tür auf. Zu meinem Glück, wenn man das überhaupt Glück nennen kann, sitzt der Vampirverschnitt in einer Ecke des Zimmers auf einem Stuhl und fingert an seiner Kamera rum. Zeit den Kleinen zur Rechenschaft zu ziehen. Wütend stampfe ich auf ihn zu und spüre, wie das Fass überläuft. Jetzt reicht’s. Endgültig. Als ich vor ihm zum Stehen komme, hebt er den Kopf, mustert mich kurz und konzentriert sich dann wieder auf das Ding in seiner Hand. Was mich nur noch mehr in Rage bringt. Ich überlege, ob ich ihn mit Gewalt vom Stuhl zerren und gegen die Wand drücken soll. Das Überraschungsmoment würde ich dafür nutzen meine Finger um seinen schlanken Hals zu legen und zu zudrücken. So wie in dem verdammten Video und so ich es schon oft getan habe, nur mit dem Unterschied, dass ich es jetzt geniessen würde, seine Luft- und Speiseröhre unter meinem Würgegriff zerbersten zu hören. Vielleicht sollte ich ihm auch noch mein Knie in seine Weichteile rammen und mit den Fäusten in sein Gesicht schlagen. Immer und immer wieder. In Gedanken male ich mir bereits Dante röchelnd und flehend vor meinen Füssen aus.
«Sie sehen zerknirscht aus, Nathan.»
Ich zwinge mich, den Gedanken zur Seite zu schieben und versuche die Wut hinunterzuschlucken, was mir nur teilweise gelingt. Meine Knöchel fühlen sich taub an und mein ganzer Körper brodelt wie ein Topf Wasser über dem offenen Feuer. Ich ziehe scharf die Luft ein, reisse meine Schultern zurück und mahne mich, an Ort und Stelle, mit gefühlt einem Meter Sicherheitsabstand zu Dante, stehen zu bleiben, ansonsten könnte ich für nichts garantieren. Beherrschung? Phah, adieu, hasta la Vista auf Nimmerwiedersehen. Ich würde ihn umbringen. Nach allem, was passiert ist und nicht hätte passieren müssen. Nicht hätte mir passieren müssen. Du verdammtes Arschloch.
«Wer ist der Mann im Video?!», starte ich und versuche krampfhaft die Fassung zu bewahren.
«Sie sprechen in Rätseln Nathan.» Dante sieht kurz zu mir hoch und als unsere Blicke aufeinandertreffen, lösen seine blauen, kühlen Augen in mir ein Frösteln aus. Schlagartig muss ich wieder an den Jungen im Strampler denken, der kein Wässerchen trüben kann und brutal missbraucht wird. Das Video war so realistisch und trotzdem weiss ich, dass alles nur geschauspielert gewesen ist. Alles nur Scharade. Alles eine riesen, grosse Lüge. Dante hat das freiwillig gemacht und mich hineingezogen. Mistkerl. Grinsend wendet Dante den Blick ab und schraubt an der Linse der Kamera auf seinem Schoss herum. «Und ich mag Rätsel.»
«Du weisst wovon ich spreche.», knurre ich leise unter zusammengepressten Lippen und mahne mich abermals, den Sicherheitsabstand zu bewahren. Ich will ihn in Stücke reissen. Zerfleischen. Warum tue ich es nicht einfach? Warum?!
«Es gibt viele Männer in vielen Videos. Woher soll ich wissen, welches Video und welchen Mann sie meinen?»
Ich spüre, wie sich meine Hände automatisch zu Fäusten ballen und sich meine Nägel in meinen Handballen bohren. «Ha ha ha… sehr lustig. Als ob du nicht weisst, was dein Daddy mir gerade in seiner Privatlobby gezeigt hat. Tu nicht so scheinheilig.»
Für einen kurzen Moment bilde ich mir ein, Dante tatsächlich damit überrascht zu haben. Er legt die Kamera auf den kleinen Beistelltisch neben seinem Stuhl ab. Dann rutscht er nach vorne, stützt die Ellbogen auf seinen Knien ab und fährt sich kurz über die Haare. «Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich vor Freude über Ihr Rendezvous mit meinem Daddy nicht in die Luft springe und ihnen dafür gratuliere. Es interessiert mich auch nicht, wie es gewesen ist. Ich bin mir sicher, es war sehr prickelnd. Aber ich kann ihnen leider immer noch nicht folgen. Welches Video und welchen Mann meinen Sie, Nathan? Mein Daddy hat eine ganze Sammlung an… Filmchen, wissen sie? Welchen wunderbaren Streifen haben sie zusammen genossen?»
Ok, jetzt reicht’s. Scheiss auf den Sicherheitsabstand. Wütend mache ich einen Schritt auf ihn zu, packe ihn an den Haaren und reisse seinen Kopf zu mir hoch. Er stöhnt kurz überrascht auf, lässt es aber, ohne sich zu wehren, zu. Sein schmerzverzehrtes kindliches Gesicht voller Sommersprossen schnürt mir die Kehle zu, aber ich denke nicht einmal daran loszulassen. Nicht jetzt. Nicht in diesem Moment. Das Ruder gehört nun mir.
«Unser kleines Bewerbungsvideo. Dante.», hauche ich voller Hass in seine Visage. «Wer ist der Mann in diesem verdammten Video. Wir beide wissen, dass ich es nicht bin. Wer ist es?! Wer?!»
Dantes Lippen verziehen sich zu einem dämlichen Lächeln, was mich dazu anspornt noch fester an seinen schwarzen Haaren zu ziehen. Seine Wangen färben sich rot und ich merke, wie er versucht sich nicht anmerken zu lassen, wie weh es tut. Immer die Fassung bewahren, was Dante? Ausser man zieht wieder die Drama-Nummer ab und fängt auf Kommando an dicke Krokodiltränen zu weinen. Mach doch. Es ist mir egal. Ich weiss, wie gut du schauspielern kannst.
«Sind sie etwa eifersüchtig, Nathan?», flötet er stattdessen und seine Augen formen sich zu kleinen Schlitzen. Dann wandert seine Augenbraue nach oben und... er zwinkert. Fick dich. Ich schleife ihn an seinen Haaren durch den Raum und stosse ihn auf halber Strecke gegen die Wand. Im letzten Moment kann er sich mit den Händen abfangen. Dann dreht er sich zu mir um, schüttelt kurz den Kopf und streicht sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Bevor er etwas sagen kann, bäume ich mich vor ihm auf. rrevv.“, knurre ich, umfasse seine Kehle mit einer Hand und reisse mit der anderen unsanft sein hässliches schwarzes Satinhemd auf. Die Knöpfe fallen auf den Boden und seine bleiche, verschandelte Brust kommt zum Vorschein. Dante schnappt nach Luft. Widerwillig lockere ich meinen Griff etwas. „Nein, es gibt absolut keinen Grund eifersüchtig zu sein.“ Meine Stimme ist lediglich ein Flüstern. Ich lasse seinen Hals los. Gerade als er etwas erwidern will, packe ich ihn an der Schulter und drehe ihn mit Schwung um. Dann presse ich ihn mit meinem kompletten Körpergewicht gegen die Wand, damit er sich nicht befreien kann, schnappe mir seine dünnen Handgelenke und halte sie über seinem Kopf mit einer Hand fest. „Ich kann mir jederzeit holen, was ich will.“
„Nath…“
„Halt die Klappe.“
Mit der anderen Hand greife ich um ihn rum und öffne seine Gürtelschnalle. Als sie offen ist, reisse ich die Hose am Bund mitsamt Shorts runter, so dass sein nacktes Hinterteil freiliegt. Dann drücke ich meine Lende fest dagegen. „Erinnerst du dich jetzt an das Video oder muss ich noch ein bisschen nachhelfen?“
Er sagt kein Wort. Für einen Moment verharren wir in dieser Situation, dann lasse ich ihn los und gehe ein paar Schritte zurück. Anstelle sich die Hose wieder hochzuziehen, sich umzudrehen und irgendeine blöde Bemerkung von sich zu geben, bleibt Dante mit dem Rücken mir zugewandt an der Wand stehen und rührt sich nicht. Ich gehe ein paar Mal auf und ab, starre zwischen Boden und ihm hin und her. Aber er bleibt einfach nur an Ort und Stelle stehen. Immer noch Mucksmäuschenstill. Warum? Was zum Teufel soll das bezwecken? „Warum ich, Dante? Warum nicht der Kerl im Video? Warum bin ich hier?“
„Ich kann es ihnen noch nicht sagen.“ Seine Stimme ist so leise, dass ich ihn beinahe nicht gehört hätte.
„Warum?“
„Vertrauen sie mir einfach, Nathan.“
„Wie soll ich das tun, nach allem, was du mir angetan hast?“
Wieder keine Antwort. Genervt stampfe ich auf ihn zu und donnere meine Faust neben seinem Gesicht gegen die Wand. Er zuckt leicht zusammen, aber bleibt nach wie vor in der gleichen Position stehen.
„Warum?“, brülle ich und schlage nochmals mit der Faust neben ihm gegen den Beton. Keine Regung. Nichts. Entweder ich verprügle ihn, bis er mit der Antwort herausrückt, was er höchstwahrscheinlich nicht tun wird, eher würde er auf dem Boden vor meinen Füssen verrecken, so wie ich ihn einschätze. Oder ich,… mir fällt kein Oder ein. Ausser ein Oder, was mir absolut nicht gefällt. Ok. Ein letzter Versuch. Das rufe das Video in meinem Kopf auf, spiele es weiter nach und öffne meinen Gürtel, so, dass er die Schnalle hören kann. Dann ziehe ich meine Hose bis zu meinen Knien runter und… das ist doch schwachsinnig. Genervt und verzweifelt gebe ich auf. Das hat doch alles gar keinen Sinn. Warum tue ich das? Ich bin nicht der Kerl im Video und ich bin kein Vergewaltiger. Egal, wer der Mistkerl ist, es ändert ohnehin nichts an der Tatsache, dass ich hier festsitze und es ändert nichts an meinem Entschluss, Dante zu helfen und dieses Baby heil aus diesem Komplex zu befördern. Dante will mich zu seiner Marionette machen? Zu einem Monster? Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Ich habe ohnehin alles verloren. Ja, ich werfe die Flinte ins Korn. Nathan over and out.
Gerade, als ich meine Hose wieder hochziehen will, dreht sich Dante um und taxiert mich mit seinen Augen. Ich erwidere seinen Blick kurz, dann zieh ich meine Hose hoch und mache den Gürtel wieder zu.
„Nathan, ich möchte ihnen einen Film zeigen.“
Meine Augenbraue huscht nach oben. Damit habe ich nicht gerechnet. „Was für einen Film?“ Ein leichtes Lächeln legt sich auf seine Lippen. Mit zittrigen Fingern greift er nach seiner Hose und zieht sie sich vorsichtig über das Becken. Als er an seinem kaputten Hemd rumfummelt, verzieht er das Gesicht. „Sie schulden mir nun noch ein Hemd, Nathan.“
Dante bückt sich nach den Knöpfen seines Hemds und sammelt sie auf. Mit leicht schwankenden Schritten kommt er auf mich zu, tippt mir gegen die Schulter und läuft an mir vorbei zu einem grossen Schrank. Hinter den Schranktüren kommt ein Fernseher zum Vorschein. Er drückt ein paar Knöpfchen und das Bild geht an. Ich beobachte ihn, wie er zwei Stühle mühsam aus der Ecke vor den Schrank befördert. Dann schiebt er eine Kassette in den Rekorder unter der Flimmerkiste, greift nach der Fernsehbedienung und nimmt auf einem der Stühle Platz. Mit einer leichten Skepsis im Nacken setze ich mich auf den anderen Stuhl und das Deja-Vu, das mich in diesem Moment überkommt, löst ein leichtes Unwohlsein in mir aus. Schon irgendwie seltsam erst mit dem Vater einen Filmabend zu schmeissen und dann wenige Minuten später nochmals mit dem seinem Sohn dasselbe.
„Ich wusste, dass sie mich nicht anrühren würden.“ Dante zwinkert mir zu und startet das Video. „Achja?“, erwidere ich trocken, schaue ihm kurz ins Gesicht und konzentriere mich dann auf den Fernseher. Es flackert ein paar Mal kurz auf. Vor der Linse taucht eine blaue Bettdecke auf mit Asteroidenmuster. Es raschelt und die Kamera wird geschwenkt zum Kameramann, der offensichtlich Dante ist. Seine blauen Augen sind mit etwas Eyeliner umrandet, was zugegebenermassen nicht schlecht aussieht, aber ihn wirken lässt, wie der kleine Vampirfrechdachs, für den ich ihn halte. Seine Haare sind verwuschelt und ein bisschen kürzer als jetzt. Er sieht direkt in die Kamera und legt sich seinen Zeigefinger auf die Lippen, was das Bild kurz ruckeln lässt.
Dante stupft mich von der Seite an und schenkt mir ein kokettes Lächeln. „Wissen sie, was ich erstaunlich finde, Nathan? Wie schnell sie gelernt haben ihr, wie soll ich es ausdrücken,… ihr Rohr als Waffe zu benutzen? Einfache Psychologie. Menschen lernen und kopieren das Verhalten ihrer Mitmenschen. Durch die visuellen Reize und die ganzen Eindrücke, die sie gesammelt haben seit wir beide uns kennen, sind sie ein richtiger Vorzeigekrimineller geworden!“ Meine Lippen verziehen sich zu einer schmalen Linie. „Stellen sie sich erstmal vor, was diese ganzen gestellten Vergewaltigungsvideos im Internet auf diversen pornographischen Seiten in den Köpfen der Zuschauer auslösen. Herrliche Gewaltfantasien - und wissen sie, wie schmal der Grat zwischen Fantasie und Realität ist? Ich finde so etwas faszinierend! Ich bin gespannt, was sie tun werden, wenn sie dieses Video gesehen haben.“ Dantes Tonfall wird ernst und für einen Augenblick bin ich verwirrt. Was zum Teufel wird mich erwarten? Ohne einen Kommentar fokussiere ich mich wieder auf den Film. Man sieht Dante, wie er gerade aus dem Bett steigt und bekommt einen kleinen Einblick in… ich schätze das ist sein Zimmer. Ein grosser schwarzer Schrank auf der rechten Seite, ein schwarzer Schreibtisch links auf dem ein Computer steht und in der Mitte des Zimmers ein flauschiger grauer Teppich. Die Tapete ist in einem Dunkelblau gehalten und wie auf der Bettdecke schweben Asteroiden auf dem dunklen Hintergrund - und es wirkt, als ob um einen herum das Weltall ist. Anscheinend scheint das Dantes Ding zu sein. Hätte ich nicht erwartet, dass der Kleine ein Flair für Sterne und Planeten hat.
Dante steuert auf die Tür zu und öffnet sie einen Spalt. Nach kurzem Zögern öffnet er sie ganz und läuft durch einen schlecht beleuchteten Flur. Es ist bereits abends und dunkel. Der Flur führt zu einer Holztreppe, die in die erste Etage zu scheinen führt. Die Kamera schwenkt die Treppe herunter. Man sieht direkt zur Haustür. Neben der Haustür steht eine Vitrine mit viel Krimskrams darin. Ich erkenne einen Soldaten und einen Nussknacker. Langsam und geräuschlos geht Dante die Treppe hinunter und stoppt vor den letzten beiden Stufen. Anscheinend überprüft er, ob die Luft rein ist. Wieso auch immer. Als er unten angekommen ist, dreht er sich nach rechts. Dort sind drei Türen. Eine davon ist offen und man sieht die Umrisse einer Holzküche. Die Zweite ist nur einen Spalt geöffnet und die Dritte ist ganz geschlossen. Man hört das Ticken einer alten Uhr. Ich schätze es ist eine Pendeluhr. Die Kamerasicht richtet sich auf den Fussboden. Jetzt sieht man Dantes Füsse, die in dicken schwarzen Wollsocken stecken, nackte bleiche Beine und einen Teil seiner Boxershorts, die blau kariert ist. Nicht gedacht, dass Dante so etwas in seinem Kleiderschrank hat. Zu ihm passen eher enge, schwarze Shorts. Andererseits hat er auch einen grünen Fussballstrampler, mit dem ich auch nicht gerechnet hätte. Dante geht auf die Tür zu, die einen Spalt geöffnet ist und filmt durch die kleine Öffnung. Viktor und Krawatte sitzen an einem Holztisch und trinken irgendetwas Gelbes aus grossen Gläsern. Wahrscheinlich Bier. Sieht aus, als ob sie sich im Wohnzimmer befinden. An den Wänden hängen Holzregale, mehr erkennt man nicht.
„… habe mich schon lange auf diesen Abend gefreut.“, hört man Viktor fröhlich sagen. Die Männer heben die Gläser und nehmen einen Schluck. Beide Männer tragen schwarze Anzüge. „Die Zeit rennt, mein Freund, die Zeit rennt.“, erwidert Krawatte glucksend.
„Wo du recht hast, ich kann nicht mehr so viel trinken, sonst bekomme ich gleich keinen mehr hoch.“ Viktor lacht und Krawatte stimmt mit ein. „Aber denk dran, du hast mir versprochen, dass du gut zu ihr bist.“
„Jim, du kennst mich, ich halte mich an meine Versprechen, so wie du dich an deines hältst. Nicht wahr?“
„Selbstverständlich.“
Die beiden Männer geben sich über dem Tisch die Hand. Dann ruckelt das Bild und die Linse zeigt auf den Boden. Wenige Sekunden später wird das Objektiv wieder auf die beiden Männer gerichtet, aber dieses Mal ist die Kamera niedriger positioniert. Schätze Dante hat die Kamera auf dem Boden abgestellt. Die Tür schwenkt gegen innen auf und man sieht Dantes Socken, die über den Fussboden gleiten. Viktor und Krawatte wirken beiden sichtlich überrascht, als sie Dante sehen.
„Dante!“ Viktor steht auf und geht auf seinen Sohn zu. Dante bleibt mitten im Raum stehen, ich kann ihn nur bis zu den Schultern erkennen, der Rest ist nicht mehr im Bild. „Gibt es ein Problem? Kann ich etwas für dich tun?“
Ohne zu antworten kniet sich Dante hin und ich ziehe überrascht die Augenbrauen hoch. Warum kniet er sich hin? Damit er komplett im Bild ist? Als Viktor direkt vor Dante zum Stehen kommt, streichelt er seinem Sohn über den Kopf und tätschelt ihn, als wäre sein Sohn ein Hund. Ich drehe mich zu Dante um. „Was zum Teufel machst du da, wieso behandelt er dich wie einen Köter und warum lässt du dir das gefallen?“
„Schauen sie sich einfach das Video zu Ende an, Nathan.“
Immer noch nicht darauf klarkommend, dass Dante im Video einen auf Lassie macht, widme ich mich wieder dem Film.
„Vater.“, erwidert Dante leise und sieht zu Viktor hoch. Dieser signalisiert ihm mit einem Kopfnicken aufzustehen. Als Dante sich aufrichtet, folgt er seinem Dad wortlos zurück zum Tisch und bleibt neben ihm stehen, als dieser sich wieder auf seinen Stuhl setzt.
„Hallo Dante.“, grüsst Krawatte und Dante reicht ihm die Hand. Für ein paar Sekunden herrscht Stille, dann ergreift Dante das Wort. „Ich weiss, dass Kathy nun bereit ist und ich will ihr Erster sein.“ Mir fallen die Tomaten von den Augen und wie es aussieht, den beiden Herren im Video ebenfalls. Wie bitte? Dante hat darauf bestanden, Kathys Erster zu sein? Aber… Viktor hatte doch Dante im Video, das er auf der Bühne abgespielt hat, mit einer Knarre bedroht und ihn gezwungen mit Kathy zu schlafen, so fern ich mich richtig erinnere.
„Du willst was?“ Viktor klingt skeptisch und ich kann es ihm nicht verübeln in dem Moment. Ausserdem, - ist Dante nicht schwul? Ich meine, … also ich dachte, er wäre… schwul. Habe ich mich getäuscht? Wäre schliesslich nicht das erste Mal.
„Du hast mich richtig verstanden.“
Viktor fängt an zu lachen und Krawattes Augen sind immer noch weit aufgerissen und auf Dante gerichtet, als hätte er gerade wahrhaftig das Monster von Lochness vor sich.
„Du möchtest also Kathy entjungfern. Woher der Sinneswandel?“
Dante platziert seine Hände hinter seinen Rücken, so dass weder Viktor noch Krawatte sie sehen können, aber der Zuschauer. Da erkenne ich, wie er nervös mit seinen Fingern rumspielt. Ich weiss nicht genau, was das zu bedeuten hat und da ich sein Gesicht nicht sehe, kann ich auch nicht einschätzen, wie ernst er das meint, was er gerade gesagt hat.
„Ich will es ausprobieren. Vielleicht gefällt es mir.“
„Vielleicht gefällt es dir, so so, willst du nun doch in meine Fusstapfen treten oder… ohhh… ooohhh… hat sich der kleine Mann etwa in die kleine Prinzessin verliebt?“
Dantes linke Hand ballt sich zur Faust, dann befördert er den Daumen nach oben. Daumen hoch? Heisst das, ja er hat sich verliebt oder ja, das, was er im Schilde führt, geht auf? Ich lehne mich auf meinem Stuhl vor und kratze mir nachdenklich übers Kinn. Dante ist aufgelöst gewesen, als ich die Sache mit Kathy vermasselt habe, aber andererseits hat er auf mich, als sie den Ratten zum Frass vorgeworfen worden ist, nicht so gewirkt, als wäre gerade seine grosse Liebe brutal ermordet worden. Mein Gott ist das verworren.
Ohne auf Viktors Frage zu antworten, kontert Dante mit einer Gegenfrage. „Darf ich Kathys Erster sein?“
Viktor mustert Dante, dann wandert sein Blick rüber zu Krawatte, der nur mit den Schultern zuckt und anscheinend auch nicht weiss, was er von der ganzen Aktion halten soll.
„Nun,… ich schätze, Jim und ich müssen uns erstmal in Ruhe darüber unterhalten. Geh auf dein Zimmer.“
Gehorsam dreht sich Dante um und läuft wieder aus dem Raum. Hinter sich schliesst er die Tür, greift nach der Kamera und rennt damit schnell die Treppe hoch. Als er wieder in seinem Zimmer ist, stellt er den Apparat ab und richtet die Linse auf sein Bett. Dort lässt er sich auf die Matratze fallen und starrt auf die Decke. Jetzt fallen mir die ganzen Leuchtsterne auf, die an der Tapete über seinem Bett angebracht worden sind und aussehen wie ein kitschiger Sternenhimmel. Ruckartig richtet sich Dante wieder auf und setzt sich an die Bettkante. Dann bückt er sich herunter und zaubert unter dem Bett eine Kiste hervor. Er nimmt den Deckel vom Karton und holt eine blaue Spritze und ein Döschen heraus. Bei der blauen Spritze bin ich mir fast sicher, dass es sich um H19 handelt. Aus dem Döschen fischt er mit seinen schlanken Fingern eine blaue Pille und befördert sie in den Mund. Ohne Wasser schluckt er sie hinunter. Ob es sich bei dieser Pille um das blaue Schwanzwunder handelt? Bereitet er sich gerade vor? Dante steht von der Matratze auf, zieht das schwarze T-Shirt, dass er trägt hoch und befördert die Spritze zwischen Becken und den Bund seiner Boxershorts. Sein Bauch ist ganz narbenfrei, keine Kratzer, keine Striemen, nur bleiche tadellose Haut. Was die Vermutung naheliegen lässt, dass er sich wirklich nur für das Bewerbungsvideo so zurichten lassen hat.
Hektisch geht er auf die Kamera zu und nimmt sie wieder in die Hand, dann verlässt er das Zimmer. Er geht den Flur entlang, diesmal in der oberen Etage an der Treppe vorbei. Vor dem Zimmer neben seinem bleibt er kurz stehen und klopft dreimal gegen die Tür, macht eine kurze Pause und klopft dann noch zwei Mal gegen das Holz. Plötzlich dröhnt laute Musik aus dem Zimmer. Dante dreht sich kurz um und filmt in Richtung der Treppe. Die Kamera geht aus und alles wird schwarz. Als das Bild wieder angeht, sehe ich Kathy, die vor ihrem Puppenhaus sitzt und in die Kamera schaut. Dante kommt ins Bild. Er trägt immer noch die blau karierten Shorts und das schwarze T-Shirt. Er setzt sich im Schneidersitz ihr gegenüber neben das pinke Prinzessinenschloss. Kathys Blick folgt ihm und sie lächelt, als er eine Puppe in die Hand nimmt.
„Kathy, es ist soweit.“, beginnt er und zupft nervös an der Puppe rum. „Weisst du noch, was ich dir über das Theater erzählt habe?“
Kathy nickt und ihr Lächeln verschwindet aus dem Gesicht. „Ok, wir sind gleich Schauspieler. So, wie wir es mit den Puppen geübt haben, ja? Es wird auch nicht wehtun, versprochen. Wir schaffen das zusammen. Ich habe hier noch was.“ Dante legt die Puppe beiseite und zieht sein T-Shirt hoch. Mit zittrigen Händen holt er das H19 aus seinem Hosenbund und zeigt sie es ihr. Kathys Gesicht läuft rot an. „Das wird sich gut anfühlen.“
Er steckt sich die Spritze zwischen die Lippen und krabbelt um das Puppenhaus herum zu Kathy. Dann löst er die Schleife aus ihrem Haar, nimmt ihre Hand und bindet das Haarband eng um ihren Oberarm. Die beiden schauen sich kurz in die Augen. Als Kathy nickt, holt Dante die Spritze aus seinem Mund und befördert die Nadel in ihren Ellbogen. Kathy reisst die Augen auf. Sie blinzelt ein paar Mal. „Alles in Ordnung?“, fragt Dante und lässt ihren Arm los.
„Ja.“
„Gut, also Kathy wird sind gleich Schauspieler, alles was passieren wird, ist nicht echt. Okay? Wir tun nur so als ob. Es wird nicht wehtun und es wird schnell vorbei sein. Alles halb so schlimm. Ich bin bei dir und in drei Jahren verschwinden wir von hier. Wir hauen einfach ab und dann gehst du in die Schule und wir finden einen Ken für dich und alles wird gut werden. Versprochen.“
„Alles wird gut werden.“, wiederholt Kathy leicht lethargisch und kippt sachte vornüber. Dante rutscht schnell neben sie und legt seinen Arm um sie.
„Ich hab dich lieb.“, flüstert Kathy leise und Dante lächelt. „Ich hab dich auch lieb, kleine Prinzessin.“
Das Bild wird schwarz.
„Was zur….Hölle.“ Mit aufgerissenem Mund starre ich auf den schwarzen Bildschirm und weiss nicht so recht, was ich von dem Video halten soll.
Dante steht auf und geht auf den Fernseher zu. Mit ein paar Handgriffen befördert er das Video aus dem Rekorder. Dann schiebt er eine weitere Kassette in den Schlitz, drückt auf Pause und stellt sich vor den Fernseher. „Vertrauen sie mir jetzt, Nathan?“
Ich schaue ihm in seine blauen Augen und ich kann nicht sagen, ob ich ihm vertraue oder nicht. Aus dem einfachen Grund, dass ich schlichtweg nicht akzeptieren kann, dass in dieser Welt hinter verschlossenen Türen und dicken Mauern so etwas überhaupt passieren kann. Währenddessen ich zuhause vor meinem Rechner sitze und Pizza esse oder ein Fussballspiel ansehe, müssen Kinder Grausamkeiten ertragen, die ich mir nicht mal in meinen schlimmsten Träumen ausmalen kann. Ich komme nicht darauf klar, dass das die Realität sein soll. Das wir Monster sind. Ich habe zwar bei der Polizei gearbeitet und bin immer wieder mit Dingen konfrontiert worden, die man sonst nur aus Krimis und Thrillern kennt. Aber das hat hinter meinem Schreibtisch niemals so real gewirkt, wie das hier. Aber ich war auch nur ein Bürogummi, der Akten sortiert und abgelegt hat. War niemals im Einsatz, habe nie eine Leiche gesehen, nein. Und jetzt? Sitze ich hier und fühle mich wie in einem verdammtem Horrorfilm und habe einen Jungen vor mir, der Schreckliches erlebt sowie Schreckliches getan hat. Ich weiss nicht, ob ich ihn in den Arm nehmen oder ihm das Hirn mit einem Revolver wegpusten soll. „Dante, warum zeigst du mir das?“
„Weil ich nicht mehr weiss, ob ich Ihnen noch vertrauen kann, Nathan.“
„Warum?“
„Weil sie, ich wiederhole, sich jederzeit holen können, was sie wollen. Mein Allerwertester hat gerade noch mit ihrem Schritt gekuschelt, um ihr Gedächtnis aufzufrischen, Nathan.“
Mein Mund verzieht sich zu einer schmalen Linie. Er hat sich nicht gerührt, als ich ihn gegen die Wand gedrängt habe. Er hat es zugelassen. Die Frage ist nur, warum? Um mir zu zeigen, dass ich ein Monster sein kann? Oder um zu demonstrieren, dass er, egal was ich tue, nicht von seinem Plan abweicht und mich im Ungewissen hält, solange er will? Und wieder fährt mein Kopf Karussell. Dann macht es plötzlich Klick. Der Kerl im Video. Er hat die gleiche Statur wie ich, genauso wie Mr. Schmerz, der mich mit Venus hätte vertraut machen sollen. Dantes Reaktion bei der Besprechung, als Mr. Schmerz den Raum betreten hatte. Er ist rot angelaufen, wie eine Tomate, ist seinem Blick ausgewichen und wollte so schnell wie möglich verschwinden. Mr. Schmerz muss der Kerl im Video sein. Definitiv. Die Frage ist nur, wer verbirgt sich hinter der Maske? Dante hatte Komplizen erwähnt, ich habe sie nur nie zu Gesicht bekommen. Ich weiss, dass Krawatte in „unserem“ Team spielt, aber Krawatte ist nicht Mr. Schmerz.
„Es tut mir leid.“, sage ich nach einer kurzen Pause und behalte die Erkenntnis, dass der Kerl im Video Mr. Schmerz ist, vorerst für mich. „Was willst du mir noch zeigen?“
„Meinen schlimmsten Albtraum, geniessen Sie es, Nathan.“
Dante geht zur Seite und startet das Video. Anstelle neben mir Platz zu nehmen, geht er an mir vorbei. Ich drehe mich zu ihm um und schaue ihm zu, wie er sich auf das Bett fallen lässt, die Bonbontüte hinter dem Kissen hervorholt und sich eins davon in den Mund schiebt. Die Melodie von den drei kleinen Schweinchen reisst meine Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher. Auf dem Bildschirm taucht in roten Buchstaben der Titel Big Bad Wolf auf. Das Bild ist unscharf und ruckelt, aber ich erkenne eine Person in einem Wolfskostüm, die langsam und etwas unbeholfen zur Melodie tanzt. Die Person steht vor einer Holzwand. Die Wolfsmaske sieht gruselig aus, als hätte man sie aus einer Geisterbahn geklaut. Nicht so edel, wie Dantes Venezianische. Das Fell hängt zottelig an den Ohren. Die Reisszähne sind schief und stehen in alle Richtungen. Die Augen sind nur grosse schwarze, leere Höhlen. An den Seiten hängt ebenfalls zotteliges, verklebtes Fell raus. Der Wolfsbody besteht aus dem gleichen zotteligen grauen Fell. In der Mitte ist ein grosser, auffälliger Reissverschluss. Während der Wolf tanzt, zieht er am Reissverschluss und öffnet ihn langsam. Das Bild flackert und die Melodie stoppt abrupt. Als der Reissverschluss ganz offen ist, wird das Bild komplett schwarz. Wenige Sekunden später wummert wieder die Musik verzerrt aus den Lautsprechern. In Dauerschleife hört man „Wer hat Angst vor dem bösen Wolf, wer hat Angst vor dem bösen Wolf, wer hat Angst vor dem bösen Wolf“ Das Bild geht wieder an und man sieht den Wolf nackt nur mit Maske auf dem Kopf vor der Wand stehen. Der Wolf wirkt jung, ein Teenager vielleicht? Er ist schlank und unbehaart. Die Schultern sind leicht nach vorne gekippt, als ob er sich in seiner Rolle unwohl zu fühlen scheint. Der Wolf fängt an zu der verzerrten Melodie sein… Genital mit auf und ab Bewegungen zu massieren. Nicht schon wieder. Bitte.
Die Kamera schwenkt zum Fenster. Dort steht ein Mann, der ganz eindeutig aussieht wie Krawatte, nur in jünger. Was zum Henker wird hier gespielt? Krawatte ist ebenfalls gänzlich unbekleidet und rubbelt, wie der Wolf, an seinem Ding rum, während er nach rechts schaut. Die Kamera folgt seinem Blick und man sieht ein grosses Bett mit weissen Laken. Das Bild wird herangezoomt. Oh shit. In dem Bett liegt ein schwarzhaariger Junge zugedeckt mit einer Bettdecke, so, dass man nur den Kopf herausgucken sieht. Der Junge wirkt, als würde er schlafen. Die Augenlider sind geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Die Kamera richtet sich wieder auf den Wolf, der nun mit erigiertem Glied am Fussende des Bettes steht und den Jungen durch seine pelzige Maske anstarrt. Mit einem Ruck zieht er die Decke von dem Jungen runter und der Kleine schreckt auf. Die Melodie dröhnt nun schneller aus dem Lautsprecher. Ängstlich zieht das Kind seine Beine an und umklammert sie. Schlagartig wird mir bewusst, wer der Junge ist. Es ist Dante und er trägt das gleiche viel zu lange Männerhemd, das er auch in dem Video getragen hat, als Viktor ihn in dem Keller missbraucht hat. Entsetzt starre ich auf den Bildschirm. Das Video scheint auch in dem gleichen Zeitraum aufgenommen worden zu sein. Vielleicht sogar am selben Tag?
Der Wolf klettert auf das Bett. Je näher er dem Jungen kommt, desto ängstlicher wird das Kind und versucht verzweifelt, weiter weg von dem Ungeheuer zu rutschen, aber das Bettgestell hinter ihm lässt es nicht zu. Als der Wolf Dante erreicht, packt er ihn an seinen Fussgelenken und reisst ihn zu sich runter. Der Junge strampelt um sein Leben, versucht mit seinen kleinen Fäusten gegen den Wolf zu schlagen, aber dieser greift nach seinen Handgelenken und drückt ihn mit seinem Körpergewicht gegen das Bett. Plötzlich schaut der Junge nach links, - direkt in die Kamera. Sein Gesicht ist nass, die Wangen und Augen gerötet. Und als hätte man einen Schalter umgelegt, rührt sich Dante nicht mehr. Er liegt einfach nur ausgestreckt da und starrt mit weit aufgerissenen Augen in die Kamera. Wie hypnotisiert. Hat man ihm mit etwas gedroht oder was passiert hinter der Kamera, was den Kleinen davon abhält, sich weiter zu wehren?
Von der Seite sieht man Krawatte mit einem Döschen ins Bild kommen. Er streckt es dem Wolf entgegen und dieser greift mit seiner Hand in den Behälter. Dann setzt der Wolf sich rittlings auf den Jungen und schmiert sich den Inhalt des Döschens zwischen die Hände. Vaseline? Die Vermutung bestätigt sich, als er etwas anderes ebenfalls mit der Creme einreibt. Nein. Das will ich nicht sehen. Definitiv will ich das nicht sehen. „Mach es aus. Ich weiss, was jetzt passiert und ich will das nicht sehen."
„Sie müssen es sich ansehen, Nathan.“, erwidert Dante vom Bett aus und ich höre die Tüte rascheln. Offensichtlich gibt es sich die volle Dröhnung Bonbons. Ich drehe mich um und sehe, wie er sich aufrecht auf dem Bett hingesetzt hat und zu mir sieht. Dabei leckt er über ein Bonbon, das er zwischen Zeigefinger und Daumen eingeklemmt hat. „Wozu?“, frage ich, wohlwissend eine kaltschnäuzige und halbpatzige Antwort zu erhalten, mit der ich sowieso nichts anfangen kann.
„Es ist Teil vom Drehbuch.“ Seine Mundwinkel zucken kurz, dann schiebt er sich das angeleckte Bonbon in den Mund und zwinkert mir zu. Irgendwie würde ich anders reagieren, wenn ich gerade jemanden zeige, wie ich als Kind schon wieder von irgendjemanden, diesmal in einem Wolfskostüm, missbraucht werde. Und es macht Klick. Die venezianische Wolfsmaske. Drehbuch. Er will seinen schlimmsten Albtraum nachspielen. Auf der Bühne. Mit mir in der Hauptrolle. Automatisch spannt sich mein ganzer Körper an und meine Finger verkrampfen sich. Ohne ein Wort zu sagen, drehe ich mich wieder zu dem Fernseher um. Ich kann das nicht. Je realer und näher die Show wird, desto mehr zweifle ich daran, dass ich das wirklich durchziehen kann. Der Wolf im Video lehnt sich mit seinem Oberkörper über den Jungen. Es sieht so aus, als ob der Wolf dem Jungen einen Kuss in den Nacken gibt, was aber durch die Maske gar nicht möglich ist. Der Junge zuckt zusammen. Ob der Wolf ihn angeknurrt hat? Die Musik ist zu laut und übertönt alle Geräusche. Die Hand des Wolfs streichelt über das T-Shirt von Dante. Als seine Hand beim Saumende angekommen ist, richtet er sich auf die Knie auf und reisst das Shirt bis zu Dantes Hals hoch. Dann hält er kurz inne und zieht den Stoff über Dantes Gesicht, so, dass die Augen von dem Kleinen bedeckt sind und er nichts sieht. Der Wolf streift sich ein paar Mal über sein Glied und befördert dann seinen Mittel und Zeigefinger zwischen Dantes Beine. Es fällt mir schwer, den Blick auf den Fernseher gerichtet zu halten, ohne dabei wegzusehen, zu weinen oder mich zu übergeben. Nein. Ich verstehe so etwas nicht. Ich verstehe nicht, wie man so etwas geil finden kann, wie man so etwas tun kann und wie man den Scheiss auch noch filmen kann. Am liebsten hätte ich den Fernseher auf der Stelle gegen die Wand geworfen, auch wenn das nicht Ungeschehen machen kann, was gerade in dem Video passiert.
Als der Wolf sich in Position bringt, wackelt plötzlich das Bild. Dann flimmert die ganze Aufnahme, bis man beinahe nichts mehr erkennt, ausser Schatten. Und was dann geschieht, lässt das Blut in meinen Adern zu Eis gefrieren. Die Kamera wird auf die Tür gerichtet. Dort steht Dantes Mutter mit schockverzehrtem Gesicht. Sie trägt das gleiche Kleid, in dem ich sie bereits im Kellervideo gesehen habe. Die Frau wirkt so authentisch überrascht und entsetzt, dass ich mir sicher bin, das sie nicht wusste, was ihr Mann, Jim und der Wrolf in Dantes Zimmer geplant hatten. Aber anstatt ihrem Sohn zu Hilfe zu eilen, steht sie da und starrt unbeteiligt auf das Geschehen. Bis Krawatte im Bild auftaucht und auf sie zugeht. Sie schüttelt hektisch den Kopf und als Krawatte nach ihr greifen will, stösst sie ihn von sich und rennt weg. Aus dem Bild. Die Aufnahme ruckelt wieder. Die Perspektive ändert sich und anscheinend auch die Position der Kamera. Man sieht die Beine von einem anderen Mann auf die Tür zugehen. Schwarze Hose. Vielleicht Viktor. Das Bild zeigt nur noch den Boden des Zimmers und den unteren Teil der Tür, sowie eine Ecke vom Nachttisch und nicht mehr das Bett. Eine Weile passiert nichts und ich will mich zu Dante umdrehen und ihn zur Rede stellen, da taucht die Wolfsmaske vor der Linse auf. Das Bild wackelt wieder, dann wird die Linse auf einen Tisch gerichtet auf dem ein Radio steht. Der Kameramann, wahrscheinlich der Wolf, geht auf das Radio zu und schaltet es aus. Die Kamera wird auf das Bett geschwenkt. Dort sitzt Dante aufrecht auf der Matratze und schaut zu dem Wolf. Das Bild geht aus.
Wie paralysiert bleiben meine Augen auf dem schwarzen Bildschirm kleben. Wenn ich alle Puzzleteile richtig zusammengefügt habe, ist das Video am gleichen Tag gedreht worden, wie das Video im Keller unten. Das heisst, Viktor und Krawatte haben Dantes Mutter umgebracht, weil sie zu viel gesehen hat. Weil sie ihnen in die Quere gekommen ist. Vielleicht hat sie gedroht, die Polizei zu rufen und musste deshalb mit ihrem Leben bezahlen. Sie ist weggerannt, um Hilfe zu holen und die beiden haben sie ermordet. Kaltblütig. Ich weiss nicht mehr, was ich über Jim denken soll. Dieses Video hat alles zerstört, was ich von dem Mann gehalten habe und ich habe diesem Vollidiot noch geholfen. Kein Schicksal der Welt rechtfertigt eine solche Tat. Scheissegal, was irgendein Hans und irgendein anderer Kerl ihm und Viktor als Kind angetan haben. Ich spüre, wie ich keine Luft mehr bekomme und greife nach meiner Kehle. Heilige Scheisse.
„Möchten Sie ein Bonbon, Nathan?“
Anscheinend hat sich Dante von hinten mich ran geschlichen. Die Bonbontüte taucht baumelnd vor meinen Augen auf. Mechanisch greife ich nach der Tüte und hole Bonbon heraus. Aber anstelle es in meinen Mund zu schieben, starre ich es einfach nur an. Dantes Mutter hat immer Bonbons für ihn gemacht. Es bricht mir das Herz.
„Sie ist an dem Tag gestorben.“, flüstere ich leise und Dante legt seine Arme von hinten um meinen Hals. „Sie sind ein Fuchs, Nathan. Auch ich bin zu dem Entschluss gekommen.“
„Du weisst es nicht?“
„Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, alles, was ich habe, ist der Brief und dieses Video, dass ich lustigerweise erst vor kurzem gefunden habe. Auf dem Dachboden von Daddy. Dabei hortet er die Raritäten sonst in seinem geliebten Keller der Qualen. Nichtsdestotrotz, das ist mein schlimmster Albtraum und das ist unser Drehbuch für die Show. Sind sie bereit, Nathan? Sie sind bereit, ein Monster zu werden?“
„Habe ich eine Wahl?“
Dante legt seinen Kopf auf meine Schulter. „Wir kommen aus diesem Etablissement erst wieder raus, wenn die Show vorbei ist und alle Schweinwerfer ausgehen.“
„Wie meinst du das?“
„Die einzige Tür, die hier rausführt, öffnet sich erst, wenn alles zu Ende ist, Nathan. Wir sind gefangen und sie müssen mitspielen, bis er vorbei ist.“
„Wir sind hier alle eingesperrt, bis die ganze Scheisse vorbei ist? Willst du mich verarschen?“
„Sie sind hier bei den Pain Olympics, was denken Sie, wieso beinahe jede Tür mit einem Code verschlüsselt ist? Hier wird nach anderen Regeln gespielt. Sie sind nur ein Bauer auf einem Schachfeld. Aber keine Sorge, die ganzen geisteskranken, wie nennen sie sie? Ach ja, Arschlöcher müssen ihre Waffen am Eingang abgeben, das heisst sie sind hier einigermassen sicher. Sie müssen mir nur vertrauen.“
Das letzte Wort haucht er so leise in mein Ohr, dass ich mir vorkomme, wie Leonardo di Caprio kurz bevor die Titanic sinkt.
„Wer war der Wolf im Video?“
„Sie sind immer so furchtbar neugierig, Nathan.“
Dante löst sich von meiner Schulter, geht um meinen Stuhl herum und kniet sich vor mir in die Hocke. „Nur ein weiteres Arschloch von vielen Arschlöcher. Ich war klein und unschuldig, woher soll ich wissen, wen Daddy beauftragt hat, das Monster unter meinem Bett und im Schrank zu sein?“
Ich schlucke einmal schwer und schaue ihm in seine tiefblauen Augen. Es ist mir durchaus unangenehm ihn vor mir knien zu sehen und ich weiss ganz genau, dass ihm das bewusst ist und es pure Absicht von ihm ist, sich genau so, vor mir zu positionieren. Als würde er mich wieder einmal testen oder manipulieren, oder beides und verdammt nochmal, er zieht an den richtigen Fäden. Der kleine Vampirscherzkeks weiss genau, was er tut. Der Groll auf ihn ist wie weggeblasen und ist einem anderen Gefühl gewichen. Ich will ihn beschützen und vor allem will ich seine Tochter aus den Fängen seines Vaters reissen. Es sind bereits zu viele Leben zerstört worden, meins inbegriffen. Das muss ein Ende haben. Das alles hier.
„Heilige Scheisse Maria Mutter Gottes, du weisst doch sowieso schon, dass ich nach deiner Pfeife tanze. Ich werde dein Monster sein auch wenn ich der Meinung bin, dass dieser Mr. Schmerz, oder der Kerl im Video, die bessere Wahl gewesen wäre. Jeder wäre besser gewesen, als ich. Ich kann sowas nicht.“ Ich lasse meinen Kopf fallen und reibe mir über die Augen. Ich fühle mich so müde und ausgelaugt wie nach einem dreiwöchigen Metalfestival.
„Das, mit dem vergifteten Cocktail, nehme ich dir übrigens immer noch übel.“, ergänze ich murmelnd und haue ihm mit meiner Faust leicht gegen die Schulter. Er zieht die Stirn in Falten und sieht mich leicht verwirrt an. „Was?“
„Meinen Sie den Orangensaft?“
„Ja, ich bin vor Mr. Schmerz kollabiert und du hast dich da sowieso aus dem Staub gemacht.“
„Oh, verzeihen Sie Nathan, ich Dummerchen, scheint wohl eine kleine Überdosis gewesen zu sein.“ Er schenkt mir sein schelmischstes Lächeln, das er je gelächelt hat und zum ersten Mal verspüre ich ausnahmsweise nicht den Drang, die Konturen seiner hochgezogenen Mundwinkel mit meiner Faust nachzuzeichnen. Ich muss wohl wirklich fertig sein. „Das bedeutet, sie sind gar nicht in den Genuss von Venus gekommen? Das ist aber schade. Wie wäre es mit einer kleinen Session? Sie müssen schliesslich mit der Materie vertraut sein, um auf der Bühne zu überzeugen!“
Mit einer zum Kampf geballten Faust steht er auf. Als ich keine Anstalten mache, ebenso euphorisch aufzustehen wie er und stattdessen wie ein fallengelassener Sack Kartoffeln auf dem Stuhl sitzen bleibe, streckt er die Hand zu mir aus. „Darf ich sie in ein Abenteuer entführen, Nathan?“, säuselt er und zwinkert mir kokett zu. Obwohl alles in mir aufschreit und ein lautes Nein durch jede Zelle meines Gehirns schiesst, greife ich nach seiner Hand und stehe von selbst auf, da der Knirps niemals die Kraft aufbringen würde, um mich hochzuziehen.
Mit schweren Schritten folge ich Dante, der sich wieder einmal in Schale geworfen hat, neues Hemd, schwarze Hose, durch den Korridor zurück zu dem Raum, in dem Venus bereits auf uns wartet. Auch ich habe mich umgezogen, fühle mich aber in dem weissen Poloshirt und der hellblauen Jeans irgendwie verkleidet und ein bisschen schwul. Ich sehe aus, als wäre ich sein Sugardaddy, aber Dante hat behauptet, er habe grade keine anderen Klamotten zur Hand und ich solle mit dem Outfit vorlieb nehmen.
Während ich hinter ihm her gehe, schaffe ich es nicht, das Kopfkino auszublenden, das sich unaufgefordert immer und immer wieder in meine Gedanken schleicht. Dante, in dem Keller, wie er vor Angst sich eingenässt hat. Dante, wie er sich von dem Einbrechertyp alias Mr. Schmerz gegen die Wand gedrückt nehmen und foltern lassen hat und Dante, wie er unschuldig im Bett liegt und beinahe von einem Wolf misshandelt wird. Mein Blick fällt auf sein Hinterteil, das eingepackt ist in eine edle und enge schwarze Hose. Automatisch schüttle ich den Kopf und verbanne die Gedanken. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist. Wie das ist, wenn man von klein auf durch diese Hölle gehen muss, in die er mich nun zwingt. Kein Wunder ist er so, wie er ist.
Als wir vor Venus stehen, ergreife ich die Gelegenheit und umarme ihn von hinten. Ich merke, wie er sich vor Überraschung verspannt, lasse aber nicht los. Für einen Moment stehen wir einfach so da… und dann lockert er sich. Seine Schultern entspannen sich und ich spüre, wie auch ich ruhiger werde. Schätze, wir beide haben das gebraucht. Auch wenn ich nie gedacht hätte, dass ich ihn irgendwann freiwillig umarmen würde. Irgendwie scheine ich ihn doch zu mögen, auf eine merkwürdige Art und Weise.
Wortlos löse ich die Umarmung nach einer Weile auf. Er räuspert sich, spart sich aber jegliche blöde Bemerkung, wofür ich ihm dankbar bin. Ich stelle mich neben ihm hin und starre auf Venus, mit er ich mich immer noch nicht anfreunden will.
„Ich spiele Emily und Nathan, nehmen sie es mir nicht übel, wenn ich die Rolle nicht ganz so authentisch spiele, das Hemd ist aus Satin und ich würde es ungern mit meinem Speichel ruinieren.“ Er verzieht das Gesicht zu einem dämlichen Grinsen und ich muss schmunzeln. „Tja, dann solltest du es vielleicht ausziehen.“ Ich weiss nicht, wer überraschter über meine Bemerkung ist. Um die Situation irgendwie zu retten, füge ich ein leises „Sorry“ hinzu, obwohl ich das mit dem Ausziehen nicht im erotischen Sinn gemeint habe, sondern im praktischen. Ich meine, seine Hemden sind ihm heilig, wieso also das Risiko eingehen und…
„Sie sind ja ein richtiger Schelm, Nathan!“ Dante stupst mich von der Seite an und ich spüre, wie mir die Schamesröte ins Gesicht steigt. „Sie haben Recht, vielleicht sollte ich es lieber ausziehen.“ Ohne etwas zu erwidern, gehe ich ein paar Schritte auf Venus zu und begutachte ein paar Handschellen, die von einer Stange baumeln. Im Augenwinkel nehme ich wahr, wie Dante tatsächlich anfängt, sein Hemd aufzuknöpfen. Na super. Gut gemacht, Nathan. Du Idiot.
„Sind sie bereit, Nathan?“
„Was ist eigentlich mit Nathalia und Emily? Sollten sie nicht auch dabei sein, damit sie wissen, was passieren wird?“
Es raschelt im Hintergrund und ich drehe mich zu Dante um, der gerade auf einem Bein balancierend, versucht seine enge Hose über seinen Knöchel zu ziehen. „Was machst du da?“, platzt es aus mir heraus und genau in dem Moment fliegt die Hose gegen meinen Kopf. Mit einem breiten Grinsen stolziert Dante nur noch bekleidet mit einer schwarzen Boxershorts und schwarzen Socken auf mich zu, erobert seine Hose zurück und fängt an, sie vor meinen Augen ordentlich zu falten. Dann legt er sie zufrieden auf den Boden neben Venus. „Ich möchte selbstverständlich auch keine zerknitterte Hose. Warm hier drin, finden Sie nicht auch Nathan?“ Theatralisch fächert er sich mit einer Hand Luft ins Gesicht, während er die andere in die Hüfte stemmt. Als ihm mein verdattertes Gesicht auffällt, huscht ein kleines Lächeln über seine Lippen. „Sie sehen begeistert aus!“ Sein Finger stupst gegen meinen Brustkorb. „Wie war nochmal ihre Frage? Ach ja, was denken sie, was ich getan habe, als sie ohnmächtig rumgelegen haben und nicht produktiv waren? Ich habe Nathalia und Emily bereits vorbereitet. Es schien mir unangemessen, sie allesamt gleichzeitig mit Venus vertraut zu machen. Schliesslich werden nur sie in den vollen Genuss dieser bombastischen Maschine kommen.“
Genuss scheint mir hier das falsche Wort zu sein, aber ich verklemme mir die Bemerkung und zwinge mich meinen Blick von Dantes Narben auf seinem Brustkorb zu lösen. „Also, wie stellst du dir das vor? Was soll ich tun?“, frage ich und Dantes Mundwinkel hüpfen vor Aufregung Richtung Stirn. „Sie kommen schnell zur Sache, das mag ich an Ihnen so sehr, Nathan. Dann legen wir los. Bleiben sie einfach dort stehen. Sie stehen dort hervorragend! Ich hole nur kurz etwas aus einem anderem Raum.“
Hibbelig wie ein Kind an Weihnachten verduftet er spärlich bekleidet aus dem Raum und lässt mich, wie bestellt und nicht abgeholt, stehen. Vor der Tür höre ich es ein paar Mal Poltern und frage mich, was zum Fiffie er da hinten macht. Da ich nichts mit mir anzufangen weiss, lasse ich meinen Blick nochmal durch den Raum schweifen und als hätte zumindest Santa meine Gebete erhört, fällt mir auf, dass sich eine kleine Delle auf Dantes ordentlich zusammengefalteter Hose befindet. Und mein Instinkt täuscht mich nicht. In der Hosentasche versteckt sich eine ziemlich zusammengedrückte Schachtel Zigaretten und ein kleines Minifeuerzeug. Ich schnappe mir eine Zigarette aus der Packung und zünde sie an. Eigentlich habe ich nie viel geraucht, aber unter Stresssituationen greife ich gern mal zum Tabak und das ist, ist definitiv eine Stresssituation.
Nach ein paar Zügen schwenkt die Tür wieder auf und Dante erscheint, die Sporttasche hinter sich herschleifend, in der Türspalte. Auf seinem Gesicht thront die venezianische Wolfsmaske und automatisch fühle ich mich, als würde ich mich in einer Mischung aus Kindergeburtstag und Fifty Shades of Grey befinden. Da ich ihm nicht zuschauen kann, wie er die Tasche mühsam hinter sich herschleift, gehe ich auf ihn zu und nehme ihm den Beutel aus der Hand. Hinter der Maske erkenne ich ein Lächeln. „Sind sie auch so aufgeregt wie ich, Nathan?“
„Geht so.“ Ich befördere die Zigarette zwischen meine Lippen und verfrachte die Tasche auf Venus, die immer noch aussieht, wie die Albtraumversion eines Himmelbetts. „Wie schmecken ihnen meine Zigaretten?“, flötet Dante, bückt sich nach seiner Hose und zündet sich ebenfalls eine Zigarette an. „Jetzt, wo du auch an einer ziehst, fühle ich mich definitiv sicherer.“ Dante schmunzelt und setzt sich auf Venus. Dann steckt er sich die Zigarette in den Mund und seine Finger verschwinden in der Tasche. Zum Vorschein zaubert er zwei weitere Masken. Als er sie vor meine Augen hält, erkenne ich, dass es sich um schön verschnörkelte Schafsmasken handelt, ebenfalls im venezianischen Stil. Wusste gar nicht, dass die Venezianer alle Tiere zu Masken formen. Ich nehme die Masken an mich und setze mich neben ihn auf das Bett. „Schätze die sind für Nathalia und Emily?“, frage ich und Dante nickt, während er sich die Zigarette wieder aus dem Mund angelt. „Richtig. Wie sie wissen, wird die ganze Show live übertragen, was bedeutet, dass überall Kameras angebracht sind. Nach jedem Akt werden diese auf den Moderator gerichtet, damit genug Zeit ist, die Kulisse für den nächsten Akt im Hintergrund aufzubauen. Wie in einer normalen Show. Der Moderator wird auf einem kleinen Podest stehen, leicht erhöht. Wenn der Moderator den nächsten Akt angekündigt hat, haben sie circa 30 Sekunden Zeit, bevor die Kamera auf die Bühne gerichtet wird. In den 30 Sekunden bitte ich sie, zuerst Emily und Nathalia die Masken aufzusetzen und dann sich selbst. Das dient der Anonymität, denn wie sie wissen, was einmal im Internet ist, bleibt im Internet. Und bevor sie fragen, die Masken dürfen erst auf der Bühne angebracht werden. Vorschrift von meinem lieben Daddy.“ Dante nimmt seine Maske vom Gesicht und zeigt mir die Innenseite. Dort befindet sich ein kleines Stoffbeutelchen hinter dem linken Ohr der Wolfsmaske. „Ich werde hier zwei Pillen verstecken. Die Wirkung der blauen Pille kennen sie bereits.“ Er zwinkert mir kurz zu. „Die weisse Pille nehmen sie nur, wenn sie in Panik verfallen. Sie wird ihnen helfen. Es dauert nur fünf Sekunden bis die Wirkung der Pille eintritt. Und Nathan, nur im Notfall. Hören sie? Nehmen sie diese Pille nur im Notfall.“ Dante sieht mich eindringlich an und ich nicke. „Was für ein Notfall könnte denn passieren?“
Dante zuckt mit den Schultern. „Sie haben irgendwie ein Talent dafür, Dinge zu vermasseln, Nathan. Spass beiseite, ich will nur, dass sie auf alles vorbereitet sind. In den Schafsmasken ist ebenfalls ein Beutelchen hinter dem Ohr angebracht. Ich habe Nathalia bereits instruiert. Emily wird von Kastor auf Venus angebracht und er spritzt ihr dabei das H19.
Das heisst, sie wird bereits unter der Droge stehen, wenn sie auf der Bühne auftauchen. Nathalia wird ebenfalls von Kastor gefesselt aus unserem Container auf die Bühne geführt, während der Moderator seine Rede hält. Kastor befördert Nathalia in einen Metallkäfig, der 3 Meter entfernt von Venus auf der Bühne steht.“ Dante legt die Wolfsmaske auf meinen Schoss und widmet sich wieder seiner Tasche. Dann zaubert er ein filigranes Schlüsselchen aus einem schwarzen Beutel und gibt ihn mir. „Hiermit können sie den Käfig öffnen, nicht verlieren, Nathan.“
„Dieser Schlüssel sieht nicht aus, als würde er zu einem Metallkäfig passen, in dem eine Frau eingesperrt ist.“, sage ich skeptisch und ernte prompt von Dante einen Seitenhieb. „Es ist ein ganz besonderer Metallkäfig. Sie werden begeistert sein, wenn sie ihn sehen.“ Ich runzle die Stirn, mustere den Schlüssel nochmal und stecke ihn dann in meine Hosentasche. „Bevor wir zum Ablauf kommen, erkläre ich ihnen das System der Painolympics. Wie mein geliebter Vater bereits erwähnt hat, ist es möglich, dass das Publikum das Geschehen auf der Bühne beeinflussen kann. Sobald ein Akt angefangen hat, werden nach 5 Minuten die Zuschauerwünsche auf dem grossen Bildschirm über der Bühne eingeblendet. Die Zuschauer bezahlen gewisse Beträge, um Wünsche zu platzieren und sobald ein Wunsch erfüllt wird, landet der bezahlte Betrag in einem Pott, der dem Gewinner der Show am Ende ausgezahlt wird. Sie müssen also immer mal wieder auf den Bildschirm schauen und können frei entscheiden, ob sie die Wünsche der Zuschauer erfüllen wollen. Wenn sie einen Wunsch erfüllen, erhalten wir Punkte und die Chance zu gewinnen wird vergrössert. Das alles geht nach einem Punktesystem. Das Publikum bewertet jeden Akt mit Punkten, die Zuschauerwünsche sind also nur eine Möglichkeit zusätzliche Punkte abzustauben. Jeder Akt, der unter 50 Punkten erreicht, wird vor den schnurrenden Henker gebracht. Fragen sie nicht.“
„Der schnurrende Henker?“, unterbreche ich Dante und er rollt mit den Augen. „Nathan, ich habe gesagt, sie sollen nicht fragen. Wo bin ich stehengeblieben? Ach ja, es gibt eine Ausnahme. Wenn ein Zuschauer für einen Wunsch 500‘000 Euro hinblättert, muss der Wunsch durchgeführt werden. Das ist sozusagen ein ultimativer Einsatz. Aber ich gehe nicht davon aus, dass jemand so verrückt ist.“ Dante grinst frech und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Meine linke Augenbraue schiesst in die Höhe. „Du gehst nicht davon aus, dass jemand so verrückt ist? Für mich hört sich das Ganze schon total verrückt an.“
„Viktor wollte seine letzte Pain Olympic sensationell und besonders aufregend gestalten. Ich schätze, seine grauen Zellen da oben im Stübchen fliegen mit Luftballons durch die Gegend und schnabulieren pinke Zuckerwatte.“ Dante schnappt sich die Wolfsmaske von meinem Schoss, steht ruckartig auf und marschiert grazil wie eine Gazelle mit Beinbruch Richtung Ausgang, dabei lässt er die Zigarette auf halben Weg immer noch glimmend auf den Boden fallen. Während die Zigarette vor sich hin raucht, verschwindet Dante ohne ein Wort des Abschieds oder eine Erklärung aus dem Raum und zieht die Tür hinter sich zu. Bevor ich irgendetwas erwidern oder zumindest den Glimmstängel zertreten kann, den Dante rücksichtslos liegenlassen hat, wird die Tür wieder aufgeschleudert. Dante steht breitbeinig in der Türspalte und hält die Hände angriffslustig vors Gesicht, als würde er gerade neben Michael Jackson auf der Bühne stehen und Thriller zum Besten geben. Dann wuchtet er, als wäre er ein tonnenschwerer Frosch, das linke Bein einen Schritt vorwärts und wiederholt das gleiche mit dem Rechten, bis er bei der Zigarette in der Mitte des Raumen angekommen ist. Die Hände hält er weiterhin Thrillerverdächtig vor seinen Brustkorb. Mit einem wolfischen Heulen stampft er auf der Zigarette rum und geht dann in die Knie. „Stellen Sie sich vor, die Zigarette wäre nun der Käfig in dem Nathalia sitzt. Ich verkörpere sie, Nathan. Ich bin ein böser, grosser starker Wolf und ich demonstriere meine Macht über die hilflose, weinerliche Schafsmutter, die im Käfig sitzt und beobachten muss, wie ich ihr Lämmchen… ähhh… unsanft aus dem Schlaf reisse. Vergessen Sie nicht, das hier ist eine Show, sie müssen überzeugen!“ Um seiner Aussage Kraft zu verleihen, heult er nochmals den imaginären Mond an und stampft ausgiebig auf der mittlerweile ramponierten Zigarette herum. Ein Unwissender würde diese Zigarette nur noch für ein Häufchen Staub oder Dreck halten.
„Du willst, dass ich Nathalias Käfig zu Mus verarbeite oder was?“ Dante zieht die venezianische Wolfsmaske von seinem Gesicht und sieht mich an, als hätte ich gerade mit voller Überzeugung behauptet, das Resultat von 2 und 2 wäre Fisch. Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Strich, dann schürzt er die Lippen. „Nein, Nathan, sie Ungeheuer! Sie müssen Macht demonstrieren! Sie sind kein Metzger, sie sind ein Wolf! Ein grosser, mächtiger Wolf! Treten Sie einfach ein paar Mal gegen die Gitter, um ihr Angst einzujagen. Es soll wirken, als würden sie Frauen nicht respektieren. Als wäre sie ein wertloses Stück Fleisch. Haben sie schon einmal Frauentausch gesehen?“ Ich starre Dante fassungslos ins Gesicht. „Frauentausch?“, wiederhole ich und ernte von dem kleinen Frechdachs ein triumphales Grinsen. „Da gab es mal eine Folge mit einem Mann, der seine Frau genauso behandelt hat. Verflixt aber auch, ich hätte ihn entführen sollen. Er weiss, wie es funktioniert. Nicht wie sie. Nathan, sie sind eine Enttäuschung! Aber auch ein blindes Korn findet ein Huhn,… oder so.“ Dante schmunzelt und zieht sich die Maske wieder über den Kopf. „Vielen Dank.“, knurre ich wenig begeistert, zieh an der Zigarette in meinem Mund und puste den Rauch in Dantes Richtung. Dann drücke ich auf dem Boden aus. „Sobald sie Nathalia ihre Macht demonstriert haben und sie eingeschüchtert im Käfig sitzt, stampfen sie weiter auf Venus zu.“ Dante setzt seine Worte in die Tat um und befördert seinen schlanken Körper breitbeinig vor Venus. Dann streckt er seine Hand nach einer Art Beil aus, das von der Maschine herunterhängt. „Zeigen sie dem Publikum ruhig ihre…Waffen. Spielen sie mit den Sachen, Nathan. Es muss für alle so wirken, als würden sie das geniessen.“ Er zeigt mit dem Beil auf mich und schwingt es dann ein paar Mal ausgiebig, bevor er so tut, als würde er damit zuschlagen wollen. Dabei grinst er, als hätte er gerade Gold in einer olympischen Disziplin gewonnen. „Wollen wir nun die Rollen wechseln?“, fragt er leise und zieht sich die Maske vom Gesicht. Ich muss lachen, als er schüchtern die Schultern hochzieht, mit den Wimpern klimpert und so tut, als wäre er ein kleines Mädchen. „Traust du dir die Rolle des bösen Wolfs etwa nicht zu?“ Mein Tonfall ist neckisch. Dante verzieht das Gesicht. „Wollen sie etwa sagen, dass ihnen meine unfassbar gute Darbietung des unheimlich bösen Wolfs nicht zugesagt hat?“ Gespielt beleidigt lässt er das Beil fallen und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich halte eine Faust von mir gestreckt und befördere in Zeitlupe meinen Daumen nach unten. „Sah eher aus, wie ein aufmüpfiger Teenager, der versucht Thriller zu tanzen. Michael Jackson würde sich im Grabe drehen…“ „Denken sie, Michael Jacksons Nase wurde mit ihm beerdigt, Nathan? Oder verlässt er jede Nacht seinen Sarg und begibt sich verzweifelt auf die Suche nach ihr?“
„Was zum…“
„Sie dürfen entscheiden. Wolf oder Schaf?
Ich überlege kurz, rutsche dann weiter aufs Bett und lege mich hin. Mit einem lauten „Määäh“ strecke ich alle Viere von mir und lache. „Ich gebe dir nochmal eine Chance und nun zeig mir den bösen, bösen, unheimlichen Wolf, Kleiner.“
Schnell wie ein Wiesel hüpft Dante aufs Bett, pflückt die Handschellen von Venus und lässt sie zuschnappen. Die linke Hand ist nun gefesselt an der Stange hinter meinem Kopf. Das vertraute Unwohlsein breitet sich aus, aber ich versuche, die Anspannung hinunter zu schlucken. Ausgeliefert zu sein, ist wohl tatsächlich nicht mein Ding. Dante lehnt sich über mich und zieht sich die Maske wieder über das Gesicht. „Keine Angst, kleines Schläfchen, es wird nicht wehtun.“, flüstert er leise und ich spüre kaltes Metall an meinem rechten Handgelenk. Mit einem Klick fesselt er dieses an die Stange direkt hinter meinem Kopf. „Soll ich dir etwas verraten, kleines Schäfchen?“ Ich ziehe die Augenbraue in die Höhe. „Was denn, böser grosser Wolf?“ Eine Handfläche schiesst gegen meine Wange. Die kurze Schmerzwelle lässt mich zusammenzucken. „Ich habe gelogen.“ Seine Mundwinkel rutschen langsam und genussvoll nach oben. „Es wird höllisch wehtun.“
„Moment mal!“, protestiere ich und Dante hält mir die Hand vor den Mund. „Kleine Schäfchen haben den Mund zu halten.“ Ein leises Knurren seinerseits. „Oder der böse Wolf wird dem redseligen Schäfchen den Mund stopfen. Verstanden?“, herrscht Dante mich an. Ich versuche ihm in die Hand zu beissen, aber bevor ich dazu komme, schlägt er mir mit der flachen Hand auf den Mund. „Verstanden?“
„Bist du bescheuert?“
Als Antwort klatscht er mir nochmals eine und ich spüre, wie ich langsam wütend werde. „Hör auf mit dem Blödsinn!“
„Aber es macht so viel Spass…“, murrt er und tippt sich mit dem Zeigefinger gegen das linke Ohr der Maske. „Sie haben recht, Nathan. Wir haben keine Zeit für Spielchen. Vielleicht ein anderes Mal.“ Er setzt sich auf meine Oberschenkel und schaut nach oben zu den ganzen Geräten und Armaturen, die wohl fürs Foltern und Züchtigen gedacht sind. „Ich bin durchaus beeindruckt, wie viel Liebe zum Detail in diesem Monster steckt. Mein Onkel hat sich selbst übertroffen.“
„Dein Onkel? Ich dachte, du hast dir die Maschine ausgesucht. Wieso bist du dann überrascht?“
„Ich habe mir lediglich eine pompöse Sexmaschine für die Show gewünscht.“ Er zuckt mit den Schultern. „Wissen sie, Jester ist eigentlich der Liebere der beiden Brüder. Er könnte keiner Fliege etwas zu Leide tun.“
„Diese Maschine sagt etwas anderes.“
„Er findet Insekten faszinierend. Mit Menschen hat er es nicht so. Aber das nimmt ihm keiner übel.“ Dante steht auf dem Bett auf und bewundert die mechanischen und verstellbaren Fesseln, die an den Stangen angebracht sind, die als Himmelbettgestell fungieren. „Mit diesen könnten sie theoretisch Emily in der Luft schweben lassen. Ähnlich einer Streckbank. Und sehen sie das, Nathan?“ Er zeigt mir der Hand zu ein paar Saugnäpfen, an denen Schläuche hängen, die unter das Bett führen. Sieht aus, wie eine abstrakte Version einer Melkmaschine. „Ich glaube, sie wissen, was das ist. Ihr Gesichtsausdruck spricht Bände.“ Er kichert, dann zeigt er mit seinem Finger auf eine Art Säge, direkt daneben ist eine Axt und neben der Axt ein paar Messer, die herunterbaumeln und aussehen, als hätten sie vorher in einem Schlachthaus dasselbe getan. „Wenn möglich, bitte ich sie, diese Gegenstände zwar vorzustellen, aber nicht zu benutzen. Sie können so tun als ob. Aber bitte, verstümmeln sie die Damen nicht. Das gibt immer so eine Sauerei. Erinnern sie sich an den Arm in ihrem Backofen? Eine Schweinerei war das, das sag ich ihnen.“ Er stemmt sich die Hände in die Hüfte.
„Apropos, gut, dass du es ansprichst. Was sollte die Scheisse?“
„Sie sind hier, also hat es seinen Zweck erfüllt. Oh Nathan, sehen sie, ein Analschredderdingsdongs!“
„Ein was?“
„Ein Analschredderdingsdongs!“ Dante strahlt mich an, fummelt an einer Stange rum, löst ein Gerät aus der Vorrichtung und präsentiert es mir. Es sieht aus wie eine Art Schleifmaschine. Als er einen Hebel betätigt, fängt das Ding an zu surren. Schockiert starre ich das Gerät an und als Dante wieder auf meinem Schoss Platz nimmt und mir das Utensil entgegen streckt, weiche ich zurück. „Bleib mir bloss fern damit!“, drohe ich und zapple mit der Hüfte von links nach rechts, so dass Dante ins Schwanken kommt. „Uhhh Rodeo!“, flötet er, grinst breit und wirft das Ding Namens Analschredderdingsdongs über seinen Kopf auf den Boden. Dort dreht es sich einmal um die eigene Achse, bis es dann von selbst ausgeht.
Beruhigt halte ich inne und schaue dann Dante an, der nachdenklich wirkt. „Was ist los?“, frage ich. „Halten sie einfach mindestens 10 Minuten durch. Schauen sie immer wieder zum Bildschirm und erfüllen sie die Wünsche, wenn sie wollen. Aber tun sie meiner Schwester nicht unnötig weh. Sie erhalten einen kleinen Knopf, den sie sich ins Ohr stecken können. Über den hören sie mich. Ich bin mit Kastor in einem der Container unten vor der Bühne und gebe ihnen Anweisungen, wenn es notwendig ist.“ Sein Tonfall ist ernst. Die Stimmung ist komplett umgeschlagen. „Ok? Ist alles in Ordnung?“
Ohne eine Antwort, setzt er sich die Maske ab und rutscht von mir runter. Dann öffnet er beide Handschellen um meine Handgelenke, sammelt die Masken ein und stopft sie zurück in die Tasche. Als er anfängt, sein gefaltetes Hemd und die Hose wieder anzuziehen, richte ich mich auf und mustere ihn skeptisch. „Keine Lust mehr?“
Wieder keine Antwort. Mit ausdrucklosem Gesicht zieht er den Reissverschluss seiner Hose hoch und richtet sich das Hemd. „Du bist wie eine Frau. Du hast abartige Stimmungsschwankungen, weisst du das?“, versuche ich ihn zu necken, aber er ignoriert mich weiterhin. Mit einem Seufzen stehe ich vom Bett auf und gehe auf ihn zu. „Hey, Erde an Frechdachs, was ist los?“ Ich packe ihn am Arm und ziehe ihn zu mir. „Sie ruinieren mein Hemd.“ Jedes Wort einzeln ausspuckend, reisst er sich von meinem Griff los. Dann steuert er auf den Ausgang zu. Ich folge ihm. Folge ihm durch die Gänge und zurück zu seinem Zimmer. Dort beobachte ich, wie er sich über die Tüte Bonbons hermacht und sich gleich drei Stück in den Mund stopft. Dann tigert er im Zimmer auf und ab. Sieht mich dabei immer wieder an und wirft mir giftige Blicke zu. Ich lehne mich an die Wand und habe keine Ahnung, was zum Teufel sein Problem ist. Aber ich bin mir langsam sicher, dass diese Bonbons keine normalen Bonbons sind. Nach ungefähr gefühlt 100 Mal hin und her bleibt er stehen und streift sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Wollen sie etwas Essen, Nathan?“, fragt er mich zwar immer noch mürrisch, aber wesentlich besser gelaunt als vor 5 Minuten.
„Das sind keine normalen Bonbons oder?“
„Das geht sie nichts an.“
Unsere Blicke treffen sich und ich beschliesse nicht mehr weiter nachzuhaken. „Klingt gut. Lass uns was essen.
„Hervorragend.“
Wir gehen zwei Zimmer weiter, dort schiebt er zwei Lasagnen in eine Mikrowelle und setzt sich dann auf einen der drei Hocker, die vor einem kleinen Holztisch und einer Holzkiste stehen. Der Raum sieht aus wie eine Abstellkammer, die als Pausenraum herhalten soll. Die Mikrowelle steht auf einem Regal, daneben ein Minikühlschrank mit Eisfach. Eine Spüle und ein Kochherd befinden sich gegenüber vom Kühlschrank und es wirkt so eng und kuschlig, wie in einem Wohnwagen. Als es piept, holt Dante die Lasagnen aus der Mikrowelle, schnappt sich zwei Gabeln aus einer Schublade unter der Spüle und wir fangen an zu essen. Keiner verliert ein Wort. Heilige Scheisse. Die Lasagne rettet mir das Leben. Kaum habe ich den ersten Bissen heruntergeschluckt, bellt mein Bauch gierig nach mehr. Ich schlinge das Zeug runter, als würde ich bei einem Fressmarathon mitmachen und verbrenne mir dabei so oft die Zunge, dass ich befürchte, all meine Geschmacksknopsen endgültig ermordet zu haben. Mit halbwegs vollem Bauch schaue ich Dante zu, wie er in seinem Essen rumstochert. Irgendetwas hat der Kleine und ich weiss nicht, was es ist. Irgendwann schiebt er seine Lasagne rüber. Dankend schiebe ich die Portion auch noch in meinen Rachen. „Sie fressen wie ein Nilpferd.“
„Danke, und du wie russisches Topmodel.“
„Nathan, ich muss Ihnen etwas gestehen.“
„Was denn?“
„Ich habe Angst.“
„Wovor?“
„Vor Flamingos.“
„Was?“
„…dass sie alles vermasseln, Nathan! Wovor sonst?“
„Arschloch.“
„Nein, ich habe Angst,… dass es nicht klappen wird. - Dass wir sie nicht retten können.“
„Ich auch.“
Stille.
«Nathan, können Sie Gitarre spielen?» Dante mustert mich von der Seite. «Wie kommst du jetzt darauf?» Er lehnt er sich zu der Kiste zu unseren Füssen vor, öffnet sie und holt, zwick mich mal bitte einer in den Arm, eine Gitarre heraus. Und was für eine. «Wo zum Teufel hast du die her?»
«Wenn sie mir etwas vorspielen, verrate ich es ihnen vielleicht.» Er drückt mir die Gitarre in die Hand und zwinkert sein Dantetypisches Zwinkern, dass er immer zwinkert, wenn er etwas im Schilde führt. Zögerlich nehme ich das Instrument an mich und kann nicht anders. Ich habe seit Jahren nicht mehr gespielt. Ich… ich muss einfach. Die Saiten fühlen sich wie Medizin zwischen meinen Fingern an und automatisch ist die trübe Stimmung von vorhin wie weggeblasen. Scheisse. Wie ich das vermisst habe.
«Können Sie auch singen? Oh, Moment, ich Dummerchen, ich weiss, dass sie singen können. Wie wäre es mit einem… improvisierten Song?», flötet er und mir kommt eine Idee, ein Plan. Ein diabolischer Plan, um den Kleinen wieder aufzuheitern. Jedenfalls ein bisschen. «Du willst einen Song? Den kannst du haben.»
«Wir sitzen hier im grauen Klotz
Ein Klotz voll mit Sadisten, Arschlöcher und Schweinen
Heilige Scheisse, es wird gefickt, gemordet und amputiert,
Aber hey,
Ich kann es gar nicht verneinen
Gott sei Dank, habe ich so jemand wie du.
So jemand wie du, so jemand wie du, so jemand wie du.
Du bist zwar ein Arschloch, ein Frechdachs und ich hasse dich,
Du hast mein Leben zerstört, es eliminiert, ich bin fast krepiert.
Aber hey,
Ich kann es gar nicht verneinen
Gott sei Dank, habe ich so jemand wie du.
Die Sommersprossen, ein Hemd mit schwarzen Haaren,
Scheisse wie gern würde ich dich mit einem Panzer überfahren,
Dich zermatschen unter den grossen Reifen,
Aber egal wie oft wir uns keifen,
Trotzdem bin ich froh, habe ich so jemand wie du.
So jemand wie du, so jemand wie du.
Ramm mir die Spritze in den Arm,
Hau mich, schlag mich, zünd mich an,
Du bist eiskalt und mir wird trotzdem warm,
Ich kann es nicht verneinen,
Gott sei Dank, habe ich so jemand wie du.»
Als ich die Gitarre beiseitelege, schaue ich in Dantes verdutztes Gesicht und muss lachen. «Was denn?»
«Das ist ja alles schön und recht, aber Nathan, sie wissen schon, dass es eigentlich so jemanden wie dich heissen müsste.»
«Ach wirklich?» Ich grinse und schnappe nochmals nach der Gitarre. «SO JEMAND WIE DU, SO JEMAND WIE DUU, SO JEMAND WIE DUHHUUUUHUUU.»
«Aufhören, bitte!» Dante schürzt die Lippen und fuchtelt mit seinen Händen in meinem Gesicht rum. Aber ich mache ihm den Gefallen und höre auf zu spielen und ihn mit meinem Gesang zu foltern. Obwohl es, heilige Scheisse nochmal, verdammt viel Spass macht. Plan erfolgreich abgeschlossen. «Ihre Deutschkenntnisse sind grausamer als die gesamte Pain Olympics, Nathan!»
«Ich bin mir sicher, das wird ein Hit.»
«Wollen Sie nun wissen, woher ich das schöne Teil habe?» Er zieht kokett die Augenbraue in die Höhe.
«Ich brenne darauf.»
Ein Grinsen legt sich auf seine Lippen. «Nun Nathan, ich habe sie von dem liebreizenden Herrn stibitz, der gerne Okkullelen in seinem Hinterteil verschwinden lässt.»
«Üahh.. Nicht dein Ernst?!» Als wäre die Gitarre atomar verseucht, fliegt sie im hohen Bogen einmal quer durch den kleinen Raum auf den Boden. Dieses Arschloch. Dante lacht laut auf. „Sie hätten ihr Gesicht sehen sollen!“
„Schön, dass es dir wieder besser geht.“, murre ich und starre auf die Gitarre, die nun leblos und ramponiert auf dem Boden rumliegt. „Ich weiss gar nicht, wovon sie reden, Nathan.“ Dante steht von seinem Hocker auf und stolziert auf die Tür zu. „Ich muss noch etwas erledigen, wichtiger Geschäftsmännerkram, sie wissen schon. Wir treffen uns in zwei Stunden auf der Tribüne, seien sie bitte pünktlich. Und Nathan? Trinken sie nichts. Sie müssen nüchtern sein.“
Mit diesen Worten verlässt er den Raum und lässt mich alleine zurück. Ich ergreife den Moment und schnuppere zögerlich an meinen Fingerkuppen. Nur für den Fall der Fälle. Aber zu meinem Glück riechen sie nicht nach dem Heck eines wahnsinnigen Okkulelen-Missbrauchers. Trotzdem wasche ich kurz meine Hände, werfe die Verpackungen der Lasagnen weg und mache mich, einen weiten Bogen um die Gitarre auf dem Boden machend, auf den Weg zur Bar, um die restliche Zeit bis zur Show totzuschlagen.