das Bild

17. Sep. 2024
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“Wie finden Sie dieses Bild, was löst es in Ihnen aus?”, erkundigt sich der Psychotherapeut bei mir. Ehrlich gesagt verspüre ich keine Lust, ihm meine Abgründe näher zu bringen, geschweige denn mit ihm über das, was in mir innewohnt, zu diskutieren. Um es simpel auszudrücken: Das ist ein Ding zwischen mir und dem Ding.

Ich lehne mich auf meinem Stuhl etwas zurück und spreize die Beine.

“Begierde”, sage ich und schicke einen Wimpernschlag hinterher, der für gewöhnlich Männer tötet. Nur in diesem Fall leider nicht. Denn der Typ mir gegenüber ist nicht nur blind, sondern auch stockschwul. Eine Kombination, die dieses Gespräch schwierig, uninteressant gar langweilig macht. Das Gähnen verkneife ich mir nicht einmal, ich lasse es einfach aus mir heraus.

“Bitte antworten Sie in ganzen Sätzen”, rügt mich der Mann, der mich einmal kann. Ich verdrehe die Augen.

“Das Bild löst in mir Begierde aus”, ergänze ich wie gewünscht. Der Psychotherapeut schweigt und nickt nur. Eine Ewigkeit passiert nichts, bis er seine schlanken Hände über das Gemälde fahren lässt, als wären die Striche eine Landstraße und seine Finger ein sehr langsames Gefährt, das Stau auslöst und Nerven killt. Zumindest meine.

“Ich fühle es nicht, Sie müssen es mir beschreiben”, meint der Mann schlussendlich, als er mit der Rumfummelei innehält. Sein trüber Blick sieht mich erwartungsvoll an. Witzig, nichts sehen und dennoch so tun als ob. Was der Sinn hinter diesem Zaubertrick sein soll, ergibt sich für mich nicht. Aber ich verstehe so einige Sachen nicht. Wie die Tatsache, dass ich hier nun sitze und mich mit diesem Versager abgeben muss.

“Was soll ich Ihnen beschreiben?”, hake ich plump nach. Ein Lächeln bildet sich auf den schmalen Lippen des Psychotherapeuten, als er seine Griffel von dem Kunstwerk nimmt und es nun frontal vor seinen hageren Brustkorb hält. “Bitte beschreiben Sie mir, was sie sehen, damit ich ihre Gefühle nachvollziehen kann.”

“Auch das noch”, schießt es mir durch die Rübe. Nun lehne ich mich vor, nicht, dass es von Nöten gewesen wäre, mein Augenlicht ist tadellos.

“Ich sehe eine Frau in Ekstase”, beginne ich und lasse ein dazu passendes Seufzen verlauten. Das Geräusch irritiert den Mann kurz, doch nicht lange genug, um ihn aus der Fassung zu bringen. Dafür steht er zu sehr auf das eigene Geschlecht und obwohl ich weiss, dass das einer der Gründe ist, warum man mir Ruben Helmstedt vorgesetzt hat, kann ich meine Versuche, ihn umzudrehen, dennoch nicht unterlassen. Es ist wie ein Drang, wie ein eingepflanztes Begehr. So oder so ähnlich.

“Eine Frau in Ekstase”, wiederholt Ruben, als ich zu lange auf mich warten und mich schon wieder von anderen Gelüsten ablenken lasse.

“Warum ist die Frau in Ekstase? Können Sie mir das ein wenig näher bringen, warum dieses Bild diesen Eindruck bei Ihnen erweckt?”

Ich schiebe irritiert eine Augenbraue in die Höhe und erlaube mir einen kleinen Seitenhieb, der sich nicht ziemt. “Sagen Sie bloß, Sie haben noch nie eine Frau in Ekstase gesehen?”, gebe ich mich gespielt entrüstet. Sogar das Grinsen verkneife ich mir, weil ich mir bewusst bin, dass dieses Gespräch nicht nur auf Tonband aufgezeichnet wird.

Der Psychotherapeut ist jedoch schwieriger zu beeindrucken als Kinder auf einem Kindergeburtstag. Die lachen wenigstens los, wenn sie verunsichert sind. Nicht so Ruben, dessen Mimik so selten entgleitet, dass die Zeit in diesem Raum nicht nur gefühlt stillsteht. Der Mangel an Unterhaltung zerrt allmählich an meiner Geduld und wenn ich ungeduldig werde, werde ich ungemütlich und wenn ich ungemütlich werde, dann werde ich…ich lasse meine Knochen knacken und erhalte endlich eine weitere Reaktion, auch wenn es nur ein leichtes Zusammenzucken meines Gegenübers ist. Geht doch, Ruben, weiter so. Wenn nicht optisch, dann eben radikal durch den Gehörgang. Ich nehme, was ich kriegen kann und arbeite mit dem, was man mir gibt.

“Ich bin mir sicher, dass die Frau auf dem Bild nicht in Ekstase ist”, stolpert der Mann über seinen eigenen Satz, als hätte er gerade ein Rad geschlagen und wäre mit dem Kopf zuerst auf dem Asphalt aufgekommen.

“Wie wollen Sie das denn beurteilen, wenn Sie nicht sehen können, was ich sehe?”, trieze ich. Ruben lacht nicht. Ich schon.

“Wissen Sie, was ich denke?” poltert Ruben heraus, ich will schon den Mund öffnen, da setzt er fort: “Ich denke, Sie wollen mich provozieren. Doch hier geht es nicht um mich, sondern um Sie. Ich will Ihnen helfen. Verstehen Sie das?”

“Sie wollen mir helfen”, fasse ich den Unfug zusammen, was der Psychotherapeut da von sich gibt. Eigentlich will ich lachen, doch der Gag kommt nicht bei mir an. “Wie soll mir das denn helfen? Sie wollen, dass ich ein Bild beschreibe und dann stempeln Sie mich als Lügnerin ab, weil Ihnen meine Beschreibung missfällt.”

Ich will eigentlich noch etwas hinzufügen, werde aber von dem Mann unterbrochen. “Erkennen Sie sich selbst denn wirklich nicht auf dem Bild wieder?”, platziert er gekonnt seine Frage, wie jemand, der eine Bombe legt und nur darauf wartet, dass sie endlich hochgeht. Aber nichts dergleichen geschieht. Da ist nur ein träges Schmunzeln auf meiner Visage. So träge, dass ich mir sicher bin, dass es auf der Kamera nicht zur Geltung kommen wird. Also schiebe ich notgedrungen die Mundwinkel noch etwas höher. Und noch ein Stück, und noch ein bisschen, bis es in den Wangen zwickt.

“Das sind Sie auf diesem Bild”, versucht es Ruben nochmal, weil es ihm wohl zu wenig knallt.

“Sie wissen weder wie ich aussehe, noch was auf dem Bild zu sehen ist”, rufe ich dem Menschen in Erinnerung, der offenbar vergessen zu haben scheint, dass er so blind ist wie ein Maulwurf ist.

Nun spiegelt Ruben meine Mimik. Jetzt komme ich mir wirklich so vor, als würde ich in mein eigenes Spiegelbild sehen, wäre ich männlich, schwul und bis zum Abwinken unattraktiv. Doch dieses Schmunzeln auf den unansehnlichen Lippen hat was. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was genau, aber ich bin entzückt davon und gewillt, es herauszufinden und weiter zu ergründen. Ich sitze hier ohnehin fest.
“Es ziemt sich übrigens nicht, eine Dame in Ketten zu legen”, schmolle ich und verweise mit meinem Kinn in Richtung der Fussfesseln um meine Knöchel. Nicht, dass Ruben diese Geste registrieren könnte, dennoch - unsere Zuschauer verlangen bestimmt nach Unterhaltung und die werde ich ihnen bieten, selbst wenn es mir zuwider ist.

“Die sind zu ihrer eigenen Sicherheit”, meint der Psychotherapeut kühl, als hätte er Kenntnis von meinem Zustand. Womöglich hat man ihn instruiert. Selbstverständlich hat man das.

“Zu meiner eigenen Sicherheit”, äffe ich den Sesselpupser nach. “Mir wäre damit gedient, wenn ich dieses Kabuff endlich verlassen könnte. Ich weiss, dieser Gedanke mag Ihnen fremd sein, aber die Welt wartet dort draußen auf mich. Von mir aus können sie hier drin alleine versauern oder wissen sie was? Holen sie sich doch zu diesem Bild einen runter, wenn sie es so sehr lieben. Nur zu, es stört mich nicht. Nicht im geringsten.”
“Sie denken, die Welt wartet dort draußen auf sie?”, gibt sich Ruben überrascht. Ehe ich etwas erwidern kann, macht es Ruben schon wieder. Er fummelt an dem Bild herum. Lässt seine Handflächen darüber streichen, schließt dazu sogar seine nutzlosen Augen und scheint tatsächlich zu genießen, was er dort tut. Na endlich, vielleicht kommt nun doch noch so etwas wie Spannung auf.

Eine Ewigkeit passiert gar nichts. Kein Reißverschluss wird geöffnet, keine Hüllen fallen, keine Körperflüssigkeiten werden ausgetauscht. Die Langeweile frisst mich von ihnen heraus auf. Wie eine Made, die sich eine Spur zu wohl in meinen Eingeweiden fühlt und die man ausscheissen, statt dinieren lassen sollte.

“Ich fühle sie - diese Ekstase, von der sie sprechen”, haucht Ruben nach einer Weile sehr angetan. “Das Böse, die Verlockung, die damit einhergeht. Diese Macht. Die Versuchung. Den Tod.”

“Schön für Sie”, sage ich trocken. “Dann sind wir hier also fertig?”
Der Mann lacht. Ja. Der Kerl lacht einfach los. Und er lacht lange, als hätte er soeben den Verstand verloren oder ich einen unglaublich tollen Witz gerissen. Einen Witz, den ich selbst nicht ganz kapiere. Ich lasse Ruben seinen Lachanfall erstmal auslachen, es bleibt mir ja ohnehin nichts anderes übrig. Ob ich will oder nicht.
Es dauert ewig, bis der Mann sich endlich beruhigt hat, dann setzt er sich wieder gerade hin, hält sich das Bild vor die hagere Brust und tut so, als wäre nie was gewesen. Ein seltsamer Gong erklingt und Kopfschmerz setzt bei mir ein.

“Wie finden Sie dieses Bild, was löst es in Ihnen aus?”, erkundigt sich der Psychotherapeut bei mir. Ehrlich gesagt verspüre ich keine Lust, ihm meine Abgründe näher zu bringen, geschweige denn mit ihm über das, was in mir innewohnt, zu diskutieren. Um es simpel auszudrücken: Das ist ein Ding zwischen mir und dem Ding. Das geht niemanden etwas an.