Camp Rosered - 1 (2016)
Der Job macht mich fertig. Erst seit zwei Wochen arbeite ich im Chicken Wing Heaven an der Elmstreet. Jeden Tag von 11 Uhr mittags bis 9 Uhr abends in einem Gockel-Kostüm an der gleichen Verzweigung stehen, ein Schild hochhalten und die vorbeirasenden Autos animieren, sich ein paar Chicken Wings im Heaven zu gönnen. Drecksjob.
Da fragt man sich, warum habe ich eigentlich Abi gemacht? Garantiert nicht dafür.
Ich winke der Barkeeperin zu und bestelle mir einen weiteren Gin Tonic. Eins muss man dem Job lassen, für ein paar Drinks nach der Schicht reicht das Geld gerade noch. Wer braucht schon was zu essen, wenn man sein Geld auch für Gin ausgeben kann. Als der Drink vor mir abgestellt wird, hört man wie die Eingangstür ein letztes Mal ihren Dienst tut und mit einem Knall an der Wand gegenüber zerspringt. Ich widerstehe dem Drang mich umzudrehen und nippe angespannt an meinem Drink. Wer auch immer diese Tür umgebracht hat, sucht Streit. Nicht mit mir. Die kühle Flüssigkeit bahnt sich langsam den Weg durch meine Speiseröhre in meinen leeren Magen und ich danke dem warmen und leicht berauschenden Gefühl, das sich in mir breit macht. Gin, was wäre ich nur ohne dich.
Ein „Sorry Mann“ posaunt durch die Bar. Der Mann lacht laut auf und im Augenwinkel erkenne ich, dass er direkt auf mich zu kommt und sich auf den Hocker neben mir setzt. Na super. Gin, ich muss gehen. Gequält werfe ich der hübschen Barkeeperin, Name Chantal, Single, blond, anfangs 30, einen Blick zu und halte meinen Geldbeutel hoch, um ihr zu signalisieren, dass ich unbedingt und schnellstmöglich bezahlen möchte. Aber gerade in diesem Moment verschwindet sie im Lager hinter der Theke. Verdammt. Unauffällig drehe ich mich von dem Kerl weg und tue so, als studiere ich gerade die Flaschen hinter der Bar.
Ich bemerke wie der Kerl mich mustert. Ein Gang zur Toilette wäre mal wieder nötig. Gerade als ich versuche aufzustehen, packt er mich an der Schulter. Das wars. Offensichtlich hat er ein Opfer gefunden und das Opfer bin ich.
„Hey Gockel.“ Er grinst und imitiert einen krähenden Hahn. Prompt wird mir bewusst, dass ich vergessen habe mein Kostüm auszuziehen, bevor ich mich volllaufen lasse. So rächt sich also die Faulheit. Ganz große Angriffsfläche, ganz großes Kino.
Ich wende mich langsam dem Typen zu und merke, wie meine Kinnlade hinunterfällt.
Der Kerl ist ein Hüne von Mann. Auf seinem Kopf thront ein schwarzer Zylinder, so einen, der in Vegas auf der großen Showbühne Häschen verschwinden lässt. Sein Ziegenbärtchen wippt angestrengt bei jedem Kikeriki. Die Augenklappe über seinem linken Auge gibt seinem ganzen Erscheinungsbild, das sich offensichtlich nicht zwischen Riese und Merlin entscheiden kann, eine sanfte Prise Pirat.
„Abrakadabra,…“, krächze ich zögerlich, ehre mein Kostüm, aber fühle mich in dem Moment eher wie eine Henne als wie ein stolzer Hahn. Mitspielen und hoffen, dass der Kerl Spaß versteht, gerade von einer Kostümparty kommt und bereits schon ordentlich gebechert hat. Und wie er das hat.
Er klopft mir leicht auf die Schultern und ein Lachanfall erschüttert sein ohnehin angestrengt wippendes Bärtchen. Ich lache mit und kippe nervös den Rest meines Gins in einem Zug hinunter. „Du gefällst mir, ordentlich Durst was?“ brüllt er und ich nicke. Ein ganz schön lauter Geselle.
Chantal erscheint wieder hinter der Theke und meine Hand gleitet automatisch zu meinem Geldbeutel. Bevor ich ihn erneut hochhalten kann, legt sich die Pranke von dem Kerl auf mein Handgelenk, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Ich schlucke. „Bleib noch ein bisschen, die Nacht ist jung. Darf ich mich vorstellen? Ich bin El Kastor.“ Er lässt mein Handgelenk los und winkt Chantal zu. „Ein Bier für mich und den Gockel, aber flott flott.“ Ein Bier? Über einen weiteren Gin hätte ich mich mehr gefreut.
„Ich bin Michael. Danke für das Bier, wäre aber wirklich nicht nötig gewesen. Ich muss morgen früh raus. Arbeit ruft.“ Ich wedel theatralisch mit meinen Flügeln und lasse meinen Geldbeutel zwischen dem Federkleid verschwinden.
„Mike, freut mich.“
„Michael“
„Mike, sag ich doch. Wo arbeitest du denn?“
Ich seufze und schaue Chantal zu, wie sie unser Bier vom Fass zapft und es vor uns abstellt. Zielstrebig greift meine Hand nach dem kalten schaumigen Gebräu und führt es an meine Lippen. Der bittere Geschmack der sich auf meiner Zunge ausbreitet, verdrängt den guten Geschmack des Gins und passt perfekt zu meiner aktuellen Situation. Lebe wohl, entspannter Feierabend, Ahoi was auch immer jetzt kommen wird.
„Ich arbeite bei Chicken Wings Heaven an der Elmstreet und schaue, dass die Wings an den Konsumenten kommen.“
„Ahhhhh…“, er blickt mir mit seinem einen Auge direkt in meine beiden und trinkt ebenfalls einen Schluck. Der Schaum bleibt an seinem leichten Oberlippenbärtchen kleben und meine Nackenhaare stellen sich auf. Ein Gebet zu meinem Gillette Rasierer, der jeden Morgen dafür sorgt, dass das meiner Oberlippe garantiert nicht passieren kann.
„Klingt nach einem ziemlich beschissenen Job.“
Ich räuspere mich. „Jeder Job hat wohl seine Vor- und Nachteile nicht wahr?“ Seine Augenbraue hebt sich. Kein Wunder, ich kaufe mir das selbst nicht ab. Mein Job ist wirklich beschissen.
Wir schweigen uns eine Weile an und nippen gelegentlich an unserem Bier. Plötzlich spüre ich ein Kratzen über meinem Rücken. Ich blicke über meine Schultern und beobachte, wie El Kastor einen Kaugummi aus meinen Federn angelt.
„Wo kommt denn der her?“ fragt er mich.
„Die Kids werfen ab und zu in ihren Schulpausen mit Kaugummis nach mir,..“ murmle ich peinlich berührt und etwas angetrunken. El Kastors Mundwinkel ziehen sich in die Höhe und er prustet los.
„Also doch ein ziemlich beschissener Job.“
„Du hast mich erwischt.“
„Das war nicht schwer.“
Nach einer kurzen Schweigeminute fährt er fort: „Was ist, wenn ich einen besseren Job für dich im Angebot hätte?“
„Hast du das?“
„Aber selbstverständlich. Vielleicht nicht der beste Job auf der Welt, aber gut bezahlt.“
„Um was für einen Job handelt es sich denn?“
„Mein Chef sucht eine neue Putze.“
„Eine neue Putze? El, das klingt nicht grade nach einem besseren Job.“, schmunzle ich und klopfe ihm auf die Schulter.
Ruckartig steht er auf und donnert dabei seinen Hocker auf den Boden. Hilfesuchend werfe ich Chantal einen Blick zu, diese zuckt aber nur mit den Schultern und wendet sich wieder ihrem Mixer zu. El Kastor bäumt sich vor mir auf, packt mich und zerrt mich in Richtung der Toiletten.
„Nenne mich nie wieder El. Ist das klar?“ Er brüllt mich regelrecht an und ich fühle mich wie in einem Quentin Tarantino Film. Ich nicke eifrig und hebe entschuldigend die Hände. Als er mich wieder loslässt, bin ich dankbar, wieder Boden unter meinen Füssen zu spüren. Er grinst mich an und fächert mit seinen Pranken meine Federn wieder glatt.
„Und willst du den Job?“ Ich frage mich, ob mir überhaupt etwas anderes übrig bleibt, wenn ich lebend die Bar verlassen will und komme zu dem Schluss, dass ich es nicht riskieren will. So viel schlimmer als in einem Gockelkostüm Autos zuzuwinken, kann putzen ja nicht sein. Oder?
„Ich will den Job.“
„Super. Ich wusste gleich von der ersten Sekunde an, dass du der Richtige bist für diesen Job, Mike. Los, komm mit, wir fahren gleich los.“
„Wie? Aber es ist 2 Uhr morgens.“
„Hast du etwa ein Problem damit?“
„Nein, natürlich nicht, …ähm,.. los geht’s.“
Ich folge ihm zum Ausgang der Bar und fühle mich, wie die Eingangstür, die dort mal war. Als wir beim Parkplatz ankommen, staune ich nicht schlecht, beim Anblick von El Kastors Auto. Er fährt einen roten Käfer und als sich der Hüne von Mann in das Auto setzt und den Motor startet, bewundere ich dieses kleine Auto. Ohne auseinanderzufallen oder zu murren springt es an und ist bereit, seinen Fahrer und mich überall hin zu fahren. Die ganze Fahrt über ertrage ich ohne ein Wort zu verlieren El Kastors Schlagerhitparade vom Jahr 1900-irgendwas. Dass dieser Mann ein Faible für Käfer und Schlager hat, habe ich definitiv nicht erwartet.
Das sanfte Ruckeln vom Motor macht mich schläfrig und ich spüre, wie meine Augenlider immer schwerer werden und langsam zufallen. Der Alkohol sorgt für den Rest. Ich schlafe ein und wache erst wieder auf, als ich einen Schlag zwischen die Rippen spüre. Innerhalb weniger Millisekunden bin ich hellwach und blicke prüfend an mir herab. Gut, ich bin noch angezogen und mein Hinterteil fühlt sich auch nicht wund an.
„Wir sind da.“, brüllt El Kastor mich an und deutet mir aus dem Auto auszusteigen. Ich atme langsam ein und öffne die Autotür. Neugierig suchen meine Augen die Umgebung ab. Das Gelände ist umzäunt von gefühlt 10 Meter hohem Stacheldraht. Mittendrin steht ein grosses Industriegebäude und rechts davon ein uralter in allen Farben vom Regenbogen leuchtender Wohnwagen. Ich reibe mir über die Augen. Wo bin ich denn hier gelandet?
„Los komm mit, der Manager wartet bestimmt schon.“ El Kastor setzt sich den Zylinder auf den Kopf und marschiert geradewegs auf den Wohnwagen zu.
Vor dem Wohnwagen dreht er sich zu mir um und streicht sich das Jackett glatt. „Wie sehe ich aus?“ Sein Flüsterton überrascht mich. Ich mustere ihn und antworte: „ Gut, denke ich.“ Prompt ballt er seine Linke wieder zu einer Faust und ich mache mich auf einen weiteren Schlag in die Rippe gefasst. Der nicht folgt. Er lächelt mich nur träge an und öffnet die Tür vom Wohnwagen. Interessiert folge ich ihm. Der Innenraum des Wohnwagens strahlt mir entgegen. Ja, strahlen. Die Wände sind in einem zarten Girlie-Rosa-Ton gestrichen und die seidenen weissen, bodenlangen Vorhänge geben dem ganzen einen leicht romantischen Touch. Vor den drei Fenstern stehen jeweils zwei weiße Rosen. Das einzige, was in den sonst leeren Raum nicht passt, ist der pechschwarze wuchtige Schreibtisch in der Mitte.
Der Mann hinter dem Schreibtisch steht auf. Sein Bordeaux-farbener mit floralem Muster bestickter Zinnobermantel schmeichelt perfekt seinem Mocca-farbenen Hautton und lässt ihn wirken wie ein König aus den Tiefen des Amazonas. Ich schätze ihn auf ungefähr Mitte dreißig. Sein perfekt gestylter Schnauzer ist an beiden Enden schwungvoll gezwirbelt und passt fabelhaft zu seinen schulterlangen schwarzen Haar, das mit ein paar blonden Strähnchen versehen ist.
Mir fällt erst auf, dass ich ihn anstarre, als ich El Kastors Faust wieder zwischen meinen Rippen spüre. Mit knallrotem Gesicht richte ich meinen Blick auf den weißen Eichenholz-Boden. Wunderschönes Parkett.
„El Kastor. Schön, dich zu sehen. Du weißt schon, dass das kein Papagei ist oder?“ Der Mann mustert mich von oben bis unten während er mit seinen spitzen Stiefeln über das Parkett stolziert. „Der Gockel passt doch nicht auf meine Schulter. So breit bin ich nun auch wieder nicht gebaut.“
Der Hüne neben mir fängt an herzhaft zu lachen. „Das ist die neue Putze, Manager.“ Die Augen des Managers weiten sich und er streckt mir die Hand entgegen. Etwas perplex greife ich nach ihr und schüttle sie.
„Entschuldigen Sie, ich Dummerchen. Hallo und herzlich Willkommen in meinem wunderschönen Wohnwagen. Wir sind unendlich dankbar, dass sie Interesse an dem Job haben. Wie heißen Sie denn, wenn ich fragen darf?“ Ehe ich antworten kann, tut es El Kastor für mich.
„Er heißt Mike.“
„Michael…“ brummle ich. Der Manager wirft El Kastor einen bösen Blick zu ehe er sich wieder mir widmet.
„Psscht, Kastor, der werte Mann wollte mir gerade verraten wie er heißt.“
„Michael“ sage ich, etwas lauter als vorhin.
„Michael. Das freut mich. Mein Name ist Jester. Willkommen in der Familie.“ Er schlingt seine Arme um mich und drückt mich an sich. Ein leichter Geruch von Patouchli liegt in der Luft und beißt in meiner Nase. Als er mich wieder loslässt, schaue ich zu El Kastor herüber und bemerke, wie er, wie zuvor ich, den Eichenholzboden mustert. Was ist denn in den gefahren?
„Hallo Jester, ehm… danke. Aber ich weiß noch gar nicht, was genau das für ein Job ist. Bisher weiß ich nur, dass ich putzen soll.“
„Was? Hat dir Kastor etwa nichts erzählt?“ Seine Finger gleiten über den gezwirbelten Schnauzer und Kastor erntet erneut einen bösen Augenaufschlag.
„Wir… sind noch nicht dazu gekommen, genauer darüber zu sprechen…“
„Dann werde ich dich selbstverständlich aufklären. Du hast bestimmt schon das Gebäude hinter dem Wohnwagen entdeckt oder? Das ist dein Arbeitsplatz. Du putzt dort die Räume, nicht alle, nur die, die wir dir zuteilen. 500 Euro pro angebrochene Stunde. Es gibt nur drei Regeln hier im Haus. Stell keine Fragen, sprich mit niemandem über den Job und sei freundlich zu allen. Wir sind eine große Familie.“
„500 Euro die Stunde? Ist das nicht ein bisschen viel für einen Reinigungsjob?“
„Na na, die Regeln Michael. Keine Fragen stellen. Aber du hast Recht. Es ist viel Geld. Unsere Anonymität und das familiäre Verhältnis liegen uns sehr am Herzen. Es handelt sich hierbei natürlich um Schwarzarbeit. Damit hast du doch kein Problem oder?“
Ich überlege kurz und erinnere mich, wie mich El Kastor erst vor wenigen Stunden das Gleiche gefragt hat. Etwas schroffer als Jester aber eigentlich ist nichts gegen 500 Euro die Stunde um ein paar Räume zu putzen einzuwenden.
„Nein, passt, ich mache den Job. Danke. Wann soll ich anfangen?“
„Gigantisch. Kastor, du hast uns einen tollen Gockel mitgebracht.“ Kastor grinst zufrieden.
„Michael, wie wäre es, wenn du gleich anfängst?“
„Ja, kein Problem, ich bin ja sowieso schon hier.“ Der Manager spaziert zurück zu seinem Schreibtisch und greift zum Hörer seines antiken Kabeltelefons.
„Hab doch gesagt, ist ein besserer Job, als deiner.“, posaunt El Kastor und legt seine Hand auf meine Schulter. Das wird sich noch heraus stellen. Der Manager kehrt zu uns zurück.
„Michael, draußen wartet jemand auf dich und wird dich in deinen neuen Job einweisen. Kastor, wir müssen nochmals über den Papagei reden.“
„Ok, alles klar, dann verschwinde ich mal.“ Bevor ich die Tür zum Wohnwagen öffne, schaue ich mich nochmals kurz im Raum um. Wo bin ich hier gelandet?
Vor dem Wohnwagen steht eine hübsche rothaarige Frau in einem engen Hosenanzug. Wow. Von ihr werde ich eingewiesen? Ich liebe diesen Job. Ich gehe auf sie zu und strecke ihr meine Hand entgegen. Ihre gepiercte Augenbraue hebt sich, als sie mich von oben bis unten mustert.
„Du bist also der Neue was? Tolles Kostüm.“ Ihr gelangweilter Tonfall trieft vor Ironie und mir wird schmerzlich bewusst, dass ich immer noch in meinem Gockelkostüm stecke. Verdammt.
„Ja, ich bin Michael. Und wie heißt du?“
„Luke.“
„Luke? Ist Luke kein Männername?“ Sie verdreht die Augen, steckt sich ein paar Ohrstöpsel in die Ohren, drückt auf ihrem iPod rum und läuft los Richtung Industriegebäude. Perplex schaue ich ihr nach. War das gerade eine Abfuhr? Geknickt dackel ich hinter ihr her.
Luke tippt einen Code in das kleine Gerät neben der Tür ein und mit einem Piep öffnet sich die Pforte zu meinem neuen Arbeitsplatz. Wir laufen einen langen Flur entlang zu einem kleinen Raum. Auf dem Weg passieren wir zahlreiche Türen, alle verschlossen und daneben, wie bei der Eingangstür ein kleines elektronisches Gerät um einen Pinn einzugeben. Sieht aus, wie in einem Hochsicherheitsgebäude. Ich frage mich, was sich hinter diesen Türen befindet und ob wir beide wirklich alle Räume hinter diesen Türen putzen sollen. Falls ja, macht man da an einem Tag ordentlich Kohle.
Luke bleibt stehen und fischt sich die Ohrstöpsel aus den Ohren.
„Das hier ist der Pausenraum. Und dort drüben in der Ecke steht ein Automat für Snacks und Getränke. Sind kostenlos. Die Mikrowelle ist auch funktionstüchtig. Theoretisch könnte man in diesem Raum wohnen.“
„Was soll das denn heißen?“ Sie zuckt lediglich mit den Schultern, steuert auf einen Schrank zu, öffnet ihn und reicht mir ein weißes Shirt und eine weiße Leinenhose. Die sind hier wirklich gut ausgestattet. Ich mustere die Etiketten von der ´Putzuniform´ und bin erstaunt. Sie hat sogar auf Anhieb meine Kleidergrösse richtig erraten.
„Starr nicht so, los zieh an, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“
„Ja, ehm, wo sind die Kabinen?“
„Ist das dein Ernst? Bist du immer so kompliziert?“ Sie rollt mit den Augen und dreht mir den Rücken zu. „Na los, mach.“ Mit knallrotem Kopf tue ich, wie mir geheißen und schäle mich aus meinem Federkleid. Die Putzuniform passt wie angegossen und ich bin dankbar, für den leichten und luftigen Stoff auf meiner Haut.
„Fertig.“, verkünde ich und Luke klatscht theatralisch in die Hände.
„Gut gemacht, großer Junge.“
„Bist du immer so frech?“ Sie ignoriert meine Frage und öffnet den nächsten Schrank. Der ist bis oben gefüllt mit Putzmittel, Besen, Eimer, Lappen und was man sonst noch so braucht um einen Raum sauber zu kriegen. Als sie mir Eimer und Besen in die Hand drückt, erhasche ich einen kleinen Blick auf ihre Handgelenke. Diese sind mit Narben übersät. Reflexartig greife ich nach ihr und sie zuckt zusammen. Ihre großen blauen Augen erwidern meinen Blick ehe sie nach ein paar Sekunden von mir zurück schreckt. „Woher sind die?“
„Das geht dich nichts an. Los, die Arbeit ruft.“ Sie stürmt aus dem Raum und ich folge ihr. Vor einer Tür mit der Nummer 114 bleiben wir stehen. Sie reicht mir einen Block mit Nummern und dazu eine Karte von dem Gebäude.
„Auf dem Block siehst du, welche Nummern du putzen musst und die Karte hier, hilft dir den Raum zu finden. Hinter jeder Nummer steht ein Pinn, den gibst du hier ein.“ Sie zeigt auf das Gerät neben der Tür. „Die Räume sind größtenteils vorgeputzt. Du musst lediglich saugen, wischen und die Oberflächen säubern. Kriegst du hin oder?“
„Warum sind die Räume vorgeputzt?“
„Du kennst die Regeln.“
„Keine Fragen stellen, was? Ihr nehmt das hier wohl ziemlich wörtlich.“
„Sind nicht meine Regeln. Sobald du fertig bist, piep mich kurz an, wir treffen uns wieder im Pausenraum.“ Sie streckt mir einen Pager entgegen und verschwindet hinter der Tür gegenüber.
Ich kratze mich am Kopf und studiere den Block. 5 Räume, die geputzt werden sollen, alle in unterschiedlichen Korridoren. Erster Raum, Raum 114, Pinn 33421. Als ich den Pinn eingebe, geht die Tür klickend auf. Neugierig inspiziere ich den Raum. In der Mitte steht ein weißer Tisch mit 4 Stühlen. Darüber eine Lampe, von der ein Seil hängt. In jeder Ecke des Raumes entdecke ich eine Kamera, die auf die Mitte gerichtet sind. An der Wand steht eine große Holztruhe, die aussieht als wäre sie von einer Katze oder einem Hund attackiert worden. Die Oberfläche ist ganz zerkratzt. Was zum Henker ist in diesem Raum passiert? Warte, keine Fragen stellen. Einfach nur an die 500 Euro denken. Wie viel Gin ich mir wohl von 500 Euro kaufen kann? Ein neuer Fernseher wäre auch nicht schlecht.
Ich watschle zum Radio in der Ecke und klicke auf ON. Die Musik von ABBA dröhnt durch die Boxen. Money Money Money, must be funny. In the rich man’s world. Wie passend. „Na dann, legen wir mal los Besen” Ich schnappe mir den Besen und wische dem Boden eins aus. Von links nach rechts immer im Takt von der Melodie, dabei lasse ich meine Hüften kreisen und singe lauthals mit. Der Besenstiel ist mein Mikrophon und der Raum meine Bühne. Ungefähr nach 20 Minuten glänzt der Raum vor Sauberkeit und ich fühle mich wie ein Tabledance-Weltstar. El Kastor hatte Recht. Der Job ist um einiges besser als mein Alter.
Vor meinem nächsten Raum steht ein Typ in einem Clownskostüm. Die rote Kunstwuschelmähne hängt ihm in sein Gesicht und es grenzt an ein Wunder, dass diese kein Feuer fängt über der Zigarette, an der er gerade genüsslich zieht. Ich bleibe vor ihm stehen und warte darauf, dass er mich beachtet, aber der Clown raucht friedlich weiter, als wäre ich durchsichtig.
„Hey. Ich muss da rein.“
„Wer sagt das?“
„Michael, ich bin die neue Putzkraft.“
„Ich bin Spasti der Clown.“
„Hey Mann, ich muss da wirklich rein.“ Ich halte meinen Besen und den Putzeimer hoch.
„Und ich bin wirklich Spasti der Clown. Eine Zigarette gefällig?“ Er streckt mir ein Päckchen Blue Lady Cigarettes entgegen.
„Nein danke, ich rauche nicht.“
„Oh, du verpasst was.“
„Das kann sein, darf ich bitte durch?“ Die Regel, stets zu allen freundlich zu sein, einzuhalten, wird wohl schwerer als ich gedacht habe.
„Der Raum ist besetzt.“
„Aber ich soll ihn putzen, er steht auf der Liste, die mir Luke gegeben hat.“
„Luke. Zeig mal.“ Ich reiche ihm den Block. Er reißt ein Papier von hinten raus und steckt es sich in die gepunktete gelbe Clownsweste. Perplex starre ich ihn an.
„Was soll das?“
„Brauche Papier um mir eine zu drehen später.“ Ist das sein Ernst?
„Ich muss wirklich in den Raum, wie du siehst, steht er auf der Liste.“
„Wie ich bereits sagte, der Raum ist besetzt. Mach doch einfach den nächsten.“
Wow, ich habe Clowns schon als Kind nie gemocht. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schnappe ich meinen Besen und gehe den Flur weiter runter und verschwinde im nächsten Raum.
Als ich alle Räume, bis auf den Besetzten, abgearbeitet habe, piepse ich Luke an und mache mich auf den Weg zum Pausenraum.
Dort angekommen werfe ich einen Blick auf die Uhr an der Wand. Es ist bereits 8 Uhr morgens. Die Müdigkeit macht sich langsam bemerkbar und mein Körper signalisiert mir, dass ein Bett jetzt nicht schlecht wäre. Luke ist noch nicht da also setze ich mich an einen der Tische und reibe mir die Augen. Wach bleiben Michael. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und erspähe in der improvisierten Fernsehecke einen Gorilla, der gerade irgendein brutales Spiel auf der Playstation zockt.
Mit einem Stuhl ausgerüstet, begebe ich mich ebenfalls zu der Fernsehecke und setze mich hinter den Gorilla. Begeistert schaue ich ihm zu, wie er gerade ein Monster abschlachtet und dabei selbst drauf geht. Der Gorilla flucht und wirft den Controller auf den Boden.
„Drecksspiel.“
„Hey, was ist das für ein Spiel?“ Er dreht sich zu mir um und mustert mich, ehe er sich wieder den Controller schnappt und weiterspielt.
„Dark Souls.“
„Ahhh… und was genau ist das Ziel?“
„Töten.“
Als der Kerl wieder an der genau gleichen Stelle stirbt, schmunzle ich. Der Gorilla steht auf und bäumt sich vor mir auf. „Das findest du also witzig?“
„Ein bisschen.“ Er drückt mir den Controller in die Hand. „Machs besser, Wischmopp.“ Etwas nervös starte ich beim Leuchtfeuer und lege die gleiche Strecke zurück, wie der Gorilla. So viel schwerer als FIFA kann das Spiel ja nicht sein. Als das Monster auf mich zu kommt, drücke ich wie ein Irrer auf alle Tasten auf dem Controller. Innerhalb weniger Sekunden hat das Ding mich erlegt. Auf dem Bildschirm taucht in roter dramatischer Schrift „Du bist gestorben.“ auf. Der Gorilla bricht in schallendem Gelächter aus und reißt mich mit. Ich reiche ihm wieder den Controller.
„Du bist definitiv besser als ich. Hey warum trägst du eigentlich ein Gorilla-Kostüm?“
„Warum trägst du keins?“
Bevor ich antworten kann, steht bereits Luke in der Tür und neben ihr ein Mädchen in einem hübschen Blumenkleid. Das Mädchen greift nach Lukes Hand und die beiden kommen auf uns zu. „Hey Affe, Emily ist bereit für dich.“ Aus Emilys Mund tropft ein bisschen Sabber. Als sie bemerkt, dass ich sie anstarre, ziehen sich ihre Mundwinkel nach oben.
„Arbeit ruft, Wischmopp.“ Der Gorilla reicht mir erneut den Controller, steht auf, greift nach der Hand von Emily und verschwindet mit ihr aus dem Pausenraum.
„Ich darf keine Fragen stellen, richtig?“
„Du hast die Regeln verstanden.“ Luke setzt sich auf den Stuhl auf dem vorhin der Gorilla gesessen hat und schreibt ein paar Zahlen auf ihren Block.
„Was jetzt?“
Luke wirft einen Blick auf die Uhr. „Du gehst zum Manager und forderst deinen Lohn für 3 Stunden.“
„Und dann?“
„Tanzt du morgen wieder an. Gleiche Uhrzeit.“
„Sorry, aber ich habe keine Ahnung, wann wir angefangen haben. Irgendwie ist mir während der Fahrt hierher jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen.“
„Dann rechne nach.“ Als sie aufsteht, greife ich nach ihrer Hand. Jetzt oder nie. „Hey Luke, wollen wir vielleicht mal nach der Arbeit etwas… trinken gehen?“
„Ich bin 16, du Arschloch.“ Sie entreißt mir ihre Hand und stürmt aus dem Pausenraum. Sie ist erst 16? Warum zur Hölle ist sie erst 16?
Gerade in diesem Moment taucht Spasti der Clown in der Tür auf und marschiert auf den Automaten zu. „Will ich wissen, warum Luke gerade wie eine wilde Furie an mir vorbei gerannt ist?“ Der Typ hat mir gerade noch gefehlt.
„Ich habe gerade erfahren, dass sie erst 16 ist.“
„Oh,…“, er tippt mit seinen Finger auf eine Zahl und der Automat spuckt eine Dose Cola aus.
„Ja, ich bin nicht davon ausgegangen, dass ich mit einer 16-Jährigen zusammen arbeite.“
Auf dem Weg zur Tür dreht sich der Clown nochmals um. „Das ist nicht irgendeine 16-Jährige, das ist die Tochter vom Manager.“ Die Tochter vom Manager?
„Warte.“ Er winkt mir zu, dreht sich schwungvoll um und watschelt aus der Tür. So leicht lass ich dich jetzt nicht entkommen. Ich sprinte zur Tür und packe ihn an der Weste.
„Ich weiß, ich darf keine Fragen stellen, aber ist dir nicht aufgefallen, dass dieses Mädchen übersät ist mit Narben?“
Er schubst mich grob von sich und grinst.
„Doch, ist mir aufgefallen.“
„Und das stört hier keinen oder was?“
„Das geht hier einfach niemanden etwas an.“
„Und das nennt sich dann große Familie.“
Er wirft mir einen grimmigen Blick zu, öffnet seine Coladose und watschelt auf seinen übergroßen Schuhen davon.
Vor dem Wohnwagen steht bereits der Manager und winkt mich zu sich heran.
„Bist du schon fertig?“
„Ja, Luke meint wir haben 3 Stunden dafür gebraucht.“
„Gigantisch. Du bist ja ein richtig fleißiges Bienchen. Und uh lala das Outfit steht dir richtig gut.“ Er umkreist mich einmal und betrachtet mich von allen Seiten. Ich fühle mich wie ein Zootier aber das ist wohl einfach seine leicht abgedrehte Art. Auf einmal knurrt mein Bauch lautstark.
„Da hat wohl jemand Hunger. Wie gut, dass ich dich gerade zu unserem kleinen Mittags-Barbecue einladen wollte. Na, Lust?“ Seine Augen leuchten regelrecht vor Begeisterung.
„Ich weiß nicht, ich bin eigentlich ziemlich müde.“, gebe ich als Antwort und unterstreiche diese mit einem herzhaften Gähnen.
„Kein Problem, ruh dich ein bisschen aus, wir haben hier einen Schlafraum. Kastor holt dich, sobald es Essen gibt. “
Ich denke an meinen leeren Kühlschrank zuhause. „Hört sich eigentlich ganz gut an, warum nicht.“
„Gigantisch, bis dann, fleißiges Bienchen.“
Auf der Karte suche ich den Schlafraum und bin froh darüber, dass er sich direkt beim Eingang befindet. Der Schlafraum erinnert mich stark an eine Schiffskajüte. Sehr rustikal eingerichtet mit einem gewissen Landhaus-Charme. Dieser Raum passt absolut gar nicht zum sonst so sterilen Rest des Gebäudes. Wobei ich das so genau auch nicht beurteilen kann, da ich bisher nur ein paar Räume gesehen habe. Ich werfe mich auf das Bett gleich neben der Tür und danke dem, wer auch immer den Raum eingerichtet hat, für die wohl bequemste Matratze, auf der ich je geschlafen habe.
Nach ein paar Stunden klopft es an der Tür und El Kastor stampft in den Raum. Ganz anders als am Abend zuvor trägt er heute nur eine kurze Matrosenhose und ein weißes Top.
„Aye Käpt’n“, scherze ich und der Hüne lacht laut auf. Hat wohl heute deutlich bessere Laune der Kerl.
„Los Mike, Fleisch ist auf dem Grill und ich steh nicht drauf, wenn es durch ist. Ich mag es…. blutig.“ Mein Bauch knurrt dramatisch und ich springe vom Bett auf, topfit und bereit den Grill leerzuräumen.
Zusammen gehen wir zum Pausenraum und ich bin erstaunt, als ich sehe, dass in der Mitte des Raumes tatsächlich ein kleiner Elektrogrill aufgebaut worden ist. Gut, ist dieser Raum mit Fenster ausgestattet.
Am Tisch sitzen bereits Spasti der Clown, Luke und der Gorilla. Fehlt nur noch Emily und Jester. Kastor setzt sich neben Luke und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich neben Spasti, meinem absoluten Lieblingsclown, zu setzen. Dieser zieht schon wieder genüsslich an einer Zigarette und beachtet mich keines Blickes.
Die Tür geht auf und Jester stolziert mit einem Gehstock und einem Papagei auf der Schulter herein. Anstelle seines Zinnobermantels trägt er einen langen fliederfarbenen Kunstledermantel, darunter ein schicker schwarzer Anzug und weiße Designer-Stiefeletten. Entweder ist er stockschwul oder er hat einen etwas… schrägen Hang zu Mode. Der Vogel auf seiner Schulter strahlt wie der Wohnwagen in allen Regenbogenfarben und scheint ein sehr spezielles Exemplar seiner Art zu sein.
„Meine Herren.“, begrüsst uns Jester und ich werfe Luke einen fragenden Blick zu. Sie wendet ihre Augen ab und studiert das Muster der Serviette auf dem Tisch.
„Ich freue mich, dass wir alle heute hier zusammen sitzen und grillen. Wir haben ein neues Mitglied in unserer Reihe. Darf ich vorstellen. Michael.“ Er zeigt mit seinem behandschuhten Finger auf mich und ich nicke etwas verlegen in die Runde. „Es ist immer wieder schön, ein neues Mitglied in unseren Reihen willkommen zu heißen. Bevor wir anfangen zu essen möchte ich noch eine Ankündigung machen. Wie ihr ja… fast alle wisst, hat Phoenix das Zeitliche gesegnet. Eine Schweigeminute für Phoenix. Bitte.“ Jester schließt die Augen und faltet seine Hände zusammen, die anderen tun es ihm gleich. Ich zögere, schließe mich aber an, obwohl ich keine Ahnung habe, wer zum Geier Phoenix sein soll.
„Vielen Dank. Das bedeutet mir sehr viel. Das hier…“ Er holt den Vogel von seiner Schulter und zeigt ihn in die Runde. „… ist Neumann. Ist er nicht wunderschön?“ In dem Moment krächzt Neumann als hätte er auf sein Stichwort gewartet.
„Neumann ist mein neuer Begleiter und nimmt den Platz von Phoenix ein.“ Neumann fliegt einmal durch den Raum und landet wieder auf der Schulter von Jester. Dort schaut er einmal in die Runde, krächzt und erhält als Belohnung einen Kräcker.
Als der Manager sich zu uns setzt, steht Kastor auf und holt das Fleisch vom Grill und verteilt es. Gierig falle ich über die Sparerips, Steaks und Spießchen her. Das Fleisch schmeckt unglaublich lecker. Die Marinade ist eine Explosion der Gewürze und das Fleisch ist so zart, dass es beinahe auf der Zunge zergeht.
Spasti neben mir hat sein Fleisch nicht angerührt. Anscheinend ernährt sich dieser Kerl nur von Tabak und Cola. Ich stupse ihn von der Seite an.
„Keinen Hunger?“
„Nicht auf Fleisch.“ Er schiebt mir seinen Teller rüber und ich stürze mich auf das Steak, das mittlerweile schon kalt ist. Egal. Rein damit.
„Alter, wie viel passt eigentlich in dich rein? Du schlingst den Scheiss runter als hättest du seit Wochen nichts mehr gefressen.“
„Ein Problem damit?“, keife ich ihn an und bin erstaunt, als er anfängt zu grinsen.
„Soll ich dir was verraten?“, fragt er und ich nicke.
„Ich kann dich nicht leiden.“ Kaum überrascht klopfe ich ihm auf die Schulter und fange an zu lachen.
„Beruht auf Gegenseitigkeit.“
„Gut.“
„Wo ist eigentlich Emily?“, flüstere ich ihm zu.
„Wer? Du stellst ganz schön viele Fragen.“
„Ich war in der Schule schon immer ein Rebell, verstosse gerne gegen Regeln. Emily. Das Mädchen, das mit dem Gorilla zusammen arbeitet.“
„Kenn ich nicht.“
„Wie lange bist du denn schon hier?“
„Eine Weile.“
Ich kaue weiter auf dem Stück Fleisch rum und schaue nochmals zu Luke herüber, die in ihrem Teller herumstochert.
„Ich habe noch eine blöde Frage. Warum ignoriert der Manager die ganze Zeit seine eigene Tochter?“
„Ach tut er das?“
„Es wirkt so.“
„Wenn ich es dir verrate, hältst du dann endlich deine Klappe und lässt mich in Ruhe weiterrauchen?“
„Eventuell.“
„Du suchst wirklich Streit. Der Manager akzeptiert nicht, dass Luke ein Mädchen ist. Er hätte sich einen Sohn gewünscht. Grosses Familiendrama. Spiel einfach mit.“
Das Stück Fleisch bleibt mir in der Kehle stecken und droht mich zu ersticken. Keuchend greife ich nach Spastis Cola und nehme einen grossen Schluck.
„Hey, was soll das. Das ist meine Coke.“
„Sorry mann. Wo sind denn hier die Toiletten?“
Angepisst reisst er mir seine Cola aus der Hand und kippt den Rest herunter. „Dritte Tür rechts.“ Ich stehe vom Tisch auf, renne aus dem Pausenraum und höre noch, wie Spasti den anderen erklärt, dass ich wohl gerade Durchfall habe. Mistkerl.
Ich hänge meinen Kopf unter das Waschbecken und trinke ein paar grosse Schlucke Wasser. Das Kratzen im Hals wird dadurch zwar nicht besser, aber das Gefühl zu ersticken verschwindet. Jester behandelt seine Tochter wie einen Sohn? Fügt sich Luke diese Narben selbst zu? Ich muss sie morgen beim Putzen unbedingt nochmals darauf ansprechen..
Warte, da fällt mir ein. Shit. Ich habe einen Raum vergessen zu putzen. Der, den Spasti blockiert hat.
Im Laufschritt sprinte ich zum Schlafraum und hole meine Putzausrüstung ab. Mit Besen und Eimer bewaffnet stehe ich vor dem Raum 225. Auf dem Block suche ich den Pinn und gebe ihn ein. Das Schloss geht klickend auf. Pfeifend öffne ich die Tür und erblicke Emily, die auf dem Tisch sitzt und gerade die Haare einer Puppe kämmt. Als sie mich sieht, winkt sie mir zu und fängt an zu kichern. Überrascht winke ich zurück und gehe auf sie zu.
„Was machst du denn hier?“